Chef des Palästinenserhilfswerks legt Amt nieder – und jetzt?

0
UNRWA Generalsekretär Pierre Krähenbühl. Foto U.N. TV/Multimedia.
UNRWA Generalsekretär Pierre Krähenbühl. Foto U.N. TV/Multimedia.
Lesezeit: 6 Minuten

Am 11. November entscheiden die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen über eine Mandatsverlängerung des Palästinenserhilfswerks der Vereinten Nationen (UNRWA). Obwohl eine Verlängerung als sehr wahrscheinlich gilt, gibt es von verschiedenen Seiten reichlich Kritik am Hilfswerk, den Zuständen in einigen Arbeitsbereichen und insbesondere an dem speziellen Flüchtlingsstatus, nach dem gearbeitet wird.

In diesen Wochen treffen sich die Mitgliedsländer der Vereinten Nationen zu ihrer Generalversammlung. Ein Punkt, der bei dieser 74. Sitzungsperiode besprochen wird, ist die Mandatsverlängerung der UNRWA. Das seit 1949 existierende Flüchtlingshilfswerk, das ausschliesslich für Palästinenser zuständig ist, muss, da es keine Organisation der Vereinten Nationen ist, alle drei Jahre ein neues Mandat beantragen. Eine Verlängerung gilt jedoch als reine Formsache und das, obwohl die UNRWA ursprünglich als eine zeitlich begrenzte Einrichtung gedacht war. Doch die Verweigerung der arabischen Staaten gegenüber einer Friedenslösung mit Israel hat den Nahostkonflikt und damit auch das Wirken der UNRWA auf mittlerweile über 70 Jahre ausgedehnt. Dabei gebe es neben der zeitlichen Komponente genügend weitere Gründe, die UNRWA viel kritischer zu sehen.

Antisemitismus, Hamas und Korruption

Bereits seit längerem wirft unter anderem die NGO „impact-se“ dem Hilfswerk vor, Antisemitismus durch Schulbücher und Lehrpläne nicht ausreichend zu unterbinden. Immerhin betreibt sie mehr als 700 Schulen und unterrichtet hunderttausende Schüler. Ihr Einfluss ist also immens. Zeitgleich wurden UNRWA-Gebäude von der Hamas im Gazastreifen als Waffenlager missbraucht. So habe die UNRWA nach eigenen Angaben, die im letzten Gazakonflikt (2014) in ihren Einrichtungen gelagerten Waffen der lokalen Regierung zurückgegeben – der Hamas. Seither sind Mitarbeiter der UNMAS (UN-Organisation zur Beseitigung von Sprengmitteln und Minen) in Gaza stationiert. Deswegen müsse man davon ausgehen, dass die Linien zwischen der UNRWA und der Hamas im Gazastreifen schwammig verlaufen, erklärt Josias Terschüren, Öffentlichkeitsdirektor der deutschen NGO „Initiative 27. Januar“.

Eine Studie von UN-Watch, bei der die Social-Media-Kanäle der UNRWA-Mitarbeiter untersucht wurden, kam zum gleichen Schluss. Ausserdem fanden sich bei vielen leitenden Angestellten antisemitische und terrorverherrlichende Inhalte. Teilweise wurde gar zur Tötung von Juden und zur Auslöschung Israels aufgerufen.

In jüngerer Vergangenheit sind nun auch Vorwürfe gegen den Generalsekretär Pierre Krähenbühl erhoben wurden. So soll der Schweizer unter anderem aufgrund einer Liebschaft mit einer Beraterin unliebsame Kollegen aus Entscheidungsprozessen ausgeschlossen haben. Das veranlasste schliesslich das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten, seine Zahlungen in Höhe von 22,3 Millionen Franken auszusetzen. Mittlerweile haben weitere wichtige Geldgeber ihre Zahlungen eingestellt. Darunter sind Belgien, die Niederlande und Australien.

Besonders der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis fand in diesem Zusammenhang deutliche Worte in Richtung UNRWA: Für ihn stehe das Hilfswerk einer Lösung im Weg. Man schaffe bei den Palästinensern eine Illusion, dass alle Flüchtlinge eines Tages zurückkehren könnten. Dadurch werde der Konflikt am Leben erhalten.

Der UNRWA-Generalsekretär, Pierre Krähenbühl, hat nun sein Amt wegen der Untersuchung zu möglichem Missmanagement vorübergehend niedergelegt, teilte die UNRWA am Mittwoch mit. Der Vize-Chef Christian Saunders werde vorübergehend die Gesamtverantwortung übernehmen.

Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten schreibt in einer Mitteilung, man nehme die Kündigung zur Kenntnis und fordere eine umfassende Aufklärung der Vorfälle. Bis zum Ergebnis der Untersuchung hält die Schweiz die Zahlung von Projektbeiträgen zurück.

Zum Abgang von Krähenbühl sagt der israelische Aussenminister Israel Katz: “Das Handeln der UNRWA zeigt, dass die Agentur Teil des Problems und nicht Teil der Lösung ist. Die Agentur verewigt die Flüchtlingsfrage auf politische Weise und distanziert sich damit von jeder Möglichkeit einer zukünftigen Lösung.” Unter der Leitung von UNRWA-Generalkommissar Pierre Krähenbühl habe sich die Politisierung von UNRWA in den letzten Jahren ausgeweitet, das Haushaltsdefizit sei aufgebläht und das bisherige Konzept unhaltbar geworden, so Katz. Laut dem israelischen Aussenministerium ist der Abgang von Krähenbühl nur der erste Schritt in einem langen Prozess, der notwendig sei, um Korruption zu beseitigen, die Transparenz zu erhöhen und die Politisierung der Agentur zu verhindern.

„Die UNRWA ist Teil des Problems“

Mit der Meinung stehen die beiden Aussenminister, Ignazio Cassis und Israel Katz, nicht allein da. Josias Terschüren sieht vor allem den vererbbaren Flüchtlingsstaus als entscheidendes Problem. Dieser wird bei der UNRWA über die väterliche Linie weitervererbt. Auf diese Weise sind aus einer originären Flüchtlingspopulation von circa 750.000 Flüchtlingen (1948-1949) mittlerweile 5,3 Millionen „Flüchtlinge“ geworden.

Die UNRWA sei ein Flüchtlingshilfswerk, „was nicht die Mission hat, den Flüchtlingen zu helfen, sondern sie durch den Flüchtlingsstatus als Geiseln im Nahostprozess hält“. Das Hilfswerk fungiere so im Nahostkonflikt als perpetuierende Instanz des Status Quo und zudem als politischer und quasi-staatlicher Player. Das von palästinensischer Seite her geforderte „Recht auf Rückkehr“ für die 5,3 Millionen palästinensischen „Flüchtlinge“ bedrohe Israel als jüdischen und demokratischen Staat existenziell. Das widerspreche der deutschen Staatsräson.

Dabei bestünde die eigentliche Aufgabe des Hilfswerks darin, apolitisch zu sein. Als politischer Player verfehle sie ihr Mandat und werde „zu einem Teil des Problems“. Deswegen sei die UNRWA „dringend reformbedürftig“.

Wie soll es weitergehen?

Die deutsch-israelische Politikberaterin Melody Sucharewicz spricht gar der UNRWA ihre weitere Existenzberechtigung als „eigenständige Organisation“ ab. Neben all den Skandalen sieht die ehemalige Sonderbotschafterin Israels ebenfalls den vererbbaren Flüchtlingsstatus als entscheidenden Punkt. „Die betreuten Flüchtlinge sind seit zwei Generationen keine Flüchtlinge mehr. Ein relevanter Teil der heute von der UNRWA registrierten Menschen, stammt aus arabischen Nachbarstaaten, ist angeheiratet und brachte Familie mit.“
Der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Müller-Rosentritt sieht „teils radikale Kräfte am Werk, die die UNRWA und die Arbeit der Organisation für Terrorstrukturen und für das Schüren von Hass und Antisemitismus missbrauchen“. Diesen Leuten gehe es darum, „den Konflikt wachzuhalten und weiter anzuheizen“. Sollte gegen diese Missstände von den Vereinten Nationen nichts unternommen werden, müsse man sich die Frage stellen, ob die UNRWA einem Friedensprozess nicht mehr schade, als sie ihm nutzen könne.

Die Rolle Deutschlands

Vor allem von Deutschland verlangt Müller-Rosentritt mehr Engagement, um „einen Reformprozess anzustossen“. Mit Hilfe des nicht ständigen Sitzes im UN-Sicherheitsrat könne die Bundesrepublik massgeblich mithelfen.

Ähnlich sieht Terschüren die Situation. Die Möglichkeiten dazu hätte Deutschland, so der Lobbyist. Deutschland und die Europäische Union sind die grössten Nettozahler der UNRWA. Wer also die Rechnung bezahlt, der könne sich nicht vor der politischen Verantwortung drücken. Es sei absurd, dass man mit Hinblick auf die Mehrheitsverhältnisse der UN davon spreche, nichts ändern zu können, aber „zeitgleich die Schecks unterschreibt“.

Auch der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD sieht eine Reform der UNRWA vor. Allerdings lässt dieser offen, wie und in welchem Umfang dies geschehen soll. Darin sieht Terschüren Chancen und Probleme zugleich – letzteres, weil das SPD-geführte Auswärtige Amt der Meinung sei, dass die UNRWA die Forderung nach Reformen erfüllte, indem sie ihre selbsterarbeiteten Änderungsvorschläge umsetze. Dabei handele es sich aber „nur um kosmetische Reformen“, erklärt Terschüren. Vielmehr bräuchte es jedoch grundsätzliche und strukturelle Veränderungen. Diese müssten auf eine klare Trennung zwischen dem Leisten humanitärer Hilfe und der Anerkennung eines vermeintlichen Flüchtlingsstatus hinauslaufen.

„Wir dürfen mit unserer wohl-intentionierten humanitären Hilfe nicht anti-israelischen Vernichtungsphantasien radikaler Palästinenser Vorschub leisten. Die UNRWA muss zu ihrer ursprünglichen Flüchtlingsdefinition zurückkehren und die etwa 30.000 verbliebenen originären Flüchtlinge zu versorgen. Die übrigen Palästinenser sollten humanitäre Hilfe nur unter der Voraussetzung erhalten, dass sie ihrem Flüchtlingsstatus entsagen. Die arabischen Aufnahmeländer hätten diese Menschen vollständig zu integrieren.

Geschickte Lobbyarbeit

Woher kommt also die teils unkritische Haltung Deutschlands gegenüber der UNRWA? Während Beatrix von Storch (AfD) „starke pro-islamische Kräfte innerhalb der Bundesregierung“, sowie Unwissenheit der Parlamentarier vermutet, sieht Sucharewicz „jahrzehntelange Propaganda der UNRWA“ als Ursache. Die Einflussnahme von zahlreichen palästinensischen Organisationen auf die Abgeordneten habe den Fokus auf das Elend und die Hilflosigkeit der Palästinenser gerichtet. Zeitgleich seien Korruption und antisemitischer Lehrstoff verschwiegen worden. Daher sei Aufklärung im Bundestag notwendig.

Ob der Ausgang der Abstimmung zur Mandatsverlängerung mit Spannung erwarten werden darf, bleibt zu bezweifeln. Dafür sorgt gewissermassen ein Wesenszug der UN. Entscheidend bei Abstimmungen in der Vollversammlung sind die blockfreien Staaten. Innerhalb dieses Blocks haben islamische Staaten eine deutliche Mehrheit. Das führe dazu, dass die UN-Vollversammlung über einen Dominoeffekt in ihrem Wesen eine „natürliche anti-Israel-Haltung hat“, erklärt Terschüren.

Spannend dagegen bleibt die Haltung Deutschlands gegenüber der UNRWA – sowohl auf internationaler wie auch auf nationaler Ebene.