Saudi-Arabien vs. Muslimbruderschaft

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Fahnen der Muslimbrüder. Foto Screenshot Youtube
Fahnen der Muslimbrüder. Foto Screenshot Youtube
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Ein Streit über die Rolle der Religion in der Regierung bildet die Hauptkluft in der Welt des sunnitischen Islam. Diese Kontroverse definiert auch die zwei Hauptlager im Hinblick auf die westlichen Länder im Allgemeinen und Israel im Besonderen.

von Dr. Mordechai Kedar

Die Muslimbruderschaft wurde 1928 in Ägypten gegründet, um sich drei Zielen zu widmen: dem Kampf gegen die britische Besatzung Ägyptens, dem Kampf gegen den Einfluss der westlichen Kultur auf die islamischen Gesellschaften (insbesondere in Bezug auf den Status der Frauen) und dem Einsatz für die Umsetzung der Scharia in islamischen Ländern.

Hassan Banna, der Gründer der Bewegung, verbreitete seine Ideen in den islamischen Ländern durch Konferenzen, die er arrangierte und bei denen der Mufti von Jerusalem, Hadsch Amin Husseini, ein regelmässiger Redner war. Wo immer die Ideen der Organisation angenommen wurden, begannen ihre Mitglieder, die ausländischen Besatzer zu bekämpfen. Später begannen ihre Propagandisten, muslimische Führer selbst als Mitglieder einer “ausländischen Besatzung” zu bezeichnen, wenn sie sich nicht an die Gebote des Islam hielten oder die Scharia anwendeten. Die Doktrin der Muslimbruderschaft besagt, dass es zulässig, ja sogar verpflichtend ist, gegen solche Führer den Dschihad zu führen, selbst wenn sie gebürtige Muslime sind. Die Gläubigen werden aufgefordert, sich gegen Regierungen und deren Funktionäre aufzulehnen, wenn sie die Gebote des Islam nicht einhalten.

Im Jahr 1932, vier Jahre nach der Gründung der Muslimbruderschaft, wurde auf der arabischen Halbinsel das saudische Königreich von seinem ersten Monarchen, Abdul Aziz ibn Saud, errichtet. Von Anfang an basierte dieses Königreich auf einer Allianz zwischen der königlichen Familie und mehreren Familien religiöser Gelehrter, die mit islamischer Begründung behaupteten, dass es den Bürgern verboten sei, sich den Herrschern zu widersetzen, da diese von Gottes Gnaden herrschen. Da die saudischen Religionsgelehrten behaupten, den Weg von al-salaf al-salih (“die rechtschaffenen Gründerväter des Islam”) fortzusetzen, ist ihre religiöse Anschauung als Salafiyya (Salafismus) bekannt.

Die Unterstützung der religiösen Gelehrten für die Regierung geht manchmal bis zu erstaunlichen Extremen. In einem saudischen Buch mit dem Titel “Die Beziehung zwischen dem Herrscher und dem Untertan” heisst es zum Beispiel, dass, wenn ein Herrscher einen Bürger leiden lässt, dieses Leiden von den Sünden des Bürgers gegen Allah herrührt, und dass es dem Bürger obliegt, Busse zu tun und sich von dem Leiden zu befreien, das der Herrscher auferlegt hat. Mit anderen Worten: Der Herrscher ist der lange Arm Allahs, und Allahs Sicht auf den Bürger manifestiert sich in der Behandlung dieses Bürgers durch den Herrscher. Dieser Gedanke spiegelt die starke Allianz im saudischen Königreich zwischen der Regierung und den Religionsgelehrten wider, die die Religion in den Dienst der Regierung gestellt haben.

Während das islamische Denken der Muslimbruderschaft als revolutionär bezeichnet werden kann, dient das religiöse Denken der Saudis der bestehenden politischen Ordnung und zementiert diese. Da es keine Möglichkeit gibt, eine Brücke zwischen diesen Denkweisen zu schlagen, stehen sie stets in einem Spannungsverhältnis.

Die folgenden Sachverhalte spiegeln den Kampf zwischen den beiden Seiten in den letzten Jahren wider:

  • Mitte 2012 wurde Muhammad Morsi von der Muslimbruderschaft zum Präsidenten von Ägypten gewählt. Ein Jahr später wurde er von seinem Verteidigungsminister Abdel Fattah Sisi abgesetzt, der später zum Präsidenten gewählt wurde und dieses Amt bis heute innehat. Die Sisi-Regierung verbot die Muslimbruderschaft und begann einen umfassenden Kampf gegen ihre Aktivisten. Als Sisi 2013 Mursi stürzte, unterstützte Riad ihn und liess Milliarden von Dollar in seine leeren Kassen fliessen, als Ausgleich für die Einstellung der amerikanischen Hilfe durch Präsident Barack Obama, dessen Regierung die Muslimbruderschaft unterstützte.
  • Die katarische Führung unterstützt mit der Muslimbruderschaft verbundene Organisationen wie die Hamas, sowohl finanziell als auch durch Propaganda (insbesondere via Aljazeera). Dies ist der Hauptgrund, warum Saudi-Arabien, und in seinem Gefolge die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain, die Beziehungen zu Katar abgebrochen haben. Das Zerwürfnis hält seit drei Jahren an.
  • Die Beziehungen Saudi-Arabiens zu Israel, die schon seit geraumer Zeit bestehen, beruhen (unter anderem) auf der Unterstützung für Israels Kampf gegen die Hamas und den Islamischen Dschihad, die beide aus der Muslimbruderschaft hervorgegangen sind.
  • Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan vertritt den revolutionären Ansatz der Muslimbruderschaft und unterstützt deshalb die Hamas in Gaza, die Muslimbruderschaft in Ägypten und die islamistische Regierung in Libyen. Erdoğan hat dem Image Riads grossen Schaden zugefügt, indem er aufdeckte, was dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi im Oktober 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul widerfuhr.

Am 10. November erliess der saudische Rat der Höchsten Religionsgelehrten eine religiöse Entscheidung (Fatwa), die besagte:

Was auch immer die Unterstützung für die muslimischen Führer beeinträchtigt, wie z.B. das Verbreiten von Zweifeln und [bösen] Gedanken oder die Gründung von organisierten Gruppen, die Loyalität [zu anderen Instanzen als dem Herrscher] ausdrücken, oder ähnliche Dinge, ist nach dem Qur’an und der Tradition verboten. An der Spitze dieser Gruppen, vor denen wir warnen, steht die Muslimbruderschaft – eine abweichende Organisation, die sich auf Kampf und Krieg gegen die Führer stützt, Konflikte in Ländern sät, die soziale Harmonie in ihnen stört und die islamischen Gesellschaften als ketzerisch hinstellt. Seit der Gründung dieser Organisation ist sie nicht am islamischen Glauben oder am Studium des Korans und der Tradition interessiert; es geht ihr nur um die Machtergreifung. Daher ist die Geschichte dieser Organisation voll von Bösem und Zwietracht, und sie hat radikale Terrorgruppen hervorgebracht, die Korruption in Ländern und Bevölkerungen verbreitet haben, einschliesslich wohlbekannter Verbrechen von Gewalt und Terror in der ganzen Welt. All dies macht deutlich, dass die Muslimbruderschaft eine Terrororganisation ist, die nicht den Islam repräsentiert, sondern ihre eigenen parteiischen Ziele verfolgt, die mit unserer anmutigen Religion kollidieren. Sie versteckt sich hinter der Religion und arbeitet gegen sie durch Sektierertum, Aufwiegelung, Gewalt und Terror. Alle müssen gewarnt werden, sich nicht in die Reihen dieser Organisation einzureihen und sich nicht mit ihr zu identifizieren.

Dieses Schriftstück zeigt deutlich die Tiefe der Feindschaft und des Hasses zwischen der saudischen Regierung und den Organisationen der Muslimbruderschaft und ihren Unterstützern, insbesondere der Türkei und Katar, und dies trotz der Tatsache, dass es sich bei beiden Seiten um sunnitische Muslime handelt. Dieser Hass erklärt, warum sich Gruppierungen der Muslimbruderschaft wie die Hamas und der Islamische Dschihad an den schiitischen Iran wenden, um sie in ihrem Kampf gegen Riad und seine Verbündeten zu unterstützen. Teheran ist sich der Spaltung des sunnitischen Islams sehr wohl bewusst und ist froh, diesen Gruppen zu helfen und damit die Koalition gegen ihren gemeinsamen Erzfeind, Saudi-Arabien, zu stärken. Deshalb gewährt der Iran den Führern von al-Qaida, die ihren Ursprung ebenfalls in der Muslimbruderschaft hat, Zuflucht.

Oberstleutnant (a.D.) Dr. Mordechai Kedar ist leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Begin-Sadat Center for Strategic Studies. Dies ist eine überarbeitete Version eines Artikels, der am 1. Dezember 2020 in Makor Rishon veröffentlicht wurde. Übersetzung Audiatur-Online. 

1 Kommentar

  1. Ist das also ein Konflikt zwischen Faschisten und Despoten? Was ist aber an den Moslembruderschaften revolutionär? Der mufti war übrigens wie viele Muslimbrüder Mitglied der SS. Ich hoffe, dass sich viele Staaten der Allianz gegen Iran anschließen und daraus echte Bindungen mit Israel entstehen.

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