Erdoğan nutzt Privatmilizen zur Destabilisierung des Nahen Ostens

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Foto kremlin.ru, CC BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=86116874
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Foto kremlin.ru, CC BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=86116874
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Der türkische Präsident Erdoğan hat ein privates militärisches und paramilitärisches System geschaffen, das er für in- und ausländische Operationen ohne offizielle Aufsicht einsetzt.

von Dr. Hay Eytan Cohen Yanarocak und Dr. Jonathan Spyer

Während sich die US-Biden-Administration im Amt einrichtet, konzentriert sich der grösste Teil des Diskurses über feindselige Akteure im Nahen Osten zu Recht auf den Iran. Aber unter dem Deckmantel des Chaos, das die Region seit dem sogenannten Arabischen Frühling überrollt hat, ist ein weiterer problematischer Akteur aufgetaucht, der gestoppt werden muss. Dabei handelt es sich um die Türkei von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, die für ihre Nachbarn eine Herausforderung darstellt, die durch die Privilegien und den Schutz, den sie als Mitglied der NATO geniesst, noch verstärkt wird.

Es ist kein Geheimnis, dass Erdoğans Herrschaft in den letzten zehn Jahren immer autoritärer geworden ist, insbesondere seit dem gescheiterten Putsch 2016, der die Antipathie zwischen dem säkular verwurzelten Militär und dem islamistisch geprägten Regime unterstrich. Um dieses Problem zu umgehen, hat Erdoğan in aller Stille ein Netzwerk von Privatmilizen aufgebaut, die ausschliesslich mit aus Syrien importierten Kämpfern besetzt sind – ein bemerkenswert dreister und zynischer Schachzug. Ihre Rolle ist es, seinen grossen Plan voranzutreiben, den Einfluss über eine Region wiederherzustellen, die sich mehr oder weniger mit dem ehemaligen Osmanischen Reich überschneidet – von den palästinensischen Gebieten über Syrien und den Kaukasus bis nach Kaschmir, wie einige Berichte festhalten.

Diese Struktur wird von der türkischen Regierung sowohl zur internen Unterdrückung als auch für abenteuerliche Unternehmungen im Ausland genutzt. Als solche hat sie Auswirkungen sowohl auf die Stabilität im Nahen Osten als auch auf die Zukunft der verletzlichen Demokratie in der Türkei. In beiden Bereichen sind die Auswirkungen äusserst negativ.

Parallelstruktur neben den offiziellen staatlichen Sicherheitskräften

In den letzten fünf Jahren hat die Türkei bewaffnete Interventionen in Nordsyrien und im Nordirak gestartet, der Hamas-Terrorgruppe unter den Palästinensern Unterstützung angeboten, sich mit ihren griechischen und zypriotischen Nachbarn im östlichen Mittelmeer angelegt und Verbündete in Katar, Aserbaidschan und Libyen militärisch unterstützt, oft mit dem Resultat von Instabilität und Unruhe.

In all diesen Konflikten (mit Ausnahme des Seekampfes im östlichen Mittelmeer) hat die von Erdoğan geschaffene Parallelstruktur neben den offiziellen staatlichen Sicherheitskräften eine wichtige Rolle gespielt. Ihre zentrale Funktion bestand darin, dem türkischen Präsidenten eine grosse Auswahl verfügbarer, organisierter, ausgebildeter, leicht einsetzbarer und leicht zu entsorgender ausländischer Stellvertreterkräfte als Instrument der Machtprojektion zur Verfügung zu stellen, die mit einem gewissen Grad an plausibler Bestreitbarkeit eingesetzt werden kann.

Indem er diese Stellvertreter einsetzt, versucht Erdoğan, die öffentliche Kritik an seinen extraterritorialen Militärkampagnen im Inland zu minimieren. Während er die Mobilisierung der türkischen Streitkräfte in Nachbarländern wie Syrien und dem Irak aus Gründen der inneren Sicherheit rechtfertigen könnte, ist es für ihn schwieriger, die türkische Öffentlichkeit davon zu überzeugen, Soldaten in einen weit entfernten Schauplatz wie Libyen zu schicken.

Indem er solch kühne Schritte unternimmt, sendet Erdoğan eine klare Botschaft an seine Wählerschaft: Die Türkei, der Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches, nimmt ihren rechtmässigen Platz als Regionalmacht mit Einfluss im traditionellen Hinterland des Reiches wieder ein, und das ist der Grund, warum Rivalen versuchen, sie zu destabilisieren. Eine solche neo-osmanische Aussenpolitik, die mit islamistischen Impulsen verwoben ist, wird auch von innenpolitischen Bedenken angetrieben. Erdoğans Partnerschaft mit der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) drängt ihn natürlich zu einer härteren Haltung gegenüber der kurdischen PYD (Partei der Demokratischen Union in Syrien) und der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans in der Türkei). In ähnlicher Weise erklärt diese nationalistisch verwurzelte politische Allianz die bedingungslose Unterstützung der Türkei für die Aseris (eine türkische Ethnie) gegen Armenien.

Was sind also die Komponenten dieser Struktur? Im Zentrum steht die Beziehung zwischen Erdoğan und einer Gruppe hochrangiger türkischer Militäroffiziere, die wegen ihrer Unterstützung der islamistischen Politik aus dem Dienst entlassen wurden, dann aber über informelle Kanäle wieder aktiv wurden. Der 76-jährige Brigadegeneral a.D. Adnan Tanriverdi, der nach dem Putschversuch von 2016 zu Erdoğans nationalem Sicherheitsberater ernannt wurde, ist eine Schlüsselfigur in dieser Beziehung.

Mobilisierung islamistischer Kämpfer

Tanriverdi, von Haus aus Artillerieoffizier, gründete 2012 mit 22 anderen ehemaligen Offizieren, die wegen islamistischer Aktivitäten aus der Armee ausgeschlossen wurden, die private Militärberatungsfirma SADAT. SADAT, die einzige private Verteidigungsberatungsfirma in der Türkei, ist die zentral verantwortliche Stelle für die sich ausweitende Praxis des türkischen Staates in der irregulären Stellvertreterkriegsführung und die Mobilisierung islamistischer Kämpfer im Dienste türkischer Staatsinteressen.

Der Fundus an Arbeitskräften, den die Türkei ausbeutet, stammt ausschliesslich aus einer der verzweifeltsten Bevölkerungsgruppen überhaupt: Syrische Flüchtlinge, die aus ihrem Land vertrieben wurden oder sich in der kleinen, von der Türkei kontrollierten Gegend Nordsyriens aufhalten. Sie werden an die verschiedenen Kriegsfronten ausgeflogen, an denen Ankara ihren Einsatz benötigt. Sie werden dann als verfügbares, entbehrliches und abstreitbares Kanonenfutter eingesetzt.

Die türkische Regierung unterhält auch Beziehungen zu älteren paramilitärischen Formationen wie der ultranationalistischen Organisation Graue Wölfe. Diese Organisation ist der Jugendflügel der MHP. Sie wurde kürzlich in Frankreich verboten und es gibt Pläne, sie auch in Deutschland zu verbieten.

Diese Aktivitäten sind besonders verwerflich, wenn man sie vor dem Hintergrund der Unruhen betrachtet, die den Nahen Osten im letzten Jahrzehnt heimgesucht haben. Eines der wichtigsten Ergebnisse war die enorme Schwächung (und in einigen Fällen das beinahe Verschwinden) der formalen staatlichen Strukturen. In Syrien, Libyen, Libanon und Irak wurden diese durch eine chaotische Realität von Milizen, Gesetzlosigkeit und Anarchie ersetzt. Die Menschen in diesen Ländern waren die Hauptleidtragenden. Die Türkei, obwohl sie ein NATO-Mitglied, ein Kandidat für die EU-Mitgliedschaft und ein angeblicher Verbündeter der USA ist, ist derzeit einer der Hauptfaktoren, die diese Situation aufrechterhalten und destabilisieren.

Das muss ein Ende haben. Milizen, Terrorgruppen und islamistischer Extremismus sind alles Elemente, denen der Nahe Osten entwachsen muss, wenn er Stabilität und Wiederaufbau erreichen will. Das paramilitärische Netzwerk, das Erdoğan in Zusammenarbeit mit den islamistischen Militäroffizieren der SADAT und Extremisten aus Nordsyrien aufgebaut hat, ist einer der Hauptfaktoren, die diese Möglichkeit verhindern. Das Verbot der ultranationalistischen, gewalttätigen, rechtsextremen Grauen Wölfe in Frankreich ist ein guter Anfang. Aber die westlichen Regierungen müssen dieses Thema entschiedener gegenüber Ankara ansprechen. Erdoğans Handlanger müssen gestoppt werden.

Dieser Beitrag basiert auf Forschungen, die vom Jerusalem Institute for Strategy and Security (JISS) und Trends in the UAE initiiert wurden. Veröffentlicht in Arab News (Saudi-Arabien), am 02. Februar 2021. Eine französische Version wurde veröffentlicht in L’Observateur du Maroc et l’Afrique (Marokko), am 26. Januar 2021. Die Studie in voller Länge finden Sie hier.

Dr. Hay Eytan Cohen Yanarocak ist ein Experte für zeitgenössische türkische Politik und Außenpolitik, türkisch-israelische Beziehungen und die Kurden. Dr. Jonathan Spyer hat Syrien, den Irak und die kurdischen Gebiete ausgiebig bereist; zu seinen Büchern gehören “Days of the Fall: A Reporter’s Journey in the Syria and Iraq Wars” (Routledge, Dezember 2017).

3 Kommentare

  1. Am besten wäre ein Verbot der Grauen Wölfe und der Muslimbruderschaften in ganz Europa. Leider kooperieren viele der “konservativen” Parteien in Europa mit Muslimbruderschaften und / oder Grauen Wölfen, seufz. Also müssen wir erst mal diese Kooperation beenden. Und die Muslimbruderschaften hocken fast in allen Gremien gegen den “antiislamischen Rassismus”. Doppelseufz.

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