Ist die Hisbollah wieder eher bereit sich auf einen Konflikt mit Israel einzulassen?

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Der Führer der libanesischen Hisbollah Hassan Nasrallah (rechts abgebildet). Foto IMAGO / ZUMA Wire
Der Führer der libanesischen Hisbollah Hassan Nasrallah (rechts abgebildet). Foto IMAGO / ZUMA Wire
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Die Hisbollah hat in letzter Zeit eine grössere Risikobereitschaft in Bezug auf eine mögliche militärische Konfrontation mit Israel an den Tag gelegt, was im Gegensatz zu der Zurückhaltung steht, die sich die Organisation in den letzten Monaten der Trump-Administration auferlegt hatte. Seit dem Einzug der Biden-Regierung ins Weisse Haus, zeigt sich dies vor allem in der Verwirklichung der Drohungen der Hisbollah, israelische Flüge im libanesischen Luftraum zu attackieren.

von Orna Mizrahi und Yoram Schweitzer

Nachdem die Hisbollah seit Oktober 2019 Angriffe vermieden hatte – feuerte sie am 3. Februar 2021 eine Flugabwehrrakete gegen eine israelische Drohne ab, welche die Drohne jedoch verfehlte. Sprecher der Hisbollah rühmten diese Aggression als Beweis für ihre Entschlossenheit, israelische Aktivitäten im libanesischen Luftraum zu verhindern und bezüglich der gegenseitigen Abschreckung auf Augenhöhe mit Israel zu bleiben.

Diese Verwegenheit der Hisbollah scheint mit dem Iran abgestimmt zu sein und reflektiert ihre Einschätzung, dass Israel angesichts der anhaltenden Pandemie und innenpolitischen Krise nicht in der Lage ist, eine riskante militärische Kampagne durchzuführen. Durch den Präsidentenwechsel in den Vereinigten Staaten wittert die Hisbollah eine Chance. In den letzten Monaten der Trump-Administration liess die Organisation bei ihren Einsätzen entlang der israelisch-libanesischen Grenze Vorsicht walten und hatte Schwierigkeiten, die Abschreckungen zu manifestieren, die Nasrallah mit Gewalt gegen die IDF durchsetzen wollte. Zum Beispiel:

  1. Nach zwei gescheiterten Vergeltungsschlägen verzichtete die Hisbollah darauf, die Liquidierung eines ihrer Kämpfer in Syrien (Juli 2020) zu rächen. Der einzige Erfolg, den Nasrallah in diesem Zusammenhang vorzuweisen hatte, ist der Druck, der infolge der anhaltenden Spannungen an der libanesischen Grenze aufgebaut wurde, was zu einem verschärften Einsatz er IDF führte. Nasrallah führte diesen Armee-Aufmarsch auf die Abschreckungskraft der Hisbollah und die Bedenken der IDF hinsichtlich ihrer militärischen Stärke zurück.
  2. Die fehlende Reaktion der Hisbollah auf die weit verbreiteten Angriffe auf ihre Einrichtungen in Syrien, die Israel zugeschriebenen werden. Angriffe, die darauf abzielten, Waffentransfers aus dem Iran zu vereiteln und die Infrastruktur der Hisbollah auf den Golanhöhen zu beschädigen.
  3. Die Hisbollah hat auch nach der Tötung des iranischen Atomwissenschaftlers Fakhrizadeh (November 2020), für die Israel verantwortlich gemacht wird, von jeglicher Aktion gegen Israel entlang der libanesischen Grenze abgesehen und argumentiert, dass die Antwort von der Seite kommen sollte, die das eigentliche Ziel war, nämlich dem Iran. Es scheint, dass die Bekanntmachung dieser Position den Zweck hatte, die interne Kritik im Libanon zu kontern, die Organisation stehe im Dienst des Iran.

In einer Rede am 16. Februar (am Todestag seines Vorgängers Mousavi, der einem israelischen Attentat zum Opfer fiel) sprach Nasrallah über die Möglichkeit einer Konfrontation mit Israel. Er bezog sich dabei auf die Rede von IDF-Stabschef Aviv Kochavi auf der Jahreskonferenz des Institute for National Security Studies vom 26. Januar sowie auf die kürzlich veröffentlichte Einschätzung des israelischen Geheimdienstes bezüglich der Machbarkeit von Kurzgefechten, sogenannten «Battle Days». Nasrallahs Bemerkungen unterstrichen die Bedeutung, die er der Abschreckung gegenüber Israel beimisst, und bekräftigten seine Entschlossenheit, auf jeden israelischen Vorstoss scharf zu reagieren – auch wenn er behauptete, nicht an einem Krieg interessiert zu sein.

In Bezug auf Kochavi, der auf der Legitimität eines «moralischen und effektiven» Angriffs der IDF auf die unter der libanesischen Zivilbevölkerung versteckten Raketendepots der Hisbollah beharrte, warnte Nasrallah, dass die Hisbollah – sollte Israel libanesische Zivilisten verletzen – der israelischen Zivilbevölkerung schweren Schaden zufügen würde – den schlimmsten seit 1948. Er behauptete, dass auch dies gerechtfertigt sei, da alle Israelis militärische Reservisten seien. Bezüglich der Einschätzung, die Hisbollah sei an «Battle Days» mit der IDF interessiert, stellte Nasrallah klar, dass Israel «mit dem Feuer spielt», wenn es denkt, dass der Schlagabtausch zwischen den Parteien eingeschränkt sein würde und nicht zu einer breiten Kampagne führe. Er fügte hinzu, dass seine Organisation – obwohl sie keine Konfrontation will – zurückschlagen wird, wenn es zu Angriffen seitens Israel kommt.

Obwohl die Biden-Administration ihre Politik gegenüber der Hisbollah noch nicht vollständig ausformuliert hat, scheint es, dass die Organisation, ebenso wie ihr Schirmherr Iran, angesichts des von Biden erwarteten Kurswechsels von der Trump-Haltung gegenüber der schiitischen Achse, eine Chance für die Durchsetzung ihrer Interessen sieht. Die Trump-Administration propagierte «maximalen Druck» auf die Hisbollah, parallel zu dem Druck, den sie auf den Iran ausübte:

  • Ausweitung der Sanktionen auf Hisbollahmitglieder und -unterstützer im libanesischen System
  • Forderung nach einer Verminderung des Einflusses der Hisbollah in der neuen libanesischen Regierung (im Gegensatz zu Frankreich, das bereit ist, den politischen Status der Hisbollah im libanesischen System zu akzeptieren).
  • Druck auf den Libanon, Kompromisse einzugehen und die Verhandlungen mit Israel über die Seegrenze voranzutreiben.

Gleichzeitig hat die Hisbollah im vergangenen Jahr auf dem internationalen Parkett einige Schläge einstecken müssen, was sich vor allem in den 13 neuen Ländern widerspiegelt, die sie neu als terroristische Organisation anerkennen.

Die Washingtoner International Crisis Group, die bis zu seiner Ernennung zu Bidens Botschafter in der Iran-Frage, von Robert Malley geleitet wurde, hat der Biden-Administration unlängst ein Strategiepapier vorgelegt. Das Papier riet der Administration, die US-Perspektive auf den Libanon zu ändern und statt einer Schwächung der Hisbollah einen neuen Ansatz zu verfolgen, der darauf abzielt, den libanesischen Staat zu stärken und seinen Zusammenbruch zu verhindern, indem man die französische Initiative unterstützt und eine Regierung mit der Hisbollah bildet.

Selbst in der libanesischen Bevölkerung hat die trostlose libanesische Alltagsrealität zu vermehrter öffentlicher Kritik an der Organisation geführt, trotz der Behauptung, die Hisbollah habe von der Lähmung des politischen Systems profitiert und ihre Machtbasis unter der schiitischen Bevölkerung des Landes weiter gestärkt.

Dies geht aus den Ergebnissen einer Meinungsumfrage hervor, die David Pollock vom Washingtoner Institut im November 2020 im Libanon durchgeführt hat und die auf einen deutlichen Rückgang der Unterstützung für die Hisbollah in den letzten Jahren in der libanesischen Öffentlichkeit, wie auch in der schiitischen Gemeinschaft, hinweist. Die umfangreiche Kampagne der Hisbollah zum Todestag von Qasem Soleimani (Januar 2020), die an eine Heiligsprechung des Iraners grenzte, liess auch im Libanon die weit verbreitete Kritik laut werden, dass die Hisbollah im Dienst des Iran operiert.

Mit Blick auf die Zukunft könnte eine mögliche Änderung der US-Politik gegenüber dem Iran (und nach Ansicht der Hisbollah vielleicht auch gegenüber der Organisation selbst) in Verbindung mit dem anhaltenden Zerfall des Libanon sowie dem Gefühl der Organisation, dass Israel mit seinen inneren Angelegenheiten beschäftigt ist, die Verwegenheit der Hisbollah gegenüber Israel erhöhen. Die Hisbollah könnte erneut versuchen, den angekündigten Vergeltungsschlag auszuführen, was zu einer neuen Eskalation des Konflikts führen könnte, ganz im Sinne der Einschätzung des militärischen Geheimdienstes.

Das unmittelbare Ziel der Organisation ist es, ihre Abschreckungspolitik zu festigen, aber es scheint, dass die erneuten Spannungen an der israelisch-libanesischen Grenze aus ihrer Sicht auch dazu dienen könnten, ihr Image als «Verteidiger des Libanon» innenpolitisch zu verbessern und vielleicht sogar indirekt dem Iran ein Druckmittel gegenüber der neuen US-Regierung zu verschaffen – zumindest bis zu einer Wiederaufnahme der Atomverhandlungen. Nach einer Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran wird die Hisbollah jedoch vermutlich ihre Querelen mit Israel zurückfahren, um den Dialog, der dem Iran dienen soll, nicht zu sabotieren.

Angesichts der Möglichkeit, dass die Hisbollah ihre Drohungen zur Verschärfung der Spannungen in den kommenden Monaten wahr macht, muss die IDF an der nördlichen Grenze weiter wachsam bleiben. Israels Reaktion muss neu geprüft werden, um den israelischen Interessen am besten zu dienen. Die beiden Hauptoptionen sind eine angemessene, aber massvolle Reaktion, die einen Krieg verhindert, oder umfangreiche militärische Massnahmen, um das Arsenal der Präzisionsraketen der Hisbollah zu dezimieren, die eine strategische Bedrohung für Israel darstellen.

Die Libanon-Frage sollte so bald wie möglich in einem Dialog zwischen Israel und der neuen US-Regierung erörtert werden. Dabei sollte Israel die USA überzeugen, ihr Engagement im Libanon fortzusetzen und gleichzeitig ihre Politik gegenüber dem Libanon auf zwei Aspekte zu fokussieren: fortgesetzter wirtschaftlich-politischer Druck auf die Hisbollah und Hilfe für den libanesischen Staat, der am Rande des Zusammenbruchs steht.

Orna Mizrahi ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institute for National Security Studies. Yoram Schweitzer ist leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter und Leiter des Programms für Terrorismus und Konflikte niedriger Intensität am Institute for National Security Studies. Übersetzung Audiatur-Online.