Der Iran und der hässliche Krieg im Jemen

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Huthi-Kämpfer sammeln sich in Sanaa. Foto IMAGO / Xinhua
Huthi-Kämpfer sammeln sich in Sanaa. Foto IMAGO / Xinhua
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Viele haben nachvollziehbare moralische Bedenken (und praktische Fragen) zur Kriegsführung im Jemen geäussert. In der Tat sollte die Koalition, die den Houthi-Aufstand bekämpft, mehr auf den Verlust unschuldigen Lebens achten. Aber den Stellvertretern des Iran zu erlauben, den Krieg im Jemen zu gewinnen, hätte gefährliche politische und weitreichende strategische Konsequenzen für Israel, die Region und die Interessen der USA.

Oberst (a.D.) Dr. Eran Lerman

Seit September 2014 tobt im Jemen ein brutaler Bürgerkrieg. Der vom Iran unterstützte Houthi-Aufstand versucht das Land zu übernehmen (und tatsächlich kontrolliert er die Hauptstadt Sana’a und fast den gesamten Nordjemen). Die legitime Regierung von ‘Abd Rabbu Mansur Hadi kontrolliert einen Grossteil des Südens des Landes, sieht sich aber auch mit einer südlichen Separatistenrebellion in Aden und Herausforderungen durch ISIS und mit Al-Qaida verbundene Kräfte konfrontiert. Eine von Saudi-Arabien und den Vereinten Arabischen Emiraten (VAE) angeführte Koalition – der zu verschiedenen Zeitpunkten auch Ägypten, Jordanien, Marokko, Sudan, Bahrain und andere angehörten – reagierte auf die Bedrohung durch die Houthi mit einer umfangreichen Kampagne von Luftangriffen und einigen «Boots on the Ground». In jüngerer Zeit brachen die VAE mit Saudi-Arabien und Hadi und verlagerten ihre Unterstützung auf die südlichen Rebellen (den Südlichen Übergangsrat).

In praktischer Hinsicht hat sich die Art und Weise, wie der Krieg geführt wurde, als äusserst ineffektiv erwiesen. Dies wirft schwierige Fragen hinsichtlich der Fähigkeit der saudischen und emiratischen Luftstreitkräfte auf, ihr überlegenes Waffenarsenal und grössere Feuerkraft in operative Gewinne am Boden auf der Grundlage von in Echtzeit verwertbaren Informationen umzusetzen. Ein Krieg, von dem die Saudis übermütig behaupteten, er könne innerhalb von Wochen entschieden werden, wird nun seit mehr als fünf Jahren ergebnislos geführt.

Vielleicht kann Israel, direkt oder durch die Vermittlung seines neuen Platzes als Teil des CENTCOM-Verantwortungsbereichs, einige Ratschläge erteilen. Es wird allgemein angenommen, dass die Golfstaaten in gewisser Hinsicht, was die Verteidigung gegen die Raketenangriffe der Houthi angeht, bereits auf ein gewisses Mass an israelischer Unterstützung angewiesen sind.

Menschliches Leid

Die Gefechte fordern in Form des immensen Leids der Nichtkombattanten einen hohen Tribut. Nach Angaben des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) sind «Zehntausende» Zivilisten unter den 130.000 oder mehr, die in den aktuellen Kämpfen starben, viele von ihnen wurden bei Luftangriffen der Koalition und beim Beschuss dicht besiedelter Gebiete getötet.

Noch schlimmer sind die Auswirkungen von Hunger und Krankheiten, die etwa 100.000 Menschen das Leben gekostet haben, sodass sich die Gesamtopferzahl des Krieges bisher auf fast eine Viertelmillion Tote beläuft. Andere Faktoren (Überschwemmungen, Heuschrecken, Covid-19) könnten, wie UN-Generalsekretär Antonio Guterres im November 2020 warnte, zur «unmittelbaren Gefahr der schlimmsten Hungersnot führen, die die Welt seit Jahrzehnten gesehen hat.» Das Leben von vielleicht mehr als 20 Millionen Jemeniten ist in Gefahr.

Das Ausmass der Zerstörung und des Hungers hat sowohl in Europa als auch in den USA zu heftiger Kritik am Verhalten der Koalition und zu einigen Massnahmen geführt, sich von den VAE und Saudi-Arabien zu distanzieren. Die linksgerichtete Regierung Italiens hat kürzlich den Krieg im Jemen als Grund für die Beendigung der Waffenlieferungen an Saudi-Arabien und die VAE angeführt. Anderswo in Europa haben verschiedene NGOs die Regierungen zu ähnlichen Boykottmassnahmen aufgefordert.

Die US-Position

«Progressive» amerikanische NGOs sowie mehrere Kongressmitglieder haben ihre Stimme gegen den Krieg und seinen immensen menschlichen Tribut erhoben. Die grausame Ermordung des Journalisten Adnan Khashoggi hat den anti-saudischen Animus weiter angeheizt. Bereits 2018 forderte der ehemalige UN-Untergeneralsekretär Jeffrey Feltman – der unter Obama als stellvertretender Aussenminister gedient hatte – Saudi-Arabien auf, erste Schritte zur Deeskalation des Krieges zu unternehmen (Jeffrey Feltman, “The Only Way to End the War in Yemen: Saudi Arabia Must Move First,” Foreign Affairs, November 26, 2018). Die Trump-Administration liess sich von solchen moralischen Appellen nicht beeindrucken. Aber mit Biden im Weissen Haus wird der Druck des Kongresses, die Unterstützung für die saudischen Kriegsanstrengungen einzuschränken, sicherlich grösseres Gewicht haben.

Die Ankündigung der neuen Administration, grosse Waffenverkäufe, die in den letzten Tagen der Trump-Administration abgeschlossen wurden, auszusetzen und neu zu bewerten, wurde offiziell als normales Überprüfungsverfahren erklärt. Dazu gehören der massive F-35-Deal mit den VAE (der als Teil der Anreize für die «Abraham-Abkommen» gesehen wird) und der Verkauf von Munition an die saudische Luftwaffe. 

Einwände gegen den Krieg im Jemen haben bei Bidens Entscheidung, diese Waffengeschäfte zu überprüfen, nicht unbedingt eine Rolle gespielt. Aber der Krieg im Jemen kann tatsächlich einen Einfluss auf die Ergebnisse des Überprüfungsprozesses haben. Die Konsequenzen einer Annullierung dieser Waffengeschäfte wären schwerwiegend und weitreichend.

Es liegt im Interesse Israels (und der gesamten Region) aber auch im Interesse der USA, sicherzustellen, dass die legitimen moralischen Bedenken, die mit dem Krieg im Jemen verbunden sind, nicht zu einem Sieg des Irans und seiner Stellvertreter führen, der zu einer Konsolidierung ihrer Kontrolle über den gesamten oder den grössten Teil des Jemens führt. Ein iranischer Sieg hätte gefährliche strategische Implikationen.

  1. Jemens Position an der lebenswichtigen Wasserstrasse Bab al-Mandab würde dem Iran einen zusätzliche Vormachtstellung (neben Irans eigener Position an der Strasse von Hormuz) auf internationalen Schifffahrtsrouten verschaffen. Das Rote Meer ist eine lebenswichtige SLOC zwischen der indo-pazifischen Welt und Europa. China, für das diese Wasserstrasse ein wichtiger Teil seiner «Maritimen Seidenstrasse» (einer der beiden Arme seiner «Belt and Road Initiative») ist, würde sich in einer Angelegenheit von höchster nationaler Priorität zunehmend an Teheran binden.
  2. Auch die Auswirkungen auf die ohnehin fragile Situation in Somalia, Eritrea und Dschibuti könnten gravierend sein.
  3. Es wird auch einen symbolischen politischen Nachhall in der gesamten Region geben. Sollten die Houthi-Rebellen gewinnen, nachdem sie wiederholt Raketenangriffe auf zivile Ziele in Saudi-Arabien gestartet haben, würden Feind und Freund gleichermassen ihre Lehren daraus ziehen (in Bezug auf Taktik, Normen, grosse Strategie und Ideologie).

Die Biden-Administration kann vernünftigerweise von den Saudis und den VAE erwarten, dass sie sich auf eine Diskussion über die Art und Weise der Kriegsführung einlassen. (In einer solchen Diskussion könnte Israel einige seiner eigenen Erfahrungen im Umgang mit der Verbindung von Echtzeit-Geheimdienstinformationen, präzisionsgelenkter Munition und humanitärem Völkerrecht einbringen). Eine solche Diskussion muss jedoch im Kontext der gemeinsamen Entschlossenheit geführt werden, den Krieg zu gewinnen; oder zumindest – sollte er jemals zu einem diplomatischen Abschluss gebracht werden -, um sicherzustellen, dass das Ergebnis nicht als iranischer Triumph interpretiert werden kann.

Angesichts der Bedeutung der iranischen nuklearen Herausforderung ist es wichtig, frühzeitig zu signalisieren (wie es Frankreich anscheinend bereits erkannt hat), dass die Unterstützung der USA für traditionelle Verbündete und die Entschlossenheit, die iranische Aggression einzudämmen, Teil der regionalen Gleichung sein werden. Die Biden-Administration muss Entscheidungen vermeiden (oder zumindest abmildern und kompensieren), die die Bemühungen ihrer regionalen Verbündeten untergraben, die iranischen Hegemonialbestrebungen einzudämmen; die eine Gefahr für das gesamte Rotmeerbecken darstellen; und die einer Bewegung (den Houthis) in die Hände spielen, die sich nicht einmal die Mühe macht, ihren kruden Antisemitismus zu verbergen. (Banner mit der Aufschrift «Ein Fluch für die Juden», «Tod für Amerika» und «Tod für Israel» hängen prominent an den Toren des von den Houthis besetzten Sanaa).

Dr. Eran Lerman ist Vizepräsident des Jerusalem Institute for Strategy and Security und war stellvertretender Direktor für Aussenpolitik und internationale Angelegenheiten beim Nationalen Sicherheitsrat im Büro des israelischen Premierministers. Übersetzung Audiatur-Online.