Israel: eine von drei Krisen (fast) bewältigt

Corona-Regierung statt Nationale Einheit

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Premierminister Benjamin Netanjahu während einer Videokonferenz im Aussenministerium in Jerusalem mit europäischen Staats- und Regierungschefs, bei der die Herausforderungen und die Zusammenarbeit zwischen den Ländern im Umgang mit dem Coronavirus diskutiert wurden. 9. März 2020. Foto Yehonatan Valtser/TPS
Premierminister Benjamin Netanjahu während einer Videokonferenz im Aussenministerium in Jerusalem mit europäischen Staats- und Regierungschefs, bei der die Herausforderungen und die Zusammenarbeit zwischen den Ländern im Umgang mit dem Coronavirus diskutiert wurden. 9. März 2020. Foto Yehonatan Valtser/TPS
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Vom Corona-Virus geplagt, von wirtschaftlichen Erschütterungen gekennzeichnet, haben sich die beiden politischen Kontrahenten Benjamin Netanyahu und Benny Gantz für einen gemeinsamen Weg aus der Regierungskrise entschieden: statt einer „Regierung der Nationalen Einheit“ kommt eher ein „Corona-Bündnis“ zustande, bei dem Netanyahu Ministerpräsident bleibt – zumindest bis September 2021.

Nach einem Jahr betonierter Fronten und dreier Parlamentswahlen kam diese Woche Bewegung ins Spiel der Egomanen. Parlamentspräsident Yuli Edelstein trat zurück unter Absingen schmutziger Lieder gegen das höchste Gericht, das ihn zum Abgang zwang. Danach ging es Schlag auf Schlag und damit hat niemand gerechnet. Gantz liess sich nach Absprache mit Netanyahu mit 74 zu 14 Stimmen zum Parlamentssprecher wählen, sagte ihm dafür die notwendige Mehrheit für eine funktionierende Koalition zu, wohlwissend, dass er damit den Dreier-Bund der Blau-Weiss-Partei bestehend aus vier politischen Alpha-Tieren zertrümmert. Denn die Gantz´ Partner Yair Lapid und Moshe Yaalon sehen nach wie vor als vorrangiges Ziel, Netanyahu aus dem Amt zu jagen. Gantz und Gabi Ashkenasi haben demgegenüber ihre Netanyahu-Abneigung zurückgestellt und sich für „Israel First“ entschieden. (Wörtlich aus dem Hebräischen: Israel vor allem). Das bedrohliche Corona-Virus und der damit verbundene mögliche wirtschaftliche Niedergang Israels hat Gantz nach eigener Aussage zu der Überzeugung gezwungen, „das richtige für unser Land zu tun“.

Sein Ex-Mitstreiter Lapid machte aus seinem Herzen keine Mördergruppe und tönte ohne Umschweife: „wir haben Blau-Weiss gegründet, um dem israelischen Volk eine Alternative zu bieten. Israel benötigt diese Alternative wie die Luft zum Atmen. Gantz´ Entscheidung ist enttäuschend. Wir bekommen keine Regierung der Nationalen Einheit, sondern vielmehr eine weitere Netanyahu-Führung. Gantz hat sich kampflos ergeben und kriecht in Netanyahus Kabinett“.

Für Netanyahu ist das allenfalls ein Schwanengesang. Er hat sich wie schon so oft in seiner über ein Jahrzehnt dauernden Amtszeit als Ministerpräsident durchgesetzt – vorläufig. In den nächsten Tagen wird eine Regierung gebildet, die dann vor der schwierigsten Aufgabe seit der Wiedergründung Israels vor 72 Jahren steht. Erstens: das Virus soweit in den Griff zu bekommen, dass das Gesundheitssystem nicht zusammenbricht. Und zweitens: das Wirtschaftsleben wieder in Gang zu bringen. Denn Israel ist zwar ein fortschrittliches OECD-, ein führendes High-Tech-Land, aber ein monatelanger Stillstand mit einer hohen zweistelligen Arbeitslosigkeit – zur Zeit verfünffacht auf 21 Prozent – würde den Judenstaat an den Rand eines Ruins mit enormen gesellschaftspolitischen Verwerfungen bringen. Mit grosser Hilfe von aussen ist dann auch nicht mehr zu rechnen, denn da draussen – das wären im Wesentlichen die USA und Europa – brennt das Dach ebenfalls lichterloh.

Benny Gantz, passiert den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu bei einer Gedenkfeier in der Knesset anlässlich des 24. Jahrestages der Ermordung des ehemaligen israelischen Premierministers Yitzhak Rabin am 10. November 2019. Foto Yonatan Sindel/Flash90

Lieberman verschwindet in die Bedeutungslosigkeit

Wie sieht die neue Regierung voraussichtlich aus: Netanyahu bleibt Number One, das Aussen- und Verteidigungsministerium teilen sich Gantz und Ashkenasi, beides ehemalige Generalstabschefs der IDF. Den Parlamentspräsidenten stellt die Partei des jeweiligen Ministerpräsidenten. Also zuerst die Likud und danach ein Gefolgsmann Gantz´. Um das Finanzministerium werden sich der bisherige Verteidigungsminister Naftali Bennett und der frühere Bürgermeister von Jerusalem Nir Barkat streiten. Der lange Zeit als Königsmacher gehandelte „Israel Beiteinu“-Vorsitzende Lieberman verschwindet in die Bedeutungslosigkeit.

Die Überlebenschancen des Corona-Bündnisses werden davon abhängen, wie die neue Regierung das Virus und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Probleme in den Griff bekommen. Israel hat in den letzten 72 Jahren, Juden haben in den letzten 3000 Jahren bewiesen, dass sie in aussergewöhnlichen Situationen, aussergewöhnliche Leistungen erbringen.

Es gibt nichts Schlechtes, was nicht auch Gutes bringen könnte: das Nahostproblem ist plötzlich nicht mehr existent, da es Akuteres zu lösen gilt: die Gesundheit von Millionen von Menschen unabhängig von Hautfarbe, Glaube und Herkunft. Die vier Millionen Araber in Gaza und im Westjordanland werden ohne Israels Hilfe das Virus nicht ansatzweise bekämpfen können. Der Terrorförderer Iran hat auf absehbare Zeit mit sich selbst genug zu tun und die Geldgeber aus den Emiraten und Ölscheichtümern kämpfen ebenfalls ums Überleben – gesundheitlich und wirtschaftlich.

Die eigene Leistung ist in Zeiten wie diesen gefragt. Es hilft aber auch der sprichwörtliche israelische Humor: „Eretz Neederet“, die in Israel beliebte TV-Komödiantensendung, parodierte am gleichen Abend der Annäherung der Kontrahenten den amtierenden Ministerpräsidenten Netanyahu: „ihr wolltet mich ins Gefängnis werfen, jetzt sind wir alle eingesperrt, aber ich bin der einzige freie Mann im ganzen Land“.

Über Godel Rosenberg

Journalist, Autor, High­techunternehmer. Godel Rosenberg war Pressesprecher der CSU und von Franz Josef Strauß, Fernsehjournalist, TV­-Moderator und Repräsen­tant des Daimler­-Konzerns in Israel. Von 2009 bis 2018 war Godel Rosenberg der Repräsentant Bayerns in Israel.

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