Der Schweizer Bundesrat hat beschlossen, die Finanzhilfen für das umstrittene Palästinenserhilfswerk UNRWA im gleichen Umfang wie bisher fortzuführen. Die Gründe dafür wurden in einem Bilanzbericht genannt. Der Bericht zeichnet sich dadurch aus, dass kritische Punkte knapp behandelt und wesentliche Entwicklungen geschönt dargelegt werden.
Im Mai 2018 hatte der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis aussergewöhnlich deutliche Worte zur UNRWA gefunden: Das Palästinenserhilfswerk der Vereinten Nationen nähre, so sagte er, die Illusion der Palästinenser von der «Rückkehr» aller Flüchtlinge und deren Nachkommen auf ein Territorium, das seit 1948 israelisch ist. Damit stehe sie einer Lösung des palästinensisch-israelischen Konflikts im Weg, zumal das Beharren auf dieser «Rückkehr» die Integration von Palästinensern verhindere, die seit Generationen etwa in Jordanien oder im Libanon lebten. «Indem wir die UNRWA unterstützen, halten wir den Konflikt am Leben», so Cassis seinerzeit. Das sei «eine perverse Logik».
Zweieinhalb Jahre später ist davon nicht mehr die Rede, dabei hat sich die UNRWA keineswegs grundlegend geändert. Unlängst beschloss der Bundesrat gleichwohl, die Einrichtung «für die kommenden zwei Jahre im gleichen Ausmass wie bisher zu unterstützen», nämlich mit 20 Millionen Franken pro Jahr. Damit trage die Schweiz, wie es in einer Erklärung des Aussenministeriums heisst, «dazu bei, die prekäre humanitäre Situation zu lindern, Perspektiven zu schaffen, das Risiko einer Radikalisierung junger Leute zu reduzieren und die Stabilität in der Region zu verbessern». Die Zahlungen sollten vor allem für Bildung, Gesundheitsvorsorge und soziale Dienstleistungen aufgewendet werden.
Anders als bisher hat der Bundesrat den Beitrag allerdings nicht für die kommenden vier Jahre zugesagt, sondern nur für die nächsten beiden. «Mit diesem Vorgehen nimmt die Schweiz weiter aktiv Einfluss auf die Politik und Arbeitsweise der UNRWA», lautet die Begründung. Das bedeutet: Man behält sich vor, nach zwei Jahren neu darüber zu befinden, ob und in welchem Umfang die Schweiz die Unterstützung fortsetzt. Vorausgegangen war dem Regierungsbeschluss die Veröffentlichung eines Bundesratsberichts mit dem Titel «UNRWA: Rückblick und Ausblick nach 70 Jahren». Diesen hatten der FDP-Nationalrat Philippe Nantermod und fünf weitere Parlamentarier im Juni 2018 in einem Postulat gefordert.
Das 29-seitige Dokument befasst sich unter anderem mit der geschichtlichen Entwicklung des UNRWA, mit der Haltung der Schweiz gegenüber dem Hilfswerk, mit der Kritik an ihm – insbesondere in Bezug auf antisemitische Bildungsinhalte und die Anstiftung zum Terrorismus – sowie mit dem Status der palästinensischen Flüchtlinge im Vergleich zu jenen Geflüchteten, die in den Zuständigkeitsbereich des Hohen Flüchtlingskommissariats (UNHCR) fallen. Es ist eine Bilanz, die auch Perspektiven aufzeigen soll, und es ist gut, dass dieses Papier der Öffentlichkeit zur Verfügung steht, die somit erfährt, wie der Bundesrat diese UN-Einrichtung bewertet, die er seit den späten 1940er Jahren mit insgesamt über 600 Millionen Franken unterstützt hat.
Warum gibt es ein eigenes UN-Hilfswerk für die Palästinenser?
Der Bericht zeichnet sich durch Sorgfalt aus, wenn es um Zahlen, Daten und Schaubilder geht. Man erfährt beispielsweise genau, wie sich die Zahl der bei der UNRWA registrierten Palästinenser über die Jahrzehnte entwickelt hat, welche Länder in welcher Grössenordnung finanzielle Unterstützung leisten, auf welche Aufgaben sich das Budget der UNRWA verteilt, wie viele Bildungseinrichtungen das Hilfswerk unterhält und um wie viele Schüler es sich kümmert. Und auch wenn der Bericht die UNRWA als Erfolgsgeschichte darstellt, ist es nicht so, dass er die Kritik ignoriert oder rundweg als unberechtigt zurückweist.
Aber es ist dann doch auffällig, an welchen Stellen es zu Auslassungen kommt, rasch über bestimmte Sachverhalte hinweggegangen wird oder zweifelhafte Bewertungen vorgenommen werden. So wird etwa im Kapitel zur Historie der UNRWA nicht gesagt, warum die Palästinenser als einzige Bevölkerungsgruppe der Welt ein eigenes Flüchtlingshilfswerk bekamen, dabei ist das bis heute von Belang: Es waren die arabischen Staaten, vor allem Ägypten, Saudi-Arabien und der Libanon, die darauf drängten und weder dem UNHCR beitraten noch die Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen ratifizierten, obwohl man ihnen deutlich entgegenkam.
Aus ihrer Sicht wären die arabischen Palästina-Flüchtlinge jedoch marginalisiert worden, wenn man sie zu den anderen Geflüchteten gezählt und genauso behandelt hätte. Die arabischen Staaten wollten nicht, dass sich die Palästina-Flüchtlinge dauerhaft auf ihrem Staatsgebiet ansiedeln und dort als Staatsbürger aufgenommen werden – und das, obwohl sie sie doch als ihre Brüder und Schwestern betrachteten. Sie trachteten vielmehr nach einer externen Unterstützung für die Geflüchteten bis zu jenem Tag, an dem die in ihren Augen einzig mögliche Lösung zur Wirklichkeit wird – nämlich die Rückkehr der Flüchtlinge, und zwar auf das Territorium, das nun israelisch war.
Nach arabischer Auffassung ergab sich das palästinensische Flüchtlingsproblem unmittelbar aus dem UN-Teilungsplan vom 29. November 1947. Das heisst, die arabischen Länder machten die Vereinten Nationen direkt für dieses Problem verantwortlich, nach dem Motto: Kein Teilungsplan – kein Staat Israel – keine Flüchtlinge. Deshalb waren sie der Ansicht, dass die Verantwortung der Uno für das Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge eine Verpflichtung bedeutet, eine separate UN-Organisation zu gründen, die sich nur mit diesen Flüchtlingen befasst, während der UNHCR für alle anderen Geflüchteten auf der Welt zuständig sein sollte.
Weshalb werden die Palästinenser immer noch als Flüchtlinge geführt?
Letztlich gründet die UNRWA also auf einer Geschichtsklitterung, die bis heute konstitutiv für sie ist. Denn die Sichtweise der arabischen Länder lässt ausser Acht, dass der von ihnen abgelehnte UN-Teilungsplan nicht nur die Gründung des Staates Israel, sondern auch die Gründung eines arabischen Staates auf dem verbliebenen britischen Mandatsgebiet Palästina vorsah. Und dass es fünf arabische Länder waren, die einen Tag nach der Proklamation des Staates Israel einen Angriffskrieg gegen den jüdischen Staat begannen, mit dem Ziel, ihn gleich wieder von der Landkarte zu tilgen. Genau das hat das Flüchtlingsproblem erst massiv befördert.
Zur Praxis der UNRWA, auch nachfolgende Generationen als Flüchtlinge zu registrieren, liest man im Bericht: «In diesem Punkt unterscheidet sich die UNRWA nur geringfügig vom UNHCR, das ebenfalls mehrere Generationen von Flüchtlingen registriert.» Im Gegensatz zum UNHCR und zur Genfer Flüchtlingskonvention seien bei der UNRWA jedoch abgesehen vom Tod keine Gründe für den Verlust des Flüchtlingsstatus vorgesehen. «Beim UNHCR erlischt zum Beispiel das Recht auf Unterstützung, wenn Flüchtlinge in ihrem Gastland Bürgerrechte oder die Staatsangehörigkeit erhalten», so der Bericht weiter. Im Falle der UNRWA hätte eine solche Regelung weitreichende Konsequenzen: «Die grosse Mehrheit der heute 2,2 Millionen UNRWA-registrierten Flüchtlinge in Jordanien besitzt den jordanischen Pass.»
Doch warum sollten selbst Palästinenser, die in Jordanien sesshaft (geworden) sind und die dortige Staatsangehörigkeit besitzen, als Flüchtlinge geführt werden und damit Anspruch auf die Leistungen der Uno haben? Und weshalb drängt man nicht darauf, dass die Nachkommen der palästinensischen Flüchtlinge von 1948 auch in anderen arabischen Ländern integriert werden und den jeweiligen Pass bekommen? Die Antwort ist: Weil die UNRWA nur das Mandat hat, sich für die «Rückkehr» der Palästinenser auf israelisches Territorium einzusetzen, nicht aber für deren Gleichberechtigung in den Ländern, in denen sie leben. Und solange es nicht zu dieser «Rückkehr» gekommen ist, vererbt sich eben der Flüchtlingsstatus immer weiter. Das aber ist genau jene «perverse Logik», von der Ignazio Cassis vor zweieinhalb Jahren gesprochen hatte.
«Die Ursache der vielen Flüchtlinge liegt hauptsächlich darin, dass der Nahostkonflikt keiner Lösung zugeführt werden konnte», steht im Bericht zu lesen. Dass die «Rückkehr» diese Lösung nicht sein kann und nicht sein wird, müsste dem Bundesrat jedoch sehr klar sein. Denn natürlich wird keine israelische Regierung jemals zulassen, dass über fünfeinhalb Millionen Palästinenser ins Land kommen und dadurch dafür sorgen, dass die Juden dort zur Minderheit werden und Israel aufhört, ein jüdischer Staat zu sein. Doch statt darauf hinzuarbeiten, dass die völlig illusorische Forderung nach einer «Rückkehr» ein für allemal vom Tisch kommt und stattdessen eine Integrationslösung angestrebt wird, trägt die Schweiz dazu bei, dass dieser Irrsinn weitergeht.
Kinder und Jugendliche werden antisemitisch indoktriniert
Zu den Lehr- und Lernmitteln, die in den UNRWA-Schulen verwendet werden und aufgrund ihres antisemitischen Gehalts deutlicher Kritik ausgesetzt sind, stellt der Bericht zutreffend fest, diese stammten nicht von der UNRWA, sondern vom jeweiligen Land. Das Hilfswerk habe jedoch «weitreichende Anstrengungen unternommen, um die Qualität und Ausgewogenheit des Unterrichts sicherzustellen». Es habe allerdings «kein Mandat, um die Curricula und die Schulbücher ihrer Gastländer abzuändern», und deshalb «selber ergänzende Materialien für die Schulen entwickelt» sowie «Programme zur Weiterbildung der Lehrpersonen aufgebaut».
Dass diese «weitreichenden Anstrengungen» tatsächlich von Erfolg gekrönt sind, darf man jedoch bezweifeln. So hatte beispielsweise das Europäische Parlament noch im Mai seiner Sorge darüber Ausdruck verliehen, «dass problematische Inhalte in palästinensischen Schulbüchern noch nicht entfernt wurden und bislang nicht wirksam gegen Hetze und Gewalt in Schulbüchern vorgegangen wird». Und die Analysen des Bedein Center for Near East Policy Research in Jerusalem, vor allem dessen bedrückender Film über die Indoktrination von Kindern und Jugendlichen in UNRWA-Schulen, zeigen eindrücklich die Dimension des Problems.
Nun beteiligt sich die Schweiz allerdings nicht an der Finanzierung der verwendeten Lehrpläne und Schulbücher, wie der Bundesrat in seinem Bericht schreibt. Mehr noch: «Schulmaterialien, die dem Geist einer Zweistaatenlösung zuwiderlaufen, Gewalt verherrlichen, Rassismus und Antisemitismus schüren oder Verletzungen des Völkerrechts verharmlosen, sind nicht im Einklang mit der Schweizer Nahost-Position und werden von der Schweiz verurteilt.» Man werde sich deshalb «weiterhin für geeignete Schulmittel einsetzen» und unterstütze eine laufende Überprüfung des Unterrichtsmaterials. Dass die Ergebnisse der diesbezüglichen Bemühungen beizeiten evaluiert werden, sollte selbstverständlich sein.
Das Thema «Terrorismus» behandelt der Bericht erstaunlicherweise nur in zwei dürren Absätzen, dabei gab es in der Vergangenheit immer wieder Berichte über die engen Verbindungen der UNRWA zur Hamas und über die fatalen Folgen, die das hat. Nun glaubt der Bundesrat jedoch, Entwarnung geben zu können: «Die UNRWA hat nach eigenen Angaben die Kontrollen in den letzten Jahren verstärkt und verurteilt regelmässig und öffentlich Vorfälle des Missbrauchs von UNRWA-Einrichtungen für militärische Zwecke.» Mitarbeiter, die sich nicht an die Uno-Prinzipien gehalten hätten, seien entlassen worden.
Terrorismus – nur ein Randthema?
Recherchen bestätigen das nicht, von den erwähnten regelmässigen Verurteilungen etwa kann keine Rede sein. Auch eine Verstärkung der Kontrollen lässt sich nicht feststellen, im Gegenteil vermeldete die UNRWA im April, sie könne es sich aus finanziellen Gründen nicht mehr leisten, die Schulen überwachen zu lassen. In den Angestelltenvertretungen hat weiterhin die Hamas das Sagen, zudem unterweist die Terrororganisation UNRWA-Schüler im Gebrauch von Waffen.
Seit den 2000er-Jahren engagiere sich die Schweiz in den verschiedenen Reformdiskussionen der UNRWA, heisst es in dem Bericht. Viel ist die Rede von «strategischen Rahmenplänen», «effizienteren Ablaufstrukturen», «Neutralität», «Inklusion» und «Geschlechtergleichstellung». Die Realität hält damit jedoch nicht Schritt, die UNRWA bleibt das alte Friedenshindernis im Nahen Osten. Dass sie «wichtige Beiträge an die Stabilität in der Region leistet», wie im Bericht behauptet wird, stimmt nur dann, wenn man es hinnimmt, dass dazu die Dominanz der Hamas in einer Einrichtung der Vereinten Nationen und die Erziehung der Kinder zu antisemitischem Hass unveränderliche Konstanten sind.
Ohne die UNRWA gäbe es «noch weniger Arbeitsplätze und Bildungsmöglichkeiten für die Flüchtlinge» und damit «noch weniger Perspektiven, noch mehr Armut und möglicherweise noch mehr Gewalt und Extremismus», urteilt der Bundesrat. Das Hilfswerk sei «eine zentrale multilaterale Organisation für die Schweiz im Nahen Osten», und man werde sich «dafür einsetzen, dass die Curricula und das Unterrichtsmaterial an den UNRWA-Schulen auf den Uno-Werten beruhen, zu denen Neutralität, Menschenrechte, Toleranz und Nicht-Diskriminierung gehören». Ein entscheidendes Element sei «die Ausbildung von Lehrpersonen, die in UNRWA-Schulen unterrichten»; wichtig sei zudem «die Einführung von schulischen Modulen zur Bekämpfung von Antisemitismus, Islamophobie und Radikalisierung».
Eine UNRWA-Schule, in der dem Hass gegen Juden der Kampf angesagt wird? Das ist zu schön, um wahr zu sein, und mit den gewohnten Mitteln wird es niemals durchzusetzen sein. Das Bedein Center for Near East Policy Research hat deshalb Vorschläge für eine UNRWA-Reform unterbreitet, die unter anderem gravierende Änderungen in den Lehrplänen, die Einstellung der paramilitärischen Ausbildung in allen UNRWA-Schulen, die Entlassung von Hamas-nahen UNRWA-Mitarbeitern, die Einführung von UNHCR-Standards bei der UNRWA und die Überprüfung der Geldflüsse vorsehen. Im Grunde genommen handelt es sich schlicht um Selbstverständlichkeiten. Dahinter darf die Schweiz nicht zurückbleiben.
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