„Ich muss deshalb von jeder zusätzlichen Aktion für Israel abraten.“ Das Auswärtige Amt und Israel zwischen 1967 und 1979. So heisst ein von Remko Leemhuis, dem Leiter des Büros des American Jewish Committee (AJC) in Berlin, im letzten Frühjahr vorgelegtes Buch, das auf seiner Dissertation basiert. Leemhuis geht der Frage nach, welche grundlegenden Überlegungen die Israel-Politik des Auswärtigen Amtes im genannten Zeitraum bestimmten.
Um das Urteil vorwegzunehmen: Das Buch ist eines der wichtigsten, wenn nicht das wichtigste für jeden, der etwas über die Israel-Politik der Bundesrepublik Deutschland wissen will. Und an der, das merkt man beim Lesen, hat sich in den vergangenen 50 Jahren gar nicht so viel geändert. Die unzähligen im Buch wiedergegebenen mündlichen Äusserungen, schriftlichen Noten und Depeschen von Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes und Politikern der Bundesregierung wirken oft so, als wären sie aus unserer Gegenwart. Immer wieder lautet der Tenor: Bloss nicht vor der Welt freundlich gegenüber Israel wirken! Bloss nicht die Araber vergrämen!
Daran hat sich im Lauf der Jahrzehnte nie etwas geändert. Und darum erscheint das Buch wie ein Einblick in die jetzige Aussenpolitik, obwohl es sich mit der Vergangenheit befasst und die allermeisten der im Buch zitierten Diplomaten und Politiker bereits tot sind.
In den vom Autor untersuchten Zeitraum zwischen 1967 und 1979 fallen Entwicklungen, die grossen Einfluss auf Israel und die Lage im Nahen Osten hatten und an denen sich sehr gut ablesen lässt, wie die jeweilige deutsche Regierung und ihre Diplomaten zu Israel standen:
Debatten über Entschädigungszahlungen an jüdische Holocaustüberlebende, der Sechs-Tage-Krieg, der Beginn der gross angelegten Terrorwelle der PLO mit Flugzeugentführungen in Westeuropa, Terroranschlägen auf israelische Zivilisten und dem von Jassir Arafats Fatah verübten Olympia-Massaker in München 1972, der Jom-Kippur-Krieg sowie der anschliessende Ölboykott der OPEC, um nur einige zu nennen.
Die Anti-Israel-Haltung des Auswärtigen Amtes ist den meisten Lesern wohlbekannt. Sie äussert sich in der deutschen Unterstützung fast jeder bei der UNO eingebrachten Anti-Israel-Resolution – und sei diese auch so absurd wie eine der jüngsten, in der der Tempelberg zu einem rein muslimischen Heiligtum erklärt wird. Sie manifestiert sich in der öffentlichen Unterstützung für Leute, die Juden von internationalen Kongressen fernhalten wollen, wie Achille Mbembe. Sie äussert sich in der bedingungslosen Unterstützung der Terrororganisation PLO: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verneigte sich buchstäblich vor dem Massenmörder Jassir Arafat, die Bundesregierung empfängt dessen Nachfolger Mahmud Abbas, der die Legende von den Juden als Brunnenvergifter verbreitet und im Fernsehen regelmässig zu Morden an Juden aufruft. Dieselbe Bundesregierung zahlt jedes Jahr hunderte Millionen Euro an Abbas‘ diktatorisch regierte Palästinensische Autonomiebehörde, ohne zu verlangen, dass diese keine Kopfgelder für die Tötung von Juden („Märtyrerrenten“) mehr zahlt, die antisemitische Hetze in den Schulen einstellt oder aufhört, Kinder dazu zu erziehen, den „Märtyrertod“ im Krieg gegen die Juden sterben zu wollen. Vor allem aber äussert sich die antiisraelische deutsche Aussenpolitik in der verbalen Einseitigkeit: Appelle der deutschen Bundesregierung ergehen immer nur an Israel oder an „beide Seiten“ – wobei meist nur Israel beim Namen genannt wird, während die andere „Seite“ anonym bleibt. Nie, niemals würde die deutsche Bundesregierung sagen: „Die Palästinensische Autonomiebehörde muss aufhören, zum Mord an Juden aufzurufen und die Mörder zu belohnen.“
„Ausgewogenheit“ zwischen einem jüdischen Staat und 21 arabischen Staaten illusorisch
Beispielhaft für diese Haltung ist, wie der damalige deutsche Aussenminister und jetzige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einmal ein aus sadistischem Judenhass verübtes Blutbad kommentierte. Nachdem zwei palästinensische Araber, begleitet von „Allahu Akbar“-Rufen, am 18. November 2014 frühmorgens in der Jerusalemer Kehilat-Bnei-Torah-Synagoge sieben Minuten lang betende Juden mit Fleischerbeilen buchstäblich in Stücke geschlagen hatten und sich Pfützen von Blut über die Fliesen und die Gebetsbücher ergossen, sagte Steinmeier: „Ich hoffe, dass das nun auch ein lauter Weckruf ist.“
Auf der Basis seines breiten Quellenmaterials, hauptsächlich aus den Archiven des Auswärtigen Amtes, kommt Leemhuis zu dem Schluss, dass vor allem zwei Aspekte die von ihm untersuchte deutsche Aussenpolitik gegenüber Israel in den Jahren 1967 bis 1979 geprägt hätten. Erstens, ein zur Schau gestelltes Konzept der „Ausgewogenheit“. Dieser Begriff aber sei nie definiert worden und schon die oberflächliche Analyse zeige, „dass alleine aufgrund der numerischen Verhältnisse eine Politik der ‚Ausgewogenheit‘ illusorisch war, standen dem einen jüdischen Staat doch bis zu einundzwanzig Staaten der Arabischen Liga gegenüber“. Der dritte Botschafter Israels in der Bundesrepublik, Yohanan Meroz, kommentierte diesen Umstand in seinen Memoiren, aus denen der Autor zitiert:
„Die Nahostbeauftragten der Aussenministerien pflegten berufliche und private Kontakte mit Angehörigen von zehn bis zwölf […] arabischen Botschaften, die zwar gewiss nicht in allen Angelegenheiten mit einer Zunge reden, die aber gerade in Bezug auf Israel ein Höchstmass von Einstimmigkeit an den Tag legen. Ihnen steht nur eine einzige israelische Vertretung gegenüber; es ist nahezu unvermeidlich, dass hier die Quantität auch einen qualitativen Stellenwert erhält.“
Diese Sicht teilt Leemhuis und verweist darauf, dass es den arabischen Staaten gelungen sei, das Auswärtige Amt ständig beschäftigt zu halten, indem sie permanent abwechselnd oder gemeinsam ihre Sichtweise vortrugen oder gar Drohungen aussprachen. Leemhuis hält es unterdessen für fraglich, ob die Beamten im AA den Begriff der Ausgewogenheit überhaupt selbst ernst nahmen:
„Ein schliesslich immer wiederkehrendes Muster war, dass ‚Ausgewogenheit‘ immer dann angemahnt wurde, wenn sie dazu diente, sich den arabischen Staaten zu nähern und von Israel zu distanzieren. Wann immer die ‚Ausgewogenheit‘ jedoch eine Parteinahme für israelische Interessen hätte, war sie kein Referenzpunkt der eigenen Politik mehr.“
Bloss nicht die PLO provozieren…
Und während das Auswärtige Amt und seine Diplomaten stets darauf achteten,
„die arabischen Staaten in der Öffentlichkeit nicht zu kritisieren – zu denken ist hier vor allem an die Zeit nach dem Attentat in München 1972 oder der nach dem arabischen Angriff auf Israel im Oktober 1973 –, liess das Amt keine Gelegenheit verstreichen, die Politik des jüdischen Staates öffentlich anzuprangern.“
Die vermeintliche „Ausgewogenheit“, das zeigt Leemhuis‘ Buch, war – und ist! – nichts anderes als der Deckmantel, unter dem sich eine radikale Parteinahme für Israels Feinde verbirgt. Das waren anfangs nur die arabischen Staaten, deren Sympathien Bonn keinesfalls aufs Spiel setzen wollte, weswegen die Israel-Politik immer von der Frage geleitet war, wie diese wohl das Verhältnis zu den arabischen Staaten beeinflussen könne (damals auch im Hinblick auf die Konkurrenz mit der DDR).
Ab etwa 1967 betraten dann die Terrororganisationen unter dem Dach der PLO die internationale Bühne. Sie entführten Flugzeuge und ermordeten israelische Athleten bei den Olympischen Spielen in München. Leemhuis zeigt, wie – und das ist für ihn der zweite grundlegende Aspekt, der sich aus den von ihm studierten Quellen ergibt – das Auswärtige Amt wiederum alles unternahm, um gute Beziehungen zu den Terroristen zu unterhalten und sie keinesfalls zu verärgern oder zu kränken. Die überlebenden Olympia-Mörder von München wurden auf freien Fuss gesetzt, und der Drahtzieher des Massakers blieb über Jahre ein wichtiger Ansprechpartner des Auswärtigen Amts, den man auch immer wieder persönlich zu Besprechungen traf. Auch im Hinblick auf die Judenmörder der PLO liess sich das Auswärtige Amt von der Maxime leiten, Forderungen immer nur an Israel zu richten, nie aber an dessen Feinde. Leemhuis‘ Doktorvater, der Marburger Politikwissenschaftler Professor Dr. Thomas Noetzel, fasst dies im Vorwort ausgezeichnet zusammen:
„Gerade mit Blick auf den Anfang der 1970er-Jahre einsetzenden palästinensischen Terrorismus verstärkt sich dann die israelkritische Position in eine geradezu widerlich zu nennende Appeasementhaltung gegenüber arabischen Staaten. Gegen die in keiner Form belastungssichere Zusage der PLO und entsprechenden arabischen Unterstützungsregimen wurde die Solidarität nicht nur mit den israelischen Opfern des Terrorismus hintangestellt. So setzt sich das Aussenministerium für eine 50 Millionen DM umfassende Investition in Flüchtlingslager der PLO ein, in denen zum gleichen Zeitpunkt Mitglieder der ‚Rote-Armee-Fraktion‘ ausgebildet werden. Von einer entschlossenen Bekämpfung des durch die PLO initiierten internationalen Terrorismus kann also (…) keine Rede sein. Vielmehr wird vom Aussenministerium darauf geachtet, dass die PLO und andere Organisationen nicht ‚provoziert‘ werden. So setzt sich das Aussenministerium dafür ein, dass in der Bundesrepublik Deutschland festgenommene PLO-Terroristen die Ausreise gestattet wird. Selbst als es nach dem Anschlag auf die israelische Mannschaft während der Olympischen Spiele 1972 in München zu einer in der Öffentlichkeit vehement vorgetragenen Kritik an arabischen Staaten kommt, lässt das Aussenministerium von seiner proarabischen Positionierung nicht ab.“
Dafür, so Leemhuis, war das Auswärtige Amt auch bereit, rechtsstaatliche Grundsätze über Bord zu werfen. Schauen wir uns einige Etappen an.
Aufnahme diplomatischer Beziehungen
Die Aussenpolitik der jungen Bundesrepublik war von der Hallstein-Doktrin geprägt. Die Bundesrepublik beanspruchte, in der Welt der alleinige Vertreter Deutschlands zu sein; wenn Staaten mit der DDR diplomatische Beziehungen pflegten, war dies ein unfreundlicher Akt, den die Bundesrepublik mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen beantworten sollte. Würde die Bundesrepublik Beziehungen zu Israel aufnehmen, so lautete die Befürchtung, würden die arabischen Staaten im Gegenzug die DDR anerkennen. 1965 wurde das offenbar nur knapp vermieden: Nachdem der ägyptische Diktator Nasser im Januar seinen DDR-Diktatoren-Kollegen Walter Ulbricht zu einer Art Staatsbesuch eingeladen hatte – der vom 24. Februar bis 2. März stattfand –, stellte die Bundesrepublik die Wirtschaftshilfe für Ägypten ein und erkannte am 12. Mai 1965 Israel diplomatisch an.
Darauf erkannten die arabischen Staaten zwar nicht, wie befürchtet, die DDR an, brachen aber gleich am folgenden Tag die Beziehungen zur Bundesrepublik ab, mit Ausnahme von Libyen, Marokko und Tunesien. In den folgenden Jahren wurden die Beziehungen wieder aufgenommen, doch der 13. Mai 1965 war für das Auswärtige Amt ein Schock, wie Leemhuis schreibt. Seit diesem Tag sei das deutsche Aussenministerium von der Panik getrieben gewesen, dies könnte erneut geschehen. Später kam dann noch die Angst um arabische Öllieferungen hinzu.
Bonn am Vorabend des Sechs-Tage-Krieges
Wie äusserte sich die Angst vor einem Liebesentzug der arabischen Diktatoren? Hier sind die Wochen und Monate kurz vor dem Sechs-Tage-Krieg instruktiv. Auf den Anfang 1967 vorgebrachten israelischen Vorschlag eines Treffens der Aussenminister beider Staaten reagierte das Auswärtige Amt ablehnend, weil, wie Ministerialdirektor Paul Frank im Januar 1967 notierte,
„hierdurch möglicherweise eine neue Beunruhigung in die arabische Öffentlichkeit getragen wird und unsere derzeit laufenden Bemühungen, die diplomatischen Beziehungen zu den arabischen Staaten bald wiederherzustellen, gestört werden.“
„Beunruhigung der arabischen Öffentlichkeit“ ist hier natürlich ein Platzhalter für das, was niemals ausgesprochen werden darf: der antisemitische Furor in den islamischen Staaten. Auf den musste Bonn Rücksicht nehmen.
Im Mai 1967 diskutierte die Bundesregierung darüber, ob der deutsche Botschafter Rolf Friedemann Pauls an einer Parade zum israelischen Unabhängigkeitstag in Jerusalem teilnehmen solle. Der Botschafter in Tel Aviv war dafür, weil er sich davon „eine sehr positive Auswirkung auf die Einstellung der israelischen Öffentlichkeit und der jüdischen Kreise in New York“ versprach. Das Auswärtige Amt lehnte dies indessen als „anti-arabische Parteinahme“ ab. Zu dieser Zeit bereiteten sich Ägypten und andere arabische Staaten bereits auf einen Angriff auf Israel vor – militärisch durch die Blockade der Zufahrt zum Roten Meer (Golf von Akaba) und indem sie die Öffentlichkeit durch massive antisemitische Propaganda auf Krieg einschworen.
Nassers am 22. Mai 1967 angeordnete Sperrung des Golfs von Akaba am Roten Meer, über den der israelische Schiffsverkehr mit Asien lief – u.a. die Öllieferungen aus Persien –, war völkerrechtlich ein Kriegsgrund (casus belli). Zudem bereitete Nasser vor aller Augen den Krieg am Boden vor und sagte am 26. Mai 1967 vor Gewerkschaftern: „Die Schlacht wird eine totale und unser wesentliches Ziel wird es sein, Israel zu zerstören.“ Schon in den Monaten zuvor hatte es immer wieder syrische Artillerieangriffe vom Golan auf die israelischen Landwirte am Ostufer des See Genezareth gegeben, dazu Überfälle von Terroristen, die aus Jordanien bzw. jordanisch besetztem Gebiet nach Israel eindrangen. Das Auswärtige Amt war nicht beunruhigt über die arabischen Kriegsvorbereitungen, sondern einzig über mögliche israelische Gegenwehr. Staatssekretär Klaus Schütz schrieb am 28. Mai 1967 in einem Runderlass:
„Wir wissen nicht, ob Israel die Blockade des Golfs von Akaba auf die Dauer hinnehmen wird. Ein isolierter israelischer Durchbruchsversuch birgt die Gefahr einer Eskalation in sich. Dasselbe gilt in noch höherem Masse für einen israelischen Verzweiflungsschlag gegen die im Gazastreifen und auf der Sinai-Halbinsel massierten ägyptischen und palästinensischen Streitkräfte.“
Angst im AA: Israel könnte sich wehren
Die Gefahr einer „Eskalation“ wäre demnach also vom Opfer ausgegangen, nicht vom Angreifer. Schütz schrieb jene Zeilen zehn Tage nachdem Nasser die UNO-Truppen im Sinai zum Abzug aufgefordert hatte (ein Ultimatum, dem UN-Generalsekretär U Thant Folge leistete, ohne den UN-Sicherheitsrat zu konsultieren), was die syrische Regierung mit den Worten kommentierte: „Geht aus dem Wege, denn unsere Kräfte sind auf dem Wege zur Schlacht.“
Und in dieser Situation fürchtete sich das Auswärtige Amt einzig und allein vor möglichen israelischen Verteidigungsmassnahmen! Israel hätte also offenbar nach Meinung des Auswärtigen Amtes kapitulieren sollen. Von Israel wurde erwartet, Beute zu sein.
Es war, wie Leemhuis darlegt, Schah Mohammad Reza Pahlavi von Persien, dem es vorbehalten war, in Bonn als Stimme der Vernunft zu wirken. Bei seinem Besuch in der Bundesrepublik Ende Mai/Anfang Juni 1967 (es war jener Besuch, der in Erinnerung ist, weil er die linksradikale Studentenbewegung so elektrisierte und weil der Polizist Karl-Heinz Kurras – der sich später als Stasi-Mitarbeiter entpuppte – am Rande einer Anti-Schah-Demonstration in Berlin mutwillig einen 26-jährigen Studenten namens Benno Ohnesorg erschoss) versuchte der Schah, der Bundesregierung die Augen zu öffnen. Er beklagte, dass „die freie Welt ein Land wie Ägypten geradezu ermutigt habe, zu einer Bedrohung für seine Nachbarn zu werden“. Ägypten, sagte der Schah zu Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger (CDU), entwickele „eine neue Form des Imperialismus, betreibe eine Politik der Erpressung, die mit Gewalt, Propaganda, Subversion und Kriegsdrohungen versuche, Ziele zu verfolgen, die mit den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen nicht vereinbar“ seien.
Deutsche Gasmasken für Israelis?
Ähnlich äusserte sich einen Tag später der israelische Botschafter Ben-Natan gegenüber dem deutschen Aussenminister Willy Brandt (SPD). Zudem bat er die deutsche Bundesregierung um die Lieferung von Gasmasken zum Schutz der israelischen Zivilbevölkerung. Verteidigungsminister Gerhard Schröder (CDU) war dagegen. Kiesinger und Brandt befürworteten eine solche Lieferung, waren sich aber einig, dass die Araber davon nichts mitkriegen durften. Kiesinger dekretierte:
„Diese Lieferung sollte tunlichst kommerzialisiert werden, d.h. durch die Zwischenschaltung der Herstellerfirmen als Lieferer. Falls erreichbar, sollten die Gasmasken ohne Erkennungszeichen der Bundeswehr geliefert werden.“
Es ist bemerkenswert, dass sich eine deutsche Regierung 22 Jahre nach Auschwitz Sorgen machte, die Welt könne erfahren, dass Deutschland den Juden Gasmasken schickt.
Fünf Tage später trat Bundesaussenminister Willy Brandt an die Öffentlichkeit und sagte:
„Wir sind nicht für einseitige, sondern für vertragliche Lösungen, nicht für Anwendung von Gewalt, sondern für eine Politik des Gewaltverzichts. Gerade deshalb tritt die Bundesregierung auch dafür ein, dass das Prinzip der Freiheit der Schifffahrt auf den Meeren gewahrt bleibt.“
Leemhuis kommentiert:
„Zwar schloss diese Formulierung auch das Recht des jüdischen Staates auf die Freiheit der Schifffahrt ein, aber er konnte sich wiederum nicht dazu durchringen, den Aggressor beim Namen zu nennen und das Verhalten Kairos als völkerrechtswidrig zu verurteilen.“
Man kennt das: Deutsche Regierungsvertreter kritisieren niemals die arabischen Staaten – und schon gar nicht ergreifen sie Partei für Israel. Und dies, obwohl aus den Akten hervorgeht, dass Brandt und der Bundesregierung klar war, dass die ägyptische Blockade völkerrechtswidrig war und US-Präsident Lyndon B. Johnson dies auch einige Tage zuvor deutlich gesagt hatte.
Debatte um Mörserzünder
Auf keinen Fall wollte die Bundesregierung Israel helfen, sich zu verteidigen. In jenen Tagen des späten Mai 1967, als Nasser Israel mit Auslöschung drohte und seine Truppen und Panzerverbände auf der Sinai-Halbinsel massierte, trieb die deutsche Bundesregierung die Sorge, Israel könne – jetzt kommt noch so ein Hammer – „friedensstörende Handlungen“ verüben. Die Bundesregierung hatte Israel die Lieferung von Mörserzündern zugesagt. Diese hätten am 3. Juni 1967 von Hamburg aus verschifft werden sollen. Verständlicherweise drängte der israelische Botschafter in jener Lage auf eine Einhaltung des besprochenen Terminplans. Doch die Bundesregierung wurde vertragsbrüchig, ihr „Krisenstab“ stoppte die Lieferung unter Berufung auf das Kriegswaffenkontrollgesetz. In einer Aufzeichnung des Ministerialdirigenten Hans Carl Graf von Hardenberg aus der Abteilung für Handels- und Entwicklungspolitik (Abteilung III) heisst es dazu:
„Das Bundesministerium für Wirtschaft, das die Entscheidung über die Lieferung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz zu treffen hat, war zunächst der Auffassung, dass in Anbetracht der Lage im Nahen Osten die bereits erteilte Ausfuhrgenehmigung zu widerrrufen sei, da ‚die Gefahr besteht, dass die gelieferte Ware bei einer friedensstörenden Handlung, insbesondere bei einem Angriffskrieg, verwendet werden [könnte]’“
Zur gleichen Zeit lag deutschen Unternehmen auch eine israelische Bestellung von 5.000 Mörsergranaten vor. Die Bundesregierung versuchte, diese Lieferung möglichst lange hinauszuzögern:
„Das Bundeswirtschaftsministerium hat die Unternehmen gebeten, nicht zu schnell zu arbeiten“, heisst es in einer Aufzeichnung Hardenbergs vom 2. Juli 1967. Das war drei Wochen nach dem Sechs-Tage-Krieg. Man kann sich vorstellen, dass es der deutschen Bundesregierung gar nicht recht war, dass Israel diesen gewonnen hatte.“
Die israelischen Anstrengungen, den arabischen Angriff abzuwehren, wurden also von der Bundesregierung sabotiert.
„Gemässigte“ arabische Regierungen
Gleich nach dem Krieg, in dem Israel die Jerusalemer Altstadt, die 1948 von Jordanien besetzte Region Judäa und Samaria (das „Westjordanland“), die Golanhöhen, den Gazastreifen und die Sinai-Halbinsel erobert hatte, bot Israel den arabischen Staaten Friedensverhandlungen über eine Rückgabe der meisten dieser Territorien an. Die Arabische Liga antwortete auf ihrer Konferenz in der sudanesischen Hauptstadt Khartum mit den berüchtigten „drei Neins von Khartum“: „Nein zu Frieden mit Israel, nein zu einer Anerkennung Israels, nein zu Verhandlungen mit Israel.“ In der verzerrten Wahrnehmung des Auswärtigen Amtes stellte sich das als Friedensangebot dar! So hiess es in einer Aufzeichnung des Referates I B 4 vom 5. Dezember 1967:
„Die arabischen Staaten haben auf ihrer Gipfelkonferenz in Khartum (Ende August) eingestanden, dass der Konflikt mit Israel nicht mit militärischen Mitteln gelöst werden kann, sondern dass eine politische Lösung gefunden werden muss. Diesen gemässigten Standpunkt, der die Anerkennung (oder zumindest Hinnahme) der Existenz Israels einschliesst, haben die arabischen Regierungen sich zu eigen gemacht.“
Es war, als lebte die Bundesregierung in einer völlig anderen Wirklichkeit. In ihrem Weltbild war allein der jüdische Staat der Friedensstörer. In dem gleichen Dokument heisst es:
„In Israel ist in den letzten Monaten eine deutliche Verhärtung der Haltung gegenüber den arabischen Staaten zutage getreten.“
Wie in der Gegenwart wurde allein die angeblich fehlende israelische Nachgiebigkeit für alles Übel verantwortlich gemacht, einschliesslich allem, was arabische Staaten unternehmen:
„Die gemässigten, zur Zusammenarbeit mit dem Westen bereiten arabischen Regierungen könnten dann leicht diskreditiert werden, und es besteht dann die Gefahr einer neuen allgemeinen Radikalisierung, so wie sie heute in Syrien vorherrscht. Die Bereitschaft der Araber, sich mit der Existenz Israels abzufinden, dürfte dann wieder schwinden.“
Also: Wenn Araber Juden töten wollen, dann sind die Juden schuld, weil sie sie wohl provoziert haben. Das ist die Nahostdoktrin der deutschen Bundesregierung, damals und heute.
Teil 2 dieses Beitrages finden Sie hier. Zuerst erschienen am 11. Februar 2021 auf Die Achse des Guten.
Remko Leemhuis: „Ich muss deshalb von jeder zusätzlichen Aktion für Israel abraten.“ Das Auswärtige Amt und Israel zwischen 1967 und 1979. LIT Verlag, 474 Seiten, 44,90 Euro.