Rudy Rochman: Dem „Nie wieder“ müssen Taten folgen

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Foto Screenshot Youtube.com / Rudy Rochman
Foto Screenshot Youtube.com / Rudy Rochman
Lesezeit: 8 Minuten

Als ich zum ersten Mal Rudy Rochman in einem Interview reden hörte und seine Videos, die u. a. seine gezielten Begegnungen mit Antizionisten und offen antisemitischen Personen bei z. B. AIPAC-Tagungen zeigen, sah, konnte ich nicht anders, als seine präzise Argumentation und seine Rhetorik zu bewundern. Fasziniert und wissensdurstig verabredete ich mit ihm einen Interviewtermin und wollte mehr über sein Leben und seine Arbeit erfahren.

Rudy Rochman wurde im Jahr 1993 in Frankreich geboren. Seine Eltern zogen, als er drei Jahre alt war, nach Israel und später in die USA. Neben seiner Kindheitserfahrung, bei der ein Busfahrer seine Mutter sprichwörtlich aus einem Londoner Bus warf nur weil sie Jüdin war, trieb ihn vor allem seine Erfahrung beim sogenannten „March of the Living“ an, bei dem jüdische Jugendliche u. a. das Vernichtungslager Auschwitz besichtigen. Der Ausspruch „Nie wieder“ verkörperte für Rochman mehr als nur einen einfachen Satz. Für ihn stand er stellvertretend für die realen Bemühungen und den Mut, sich Antisemitismus aktiv entgegenzustellen.

Als er sein Studium an der University of California begann, erfuhr er, dass laut eines Rankings die Columbia University in New York zu den antisemitischsten Universitäten des Landes gehörte, weswegen er einen Universitätswechsel vornahm. Hierbei hakte ich genauer nach, da im Normalfall ein jeder Jude einen weiten Bogen um solch eine Institution machen würde. Rudy erklärte mir, dass er genau deswegen den Wechsel vollzogen hätte. Er wollte aufzeigen, dass es genau an jenen Orten unheimlich wichtig ist, Antisemitismus zu bekämpfen um den Worten „Nie wieder“ Taten folgen zu lassen. Wenn er es schaffen würde, an der Columbia University Antisemitismus erfolgreich zu bekämpfen, so gäbe es für niemanden eine Ausrede mehr, es ihm an einem ähnlich schwierigen Ort nicht gleichzutun.

Seine Strategie war so einfach wie effektiv. Er platzierte einen Tisch mit Infomaterial, einer israelischen Flagge etc. auf dem Campusgelände und schon bald fingen Studenten damit an, die Flagge vom Tisch zu reissen und die Anwesenden zu beleidigen. Was zu Beginn seines Studiums als Affront galt, wurde nach 2 1/2 Jahren zur Normalität und das Zeigen einer israelischen Staatsflagge wurde von der Mehrheit der Studenten nicht mehr als Absurdum wahrgenommen. Die unzähligen Diskussionsrunden und das stetige Engagement in Bezug auf Israel trugen alsbald Früchte. Eines der wichtigsten Ziele für Rudy war es, die zukünftigen Studenten dazu zu befähigen, eine auf Fakten und nicht auf Emotionen basierende Diskussionskultur zu entwickeln, um sich Antisemitismus und Antizionismus erfolgreich entgegenzustellen und ein Umdenken auf dem Campus zu bewirken.

Als ich meinen Bachelor in Religionswissenschaft und Geschichte an der Universität Leipzig bestritt, gründete sich eine Hochschulgruppe, die anlässlich des 70-jährigen Jubiläums des Staates Israel eine Veranstaltung mit mir plante. Diese musste vorher vom Studentenrat der Universität genehmigt werden, der u.a. die folgende Frage stellte: „Wie steht ihr denn zu Israel und Palästina?“ Die Rednerin der Gruppe meinte daraufhin: „Wir stehen auf der Seite der Fakten und sind pro-zionistisch.“

Diese einfache Entgegnung verursachte einige Aufregung, aber die Veranstaltung durfte trotzdem stattfinden. Als ich dann meinen Vortrag zur historischen Entwicklung Israels hielt, wurde mir anhand der Gesichtsausdrücke einiger Teilnehmer schnell klar, dass die einfache Darstellung von Fakten bereits ein Problem war.

Als ich ihm von meinen Erfahrungen in Deutschland berichtete, meinte er, dass es bereits bei dem Gespräch mit dem Studierendenrat einer Intervention bedurft hätte, da viele Menschen mit Zionismus, Kolonialismus, Apartheid uvm. verbinden würden und nicht mit der Rückkehr eines indigenen Volkes in sein Land und dessen Recht auf Selbstverteidigung. Deswegen, so Rudy, wäre es besser gewesen dem Studierendenrat zu entgegnen: „Bevor ich antworte, würde ich gerne wissen, was du unter Zionismus verstehst.“ Somit könne man im Nachhinein noch die Auffassung der jeweiligen Gesprächspartner korrigieren und ein eventuell produktiveres Gespräch beginnen. Die meisten Menschen würde beispielsweise niemals das Recht auf Rückkehr der indigenen Völker Amerikas in Frage stellen – bei Juden ist dies jedoch bittere Realität.

Aus diesem Grund organisierte Rudy unter anderem eine Konferenz, die sich mit indigenen Völkern beschäftigte und bei der die verschiedensten Angehörige verschiedener Ethnien zu Gast waren (amerikanische Ureinwohner, Tibeter, Kurden, Juden, Jesidi etc.). Diese Veranstaltung unterstrich die Tatsache, dass Zionismus keineswegs eine rassistische oder kolonialistische Ideologie ist, sondern lediglich die Forderung eines indigenen Volks nach der Rückkehr in das Land der Vorväter, ohne die Intention die in dem Land lebende Bevölkerung unterschiedlichster Couleur zu vertreiben.

Eine andere Aktion war das Befestigen eines Banners an einem Flugzeug, was einen Tag lang über den Campus flog. Auf dem Banner war zu lesen: „Juden sind das indigene Volk von Judäa #HebräischeBefreiung“. Rudy erzählte mir, dass der gesamte Campus an den darauffolgenden Tagen über dieses Ereignis sprach, einschliesslich der antizionistischen Professoren. Doch genau dieser Umschwung, bei dem auf einmal die Antizionisten Beweise dafür erbringen mussten, dass Juden nicht aus Judäa stammen, brachte eine neue Art von Debattenkultur mit sich.

Rudy verdeutlichte, dass der Wechsel von der Verteidigungshaltung hin zur Diskussionsführung eine wichtige Grundlage für jedes weitere Gespräch darstelle, da nun die Antizionisten aufzeigen müssen, dass ihre kruden Auffassungen und Verschwörungsmythen historische Fakten übertrumpfen können und nicht umgekehrt. Ebenfalls wäre es wichtig aufzuzeigen, dass die oftmals propalästinensischen Bewegungen das reale Leiden von Palästinensern für ihre antisemitische Propaganda ausnutzen und somit ihrem eigentlichen Kurs sogar schaden.

Fakten müssen heutzutage besser und fundierter präsentiert werden als Lügen und Verleumdungen, die jeglicher Grundlage entbehren. Dass dies gar nicht so einfach ist, zeigt die stetige Verbreitung von antisemitischen Verschwörungsmythen und antizionistischen pseudowissenschaftlichen Beiträgen an den Universitäten. Umso wichtiger ist es bei bestimmten Aktionen wie den Apartheitswochen, noch koordinierter und noch fundierter vorzugehen als das antizionistische Gegenüber. Das Gespräch zu kontrollieren, anstatt passiv in eine Ecke gedrängt zu werden ist hierbei eines der Schlüsselelemente. 

Anschliessend fragte ich Rudy Rochman nach seinem Geheimtipp, da ich bei ihm eine nahezu unerschütterliche Gelassenheit in Bezug auf antisemitische Äusserungen von Seiten seiner Gesprächspartner beobachten konnte, die sogar teilweise soweit gingen, die Shoah öffentlich zu leugnen. Mit einem Lächeln versicherte er mir, dass diese Gelassenheit zum einen Teil seines Charakters wäre und somit ein G’tt-gegebenes Talent. Zum anderen bereitet er sich mental vor jedem Gespräch darauf vor, dass das Gegenüber eventuell zum ersten und vielleicht auch zum letzten Mal mit einem Juden und einem Zionisten sprechen wird. Aus diesem Grund ist es wichtig sein Anliegen so gut wie möglich, stellvertretend für alle anderen, zu präsentieren: „Bei dem Job geht es nicht nur um dich, sondern um uns alle. Wenn es also um uns alle geht, tu einfach dein Bestmögliches, um uns so gut wie möglich zu vertreten.“ Yalla, let’s do this.

Bei Fragen wie: „Wo kommen deine Eltern eigentlich her?“ sei es wichtig zu betonen, dass ein jeder Jude nicht etwa aus der Schweiz, Deutschland, Polen, Marokko etc. stammt, sondern aus Judäa. Im Jahr 70 n. Chr. wurden die Juden von den Römern aus ihrem Heimatland vertrieben. Dies ändert jedoch nichts an dem Fakt, dass ihre Wurzeln in Judäa liegen, welches das angestammte jüdische Heimatland ist. Derartige Fragen zielen darauf ab die jüdische Identität und die historische Verbindung zu Israel zu untergraben und deswegen ist es wichtig, die Fakten zu kennen, um die teilweise geschickt verwobenen Argumentationsmuster zu umschiffen.

Ich wollte von Rudy wissen, was er über die Aussagen in einem Schreiben von Seiten einiger deutscher und israelischer Akademiker denkt, die der deutschen Bundeskanzlerin, Angela Merkel und der Regierung an sich vorwerfen, die Meinungsfreiheit einzuschränken. Der Brief prangert ebenfalls an, dass antizionistische Aussagen allzu einfach als Antisemitismus abgestempelt werden würden. Rudy versicherte mir, dass den Akademikern teilweise nicht wirklich klar wäre, wofür z. B. BDS in Wirklichkeit stünde und mit wem die Organisation verknüpft sei. Er fügte an, dass derartige Reaktionen oftmals bei Minderheiten, die unterdrückt wurden, in Erscheinung treten. Rudy beschreibt dieses Verhalten als eine Art Stockholmsyndrom, bei dem das Opfer mit dem Täter sympathisiert und Gründe dafür sucht, warum diejenige Person oder Entität so handelt, wie sie es tut.

Was wünscht sich Rudy für die Zukunft von Europa? Da teilen wir dieselbe Sehnsucht in Bezug auf die Bildung. Die Schrecken der Shoah und des Zweiten Weltkriegs werden vor allem im ehemaligen Täterland, Deutschland, in der Oberstufe für zwei Jahre gelehrt. Das Judentum wird zwar zu Recht als Opfer des Nationalsozialismus im Unterricht thematisiert, aber nicht selten bekommt man Folgendes im Alltag zu hören: „Die Juden mussten leiden und nun haben sie einem anderen Volk das Land gestohlen und begehen einen Genozid. Die Juden sind die neuen Nazis und haben aus der Geschichte nichts gelernt.“

Um diesen falschen Anschuldigungen von vornherein jeglichem Nährboden zu entziehen, ist es wichtig im Geschichtsunterricht zu betonen, dass das Judentum nicht nur eine Religion ist, sondern auch ein Volk, welches seine historischen Wurzeln in Israel hat. Jedes Urvolk, z. B. die amerikanischen Ureinwohner, haben gleichzeitig ein bestimmtes Glaubenssystem, genau wie die Juden. Dieser Fakt scheint jedoch stets ein Abstraktum zu sein, wenn man im Geschichtsunterricht über das Judentum spricht. Dies bildet ipso facto den perfekten Nährboden für Antizionismus.

Das Gespräch mit Rudy Rochman hat mich nachdenklich gestimmt. Geben zionistische Studentenorganisationen zu schnell klein bei? Sind sie zu wenig präsent, nicht engagiert genug oder gar zu leise, um einen wirklichen Wandel hervorzurufen? Der Antizionismus nimmt in Europa jährlich zu und die Gesellschaft darf nicht weiter die Hände in den Schoss legen und hoffen, dass ein paar wenige Veranstaltungen zu diesem Thema eine wirkliche Veränderung bewirken können. Rudy hat recht, wenn er sagt, dass „Niemals wieder“ nicht nur eine Floskel sein sollte, sondern Taten nach sich ziehen muss.