Als ob die Israelis nicht schon genug Sorgen mit Covid-19 und Drohungen von Feinden wie dem Iran, der Hisbollah und der Hamas hätten, warnen jetzt israelische Forscher, dass ein verheerendes Erdbeben mit einer Stärke von mindestens 6,5 auf der Richterskala in den kommenden Jahren in der Region zu erwarten ist.
von Brian Blum
Die düstere Vorhersage beruht von Bohrungen im Toten Meer, bei denen rund 220.000 Jahre Unterwassergeologie analysiert werden.
Gemäss der Analyse der Forscher tritt alle 130 bis 150 Jahre ein starkes Erdbeben auf, allerdings gab es auch schon Ruhephasen von nur wenigen Jahrzehnten zwischen den Beben.
Im Jahr 1927 führte ein Erdbeben im Tal des Toten Meeres mit einer Stärke von 6,5 auf der Richterskala zu Hunderten Verletzten in den nahe gelegenen Städten Amman und Jerusalem und bis nach Jaffa.
Ein ähnliches Beben sei zu unseren Lebzeiten sehr wahrscheinlich, sagt das Team unter der Leitung von Prof. Shmuel Marco, Leiter der Porter School of the Environment and Earth Science der Universität Tel Aviv.
Prof. Marco wurde unterstützt von Yin Lu (Postdoc an der Tel Aviv University), Prof. Amotz Agnon (Hebrew University), Nicolas Waldmann (Haifa University), Nadav Wetzler (Israel Geological Survey) und Glenn Biasi (US Geological Survey).
Die Ergebnisse der Studie wurden in der Zeitschrift Science Advances veröffentlicht.
Die Forschung wurde unter der Schirmherrschaft des Internationalen Kontinentalen Wissenschaftlichen Bohrprogramms durchgeführt, das 2010 eine Bohrinsel in der Mitte des Toten Meeres platzierte, um dessen Geschichte und Umweltveränderungen zu untersuchen.
Am Boden des Toten Meeres sammelt sich Sediment auf zwei Arten an: eine dunklere Schicht aus winterlichen Sturzfluten und eine hellere Schicht aus sommerlicher Verdunstung. Wenn ein Beben auftritt, werden die beiden Schichten zusammengewirbelt und lagern sich in einer anderen Anordnung ab.
Geschichte der Erdbeben
Die Forscher entwickelten eigens für die Studie Computermodelle, um aus den geologischen Aufzeichnungen die Geschichte der Erdbeben über die Zeit zu rekonstruieren. Dabei zeigte sich, dass schwere Erdbeben – 7,5 oder höher auf der Richterskala – alle 1.300 bis 1.400 Jahre auftreten. Das letzte Beben in dieser Grössenordnung ereignete sich in der Region des Toten Meeres im Jahr 1.033, also vor fast tausend Jahren.
Obwohl die Vorhersage von Erdbeben eine notorisch ungenaue Wissenschaft ist, kam das Team zu dem Schluss, dass die Häufigkeit von Erdbeben in Israel deutlich unterschätzt wurde.
Im Jahr 2019 hielt die israelische Marine eine grosse Übung ab, um den Umgang mit einem massiven Beben zu simulieren, bei dem Tausende ums Leben kamen. Die IDF und die Rettungsdienste des Landes haben in den letzten Jahren weitere Erdbebenübungen abgehalten, da Experten immer wieder davor gewarnt haben, dass ein Beben kommen würde.
Ein Bericht des Rechnungshofs aus dem Jahr 2018 warnte, dass Israel schlecht auf ein grosses Erdbeben vorbereitet ist. Der Bericht stellte fest, dass ein Erdbeben schwere Schäden an der Unterwasser-Erdgaspipeline, den Kraftstoffleitungen, den Wasserleitungen, den Flughäfen und dem allgemeinen Transportwesen verursachen würde. Schulen, Krankenhäuser, Touristenorte und öffentliche Gebäude sind nicht darauf vorbereitet, einem großen Beben standzuhalten.
„Ich will keinen Alarmismus auslösen“, erklärt Prof. Marco, „aber wir leben in einer tektonisch aktiven Zeit. Die geologische Aufzeichnung lügt nicht, und ein grosses Erdbeben in Israel wird kommen. Natürlich können wir nicht genau vorhersagen, wann die Erde unter unseren Füssen zu beben beginnt – das ist eine statistische Hochrechnung – aber leider kann ich sagen, dass ein Erdbeben mit Hunderten Todesopfern in den nächsten Jahren eintreten wird. Es könnte in 10 Jahren oder in mehreren Jahrzehnten sein, aber es könnte auch schon nächste Woche geschehen, und darauf müssen wir ständig vorbereitet sein.“