Israel feiert am morgigen Mittwoch den Auszug aus Ägypten vor 3000 Jahren und den baldigen Einzug einer neuen Regierung in die Jerusalemer Parlamentsbänke nach einem Jahr mit einem „amtierenden Ministerpräsidenten“. Lieber wäre allen ein Auszug aus der tödlichen Corona-Krise mit einer Beendigung des verheerenden Niedergangs der Wirtschaft. Aber immerhin endet damit in Kürze eine Zeit des längsten politischen Vakuums. Die Feiertage wird Israel noch ohne eine neue Regierung der Nationalen Einheit, die eher eine Corona-Regierung ist, überstehen müssen. Das Essentielle ist aber festgezurrt.
Benyamin Netanyahu bleibt für die ersten 18 Monate Regierungschef, danach übernimmt der Herausforderer Benny Gantz, der vergangene Woche seinen ehernen Grundsatz „Niemals mit Netanyahu“ über den Haufen geworfen hat. Zwei der vier führenden Mitstreiter der damit aufgelösten „Blau-Weiss“-Partei bezichtigen ihn des Verrats. Die „Jerusalem Post“ notorisch Anti-Netanyahu zeigt Verständnis. Eine vierte Parlamentswahl sei in Pandemie-Zeiten keinem zu vermitteln.
Einigkeit herrscht zwischen den Kontrahenten Bibi und Benny auch darüber, dass Teile des Westjordanlandes wie mit US-Präsident Donald Trumps „Deal of the Century“ abgeklärt, eher früher als später in diesem Sommer annektiert werden. Ausgehandelt ist ebenfalls, dass die neue Regierung mit einer mindestens 30köpfigen Ministerriege antreten wird. Das ist fast doppelt so viel wie die Regierung Deutschlands, das neun Mal grösser ist. Gestritten wird noch um das Rechtspaket, das aus dem Justizminister, dem Vorsitzenden des parlamentarischen Rechtsausschusses und der Zusammensetzung des Gremiums zur Ernennung Oberster Richter besteht. Hinter diesen Details verbergen sich die Gefahren für Netanyahu und seinem verschobenen, aber nicht aufgehobenen Korruptions-Prozess.
Jedes einzelne dieser Probleme hätte zu normalen politischen Zeiten in Israel zu einem mittleren Volksaufstand geführt. Aber in Zeiten einer lebensbedrohenden Corona- Pandemie mit stündlich wachsenden Opferzahlen und unabsehbaren Folgen für die Volkswirtschaft sind die politischen Feinsensoren der Bevölkerung betäubt.
Eigentlich gab es in den letzten 12 Monaten keine Führungskrise, denn der viel gescholtene Netanyahu hatte ununterbrochen die Zügel fest in der Hand: Die Sicherheit des Landes war nie gefestigter, die Wirtschaft blühte bis Anfang März und mit 60 Toten (Stand 7.4.20 , 14.00 Uhr, Quelle: Coronavirus COVID-19 Global Cases by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) Johns Hopkins University) hat Israel vergleichsweise die wenigsten Covid-19-Opfer zu beklagen. Länder mit einer vergleichbaren Bevölkerungszahl, die zudem flächenmässig grösser sind, stehen wesentlich schlechter da. Schweiz: 787, Schweden: 477, Österreich: 243. Umfragen bestätigen Netanyahus Führungs- und Durchsetzungskraft gepaart mit einer überzeugenden, medialen Präsenz, die in Zeiten der grössten Bedrohung Israel seit seiner Gründung wichtiger sind als manche demokratische Grundsätze. Israel hat seit dem Yom-Kippur-Krieg 1973 in keinem Terror-Monat so viele Tote zu beklagen wie durch den unsichtbaren Hauptfeind Covid-19.
Mit zielsicherer Hand hat der „Amtierende“ innerhalb weniger Tage die Total-Absperrung der Stadt Bnei-Brak mit Hilfe von 12 000 Soldaten realisiert, in der 200 000 streng-orthodoxe Juden leben, die zu 38 Prozent virus-infiziert sind. Hätte nur ein Bruchteil der Gross-Familien zu den bevorstehenden Feiertagen ihre Koffer gepackt, um zu ihren Angehörigen in Jerusalem oder sonstwo im Land zu reisen oder wären Verwandte zu Besuch in die Tel-Aviv-nahe Stadt gekommen: die Epidemie wäre den Gesundheitsbehörden ausser Kontrolle geraten, die Infizierten- und Todeszahlen wären explodiert.
Beharrlichkeit trotz aller Widerstände und Feinde
Gleichzeitig ist es gelungen die notorische Wut der Säkularen auf die Ultra-Orthodoxen im Zaum zu halten. Netanyahu hat in seinem Feiertags-Aufruf zu „Pessach“ an die Einigkeit Israels appelliert und an die „Beharrlichkeit trotz aller Widerstände und Feinde“ des jüdischen Volkes erinnert. Den einzelnen Schwarzhut- und Bartträgern ist ohnehin kein Vorwurf zu machen. In ihren Haushalten gibt es kein TV-Gerät und ihre Handys sind ausschliesslich zum Telefonieren und Simsen geeignet. Alles andere brandmarken religiöse Führer, die zudem unterschiedlichen Denk- und Lebensführungsschulen angehören, als unkosher. Im Judentum gibt es nun mal keinen Urbi und Orbi bestimmenden Papst. Deshalb leben die Ultra-Orthodoxen mitten im modernen Israel auf einem völlig anderen Planeten.
Die erfolgreiche Bnei-Brak-Aktion war die Voraussetzung für den nächsten, zu anderen Zeiten undurchsetzbaren Schritt: für fünf Tage darf kein israelischer Bürger seine Stadt verlassen und sich nur 100 Meter im Umkreis seines Wohnsitzes bewegen. Damit ist es gelungen auch die zwei Millionen Araber während des Ramadan-Festes zu disziplinieren. Niemand weiss, ob die Verbreitung des Virus dadurch wirklich und langfristig eingedämmt wird. Aber die Schritte sind zumindest konsequent, vielversprechend und machen Hoffnung.
In dieser spannungsvollen Gemengelage ist fast untergegangen, dass die vom Staatsgründer David Ben Gurion aufgebaute sozialdemokratische Arbeitspartei, die viele Ministerpräsidenten gestellt und jahrzehntelang die Politik des Landes bestimmt hat von der Bildfläche verschwunden ist. Der aktuelle Vorsitzende Amir Peretz vereinigt seine Traditionspartei mit der Blau-Weiss-Partei und wird mit seinen fünf Abgeordneten Teil der Corona-Koalition – er selbst freilich im Rang eines Ministers.
- Trumps Sieg – Hoffnung in Israel - 7. November 2024
- Hamas Chefterrorist Yahya Sinwar ist tot – Kriegsende in Sicht? - 18. Oktober 2024
- BDS schäumt vor Wut: Google kauft Israels Wiz für 23 Mia $ - 16. Juli 2024