Christenverfolgung hat 2020 erneut zugenommen

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Iran: die christliche Aktivistin Fatemeh (Mary) Mohammadi wurde wegen ihrer öffentlichen Proteste inhaftiert. Ihr droht außerdem die Auspeitschung. Foto Open Doors.
Iran: die christliche Aktivistin Fatemeh (Mary) Mohammadi wurde wegen ihrer öffentlichen Proteste inhaftiert. Ihr droht außerdem die Auspeitschung. Foto Open Doors.
Lesezeit: 9 Minuten

Open Doors, eine international tätige Organisation, die sich für verfolgte Christen einsetzt, hat am Mittwoch den jährlich erstellten Weltverfolgungsindex veröffentlicht. Mithilfe einer Länderrangliste möchte Open Doors Bewusstsein dafür wecken, in welchen Staaten der Welt Christen am stärksten bedroht und schikaniert oder benachteiligt und an der Ausübung ihres Glaubens behindert werden.

„Die Intensität der Christenverfolgung hat auch im letzten Jahr weltweit zugenommen“, teilt Open Doors mit. Aktuell seien in den 50 Ländern des Weltverfolgungsindex rund 309 Millionen Christen einem sehr hohen bis extremen Maß der Verfolgung ausgesetzt.

Die Corona-Pandemie habe die bestehende soziale, wirtschaftliche und ethnische Verwundbarkeit von Millionen von Christen weltweit aufgezeigt und verschärft. „Sie scheint ein Katalysator dafür zu sein, dass bisher oft verdeckte Haltungen der Unterdrückung zum Vorschein kommen“, so Open Doors. In mehreren Ländern seien Christen beschuldigt worden, für die Pandemie verantwortlich zu sein, bei der Versorgung mit Hilfsgütern würden sie übergangen.

Weltverfolgungsindex 2021. Grafik Open Doors

Indien: Angst vor dem Mob

Indien, wo rund 67 Millionen Christen leben, steht wie im Vorjahr auf Platz 10 des Weltverfolgungsindex. 80 Prozent der mehr als 100.000 Christen, die von den Partnern von Open Doors in Indien Hilfe erhielten, hätten mitgeteilt, dass sie ihres Glaubens wegen von staatlicher Lebensmittelverteilung ausgeschlossen seien. Manche hätten ihre christliche Identität verheimlicht, um anderswo Essen zu bekommen. Weil die Arbeitslosigkeit unter Christen größer ist als unter anderen religiösen Gruppen, habe der Ausschluss von den größtenteils staatlichen Lebensmittelhilfen dazu geführt, dass ganze Gemeinschaften Not litten.

Die stärkste Verfolgung geht in Indien vom Staat aus. Immer mehr Bundesstaaten erwägen die Einführung von Anti-Bekehrungs-Gesetzen, um den Glaubenswechsel zu unterbinden. Neun von 28 Bundesstaaten haben ein solches Gesetz bereits erlassen.

Medien berichten laut Open Doors „zunehmend negativ“ über Christen. Zudem gebe es immer mehr Gewalt vonseiten extremistischer Hindus: „Es gab viele Vorfälle, bei denen Hindu-Mobs Überfälle durchführten, Christen verprügelten, Verhaftungen veranlassten und Christen befahlen, ihr Zuhause zu verlassen. Da extremistische Hindus diese Straftaten meist ungestraft verüben können, steigt die Angst unter Christen.“

Mit Ausnahme von zwei oder drei toleranteren Bundesstaaten sei es überall in Indien für Christen riskant, beim Beten gesehen zu werden. Besonders schlimm ist die Lage ehemaliger Hindus, die sich zum Christentum bekehrt haben. Auf sie werde großer Druck ausgeübt, zur Hindu-Religion zurückzukehren.

Afrika: Angriffe, Entführungen und Zwangsheiraten

In vielen Ländern der Welt zugenommen haben im Zuge der Pandemie laut Open Doors Berichte von Entführungen, gewaltsamen Bekehrungen und Zwangsheiraten von Frauen und Mädchen. Ein typischer Fall sei der der gläubigen Christin Rania Abdel-Masih in Ägypten, einer 39-jährigen Mutter von drei Töchtern, die sich für ein bekanntes christlich-muslimisches Projekt als Freiwillige engagierte. „Nachdem sie im April auf dem Weg zu ihrer Schwester verschwunden war, tauchte sie in mit der Muslimbruderschaft in Verbindung stehenden Internetvideos auf, auf denen sie einen Niqab trug und sagte, sie sei seit 9 Jahren Muslima“, berichtet Open Doors. „Sie sah ängstlich aus und sprach eindeutig unter Zwang. Drei Monate später, nach Medienberichten und der Diplomatie der koptischen Kirche, konnte sie zu ihrer Familie zurückkehren und bestand darauf, dass sie nie zum Islam konvertiert sei.“

Unvermindert fortgesetzt hat sich die Gewalt radikaler Muslime. Christen in Subsahara-Afrika sind seit Jahren besonders davon betroffen. Gegenüber dem Vorjahr wurden laut Open Doors rund 30 Prozent mehr gewaltsame Übergriffe dokumentiert. „Mehrere hundert nigerianische, meist christliche Dörfer wurden von Fulani-Hirten überfallen, Christen ermordet und Kirchen zerstört. Boko Haram und der IS Westafrikanische Provinz (ISWAP) führten rund 400 gewaltsame Angriffe allein im Norden Kameruns aus.“ Auch in der Sahelzone hätten Dschihadisten das Versagen von Regierungen ausgenutzt, die unfähig oder unwillig sind, Christen zu schützen. „Dazu kommen Angriffe auf Bildungseinrichtungen in Mali, Burkina Faso und Niger. In einem Umfeld von Korruption, Armut und Gesetzlosigkeit verbreiten islamistische Milizen ihre Propaganda, rekrutieren Anhänger und attackieren die christliche Minderheit.“

In Mosambik wollten Islamisten des IS Zentralafrikanische Provinz (ISCAP) die Scharia durchsetzen, mehrere Kirchen seien zerstört worden. In der Demokratischen Republik Kongo greifen die islamistischen Allied Democratic Forces (ADF) seit Jahren christlich geführte Schulen und Kliniken an, brennen Kirchen nieder und ermorden Gemeindeleiter.

China: Überwachung durch die KP

In der Volksrepublik China nutzt der Staat Hightech für die Repression gegen Christen. Er verstärke, „auch mittels Gesichtserkennungssoftware, die Überwachung der Online- und Offline-Aktivitäten christlicher Gemeinden, angeblich zur Eindämmung von Covid-19“, so der Bericht.

In der Volksrepublik China sind Christen seit Amtsantritt von Staatspräsident Xi Jinping im Jahr 2013 einer Verfolgung ausgesetzt wie seit Maos Zeiten nicht mehr. Die Kirchen, das Internet und das Verhalten jedes einzelnen Bürgers werden scharf überwacht, Bürger werden ermuntert, abweichendes Verhalten den Behörden zu melden, wofür ihnen sogar Belohnungen gezahlt werden. Die kommunistische Ideologie ist in China weiterhin eine Art Staatsreligion, die einzigen zugelassenen Kirchen sind die, die die Vorherrschaft und Doktrin der Kommunistischen Partei akzeptieren.

Unabhängige Kirchen, die sogenannten „Hauskirchen“ – die aber viele Tausend Mitglieder haben können –, die sich oft in Gewerbeimmobilien treffen, waren früher vom Staat geduldet; seit Xis Amtsantritt sind sie Versammlungsverboten, Beschlagnahmungen von Eigentum, Einschüchterung, Vandalismus und Verhaftungen ausgesetzt. „Manchmal wird ein Pastor nur für ein paar Stunden festgehalten, manchmal für Monate und manchmal kommt er Jahre hinter Gitter“, heißt es in dem Bericht. „Der prominenteste Fall im Berichtszeitraum des Weltverfolgungsindex 2021 war der Fall von Pastor Wang Yi von der Early Rain Covenant Church in Chengdu, Sichuan, der im Dezember 2019 verhaftet und zu neun Jahren Gefängnis verurteilt wurde.“

Christen in mehreren Provinzen drohte die Regierung die Streichung von Sozialleistungen, etwa von Renten, an, wenn sie christliche Bilder und Kreuze in ihren Wohnungen nicht durch Bilder von Präsident Xi Jinping ersetzen. „Wer nicht Xi Jinping über Gott setzt, wird durch das landesweite „Social Credit System“ bestraft“, schreibt Open Doors.  Dieses System vergibt Punkte für Verhalten, das in den Augen der Kommunisten löblich ist. Wer zu wenige Punkte hat, wird benachteiligt, etwa, indem er nicht reisen darf.

Iran: Christen werden überwacht und erpresst

Im Iran richtet sich die Verfolgung vor allem gegen Konvertiten oder Christen, die der Missionierung verdächtigt werden. „Das Interesse am christlichen Glauben und anderen nichtislamischen Religionen ist in Iran ungebrochen“, so Open Doors. „Die Gesellschaft ist überwiegend vom Islam enttäuscht – so berichten iranische Christen von einer Zunahme des Agnostizismus und davon, dass immer mehr Menschen vor allem in urbanen Gebieten dem Islam nur noch nominell angehören.“

Der iranische Geheimdienst und die Revolutionsgarden überwachen alle Aktivitäten von Christen und anderen religiösen Minderheiten. „Sie sind es, die Razzien durchführen, wenn in Privathäusern christliche Treffen stattfinden, die dabei Teilnehmer festnehmen und persönliches Eigentum beschlagnahmen. Die Verhafteten werden strengen und oft gewaltsamen Verhören ausgesetzt.“

Selbst die offiziell anerkannten traditionellen armenischen und assyrischen Kirchen werden vom Geheimdienst überwacht. „Durch diese enge Überwachung und die Verhaftungen derer, die das Evangelium weitergeben, übt die Regierung Druck aus, um sicherzustellen, dass Christen nicht unter Muslimen missionieren.“

Das räuberische Ajatollah-Regime hat es zudem darauf abgesehen, etwaiges Vermögen aus den Christen herauszupressen:

„Inhaftierten Christen, besonders Christen mit muslimischem Hintergrund, wird manchmal eine Entlassung gegen Kaution angeboten. Dabei geht es oft um hohe Geldbeträge, die Berichten zufolge zwischen 2.000 und 200.000 US-Dollar liegen. Die betroffenen Christen oder deren Familien müssen für diese Beträge ihre Häuser oder Geschäfte mit Hypotheken belasten. Kommt die Person auf Kaution frei, ist oftmals unklar, wie lange ihr Besitz einbehalten wird – eine Unsicherheit, die Christen zum Schweigen bringen kann, da sie den Verlust ihres Familienbesitzes fürchten müssen.“

Das Regime dränge oft verhafteten Christen, das Land zu verlassen und damit ihre Kaution aufzugeben. Teilweise gehe dies auch mit Drohungen einher.

Türkei: Ausländische Christen müssen Land verlassen

Auch in der Türkei sind Christen an Leib und Leben bedroht. Zwei Christen wurden laut Open Doors aufgrund ihres Glaubens getötet. Im November 2019 wurde der südkoreanische christliche Evangelist Jinwook Kim in Diyarbakir erstochen. Im Januar 2020 wurde das chaldäische Ehepaar Hormuz und Şimoni Diril aus ihrem Dorf im Südosten der Türkei entführt. Während Hormuz weiterhin vermisst wird, wurde Şimoni im März 2020 tot aufgefunden. Immer wieder werden Christen belästigt und tyrannisiert. Konvertiten werden unter großen Druck gesetzt, zum Islam zurückzukehren. Oft steht die Repression im Zusammenhang mit Erdogans Furcht vor ausländischen Einflüssen oder der PKK.

Der assyrische Priester Pater Sefer Bileçen wurde festgenommen und inhaftiert, da ihm die Unterstützung der verbotenen PKK vorgeworfen wurde. „Sein Fall ist ein Paradebeispiel dafür, wie Christen traditioneller Kirchen zu Opfern der anhaltenden Auseinandersetzungen zwischen kurdischen Separatisten und den türkischen Behörden werden“, kommentiert Open Doors.

Ausländische Christen wurden gezwungen, die Türkei zu verlassen: „Mindestens 25 ausländische Christen wurden mit Einreiseverboten belegt oder wurden auf andere Weise gezwungen, das Land mit ihren Familien zu verlassen, wovon insgesamt mehr als 100 Personen betroffen waren.“

Die von Erdogan betriebene Repression gegen Christen folgt dessen Islamismus und Nationalismus. Die Umwandlung der Hagia Sophia und der byzantinischen Chora-Kirche in Moscheen habe eine „tiefgreifende Wirkung auf die traditionellen christlichen Kirchen in der Türkei“, heißt es in dem Bericht. „Darüber hinaus wurden mehrere andere Kirchengebäude angegriffen und christliche Gräber und Friedhöfe vandalisiert. Hinzu kommt, dass viele historische Kirchengebäude stark renovierungsbedürftig sind. Diese Vernachlässigung führt zu einem langsamen, aber kontinuierlichen Verschwinden des christlichen Erbes im Land.“ Es gab mehrere Vorfällen, bei denen Eigentum einzelner Christen und christlicher Gemeinden beschädigt wurde.

Verbesserung im Sudan

Eine leichte Verbesserung gab es im Sudan, dessen Regierung einen Reformprozess gestartet hat. „Wir werden alle Gesetze abschaffen, die Menschenrechte im Sudan verletzen“, kündigte Justizminister Nasreldin Abdulbari im Juli 2020 an. Abgeschafft wurden u.a. das Apostasiegesetz, das die Abkehr vom Islam unter Strafe stellte, sowie ein Gesetz, das es Frauen verboten hatte, mit ihren Kindern ohne Zustimmung eines männlichen Verwandten zu reisen und das Alkoholverbot für Nichtmuslime. Weibliche Genitalverstümmelung (FGM) wurde verboten. „Die Zentralregierung des Sudan hat eine enorme Bereitschaft gezeigt, das politische System zu ändern – ein System, das darauf ausgelegt war, sicherzustellen, dass der Sudan ein islamisches Land bleibt“, kommentiert Open Doors. Dennoch ist die Lage im Land noch längst nicht gut. „Der durchschnittliche Druck auf Christen und Kirchen erreicht immer noch ein extremes Ausmaß; die Kirchen, die zur Schließung gezwungen worden waren, sind trotz positiver Veränderungen nicht wieder geöffnet worden, Christen werden immer noch in vielerlei Hinsicht ihrer Rechte beraubt, und die Regierung ist weiterhin gerichtlich gegen bestimmte Kirchenleiter vorgegangen“, so der Bericht.

Bandenterror in Mexiko

Mexiko ist ein Beispiel dafür, dass Christen nicht nur in Ländern gefährdet sind, wo sie eine Minderheit bilden. Die größte Bedrohung geht in Mexiko von kriminellen Banden aus. „Christen, welche die Behörden über illegale Operationen informieren, als Verteidiger von Menschenrechten auftreten oder sich daran beteiligen, von der Pandemie betroffenen Personen humanitäre Hilfe zukommen zu lassen, werden von den kriminellen Gruppen als Bedrohung ihrer Interessen gesehen“, heißt es in dem Bericht. Dies gelte besonders für Programme von Kirchen, die dazu geschaffen wurden, junge Leute davon abzuhalten, selbst Drogendealer zu werden, sowie für christliche Leiter, die Projekte gestartet haben, um Einwanderer zu unterstützen. „Sie können schnell zum Ziel von Überwachung, Todesdrohungen, Vergeltungsmaßnahmen, Entführungen und sogar Morden werden.“ Seit Beginn der Pandemie werde vermehrt in Kirchen eingebrochen. „Teilweise wurden dabei auch Mitarbeiter der Kirchen verletzt und/oder erpresst. Aufgrund solcher Einschüchterungen hörten viele Gemeindemitglieder auf, zur Kirche zu gehen, schon bevor Covid-19 in Mexiko auftrat.“

Das erklärte Ziel von Open Doors ist es, Kirchen, Medien, Politik und Gesellschaft auf die Situation der bedrängten Kirche aufmerksam zu machen. Zudem sei der Weltverfolgungsindex „ein Aufruf zum Gebet und praktischen Einsatz für die weltweit am stärksten unterdrückten Christen.“

Der ausführliche Bericht mit detaillierten Länderprofilen, Analysen zu weltweiten Entwicklungen und der Methodik sowie Lebensberichte verfolgter Christen sind zu finden unter: www.opendoors.ch

Über Stefan Frank

Stefan Frank ist freischaffender Publizist und lebt an der deutschen Nordseeküste. Er schreibt regelmässig über Antisemitismus und andere gesellschaftspolitische Themen, u.a. für die „Achse des Guten“, „Factum“, das Gatestone Institute, die „Jüdische Rundschau“ und „Lizas Welt“. Zwischen 2007 und 2012 veröffentlichte er drei Bücher über die Finanz- und Schuldenkrise, zuletzt "Kreditinferno. Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos."

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