Tohuwabohu in der Knesset: Keine Helfer, kein Geld und keine Pappkartons aus China.

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Knesset-Sprecher Yuli Edelstein während einer Plenarsitzung. Foto Yonatan Sindel/Flash90
Knesset-Sprecher Yuli Edelstein während einer Plenarsitzung. Foto Yonatan Sindel/Flash90
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In 5 Tagen läuft die gesetzliche Frist für die Bildung einer Regierung in Israel ab. Am Mittwoch muss das Parlament sich auflösen, doch ein Ende des Chaos ist nicht in Sicht. Niemand glaubt mehr, dass die beiden Spitzenkandidaten, Benjamin Netanjahu und Benny Gantz, sich in letzter Minute noch auf eine „Grosse Koalition“ mit Rotation an der Spitze einigen könnten.

Alle anderen Varianten, mit Hilfe der kleineren Parteien, noch eine regierungsfähige Mehrheit in der Knesset zu erlangen, können mit ziemlicher Sicherheit ausgeschlossen werden. Jenseits aller politischen Streitereien und der „Absicht“ des Staatsanwalts Avichai Mandelblit, eine Anklage gegen den amtierenden Ministerpräsidenten Netanjahu einreichen zu wollen, gibt es auch noch eine Reihe von praktischen Hindernissen für das schnelle Abhalten von Neuwahlen.

Die Direktorin des Zentralen Wahlausschusses, Orly Adas, erklärte bei einer Pressekonferenz in der Knesset, dass sie unmöglich bis zum frühesten möglichen Zeitpunkt am 25. Februar einen dritten Urnengang organisieren könne: “Wir haben kein Personal, keine Büros, keine Ausrüstung. Die Lagerräume sind leer und es gibt kein Geld.“

Ausserdem müssten neue blaue Pappkartons mit aufgedrucktem Staatswappen in China bestellt werden. Denn die Wahlurnen der vergangenen Parlamentswahlen könnten nicht wiederverwendet werden, wenn sie zerrissen oder bekritzelt worden sind. Doch die Chinesen hätten ihr schon signalisiert, wegen des chinesischen Neujahrfestes am 25. Januar keine neuen Kartons in den vorgeschriebenen Massen herstellen zu können. Adas berichtet weiter, dass sie nur über 40 Mitarbeiter verfüge, jedoch mindestens 40.000 Helfer benötige, um im ganzen Land die Wahllokale mit gesetzlich vorgeschriebenen Urnen und erfahrenen Spezialisten auszustatten:”Wir haben nicht die professionellen Arbeiter, die wissen, was Wahlarbeit ist“. Weil die Knesset wegen der politischen Patt-Situation seit Monaten nicht „funktioniert“, gibt es niemanden, der ihr die benötigten Finanzen bereitstellen könnte, um das bestehende Defizit zu stopfen.

Der israelische Staatspräsident Reuven "Ruvi" Rivlin an einem blaue Wahlurnen-Pappkarton im Jahr 2015. Foto Mark Neyman / Government Press Office (Israel), CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=38977948
Der israelische Staatspräsident Reuven “Ruvi” Rivlin an einem blaue Wahlurnen-Pappkarton im Jahr 2015. Foto Mark Neyman / Government Press Office (Israel), CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=38977948

Weiter sagte Adas, dass es nicht möglich sei, die allgemeinen Wahlen so schnell wieder durchzuführen, weil die Parteien Zeit brauchen, um ihre Wahllisten zusammenzustellen, und der Oberste Gerichtshof darüber entscheiden müsse, ob die Kandidaten rechtlich qualifiziert sind, zu kandidieren. “Die Zeiten können nicht verkürzt werden”, sagte sie. Da Israel ein Rechtsstaat ist, kann niemand entscheiden, Wahlen ohne vorgeschriebene Wahlurnen und entsprechend ausgebildetes Personal in den landesweit mehr als 10.000 Wahllokalen durchzuführen, von denen 1.549 barrierefrei für Behinderte sein müssen.

Der Wahlausschuss wird auch einen neuen Vorsitzenden brauchen, nachdem der Richter des Obersten Gerichtshofs Hanan Melcer erklärt hatte, dass es “keine Chance” gäbe, dass er das Amt zum dritten Mal antrete.

Nach israelischem Recht muss der Leiter des Zentralen Wahlausschusses ein Mitglied des Obersten Gerichtshofs sein, das von den anderen Richtern gewählt wird. Doch bisher hat kein anderer Richter des Obersten Gerichts Interesse an der Position bekundet.

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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