Die Geschichte der vierjährigen Amtszeit des US-Präsidenten Donald Trump wird nun vor allem wegen der Unruhen auf dem Capitol Hill in Erinnerung bleiben, sagt einer der führenden konservativen Intellektuellen Amerikas.
von Fiamma Nirenstein
Auf gegenüberliegenden Seiten des Ozeans sitzend, betrachten David Wurmser in Washington D.C. und ich in Jerusalem, beide unsere Köpfe in Bestürzung haltend, die Tragödie, die sich am vergangenen Mittwoch auf dem Capitol Hill ereignete, und die Art und Weise, in der die bedeutende Amtszeit von US-Präsident Donald Trump in einen Zirkus verwandelt wurde.
Wurmser, der als Nahost-Berater des ehemaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheny, als Sonderassistent von John Bolton im Aussenministerium und als wissenschaftlicher Mitarbeiter am American Enterprise Institute tätig war, gehört zu den führenden konservativen Intellektuellen Amerikas.
Um eine Beschreibung der Ereignisse vom 6. Januar gebeten, nennt Wurmser sie „eine Katastrophe“.
„Die gesamte Geschichte von Trumps Präsidentschaft wird nun vor allem wegen dieses Abschlusses in Erinnerung bleiben, und sein Vermächtnis dürfte gründlich beschädigt werden“, sagt er.
In Anspielung auf die Tatsache, dass Trump in den letzten vier Jahren das Objekt von ununterbrochenen, ungerechten und lähmenden Angriffen war, sagt Wurmser: „Sie waren endlos. Und es war genau die totale Entwürdigung seines Charakters und die Verfolgung seiner Anhänger, die zu seiner Rede als Reaktion auf die Unruhen führte.“
Wurmser fährt fort: „Trump war schon immer wie eine Antenne, fähig, die Gefühle seiner Basis zu lesen und zuverlässig zu interpretieren, aber sicherlich nicht eine Horde gewalttätiger Menschen, sondern von Bürgern, die beschuldigt werden, wie Nazis zu sein, nur weil sie nicht links sind. Eine solche Verunglimpfung lässt keine Erwiderung zu; es ist eine Verurteilung ohne Widerspruch, weil sie totale Unanständigkeit impliziert.“
Darüber hinaus bemerkt Wurmser: „Seit Jahren werden Trump und seine Unterstützer mit Anschuldigungen der Schande bombardiert. Sie wurden von Arbeitsplätzen gefeuert; von Familienmitgliedern abgewiesen; von alten Freunden abgelehnt; wurden zum Ziel von Hass, Ekel und Schande in den Medien; und erlitten körperliche und verbale Angriffe in Restaurants und auf der Strasse. Währenddessen wird Gruppen, die in den letzten acht Monaten Tausende von Geschäften zerstört, Bürger verletzt und Polizisten erschossen haben, der Mantel der Legitimität verliehen.“
Laut Wurmser hat der Wahlkampf 2020 das alles noch viel schlimmer gemacht.
„Es war nicht einmal wirklich eine Kampagne, sondern eher ein Chor der Diffamierung gegen den Präsidenten und seine Unterstützer, während diejenigen, die gegen ihn waren, völlig entschuldigt wurden – einschliesslich derjenigen, die Gewalt ausübten und derjenigen, die die Beziehungen von [Präsidentschaftskandidat] Joe Bidens Sohn, Hunter, zu den Chinesen herunterspielten.“ so David Wurmser.
Was Trumps fortgesetzte Behauptung des Sieges am 3. November betrifft, selbst nachdem klar war, dass Biden bald das Oval Office besetzen würde, was einen regelrechten Kampfruf an seine Basis darstellte – eine verklausulierte Aufforderung, die Macht durch Gewalt zu übernehmen – antwortet Wurmser: „Ja, darin hat er sich geirrt, auch wenn es sicherlich viele Probleme bei der Stimmenauszählung gab. Aber Trump hat mehrere Fehler gemacht, wie zum Beispiel seine anfänglichen Aussagen zur COVID-19-Pandemie. Er hat zwar die richtige Politik betrieben, aber die falschen Positionen verkündet.“
Im Ganzen, erklärt Wurmser, „hat seine Politik zur Korrektur vieler historischer Fehler geführt. Dazu gehören: der Abbau der lähmenden Angst vor China, die Untergrabung des internationalen Gehorsams gegenüber der ständigen Ablehnung der Palästinenser durch Friedensabkommen zwischen Israel und der arabischen Welt; die Beendigung der törichten und gefährlichen Behauptung, dass jedes Abkommen mit dem Iran besser sei als kein Abkommen; und die Beendigung der Passivität der USA angesichts der Anti-Israel-Feindschaft bei den Vereinten Nationen und in Europa. In der Innenpolitik förderte Trump die Rehabilitierung einer sehr grossen und geschmähten sozialen Schicht, indem er die Regeln eines freien, aber nationalen Marktes propagierte. Diesem Weg folgend, gewann er im Laufe der Jahre immer mehr Unterstützung.“
Tragödie für Biden
Auf die Frage, ob die derzeitige Situation als „Katastrophe“ bezeichnet werden kann, spricht Wurmser von zwei Aspekten – zum einen von den Auseinandersetzungen auf dem Capitol Hill und der Zersplitterung der amerikanischen Demokratie, zum anderen von den Ergebnissen der Senatswahlen in Georgia.
„Es ist eine Tragödie für Biden, dass er keinen konservativen Senat hat, hinter dem er sich verstecken kann, um den Extremismus zu blockieren, der in seiner eigenen Partei existiert“, so Wurmser. „Dies wird ihm sehr schlechte Entscheidungen in der nationalen und internationalen Politik auferlegen.“
Ich fragte Wurmser nach den Chancen für eine Heilung der amerikanischen Demokratie und ob es möglich sein wird, zu einer Situation zurückzukehren, in der die beiden grossen Parteien sowohl einander gegenüberstehen als auch friedlich zusammenarbeiten können.
„Es gab schon immer ein grosses gemeinsames patriotisches Feld zwischen den beiden politischen Parteien des Landes, insbesondere im Hinblick auf die Idee, dass jedes Individuum ein Träger dessen ist, was unsere Verfassung ‚unveräusserliche Rechte‘ (im Englischen ‚inalienable rights‘, Anm.d.Red) nennt, die ihm von Gott, der Geschichte oder der Natur verliehen wurden – kurz, von etwas Grösserem als ihm selbst“, erklärt er. „Aber jetzt hat sich die [amerikanische] Linke von dieser Prämisse gelöst und neigt zunehmend zu einer sozialistischen Strömung im Stile von Bernie Sanders.“
Kann es sein, dass Trump in den verbleibenden Tagen, die ihm im Amt bleiben, noch einmal etwas tut, um die Welt zu schocken? Das glaubt Wurmser nicht.
„Trump hat dem US-Interventionismus abgeschworen und überlässt die Welt ihren eigenen Bemühungen und Entscheidungen. Er hat damit auch die politische Wahl einer nutzlosen internationalen ‚Zurückhaltung‘ beendet. Das ist eine seiner vielen positiven Veränderungen“, sagt er und fügt einen Vorbehalt hinzu.
„Aber“, beginnt er und ich ergänze seinen Satz, „er hat alles vermasselt.“ Wurmser mildert meinen Ausdruck und sagt abschliessend: „Sagen wir ‚beschädigt‘.“
Die Journalistin Fiamma Nirenstein war Mitglied des italienischen Parlaments (2008-2013), wo sie als Vizepräsidentin des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten in der Abgeordnetenkammer und im Europarat in Strassburg tätig war und den Ausschuss zur Untersuchung des Antisemitismus gründete und leitete. Sie ist Fellow am Jerusalem Center for Public Affairs (JCPA). Auf Englisch zuerst erschienen bei Jewish News Syndicate. Übersetzung Audiatur-Online.
Was soll dieser Unsinn hier?
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