Erdoğan’s „Heilige Weisheit“ oder warum er die Hagia Sophia in eine Moschee konvertiert

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Hagia Sophia in Istanbul, Türkei. Foto A.Savin (Wikimedia Commons · WikiPhotoSpace), FAL, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=91983904
Hagia Sophia in Istanbul, Türkei. Foto A.Savin (Wikimedia Commons · WikiPhotoSpace), FAL, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=91983904
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Am 10. Juli erklärte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, dass die berühmte Hagia Sophia in Istanbul, die jahrhundertelang eine christliche Kathedrale, dann eine Moschee war und heute ein Museum ist, wieder in eine Moschee umgewandelt werden soll. Dieser Schritt war nicht von religiösem Eifer motiviert. Es war ein kalkulierter politischer Akt, der im Einklang mit der erweiterten geopolitischen Agenda Erdoğans steht.

Die Hagia-Sophia-Kathedrale in Istanbul (der Name bedeutet übersetzt „Heilige Weisheit“) wurde 537 n. Chr. vom byzantinischen Kaiser Justinian I. erbaut. Sie ist ein architektonisches Wunderwerk mit drei Kuppeln, die von nicht sichtbaren Pfeilern getragen werden.

Die Hagia Sophia war für die griechisch-orthodoxe Kirche in byzantinischer Zeit von enormer Bedeutung und ist es auch heute noch. 1452 eroberte Mehmet II. Konstantinopel und verwandelte die Kirche in einem symbolischen Akt in eine Moschee. Im Jahr 1934 wandelte die Regierung der türkischen Republik, die im vorangegangenen Jahrzehnt von Mustafa Kemal Atatürk gegründet worden war, die Moschee im Einklang mit ihrer säkularistischen Politik in ein Museum um. Die Hagia Sophia diente als solches bis Juli 2020, als Präsident Recep Tayyip Erdoğan erklärte, dass sie wieder in eine Moschee umgewandelt werden würde.

Der Konflikt um die Hagia Sophia ist keineswegs neu. Religiös-konservative Kreise in der Türkei lehnten die Umwandlung des Ortes in ein Museum unmittelbar nach der Eröffnung des Museums 1935 ab. Es dauerte jedoch einige Zeit, bis sich der Widerstand gegen den säkularen Status der Kathedrale verdichtete. Das geschah schliesslich 1965, als die Gerechtigkeitspartei (Adalet Partisi) ins Amt gewählt wurde.

Der Vorstoss, die Hagia Sophia wieder in eine Moschee umzuwandeln, erlangte dank der religiösen Neigung des Vorsitzenden der Gerechtigkeitspartei, Süleyman Demirel, im rechten/konservativen Journalismus der damaligen Zeit breite Publizität. Die Zunahme des Interesses spiegelte auch eine Verschiebung in der türkischen Aussenpolitik und eine Verschärfung der Beziehungen zu arabischen Staaten in den 1960er Jahren wider.

Diese Zeit löste aufgrund des türkisch-griechischen Konflikts, der in diesem Jahrzehnt aufkam, eine breitere Diskussion über den Status der Hagia Sophia aus. Die Forderung, die Kathedrale wieder in den Status einer Moschee zu erheben, erhielt symbolisches Gewicht als ein Akt des Trotzes gegenüber dem „hellenischen Feind“, der Zypern übernommen hatte. Noch heute werden die angespannten Beziehungen zwischen der Türkei und Griechenland von vielen Türken und Griechen als irgendwie mit dem Hagia-Sophia-Konflikt verbunden empfunden.

So wie die Hagia-Sophia-Moschee ein religiöses Symbol für türkische Muslime ist, so ist die Hagia-Sophia-Kathedrale ein zutiefst bedeutungsvolles Symbol für griechisch-orthodoxe Christen. Nach der christlichen Legende wird der Erzengel Gabriel, wenn feindliche Truppen die Tore von Konstantinopel durchbrechen und alles verloren scheint, mit einem Feuerschwert herabsteigen, um die Stadt zu retten. Eine andere christliche Legende beschreibt einen Priester, der die Hagia Sophia durch einen Säulengang betrat, in der Hand das geheiligte Abendmalbrot, und danach verschwand, um nie wieder gesehen zu werden.

Am 11. Juli veröffentlichte Erdoğan ein Video auf Twitter, in dem er argumentierte, dass die Auferstehung der Hagia Sophia als Moschee für die gesamte muslimische Welt, von „Buchara bis Andalusien“, von Wert sei und der „Befreiung“ der al-Aqsa-Moschee in Jerusalem entspreche. Mevlüt Çavuşoğlu, der türkische Aussenminister, behauptet, Griechenland habe nichts zu klagen, da es der einzige Staat in Europa ist, dessen Hauptstadt, in der eine Viertelmillion Muslime leben, keine offizielle Moschee besitzt.

Das religiöse Element steht in direktem Zusammenhang mit dem innerstaatlichen kulturellen Diskurs in der Türkei. Für die Türken, die Erdoğan nicht unterstützen, stellt die Umwandlung des Hagia-Sophia-Museums in eine Moschee eine eklatante Abfuhr Atatürks und seines säkularen Erbes dar. Wie der türkische Journalist Cemal Göktaş meldete, wird nach Erdogans Ankündigung das erste Freitagsgebet in der Hagia Sophia am 24. Juli 2020 stattfinden und mit der Lesung der Fatiha-Sure beginnen – diese wird jeweils am Ende der muslimischen Beerdigungszeremonie rezitiert – soviel zum Säkularismus in der Türkei.

Die überraschende Ankündigung Erdoğans soll als nationaler Impuls in einer Zeit dienen, in der sich die Türkei in einer äußerst prekären politischen und finanziellen Lage befindet. Die türkische Wirtschaft hat sich ernsthaft verschlechtert, was zum Teil auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist. Die Türkei ist in den syrischen Sumpf gewatet, sie hat mit dem Kurdenproblem zu kämpfen, sie erlebt riskante Abenteuer in Libyen, und sie schürt Unruhe im östlichen Mittelmeerraum. Die Hagia Sophia wieder in eine Moschee umzuwandeln, ist nach Ansicht Erdoğans ein türkischer Sieg und eine Quelle des Nationalstolzes in einer Zeit großer Unruhen.

Ein wichtiges Element, das es in dieser Frage zu berücksichtigen gilt, ist die Souveränität. Die Türkei braucht keine weitere Moschee. Sie hat bereits eine Vielzahl von Moscheen. Erst vor einem Jahr wurde von Erdoğan die Moschee Çamlıca auf der asiatischen Seite Istanbuls eingeweiht – ein riesiger Komplex, der mehr als 60.000 Gläubige pro Tag aufnehmen kann. Ausserdem hätte die Hagia Sophia per Dekret für islamische Gläubige geöffnet werden können. Tatsächlich haben in dem Museum bereits offizielle muslimische Gebete stattgefunden.

Nicht alle religiösen Bewegungen in der Türkei unterstützen die Umwandlung des Museums in eine Moschee, was beweist, dass die Hagia Sophia mehr als eine religiöse Angelegenheit ist. Einige Gruppen behaupten, dass „das Recht auf Besitz durch das Schwert“ zwar die Legitimität verleiht, die Hagia Sophia in eine Moschee zu verwandeln, es aber auch nicht-muslimischen Staaten erlaubt, ihre Besetzung muslimischer Heiligtümer zu legitimieren. Israel zum Beispiel könnte mit dieser Argumentation die al-Aqsa-Moschee in eine Synagoge umwandeln. Andere religiöse Elemente behaupten, dass die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee das Christentum unnötigerweise herausfordert.

Die Hagia Sophia hat ein grosses symbolisches Gewicht. Für das türkische Regime macht die Rückforderung der Kathedrale als Moschee die Rechte der Nation an Gebäuden auf ihrem Territorium geltend. In der Auseinandersetzung geht es nicht nur um islamische versus christliche Hegemonie (symbolisch oder anderweitig). Es geht auch um die islamische Welt. Für Erdoğan und Çvuşoğşu ist die Hagia Sophia ein Beweis für die türkisch-muslimische Hegemonie über die muslimische Welt. Ihre Umwandlung in eine Moschee deklariert diese Position nachdrücklich. Ob der Zeitpunkt dieses Schrittes mit dem Jahrestag des gescheiterten Putsches vom Juli 2016 zufällig gewählt ist?

Dr. Efrat Aviv ist Dozentin am Lehrstuhl für Nahost-Studien an der Bar-Ilan-Universität und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Begin-Sadat-Zentrum für strategische Studien BESA. Sie ist die Autorin von „Antisemitism and Anti-Zionism in Turkey: From Ottoman Rule to AKP“ (Routledge 2017).