Die Terrorismus-Verbreiter sind immer noch auf Twitter

0
Foto Screenshot Twitter / 2e3lammk2020
Foto Screenshot Twitter / 2e3lammk2020
Lesezeit: 6 Minuten

Mit der Verbannung eines amtierenden US-Präsidenten und tausender anderer, angeblich aus Gründen, die mit den US-Wahlen 2020 und abstrusen Verschwörungstheorien zu tun haben, wurde die Macht der «Big Tech»-Social-Media-Unternehmen so offensichtlich wie noch nie.

von Alberto M. Fernandez           

Diese Firmen sind private Unternehmen, die aktuell das uneingeschränkte Recht haben, zu entscheiden, wer auf ihren eigenen Plattformen teilnehmen kann, basierend auf der eigenen subjektiven und undurchsichtigen Interpretation ihrer Nutzungsbedingungen. Die Entscheidungen der Big-Tech-Firmen, wurden zwar von Kritikern in Frage gestellt, sie können aber nicht wirklich angefochten werden, denn momentan scheint es so, als ob der ultimative Massstab dafür, was als zulässig gilt, die Weltanschauungen der Big-Tech-Kleriker innerhalb der Blase des kalifornischen Silicon Valley sind.

Social-Media-Unternehmen, einschliesslich Twitter, spielten eine Schlüsselrolle bei der Reichweite und Verbreitung von salafistisch-dschihadistischen Gruppen wie dem sogenannten Islamischen Staat (IS). Als Abu Bakr Al-Baghdadi sich im Juni 2014 nach dem Fall von Mosul zum Kalifen erklärte, konnte der IS diese Botschaft weltweit über soziale Medien verbreiten, obwohl die Gruppe bereits 2004 vom US-Aussenministerium als terroristisch bezeichnete Organisationen im Ausland (Foreign Terrorist Organization, FTO) eingestuft worden war. Erst als die Gruppe im August 2014 begann, Videos von Enthauptungen von Amerikanern zu veröffentlichen und zunehmend junge Anhänger weltweit in mehreren Sprachen zu mobilisieren, ergriffen Twitter und andere Unternehmen Massnahmen, um diese Konten zu entfernen. Bei den Konten, die Twitter entfernte, handelte es sich um einige halboffizielle Konten, aber auch um eine viel grössere Anzahl von informellen Förderern, Multiplikatoren und Unterstützern – IS-Trollen und «Fanboys». Big Tech hat diese Massnahmen ergriffen, um ihren Ruf als Unternehmen zu schützen, angesichts der wachsenden Wut von Privatbürgern und einer begründeten Angst vor staatlichen Regulierungen.

Konten die mit iranisch kontrollierten schiitischen Milizen und Todesschwadronen verbunden sind

Die Bereinigung von IS-Fanboys scheint jedoch ein einmaliger Vorgang gewesen zu sein. Während Anhänger von IS und Al-Qaida weiterhin Schwierigkeiten in den sozialen Medien haben, fällt es Propagandisten für andere Terrorgruppen erheblich leichter. Die Medienkanäle (Al-Ahd und Al-Etejah Television) der irakischen Terrorgruppen Kataib Hizbullah (eine FTO seit 2009) sowie Asaib Ahl Al-Haqq (eine FTO seit 2020) sind nach wie vor auf Twitter. So auch Qais Al-Khazali, der Leiter der letztgenannten Organisation. Neben diesen offiziellen Konten gibt es Hunderte von gewöhnlichen irakischen Konten, die mit iranisch kontrollierten schiitischen Milizen und Todesschwadronen verbunden sind, die nicht nur die offizielle Iran-Propaganda und Desinformationen im Dienste des Irans und seiner lokalen Stellvertreter zu verbreiten verbreiten, sondern auch als elektronische Armee dienen, um Mitglieder der Zivilgesellschaft zu bedrohen, nachdem irakische Aktivisten und Journalisten ermordet wurden.

Twitter spielte in den letzten Jahren – ob bewusst oder nicht – eine sehr hilfreiche Rolle bei der Ermöglichung einer andauernden Einschüchterungskampagne in arabischer Sprache, die der Iran und seine Handlanger gegen irakische Demonstranten, die Zivilgesellschaft und Kritiker führten. Die Gruppe, die glaubhaft beschuldigt wird, den irakischen Gelehrten Hisham Al-Hashemi ermordet zu haben, hat ein Profil (und viele Unterstützer) auf Twitter.

Das gleiche toxische Netzwerk findet sich auch im Libanon. Hier hat Twitter erst 2019 die Konten des offiziellen Kanals der Hizbullah, Al-Manar TV, gesperrt (die Hizbullah ist seit Beginn 1997 eine FTO). Al-Manar TV ist jedoch weiterhin auf westlichen Plattformen verfügbar. Aber auch viele libanesische «Journalisten», die mit Al-Manar TV verbunden sind, verbreiten ungestraft dessen Inhalte. Inoffizielle Medien, die mit der Hizbullah verbündet sind, wie Al-Mayadeen TV und die Zeitung Al-Akhbar, sind immer noch auf Twitter aktiv. Zudem gibt es wie im Fall des Irak Hunderte von «persönlichen» Accounts, die offensiv Inhalte von Al-Manar TV und Hizbullah-Slogans verbreiten. Die kürzliche Ermordung des Anti-Hizbullah-Aktivisten Lokman Slim im Libanon führte sofort zu einem Anstieg der Aktivitäten dieser Accounts, die das Mordopfer diffamierten, andere Libanesen als potenzielle nächste Opfer bedrohten und falsche Narrative im Dienste der Hizbullah verbreiteten. Diese Konten funktionieren genau wie die der IS-Fanboys: sie übernehmen die Propaganda der offiziellen Organisation und verstärken deren Umfang und Feindseligkeit. Und wie der IS setzen auch die Betreiber dieser Konten die Nutzungsbedingungen von Unternehmen als Waffe ein, um die Inhalte ihrer Gegner zu entfernen.

Ein Beispiel von vielen ist Multaqa Al-Alam A-Muqawim (Medienforum des Widerstands). Ich habe es nicht ausgewählt, weil es bedeutend ist, sondern weil es typisch für viele dieser Accounts ist, obwohl es mit über 4.000 Followern viel grösser ist als die meisten anderen Pro-Hizbullah-Trolle. Angeblich aus dem Juli 2017 stammend, ist der Account erst im November 2020 richtig in Fahrt gekommen. Eine der Verleumdungen gegen den ermordeten Lokman Slim war, dass er von den Amerikanern gekauft wurde. Unmittelbar nach seiner Ermordung stellte das Medienforum des Widerstands eine ähnliche Verbindung zu anderen libanesischen Journalisten her, die angeblich «im Dienst» der US-Botschaft stehen.

Innerhalb von Stunden und Tagen nach dem Attentat auf Slim hatten das Medienforum des Widerstands und andere ähnliche Konten professionelle Grafik- und Videoinhalte über Slim und andere Zielpersonen online. Nach dem Beispiel der Online-Inhalte des IS, dienen die Inhalte, die von solchen arabischsprachigen iranischen Todesschwadronen Anhängern verbreitet werden dazu, Gegner zu terrorisieren und die Hisbollah und die iranische Führung zu glorifizieren. Und genau wie der IS starten die Multiplikatoren der pro-iranischen Terrorgruppen Hashtag-Kampagnen, um Aufmerksamkeit zu erregen und Gegner einzuschüchtern. Unter dem Slogan «Die verachtenswerte Presse im Auftrag der [amerikanischen] Botschaft» starteten diese libanesischen Accounts am 9. Februar 2021 eine Kampagne gegen libanesische Journalisten, die es gewagt hatten, die Hisbollah zu kritisieren, sowohl solche, die die Hisbollah im Allgemeinen kritisierten, als auch solche, die sie speziell für die Tötung von Slim kritisierten, der selbst vor Jahren Teil einer ähnlichen Kampagne gewesen war. Dies ist eine abschreckende, gezielte Botschaft, die von Parteigängern einer Gruppe kommt, die glaubhaft beschuldigt wird, unter anderem prominente Journalisten wie Samir Kassir und Gibran Tueni, ungestraft getötet zu haben.

Foto Screenshot Twitter / Multaqa Al-Alam A-Muqawim

Alle Konten hätten entfernt werden müssen

Warum lässt Twitter einige Terrorismus-Verbreiter zu und verbietet andere? Warum werden Al-Manar und Hizbullah zum Schweigen gebracht, während Propagandisten, die deren Botschaften verbreiten, frei agieren können? Warum ermöglicht es Twitter Unterstützern von Terrorgruppen, Journalisten und die Zivilgesellschaft im Libanon und Irak zu bedrohen? Würde Twitter dem IS-Muster folgen, dürfte es keinen Unterschied machen zwischen offiziellen Konten, halboffiziellen Konten und solchen, die angeblich von nicht zugehörigen Amateuren stammen. Alle hätten entfernt werden müssen.

Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Messlatte für Trump und QAnon niedriger zu sein scheint als für die Hizbullah und Kataib Hizbullah, aber es ist Realität. Offensichtlich ist die Ermordung von Aktivisten in der arabischen Welt durch Gruppen mit gut funktionierenden Online-Netzwerken für amerikanische Social-Media-Firmen von relativ geringer Bedeutung, weil es sich um Ausländer handelt und die meisten Aktionen auf Arabisch stattfinden. Wenn es um diese Gruppierungen geht, ist Twitter auf dem gleichen Stand wie 2013-2014, als der IS nur eine Plage und ein Fluch für die Menschen in der Region war, die in verschnörkelten Linien schrieben und redeten und im Silicon Valley unbekannt waren. Entwickeln sich die Aktivitäten dieser Gruppierungen nicht zu einem innenpolitischen Problem – auf Englisch – bei dem es um die Reputation von Unternehmen geht, oder um Bedenken, die westliche Regierungen gegenüber Social-Media-Unternehmen äussern, dann werden Twitter und Co. weiterhin wegschauen. Weil es in ihrer Macht steht.

Alberto M. Fernandez ist Vizepräsident von MEMRI. Auf Englisch zuerst erschienen bei The Middle East Media Research Institute (MEMRI). Übersetzung Audiatur-Online.