Während 92 Jahren ist es der globalen Muslimbruderschaft gelungen, Franchiseunternehmen in der ganzen Welt aufzubauen. Trotz eines Machtzuwachses in mehreren Ländern nach den Revolutionen des Arabischen Frühlings erlebt die Gruppe derzeit kontinuierliche Rückschläge im Nahen Osten, wo sie einst florierte.
von Hany Ghoraba
Der jordanische Kassationsgerichtshof fällte letzte Woche ein endgültiges Urteil und löste die lokale Sektion der Muslimbruderschaft auf und verbot deren Aktivitäten. Das Gericht löste die Gruppe auf, weil sie es versäumt hatte, sich an ein Gesetz aus dem Jahr 2014 anzupassen, das die politische Tätigkeit religiöser Gruppen einschränkt. „Wir beantragten eine Sonderstatusregelung für die Gruppe, die von der Regierung genehmigt werden sollte, aber die Entscheidungsträger lehnten den Antrag ab“, sagte der jordanische Sprecher des Muslimbruderschaft, Moaz al-Khalidi.
„Die Muslimbruderschaft ist ein Modell der Mässigung und ein wichtiges Element zur Stärkung der nationalen Einheit. Ihre Auflösung liegt daher nicht im nationalen Interesse“, sagte Scheich Hamza Mansur, der den Führungsrat der jordanischen Muslimbruderschaft leitet.
Die Gerichtsentscheidung hat die Gruppe zwar nicht als terroristische Vereinigung eingestuft, aber sie könnte den Weg für eine solche Massnahme in der Zukunft ebnen.
Die jordanische Muslimbruderschaft ist die älteste und populärste islamistische Gruppe des Landes. Sie wurde 1945 als Franchise für die Dachorganisation in Ägypten gegründet, wurde zur treibenden Kraft für die Islamisten im Land und stand hinter der Gründung der wichtigsten islamistischen Partei des Landes, der Islamischen Aktionsfront (IAF). Trotz des Verbots Jordaniens gegenüber der palästinensischen Terrorgruppe Hamas im Jahr 1999, unterhielt die Islamische Aktionsfront über den jordanischen stellvertretenden Muslimbruderschaft-Führer Zaki Bani Arshid, enge Verbindungen zu der terroristischen Palästinensergruppe. Arshid koordinierte die politischen Beziehungen mit der Hamas.
Ägypten bezeichnete seine Muslimbruderschaft nach einer Reihe von Terroranschlägen innerhalb des Landes als terroristische Vereinigung. Die Anschläge folgten auf die Revolution vom Juni 2013, die den islamistischen ägyptischen Präsidenten Mohamed Morsi an die Macht brachte.
Saudi-Arabien folgte ein paar Monate später mit einer eigenen Bestimmung. Saudi-Arabien hat mehrere Gründe – einschliesslich der regionalen politischen Dynamik -, sich nach Jahren der Unterstützung gegen die Muslimbruderschaft zu stellen. „Wir haben uns geirrt, als wir die Türen unserer Schulen und Universitäten für Ausländer öffneten, die zuliessen, dass solche Ideen unsere Jugend erreichen“, sagte Mohamed Zulfa, ein Mitglied des Saudi-Schura-Rates [beratende Versammlung]. „Leider haben wir das zu spät erkannt.“
Das saudische Verbot von 2014 schockierte die Mitglieder der Muslimbruderschaft in Ägypten, die sich seit den 1960er Jahren auf die Unterstützung des saudischen Königreichs verlassen hatten, um dem ägyptischen Verbot während der Herrschaft von Präsident Gamal Nasser zuvorzukommen. Als Reaktion darauf gingen die Medien der Muslimbruderschaft so weit, dass sie das königlich-saudische Haus Al Saud und insbesondere Kronprinz Mohamed Bin Salman als „Zionisten“ bezeichneten, weil nach Ansicht der Bruderschaft ein Widerstand gegen die Bruderschaft Israel Vorteile bringt. Auf das saudische Verbot folgte die Verhaftung und Inhaftierung einer Reihe von islamistischen Gelehrten, die als Unterstützer der Bruderschaft angesehen wurden. Darüber hinaus hat Saudi-Arabien nach dem Verbot eine Reihe von Reformen in Kraft gesetzt, gegen die sich die Muslimbruderschaft wehrt, darunter das Recht für Frauen, Auto zu fahren, ohne Hidschab in die Öffentlichkeit zu gehen, und Anfang des Jahres das Verbot der Auspeitschung als Mittel der gerichtlichen Bestrafung.
Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) erliessen 2014 ein umfassendes Verbot der Muslimbruderschaft als Teil eines breiter angelegten Kampfes gegen Mitglieder, die angeblich einen Sturz der Regierung anstrebten. Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) erliessen 2014 ein umfassendes Verbot der Muslimbruderschaft als Teil eines breiter angelegten emiratischen Kampfes gegen Mitglieder der Muslimbruderschaft, die angeblich einen Sturz der Regierung anstrebten. Die emiratische Regierung bezeichnete auch Dutzende von Gruppierungen der Muslimbruderschaft mit Sitz im Westen, darunter der Council on American-Islamic Relations (CAIR), die Muslim American Society, Islamic Relief, die Muslim Association of Britain und die Cordoba Foundation in Grossbritannien, als terroristisch. Andere überwiegend muslimische Länder, die die Muslimbruderschaft als terroristisch einstuften, erstrecken sich von Bahrain, Syrien und dem libyschen Parlament in Tobruk bis nach Tadschikistan, Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan.
Sogar in Tunesien, wo die der Muslimbruderschaft nahestehende Ennahda-Partei seit 2011 eine Kraft ist, mit der man rechnen muss, gibt es jetzt Bestrebungen, die Muslimbruderschaft auf die schwarze Liste zu setzen. Ein Antrag des ehemaligen tunesischen Präsidentschaftskandidaten Abir Moussi, die Gruppe der Muslimbruderschaft zu verbieten, wurde Anfang dieses Monats vom Parlamentsbüro abgelehnt.
Ironischerweise haben die USA, die im September 2001 den schrecklichsten Terroranschlag auf ihrem Boden erlitten haben, die Kerngruppe hinter der Ideologie der al-Qaida-Terroristen vom 11. September 2001 nicht verboten. Die Führer der al-Qaida wurden stark von der Ideologie des Gründers der Muslimbruderschaft, Hassan al-Banna, und des Chefideologen der Gruppe, Sayyid Qutb, beeinflusst. Der Prozess gegen die Holy Land Foundation im Jahr 2008 legte die Vorgehensweise der Muslimbruderschaft auf amerikanischem Boden offen.
Die Holy Land Foundation war die grösste amerikanische muslimische Wohltätigkeitsorganisation. Während sie sich um Hilfe für Witwen, Waisen und andere bedürftige Menschen bemühte, bewiesen Staatsanwälte, dass sie eine verdeckte Tätigkeit ausübte: „Die Holy Land Foundation wurde der wichtigste Fundraising-Arm für das Palästina-Komitee in den USA, das von der Muslimbruderschaft gegründet wurde, um die Hamas zu unterstützen.“
Die Muslimbruderschaft schuf das Palästina-Komitee speziell zur politischen und finanziellen Unterstützung der Hamas. „Mit der Ausweitung der Intifada und dem Voranschreiten der islamischen Aktion innerhalb und außerhalb Palästinas“, so heisst es in einem internen Memo des Palästinakomitees, „hat die Islamische Widerstandsbewegung (Hamas) durch ihre Aktivitäten im Widerstand gegen die zionistische Besatzung viele Opfer von Märtyrern, Gefangenen, Verwundeten, Verletzten, Flüchtlingen und Deportierten auf sich genommen und sie konnte beweisen, dass sie eine einzigartige und effektive Bewegung zur Führung des palästinensischen Volkes ist. Diese Bewegung – die im Schoss der Mutterbewegung ‚Muslimbruderschaft‘ entstanden ist – gab der muslimischen Nation Hoffnung und Leben zurück und stellte die Vorstellung wieder her, dass die Fackel des Dschihad nicht erloschen ist und dass das Banner des Islamischen Dschihad immer noch gehisst wird.
Die Holy Land Foundation und fünf ehemalige Funktionsträger wurden 2008 verurteilt, weil sie illegal mehr als 12 Millionen Dollar an die Hamas abgeführt hatten. Dennoch ist es den aufeinander folgenden US-Regierungen nicht gelungen, die Muslimbruderschaft zu verbieten, trotz ihrer Rolle bei der Lenkung der Unterstützung der Hamas durch das Palästinakomitee.
Jahrzehntelang sahen viele Machthaber in Ländern mit muslimischer Mehrheit die Muslimbruderschaft als eine Quelle politischer und religiöser Unterstützung an. Doch diese Unterstützung wurde manchmal zu einer Bedrohung, da die Gruppe die Bildungssysteme infiltrierte und andere Gefahren darstellte, wie die politischen Errungenschaften des Islamismus in Ländern wie Ägypten und Tunesien zeigen. Die politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Kosten für die Unterstützung der Muslimbruderschaft waren zu hoch, um sie zu tragen. Jordanien scheint das neueste Land zu sein, welches zu dieser Schlussfolgerung gelangt ist.
Hany Ghoraba ist ein ägyptischer Schriftsteller, Analyst für Politik und Terrorismusbekämpfung bei Al Ahram Weekly und ein regelmässiger Mitarbeiter der BBC. Auf Englisch zuerst erschienen bei The Investigative Project on Terrorism. Übersetzung Audiatur-Online.