Der neue UNRWA-Chef Philippe Lazzarini hat beim grössten Geldgeber des Hilfswerks einige Klinken geputzt. Er musste aber auch nicht befürchten, mit kritischen Fragen konfrontiert zu werden. Nicht einmal zu den antisemitischen Lehrinhalten in den Schulen.
Es ist beileibe kein Zufall, dass Philippe Lazzarini, der neue Generalsekretär des Palästinenserhilfswerks UNRWA, die erste Europareise seit seiner Ernennung im März dieses Jahres dazu nutzte, um in Deutschland vorstellig zu werden. Schliesslich ist die Bundesrepublik nach dem Rückzug der USA zum grössten Geldgeber der UNRWA aufgestiegen, sie liegt in dieser Rangliste vor der Europäischen Union, Grossbritannien und Schweden. Lazzarini traf sich jüngst unter anderem mit Aussenminister Heiko Maas und dessen Staatsminister Niels Annen sowie mit weiteren Regierungsvertretern; darüber hinaus war er zu Gast bei diversen Parlamentsausschüssen und Parlamentariergruppen, Kirchen und NGOs sowie bei der diplomatischen Vertretung der Palästinenser in Deutschland. Ausserdem gab er mehrere Interviews. Kurzum: Der Schweizer hat die sprichwörtlichen Klinken geputzt.
Am Ende reiste er mit der Zusage des Auswärtigen Amtes, dem Hilfswerk weitere zwei Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, wieder ab. Auch ansonsten dürfte der Besuch für den UNRWA-Chef erfreulich verlaufen sein, schliesslich sieht man seine Einrichtung in Deutschland nicht sonderlich kritisch. Zwar findet sich im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien die Ankündigung, nicht nur für eine «ausreichende und nachhaltige Finanzierung» der UNRWA einzutreten, sondern auch für deren «Reform». Doch diesbezüglich hat sich bis heute nichts getan, auch nicht nach dem Rücktritt von Lazzarinis Vorgänger Pierre Krähenbühl, gegen den UN-intern wegen des Verdachts auf Vetternwirtschaft, Machtmissbrauch, sexuelles Fehlverhalten, Diskriminierung und einen tyrannischen Umgang mit Mitarbeitern ermittelt worden war.
Philippe Lazzarini klagt nun, seiner Organisation mangle es derzeit vor allem an drei Dingen: erstens weiterhin an Geld, zweitens an Mitteln zum Schutz vor dem Coronavirus und zu dessen Eindämmung, drittens an Lehrpersonal und der Infrastruktur für einen digitalen Unterricht. «Wir haben ein Budget von etwa einer Milliarde Dollar im Jahr, aber uns fehlen immer etwa 100 Millionen», sagt er in einem Interview von Welt Online, «wir stehen immer kurz vor dem Crash». Zur Erinnerung: Die exklusiv für die Palästinenser zuständige UNRWA ist mit rund 30.000 Mitarbeitern die grösste Einzelorganisation der Vereinten Nationen – und damit auch weitaus grösser als der UNHCR, also das andere UN-Flüchtlingshilfswerk, das für alle anderen (!) Geflüchteten auf dieser Welt da ist. Eigentümlich finden das nur wenige.
Daseinszweck und Struktur der UNRWA sind problematisch
Ein nicht geringer Teil des UNRWA-Budgets wird für Lohn- und Gehaltszahlungen aufgewendet; die Einrichtung ist in den palästinensischen Gebieten der zweitgrösste Arbeitgeber, nur die Autonomiebehörde beschäftigt noch mehr Menschen. Das Problem dabei liegt im grundsätzlichen Daseinszweck und in der Struktur des Hilfswerks: Es kümmert sich um mehr als fünfeinhalb Millionen Palästinenser, die als «Flüchtlinge» geführt werden, obwohl sie nie geflohen sind. Bei ihnen handelt es sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, um die Nachkommen der rund 700.000 arabisch-palästinensischen Kriegsflüchtlinge von 1948/49. Sie haben den Flüchtlingsstatus also von ihren Vorfahren geerbt und vererben ihn von Generation zu Generation weiter, solange sie nicht auf das Territorium «zurückgekehrt» sind, das heute israelisch ist. So steigt die Zahl dieser «Flüchtlinge» immer weiter an.
Die UNRWA begreift deren «Rückkehr» ausdrücklich als ihr Mandat; andere Lösungsmöglichkeiten – etwa die Integration der Palästinenser in die Länder, in denen sie leben, verbunden mit den entsprechenden Staatsbürgerrechten – scheiden für sie aus. Damit nährt sie bei den Palästinensern die verhängnisvolle Illusion, dass diese «Rückkehr» in ein Land, in dem sie ja nie gelebt haben, eine ernsthafte und erstrebenswerte Option ist. Dazu wird es allerdings nicht kommen, weil sich keine israelische Regierung darauf einlassen kann – schliesslich hätte Israel dann keine jüdische Bevölkerungsmehrheit mehr. Genau diese angestrebte demografische Veränderung ist aber der Grund, warum die Palästinenser auf dem vermeintlichen «Rückkehrrecht» beharren – und darin von der UNRWA unterstützt werden.
Das Hilfswerk, das ursprünglich nur eine vorübergehende Einrichtung sein sollte, existiert auch über 70 Jahre nach seiner Gründung noch, weil die UN-Generalversammlung seinen Fortbestand alle drei Jahre per Akklamation verlängert, zuletzt im Dezember 2019. Dabei gibt es eigentlich keinen nachvollziehbaren Grund dafür, dass die Palästinenser als einzige Bevölkerungsgruppe der Welt ein eigenes Flüchtlingshilfswerk haben, zumal von den Kriegsflüchtlingen der Jahre 1948/49 nur noch geschätzte 30.000 bis 50.000 leben, die beim UNHCR gut aufgehoben wären. Doch die UNRWA fungiert auch als quasi-staatliche Einrichtung; sie bietet den bei ihr registrierten «Flüchtlingen» kostenlose Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Sozialfürsorge.
Systematische Erziehung zum Hass auf Juden
Dadurch hängen Millionen von Palästinensern an ihrem international finanzierten Tropf, während sowohl die Palästinensische Autonomiebehörde als auch die Regierungen etwa im Libanon und in Syrien sich nicht weiter um diese Menschen scheren müssen. Natürlich ist Corona derzeit ein gewichtiges Problem, wie auch Philippe Lazzarini sagt: Die Infektionszahlen steigen, vor allem im Westjordanland; es fehlt an Desinfektionsmittel und Schutzausrüstung für das medizinische Personal; digitaler Unterricht zu Hause wäre wünschenswert, doch es gibt nicht genügend Lehrer und nicht genügend Tablets und Computer für die Schülerinnen und Schüler. Viele Palästinenser erwögen die Flucht nach Europa, so der UNRWA-Generalsekretär.
Dabei könne das Hilfswerk ihnen Hoffnung geben, erklärt Lazzarini in einem Tagesspiegel-Interview, «indem wir ihnen Bildung ermöglichen». 500.000 Schülerinnen und Schüler würden «von unseren Lehrern unterrichtet», deshalb sei es so wichtig, «dass wir finanziell in der Lage sind, staatsähnliche Leistungen zu erbringen». Die UNRWA versuche, den Palästinensern «ein würdevolles Leben zu ermöglichen». Wenn das nicht gelinge, stehe die Stabilität in der Region auf dem Spiel. Es gehe also letztlich «um einen Beitrag zum friedlichen Miteinander».
Das klingt vernünftig und richtig, doch wenn man den Blick beispielsweise darauf richtet, was da genau in den Schulen der UNRWA vermittelt wird, relativiert sich dieser Eindruck. Im Unterricht eingesetzt werden, wie Lazzarini bestätigt, vor allem die Schulbücher der Palästinensischen Autonomiebehörde, die wegen ihrer antisemitischen, den Terrorismus verherrlichenden oder anderweitig hetzerischen Inhalte schon länger in der Kritik stehen. Die Europäische Union, die sie teilweise finanziert, lässt sie derzeit untersuchen und will die Ergebnisse in einer Studie zusammenfassen. Recherchen des Tagesspiegel haben schon einmal die gröbsten Ungeheuerlichkeiten zutage gefördert: Kinder werden in allen Fächern systematisch zum Hass auf Juden erzogen; Jihad, Mord und Attentate werden glorifiziert; unleugbare historische Tatsachen werden durch antisemitische Propaganda ersetzt.
Ein Ende der Indoktrination?
Philippe Lazzarini aber wiegelt ab: «Solche Fälle werden auch missbraucht, um unsere Arbeit insgesamt zu diskreditieren», sagt er. Die UNRWA achte «streng darauf, dass in unseren Schulen keine Inhalte vermittelt werden, die den Prinzipien der Vereinten Nationen widersprechen», und werde den Empfehlungen der EU zu den Schulbüchern folgen. Man überprüfe das Unterrichtsmaterial der Autonomiebehörde aber auch selbst und werde aktiv: «Wo immer wir problematische Stellen gefunden haben, weisen wir die Lehrer an, diese Inhalte nicht zu vermitteln. Ausserdem bieten wir ihnen zusätzliches alternatives Material an, damit sie solche Darstellungen in den richtigen Kontext stellen und kritisches Denken erlernen.»
Nach allem, was diesbezüglich in den vergangenen Jahren bekannt geworden ist, sind allerdings grosse Zweifel daran angebracht, dass der Indoktrination der Schülerinnen und Schüler tatsächlich entgegengewirkt und Einhalt geboten wird. Zumal der Einfluss der Hamas auf die UNRWA erheblich ist und es in der Vergangenheit schon bei zaghaften Versuchen des Hilfswerks, die Curricula vom verbreiteten palästinensischen Narrativ ein wenig zu entkoppeln, wütende Proteste gab. Die UNRWA machte einen Rückzieher, vermutlich wegen der «Stabilität in der Region», des «würdevollen Lebens» des Palästinenser und «um einen Beitrag zum friedlichen Miteinander» zu leisten, wie Philippe Lazzarini es formulieren würde.
Dabei zeigen die Friedensverträge, die Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate mit Israel geschlossen haben, dass der Hass auf den jüdischen Staat überwindbar ist und keineswegs etwas darstellt, worauf unbedingt Rücksicht zu nehmen wäre. Doch es ist nicht zu erwarten, dass die UNRWA versuchen wird, ihren Einfluss dahingehend geltend zu machen, dass auch die Palästinenser zu einem Abkommen mit Israel bereit sind. Denn sie müsste sonst ihre eigene Abschaffung betreiben, schliesslich ist ihr Auftrag die «Rückkehr» der Palästinenser. Und wie die Gespräche in Deutschland zeigen, fordert nicht einmal der grösste Geldgeber auch nur Reformen ein, auch wenn er es sich offiziell auf die Fahnen geschrieben hat. Das ist eine ausgesprochen schlechte Nachricht.
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