Das Coronavirus in der arabischen Welt

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Symbolbild. Foto Abed Rahim Khatib/Flash90
Symbolbild. Foto Abed Rahim Khatib/Flash90
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Falschinformation ist in den vielen arabischen Regimes ein Grundpfeiler des Regierens. Jeder, der das aktuelle Geschehen in der arabischen Welt zu verfolgen sucht, könnte zu der irrigen Annahme gelangen, die Königshäuser und politischen Führer würden nie krank. Krankheit bei führenden offiziellen Vertretern wird als Staatsgeheimnis betrachtet, möglicherweise, um zu vermeiden, dass ein Eindruck der Schwäche entsteht, der zu Putschversuchen verleiten könnte.

Von Dr. Edy Cohen

Abgesehen von diesen Bedenken steht ein starkes und geachtetes persönliches Image bei den arabischen Führern hoch im Kurs und sie sind sehr bemüht, dieses auch zu wahren. Die meisten von ihnen färben sich beispielsweise die Haare, um das mit dem Altern einhergehende Erscheinungsbild zu übertünchen. In der arabischen Welt symbolisiert das Alter Schwäche, während es in der Kultur des Westens häufig mit Weisheit und einem reichen Schatz an Lebenserfahrung assoziiert wird. (Mahmoud Abbas, der Vorsitzende der Palästinensischen Autonomiebehörde, ist einer der wenigen arabischen Führungspersönlichkeiten, der sich zu seiner natürlichen Haarfarbe bekennt.)

Erkrankt ein arabisches Staatsoberhaupt, so wird dies für gewöhnlich vor der Öffentlichkeit verheimlicht. Im Durchschnitt bleiben arabische Staatsoberhäupter rund dreissig Jahre an der Macht. Nahezu ausnahmslos begeben sie sich im Krankheitsfall in Krankenhäuser und medizinische Behandlung ausserhalb ihrer Landesgrenzen. Sie tun dies aus zweierlei Gründen: erstens, weil sie kein Vertrauen in die inländischen Gesundheitssysteme setzen und zweitens, weil sie das negative Image in der Öffentlichkeit fürchten, das mit der Nachricht über die Erkrankung des Staatsoberhaupts einhergehen könnte.

Viele arabische Führer haben sich in der Vergangenheit zur medizinischen Behandlung ins Ausland begeben. Der ehemalige ägyptische Präsident Husni Mubarak etwa liess sich in Deutschland medizinisch betreuen, während die haschemitische Königsfamilie Jordaniens ihre medizinische Grundversorgung in Grossbritannien erhält. Der jordanische König Hussein wurde in New York behandelt und es ist bekannt, dass die königlichen Familien Saudi-Arabiens und Kuwaits zur medizinischen Behandlung in die USA reisen. Diese Liste liesse sich beliebig verlängern.

Ein interessanter Fall, der das Misstrauen der arabischen Führer in das medizinische Fachpersonal der Araber – gleichgültig, in welchem arabischen Land – illustriert, ist der des algerischen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika. Als sich Bouteflika im September 2018  zur akuten Notfallversorgung in einem Schweizer Krankenhaus befand, zeigte sich die Belegschaft des Hospitals erstaunt über das Einschreiten des Bruders Bouteflikas, als dieser einen Arzt und eine Krankenschwester tunesischer bzw. marokkanischer Herkunft davon abhalten wollte, das algerische Staatsoberhaupt zu behandeln.

Die überwiegende Mehrheit der Medienkanäle in arabischen Ländern ist staatlich kontrolliert und dient dem Schutz und Erhalt des Regimes. Häufig gibt es einen offiziellen Regierungsvertreter, dessen Aufgabe es ist, in direktem Kontakt mit Fernsehsendern zu stehen und alle zur Veröffentlichung stehenden und mit Argwohn betrachteten Inhalte zu autorisieren. Die Geheimdienste in arabischen Ländern wurden grösstenteils eingerichtet, um die Regimes vor Gefahren aus dem Inland zu schützen.

In der arabischen Welt kritisieren die Medien die Regierung nicht – im Gegenteil; vielmehr sind sie die Sprachrohre der Regimes. Wer auch immer sich traut, etwas gegen die herrschende Regierung zu sagen, landet höchstwahrscheinlich im Gefängnis oder wird des Landes verwiesen. Staatsbürger, die ihre Meinung frei äussern wollen, müssen sich auch auf Social Media-Plattformen mit grosser Vorsicht bewegen. Sie müssen mit harten Strafen und selbst mit dem Tod rechnen, wenn sie sich kritisch über die Regierung äussern.

In der derzeitigen Lage bleibt den arabischen Staatsoberhäuptern keine andere Wahl als zu Hause zu bleiben, selbst wenn sie ärztlicher Versorgung bedürfen. Die Länder im Westen haben ihre Pforten geschlossen, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen und die dortigen Krankenhäuser haben ihre Kapazitätsgrenzen erreicht. Selbst wenn es einem arabischen Führer in der aktuellen Situation gelingen sollte, sein Land zu verlassen, würden die – von der Regierung zensierten – Medien vermutlich die Falschmeldung ausgeben, er befände sich nach wie vor im Land.

Derzeit zirkulieren Gerüchte in den arabischen Social Media, denen zufolge die Oberhäupter mehrerer Königshäuser aus Angst vor Ansteckung mit dem Coronavirus ihr Land verlassen haben. Angeblich zählen dazu auch der jordanische König Abdullah, von dem gemutmasst wird, er habe sich auf die Tropeninsel Ascension begeben, sowie der saudi-arabische König Salman bin Abdulaziz Al Saud, der sich auf einer Insel im Roten Meer aufhalten soll.

Präzise Informationen über die Lage  zu erhalten, ist in der arabischen Welt immer ein schwieriges Unterfangen.

Falschinformation ist ein fundamentaler Grundsatz der politischen Kultur autoritärer arabischer Regimes. Besonders augenfällig wird dies jetzt, wo es schier unmöglich ist, einen zuverlässigen Eindruck vom wahren Ausmass der mit dem Coronavirus infizierten und verstorbenen Menschen in der arabischen Welt zu erhalten.