Holocaust-Überlebender Eduard Kornfeld 91-jährig verstorben

In Schulen, Universitäten, Diskussionsrunden oder an Gedenkveranstaltungen: Eduard Kornfeld hat bis ins hohe Alter Zeugnis abgelegt und über die Schrecken des Holocaust berichtet. Er ist 91-jährig in Zürich gestorben.

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Eduard Kornfeld Z
Eduard Kornfeld Z"l Foto Gamaraal-Stiftung.
Lesezeit: 3 Minuten

Wie konnten Sie weiterleben?” Diese Frage haben Menschen, denen er seine Geschichte erzählte, immer wieder gestellt. Diese Momente sind Eduard Kornfeld jeweils zu Herzen gegangen, man spürte eindrücklich, wie ihn diese Frage selbst beschäftigte und berührte – sein ganzes Leben lang.

von Anita Winter

Geboren wurde Eduard Kornfeld 1929 in der Nähe von Bratislava. Im Alter von 15 Jahren wurde er nach Auschwitz verschleppt. An seinen Vorträgen, die er bis ins hohe Alter hielt, erzählte er jeweils über diesen Augenblick, da ihm bewusstwurde, dass er in einem Todeslager angekommen war: «Wir wurden in einem Viehwaggon deportiert. Drei Tage waren wir unterwegs, als der Zug stoppte. Da hörte ich plötzlich Gebrüll auf Deutsch: ‹Aussteigen!› Ich schaute aus dem Viehwaggon, sah, wie die SS die Menschen prügelten, damit sie schnell ausstiegen. Eine Mutter kümmerte sich um ihre Kinder, ging zu langsam, da nahmen die SS ihren Säugling und warfen ihn auf einen Lastwagen, auch Alte und Kranke wurden auf den Lastwagen geworfen. Sie wurden sogleich vergast.»

Kornfeld wurde während knapp einem Jahr Zeuge des systematischen Mordens und Opfer der tagtäglichen Grausamkeiten, die im Todesmarsch von einem Aussenlager nach Dachau gipfelten. Als er am 29. April 1945 im Konzentrationslager Dachau von den amerikanischen Truppen befreit wurde, wog er noch 27 Kilogramm. Er hatte überlebt. Seine Mutter Rosa (37) und sein Vater Simon (44) sowie seine Geschwister Hilda (11), Josef (9), Alexander (8) und die damals erst 4-jährige Rachel wurden deportiert und in den Gaskammern ermordet.

Weiterleben und Zeugnis ablegen

Eduard Kornfeld kam 1949 in die Schweiz, wo er in Davos vier Jahre lang von einer schweren Lungentuberkulose von Schweizer Ärzten gesund gepflegt wurde. Später machte er in Zürich eine Lehre als Juwelenfasser, er gründete mit seiner Frau Ruth eine Familie. Sie haben zwei Söhne, eine Tochter und sieben Enkelkinder.

In einem Gespräch wenige Stunden vor seinem Tod erklärte mir Eduard Kornfeld: «Wenn ich überlebt habe, muss das einen Grund gehabt haben. Und so spreche ich im Namen der Millionen Menschen, die nicht mehr sprechen können.» Und tatsächlich: Während viele ob dem unvorstellbaren Erlebten verstummten, vermochte er in Worte zu fassen, was kaum zu beschreiben ist. Jeder Auftritt war für Eduard Kornfeld anstrengend, doch es war für ihn eine Verpflichtung, eine Verpflichtung über das Grauen zu berichten, vom Holocaust zu erzählen, weil die nächste Generation nie vergessen soll, wozu Menschen fähig sind. Nie. Jedes Mal hat er sich einem neuen Publikum und aufs Neue seiner eigenen Geschichte gestellt.

Die Geschichte weitertragen

Eduard Kornfeld hat so sein Leben bis am Schluss dem Kampf gegen Hass, Intoleranz und Antisemitismus gewidmet. Er war überzeugt: Wenn seine mahnenden Worte in diesen Menschen etwas auslösen würden, dann hätte sich sein Engagement gelohnt. Tausenden jungen Menschen ist er bei seinen Auftritten begegnet. Ihnen allen wird er immer in Erinnerung bleiben.

Einmal in Bern, ich erinnere mich genau, sind die jungen Zuhörenden am Schluss aufgestanden und haben Eduard Kornfeld lange stehend und schweigend zugeklatscht. Er hat sich damals kurz verneigt. Dankbar und berührt, weil er spürte, dass diese Menschen seine Geschichte, die eindrückliche Geschichte eines der letzten Zeitzeugen des Holocaust, weitertragen werden. Ihnen gab er mit auf den Weg, stets alles zu hinterfragen.

Wir haben Eduard Kornfeld, der es auf sich nahm, über das Schlimmste zu berichten, unendlich viel zu verdanken. Er hat den Millionen Opfern des Holocaust eine Stimme und ein Gesicht gegeben. Er ist vergangene Woche 91-jährig gestorben.

Anita Winter ist die Gründerin und Präsidentin der Gamaraal-Stiftung. Zuerst erschienen in der Neuen Zürcher Zeitung vom 12. September 2020.