Eine amerikanische „Intifada“?

Auch wenn alle die Empörung über den Tod von George Floyd teilen, kann nichts Gutes dabei herauskommen, wenn der palästinensische „Widerstand“ romantisiert und nachgeahmt wird.

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Ausschreitungen in Minneapolis am 28. Mai 2020. Foto Lorie Shaull, St Paul, United States - A man stands on a burned out car on Thursday morning as fires burn behind him in the Lake St area of Minneapolis, Minnesota, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=90742413
Ausschreitungen in Minneapolis am 28. Mai 2020. Foto Lorie Shaull, St Paul, United States - A man stands on a burned out car on Thursday morning as fires burn behind him in the Lake St area of Minneapolis, Minnesota, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=90742413
Lesezeit: 6 Minuten

Wenn ich sehe, wie eine Reihe bekannter und unbekannter Akteure versucht, die USA aus den Fugen zu heben, muss ich an die Intifada denken, den „Aufstand“ der Palästinenser gegen Israel bzw. ihr Versuch, es „abzuschütteln“. Die „Proteste“ (Ausschreitungen?) in Amerika haben einige eigenartig palästinensische Merkmale angenommen. Auch wenn die meisten Amerikaner vor den Bildern, die sie gesehen haben, entsetzt zurückweichen, gibt es andere, die versuchen, Kapital aus der Situation zu schlagen und Anhänger für sich zu gewinnen.

von A.J. Caschetta

Anführer der Letzteren ist Hatem Bazian, Dozent in den Fachbereichen Nahostwissenschaften und Ethnologie an der University of California in Berkeley. Er ist ausserdem Gründer des Islamophobia Research and Documentation Project am Center for Race and Gender der University of Berkeley sowie Mitbegründer der Students for Justice in Palestine. Bei einer antiamerikanischen Kundgebung in San Francisco im Jahr 2014 rief er zu einem Aufstand auf, der die „politische Dynamik fundamental verändern“ sollte und fragte: „Wie kann es sein, dass es in diesem Land keine Intifada gibt?“

Die erste Intifada wurde 1987, im Gründungsjahr der Hamas, gestartet. Unter dem Deckmantel von Protesten und Streiks benutzten Palästinenserführer Kinder, um israelische Soldaten mit Steinen zu bewerfen. Diese Unruhen endeten 1993 mit dem Osloer Abkommen, aber im Jahr 2000 wurde eine zweite Intifada gestartet – dieses Mal war die Waffe der Wahl der Selbstmordattentäter. Die Zweite Intifada endete 2005. Eine dritte, die sogenannte „Messer-Intifada“, begann 2015.

Bei den aktuellen Demonstrationen in den Vereinigten Staaten sind symbolische, taktische und rhetorische Elemente der oben genannten Aufstände unübersehbar. Die Demonstranten trugen nicht nur umgekehrte US-Flaggen mit sich, sondern auch panarabische Flaggen, Fahnen der Black Liberation Army und auch palästinensische Flaggen waren zu sehen.

Ausserdem gab es Vorfälle von Vandalismus in Synagogen. Eyal Dahan, ein in Los Angeles lebender Israeli, berichtete, er habe Randalierer mit einer „PLO-Flagge [gesehen] … die ‚befreit Palästina‘ riefen“ und sagte, er glaube nicht, dass schwarze Demonstranten hinter den Beschädigungen steckten.

Der ehemalige PLO-Chef Yassir Arafat hatte an seine Zuhörerschaft im Westen appelliert, indem er sich schwerpunktmässig auf den durch den jüdischen Staat „verursachten“ Opferstatus der Palästinenser berief. Was er allerdings nicht erwähnte, war, dass die PLO und die Black Panther in den 1960er Jahren ein Bündnis eingegangen waren. Das ehemalige Mitglied der Black Panther und der Black Liberation Army Dhoruba bin Wahad machte dieses Bündnis in einem Interview im Jahr 2014 zum Thema.

Jahre später wurde eine neue Idee namens „Intersektionalität“ verwendet, um die beiden Bewegungen miteinander zu verbinden. Die Intersektionalität mit ihrer quasi marxistischen Ideologie und der Zweiteilung von „unterdrücktem Volk“ und dessen „Unterdrückern“ versucht, alle leidenden und unterdrückten Menschen, und somit auch all ihre Unterdrücker, miteinander zu verbinden. Wie Jonathan Tobin erklärt, macht diese Idee „alle Juden in Israel … zum moralischen Äquivalent zu den weissen europäischen Siedlern in Afrika“ und stellt „Schwarze, die sich gegen den systemischen Rassismus in Amerika auflehnen, [mit] Palästinensern [gleich], die sich dem Zionismus widersetzen.”

Diese Parallele wurde erstmals 2014 formuliert, als die Stadt Ferguson in Missouri zum „Ground Zero“ für Anti-Polizei-Demonstrationen wurde. Die Unruhen entbrannten, nachdem Darren Wilson, Polizeibeamter der Stadt Ferguson, den Afroamerikaner Michael Brown durch einen Schuss tödlich verletzt hatte. Nach Browns Tod veröffentlichte die offizielle Internetseite der Bewegung „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen (BDS)“ eine Stellungnahme, in der sie ihre „tiefempfundene Solidarität mit der afroamerikanischen Gemeinschaft in Ferguson, Missouri“ ausdrückte.

Im folgenden Jahr – als in Baltimore, Maryland, nach dem Tod von Freddie Gray in Polizeihaft die Gewalt ausbrach – versuchten anti-israelische Aktivisten, das israelische Militär mit der Polizeibehörde von Baltimore in Verbindung zu bringen. Der amerikanisch-jüdische Journalist und Hamas-Sympathisant Max Blumenthal warf der Polizei vor, sie nehme den „brutalen Kampfstil“ der Israelis an und verwende ein „Schallgerät [der IDF], um Menschenmengen zu zerstreuen“.

Zusätzlich, so fügte er später hinzu, „verwendet die Polizei in Baltimore das Long Range Acoustic Device (LRAD): dieses akustische Gerät wurde an Palästinensern getestet“.

Der bekannte Aktivist Noura Erakat, Professor für Afrikawissenschaften an der Rutgers Universität mit Schwerpunkt internationales Recht und Mitglied des Redaktionsausschusses des Journal for Palestine Studies, twitterte am 27. April 2015 „Es sind keine Unruhen, es ist eine #Intifada. #Baltimore #FreddieGray #BlackLivesMatter.“

Als George Floyd am 25. Mai 2020, mehr als fünf Jahre später, getötet wurde, war es unvermeidbar, dass sein Tod von der BDS-Bewegung ausgeschlachtet würde. Am nächsten Tag twitterten BDS und die „Arbeitsgruppe“ Palestine Solidarity der Demokratischen Sozialisten Amerikas: „Die Polizeigewalt des heutigen Abends in Minneapolis stammt direkt aus dem Drehbuch der IDF … US-Cops trainieren in Israel.“

Am Donnerstag, dem 28. Mai, twitterte die U.S. Campaign for Palestinian Rights: „Das israelische Militär bildet US-Polizei in rassistischen und repressiven Kontrolltaktiken aus, die systematisch gegen schwarze und dunkelhäutige Menschen gerichtet sind.“

Später am gleichen Tag benutzte Professor Erakat den Lieblings-Euphemismus Arafats, indem er die Randalierer in Minneapolis als „Freiheitskämpfer in Minnesota“ bezeichnete.

Am Freitag, dem 30. Mai, präsentierte der wichtigste Twitter-Account der BDS-Bewegung einen Sprechchor: „We can’t breathe until we’re free! Palestinians stand in solidarity.“ – Wir können nicht atmen, bevor wir frei sind! Palästinenser stehen solidarisch an eurer Seite!“

Auch die palästinensische Autonomiebehörde (PA) witterte die Gelegenheit, eine israelische Verbindung zum Tod Floyds zu propagieren. Die Tageszeitung der PA, Al-Hayat Al-Jadida, veröffentlichte am 1. Juni eine Karikatur, auf der zu sehen ist, wie ein IDF-Soldat auf dem Hals eines Kufiya tragenden Mannes kniet. Neben ihm ist ein blaugekleideter Polizeibeamter mit der amerikanischen Flagge auf der Schulter zu sehen, der auf dem Hals eines schwarzen Mannes kniet. Der Soldat und der Polizeibeamte haben die Arme umeinander gelegt, über ihnen die Überschrift in englischer Sprache: „Black Lives Matter“.

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Foto Screenshot Twitter / zVg

Pflichtbewusst haben palästinensische Demonstranten George Floyd als Symbol für ihren Protest aufgegriffen und vergleichen seinen Tod mit dem von Iyad Halak, einem an einer Erkrankung aus dem Autismus-Spektrum leidenden Palästinenser, der am 30. Mai von einem israelischen Polizeibeamten in Ostjerusalem getötet wurde, weil dieser ihn für einen mutmasslichen Terroristen gehalten hatte. Diese Demonstranten schwenkten Plakate mit der Aufschrift: „Gerechtigkeit für Iyad, Gerechtigkeit für George“.

Darüber hinaus wurde ein Bild, auf dem Floyds Konterfei auf einer palästinensischen Fahne prangt, auf die israelische Trennmauer gemalt. Der Al-Monitor Journalist Daoud Kuttab zitiert mehrere einflussreiche palästinensische Amerikaner, die Parallelen ziehen zwischen der „Ermordung eines Behinderten“ und der amerikanischen „Polizeigewalt gegen Schwarze“.

Wie weit werden diese Parallelen noch gehen? Das Samidoun Palestinian Prisoner Solidarity Network, das die US-Polizei als „Besatzungsmacht“ bezeichnet, rief am 28. Mai zu „eskalierenden und aussagekräftigen Massnahmen“ auf.

Wenige Tage später ging Urooj Rahman, eine Rechtsanwältin und palästinensische Aktivistin aus Brooklyn, mit Molotowcocktails auf die Strasse – ihr Gesicht war teilweise mit einer Kufiya bedeckt – um die NYPD zu attackieren.

Es kann nichts Gutes dabei herauskommen, wenn der palästinensische „Widerstand“ romantisiert und nachgeahmt wird. Möglicherweise ist Hatem Bazian erfreut über den Aufstand, den er einst forderte – in der Hoffnung, dass er Israel schaden wird, indem die ohnehin bereits grosse Unterstützung der Palästinenser durch die amerikanische Linke verstärkt und die Unterstützung Israels durch die ansonsten pro-israelischen Liberalen Amerikas verringert wird.

An einem Zeitpunkt, an dem praktisch jeder über den Tod von George Floyd empört ist, riskiert die „Black Lives Matter“-Bewegung dadurch, dass sie sich an die Intifada angleicht, wohlgesonnene Konservative zu verprellen. Letzten Endes verliert das gesamte Land.

A.J. Caschetta ist Hauptdozent am Rochester Institute of Technology und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Campus Watch, einem Projekt des Middle East Forum, an dem er Shillman-Ginsburg-Fellow ist. Auf Englisch zuerst erschienen bei Jewish News Syndicate. Übersetzung Audiatur-Online.