Reinwaschung von Krähenbühl, Imagepflege für die UNRWA

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Pierre Krahenbühl, Ex-Generalkommissar von UNRWA, besucht eine von den Vereinten Nationen betriebene Schule in Khan Younis im südlichen Gazastreifen. Foto imago images / ZUMA Wire
Pierre Krahenbühl, Ex-Generalkommissar von UNRWA, besucht eine von den Vereinten Nationen betriebene Schule in Khan Younis im südlichen Gazastreifen. Foto imago images / ZUMA Wire
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Wieder einmal wurde beim Palästinenserhilfswerk der Vereinten Nationen antisemitisches Lehrmaterial gefunden – und das, obwohl die Organisation zugesichert hatte, dieses Problem zu beheben. Derweil betreibt ein Film des Westschweizer Fernsehens die Reinwaschung des zurückgetretenen Generalsekretärs der UNRWA, Pierre Krähenbühl, und stellt ihn als Opfer einer israelisch-amerikanischen Intrige dar. Was das Hilfswerk so problematisch macht, kommt dabei kaum zur Sprache.

Vor einigen Tagen veröffentlichte die israelische Organisation Institute for Monitoring Peace and Cultural Tolerance in School Education (Institut zur Überwachung von Frieden und kultureller Toleranz in der Schulbildung, IMPACT-se) einen durchaus brisanten Bericht. Darin heisst es, das Hilfswerk der Vereinten Nationen für palästinensische Flüchtlinge, die UNRWA, habe Arbeitsblätter für Schülerinnen und Schüler produziert, die Hass auf Juden und Israel schüren. Die Einrichtung betreibt im Gazastreifen, im Westjordanland und in Ostjerusalem rund 370 Schulen und unterrichtet dort etwa 320.000 Kinder und Jugendliche. Grundsätzlich verwendet sie dazu die Schulbücher der Palästinensischen Autonomiebehörde, die wegen ihrer ebenfalls antisemitischen und gewaltverherrlichenden Inhalte schon länger in der Kritik stehen.

Nun hat das Hilfswerk jedoch eigene, ergänzende Arbeitsmaterialien an die Schüler verteilt, die diese während der Corona-Pandemie für das Homeschooling in Fächern wie Arabisch, Englisch und Sozialwissenschaften nutzen sollen. Dazu zählen beispielsweise sogenannte Lernkarten. IMPACT-se hat die Unterlagen ausgewertet und ist zu dem Urteil gelangt, auch sie seien «von Hass und Ermutigung zu Jihad, Gewalt und Märtyrertum durchdrungen». Das von der UNRWA erstellte Material sei «stellenweise extremistischer als das Material der Palästinensischen Autonomiebehörde, das es ergänzt». So existiere Israel auf Landkarten nicht, an anderen Stellen sei vom jüdischen Staat nur als «zionistischer Besatzer» die Rede.

Hinzu kämen vielfach positive Bezugnahmen auf den Jihad, etwa in Sätzen wie «Wir werden das Mutterland mit unserem Blut verteidigen», «Die Palästinenser sind Löwen im Kampf gegen den Feind» oder «Der Jihad ist eine der Türen zum Paradies». Inzwischen hat die UNRWA darauf reagiert: Ihr Generalsekretär Philippe Lazzarini schrieb auf Twitter, es gebe «keinen Platz für Diskriminierung und Aufrufe zu Hass und Gewalt in UNRWA-Schulen». Nach Hinweisen auf «unangemessene Seiten aus Schulbüchern, die während des Covid-19-Lockdowns versehentlich verteilt wurden», seien diese «durch Inhalte ersetzt worden, die den Werten der Vereinten Nationen entsprechen». Wie dieses neue Material genau aussieht, sagte er nicht; offen liess er auch, wie die UNRWA die beanstandeten Unterlagen einzukassieren gedenkt.

Peinlicher Fund für die UNRWA

Für das Hilfswerk ist dieser erneute Fund äusserst peinlich, nachdem es zuvor versichert hatte, weitreichende Anstrengungen zu unternehmen, um die Qualität und Ausgewogenheit des Unterrichts sicherzustellen. Da es selbst kein Mandat habe, um die Curricula und die Schulbücher der Länder abzuändern, in denen es UNRWA-Schulen gibt, habe es ergänzende Lehr- und Lernmaterialien entwickelt sowie Programme zur Weiterbildung der Lehrkräfte aufgebaut. Durch diese Beteuerungen hatte sich unlängst der Schweizer Bundesrat beschwichtigen lassen; die Finanzhilfen der Schweiz für die UNRWA werden deshalb im gleichen Umfang wie bislang fortgeführt, nachdem sie zwischenzeitlich ausgesetzt worden waren.

An Imagepflege ist der UNRWA ganz besonders gelegen, nachdem sie in den vergangenen Jahren immer häufiger in die Schlagzeilen geriet: weil einige ihrer Schulen der Hamas als Raketendepot dienten, weil die Terrororganisation das Hilfswerk für ihre Aktivitäten nutzt, weil das Lehrpersonal der UNRWA auf Facebook antisemitische Propaganda verbreitet, weil Schülerinnen und Schüler in UNRWA-Lehranstalten zum Hass auf Juden erzogen werden und den Jihad als Lebensperspektive verinnerlichen sollen. Die USA, lange Jahre der wichtigste Geldgeber, kürzten ihre finanzielle Unterstützung deshalb erst massiv und strichen sie schliesslich ganz. Als es dann auch noch eine Uno-interne Ermittlung gegen Generalsekretär Pierre Krähenbühl und andere führende UNRWA-Funktionäre wegen des Verdachts auf Machtmissbrauch, Vetternwirtschaft und Korruption gab und mehrere Länder, darunter die Schweiz, ihre Zahlungen an das Hilfswerk ebenfalls stornierten, verschärfte sich dessen Krise.

Im Untersuchungsbericht wurde zwar kein Betrug und keine Veruntreuung von Spendengeldern durch Krähenbühl festgestellt; es gebe jedoch, so hiess es dort, Probleme im Management, die angegangen werden müssten. Der Generalsekretär trat schliesslich zurück. Ein Filmbeitrag von Anne-Frédérique Widmann und Xavier Nicol für das Westschweizer Fernsehen hat sich unlängst der umfänglichen Rehabilitation von Krähenbühl angenommen und dabei auch den Ruf der UNRWA aufzupolieren versucht. Der Tenor des Films lautet: Pierre Krähenbühl, der sich stets mit Herzblut für die palästinensischen Flüchtlinge eingesetzt hat, ist zum Opfer einer Intrige von Donald Trump und Benjamin Netanjahu geworden, die dabei vom Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis unterstützt wurden. Weil es Krähenbühl gelang, die finanziellen Löcher zu stopfen und die Fortexistenz der UNRWA gegen den Willen Israels und der USA zu sichern, musste er zu Fall gebracht werden, indem seine Integrität massiv in Zweifel gezogen wurde.

Der Sozialdemokratische Schweizer Ständerat Carlo Sommaruga (SP Genf), setzte sich 2014 für die Freilassung von Khalida Jarrar, einer Vertreterin der Terrororganisation PLP ein und besuchte sie unter anderem in einem Protestzelt in Ramallah. Foto Samidoun Palestinian Prisoner Solidarity Network
Der Sozialdemokratische Schweizer Ständerat Carlo Sommaruga (SP Genf), setzte sich 2014 für die Freilassung von Khalida Jarrar, einer Vertreterin der Terrororganisation PLP ein und besuchte sie unter anderem in einem Protestzelt in Ramallah. Foto Samidoun Palestinian Prisoner Solidarity Network.

Werbefilm für Krähenbühl und die UNRWA

Widmann und Nicol arbeiten vor allem mit dem Mittel des Interviews und darüber hinaus mit Ausschnitten aus Reden. Krähenbühl selbst spielt die Hauptrolle, ihm zur Seite springen Carlo Sommaruga, SP-Ständerat und Unterstützer der BDS-Bewegung, der Genfer Universitätsprofessor Riccardo Bocco, der zur UNRWA gearbeitet hat, und Kenneth Roth, der notorisch antiisraelische Geschäftsführer von Human Rights Watch. Zu den kritischen Stimmen, die in deutlich geringerem Masse zu Wort kommen, zählen David Bedein, Journalist und Leiter des Center for Near East Policy Research in Jerusalem, Lex Takkenberg, der frühere Leiter des Ethikbüros der UNRWA, und die Politikwissenschaftlerin und frühere Knesset-Abgeordnete Einat Wilf.

Anne-Frédérique Widmann hatte offenbar ursprünglich auch mit Hillel Neuer, dem Direktor der Uno-kritischen Organisation UN Watch, ein Interview vereinbart, dann jedoch abgesagt, wie es in einer Erklärung von UN Watch heisst. In einer Recherche legt die in Genf ansässige Organisation dar, dass Widmann in den sozialen Netzwerken unter anderem in zustimmender Absicht Karikaturen teilt, die Israel dämonisieren, sich Apartheidvorwürfe gegen den jüdischen Staat zu eigen macht und die UNRWA gegen Kritik in Schutz nimmt. Diese Haltung spiegelt sich auch in dem Film wieder, selbst wenn dort Widmann nur selten etwas kommentiert oder einordnet. Doch die Ausführlichkeit, in der Krähenbühl zu Wort kommt, und die Montage von zustimmenden oder unterstützenden Äusserungen anderer Interviewpartner sorgen für den entsprechenden Eindruck.

Reinwaschung von Krähenbühl, Imagepflege für die UNRWA
Zwei von Anne-Frédérique Widmann geteilte Beiträge. Screenshots Facebook / Twitter

Der Ex-Generalsekretär der UNRWA erscheint als jemand, der während seiner Amtszeit unter schwierigsten Bedingungen – Krieg im Gazastreifen, Druck von Israel und den USA, gravierende Mittelkürzungen, die Entlassungen zur Folge hatten, schliesslich die internen Ermittlungen – stets allen Widrigkeiten und Ungerechtigkeiten getrotzt und gekämpft hat. Und wer fände es nicht herzzerreissend, dass Krähenbühl einer 13-jährigen palästinensischen Schülerin versprach, ihr Notizbuch, das die UNRWA in den Trümmern einer zerstörten Schule in Gaza gefunden hatte, mit auf seine internationalen Reisen zu nehmen – und es dann unter anderem Barack Obama zeigte? Wer wäre angesichts der Bilder von in Trümmern liegenden Schulen nicht empört darüber, dass die israelische Armee sie unter Beschuss nahm?

Kritik an der UNRWA wird abgetan

Dass die Hamas Raketen in UNRWA-Schulen deponierte, dass sie sie von dort aus auf Israel feuerte, dass ihre Mitglieder und Anhänger einen Teil des Lehrpersonals stellen, dass sie Gedenkzeremonien für ihre «Märtyrer» in den Schulen abhält – all das ist dagegen im Film, wenn es überhaupt einmal zur Sprache kommt, bloss eine Randnotiz. Die Verbindungen zwischen der Hamas und der UNRWA werden lediglich in einem kurzen Statement des israelischen UN-Botschafters Danny Danon auf einer Sitzung des Sicherheitsrates erwähnt, dass der aus Gaza zugeschaltete Pierre Krähenbühl scharf zurückwies. Zu den in den Schulen gelagerten Raketen sagte er: «Wir waren es, die sie gefunden haben. Wir haben die Welt darüber informiert, und wir haben die Tatsache verurteilt, dass sie dort platziert worden sind.» So, als reichte die Problematik nicht viel weiter und als wäre es mit einer kurzen Erwiderung getan.

Auch die wichtige und wesentliche Kritik an den antisemitischen und den Terrorismus glorifizierenden Lehrinhalten wiederum, die von David Bedein geäussert wird, kann Krähenbühl im Interview in lapidaren Sätzen abtun: «Jedes Jahr überprüft die UNRWA den Inhalt der Lehrbücher, um festzustellen, ob es Teile gibt, die in Bezug auf Neutralität und politische oder andere Sensibilitäten problematisch sind. Das ist ein Thema, das wichtig ist, aber es wird einfach endlos und auf verzerrte Weise benutzt, um die UNRWA bei einem Thema unter Druck zu setzen, dass die Organisation, wie ich finde, sehr gut beherrscht.» Nachgehakt wird nicht, weitere Stimmen gibt es dazu ebenfalls nicht, die Sache ist damit für Widmann und Nicol erledigt.

UNRWA-Lehrbuch mit Dalal Mughrabi als Vorbild für palästinensisch-arabische Kinder. Dalal Mughrabi war ein palästinensische Terroristin und Mitglied der Fatah-Fraktion der PLO. 1978 war sie an einen Terrorattentat in Israel beteiligt, bei dem 38 israelischen Zivilisten, darunter 13 Kinder, ermordet wurden. Foto Screenshot CBN News

Ihren Schwerpunkt legen sie auf die Uno-interne Untersuchung gegen Krähenbühl und den Abschlussbericht, den dieser nach eigenen Angaben nie zu Gesicht bekommen hat, während er Anne-Frédérique Widmann vorliegt. Viele der ursprünglichen Vorwürfe, die Lex Takkenberg von UNRWA-Mitarbeitern zugetragen wurden und die er im Film noch einmal zusammenfasst, hätten sich nicht erhärtet; geblieben seien diese Verfehlungen: «Pierre Krähenbühl genehmigte die Ernennung des Ehemanns seiner Stellvertreterin und versäumte es, seinen Stabschef aus dem Auswahlgremium zu entfernen. Er ernannte einen bereits im Amt befindlichen Direktor, ohne ein Einstellungsverfahren zu durchlaufen. [Seine persönliche Assistentin] Maria Mohammedi wurde von Krähenbühl auf Ausschreibungsbasis rekrutiert, obwohl er wusste, dass sie 2013 einen Film ohne UNRWA-Erlaubnis gedreht hatte. Mohammedi flog achtmal Business Class, eine Reise, die Pierre Krähenbühl sie mit seinen Meilen bezahlen liess. Pierre Krähenbühl änderte daraufhin die internen Regeln so, dass eine Person mitreisen konnte.»

Grundsätzliche Problematik nur am Rande thematisiert

«Lächerlich» findet das Riccardo Bocco, während Carlo Sommaruga sagt: «Das heisst, es gibt nichts.» Das «Ziel, Krähenbühl zu diskreditieren», sei gleichwohl erreicht worden. Krähenbühl selbst glaubt, «dass man uns nicht verziehen hat, dass wir es geschafft haben, die Kürzung der amerikanischen Mittel zu überwinden». Der Film untermauert diese Annahme, indem er – vor allem über Äusserungen von Sommaruga, Bocco und Roth – Trump und dessen Nahostgesandten Jared Kushner sowie Netanjahu als rücksichtslose Politiker darstellt, die die grundgute UNRWA ausschalten wollten, um ihre Agenda im Nahen Osten zu verwirklichen. Der Schweizer Aussenminister Cassis habe sie dabei unterstützt, auch durch die Übernahme der Bewertung von Kushner, die UNRWA sei «Teil des Problems und nicht der Lösung».

Der sozialdemokratische Ständerat Carlo Sommaruga im Echo der Zeit vom 19. Januar 2021 im SRF. Screenshot srf.ch

Es ist nicht so, dass Widmann und Nicol keine kritischen Stimmen zu Wort kommen lassen. Doch diese gehen unter inmitten des erkennbaren Bestrebens, Pierre Krähenbühl reinzuwaschen und das Palästinenserhilfswerk in ein mildes Licht zu tauchen. Antisemitismus und Terrorverherrlichung in den Schulen, die Verbindungen zur Hamas, die grundsätzliche Problematik des vermeintlichen Rückkehrrechts und der Vererbung des Flüchtlingsstatus bis heute, die völlig einseitige, antiisraelische Ausrichtung der UNRWA – all das ist kein Thema oder völlig nebensächlich. Dabei sind diese grundsätzlichen Aspekte von grösstem Gewicht und weitaus bedeutsamer als Fragen nach möglichen persönlichen Verfehlungen. Doch in Schweizer Medien wird der Film dankbar aufgegriffen, sein Narrativ wird dort fortgeschrieben, etwa in der Luzerner Zeitung. Dort heisst es nun, Aussenminister Cassis sei ein Anhängsel der US-Regierung unter Trump. Oder in der SRF-Radiosendung «Echo der Zeit», wo behauptet wird: «Die USA und Israel wollten den Kopf des als Mittelbeschaffer äusserst erfolgreichen Krähenbühl. Und sie haben ihn gekriegt.» So, als gäbe es für eine Grundsatzkritik an der UNRWA, die über individuelle Verfehlungen hinausgeht, keine gewichtigen inhaltlichen Gründe.

Über Alex Feuerherdt

Alex Feuerherdt ist freier Autor und lebt in Köln. Er hält Vorträge zu den Themen Antisemitismus, Israel und Nahost und schreibt regelmässig für verschiedene Medien unter anderem für die «Jüdische Allgemeine» und «Mena-Watch». Zudem ist er der Betreiber des Blogs «Lizas Welt». Gemeinsam mit Florian Markl ist er Autor von »Vereinte Nationen gegen Israel«, erschienen bei Hentrich & Hentrich 2018.

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