Noch einmal: Israel Wahlen 2019

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Premierminister Benjamin Netanyahu (L) mit dem dem blau-weißen Parteichef Benny Gantz (R) und in der Mitte Präsident Reuven Rivlin am 23. September 2019 in der Präsidentenresidenz in Jerusalem. Foto Haim Zach/GPO
Premierminister Benjamin Netanyahu (L) mit dem dem blau-weißen Parteichef Benny Gantz (R) und in der Mitte Präsident Reuven Rivlin am 23. September 2019 in der Präsidentenresidenz in Jerusalem. Foto Haim Zach/GPO
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Eigentlich hat das israelische Volk am Dienstag, den 17. September 2019, ein klares Votum ausgesprochen, als es zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres sein Parlament wählen musste. 73 Sitze von 120 Knessetmandaten haben säkulare Parteien der Mitte bekommen: 33 „Kachol Lavan“ (= „Blau-Weiss“) von Benjamin „Benny“ Gantz, 32 der Likud von Benjamin „Bibi“ Netanjahu und acht die Partei „Israel Beiteinu“ (= „Israel unsere Heimat“) von Avigdor Lieberman.

Diese Abgeordneten bilden eine klare Mehrheit. Ihre grundsätzlichen Standpunkte in Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik, der Sicherheits- und Aussenpolitik, im Blick auf das Verhältnis zu den Palästinensern, die Siedlungen in Judäa und Samaria, eine Zwei-Staaten-Lösung, einen Friedensprozess mit der arabischen Welt oder den Iran unterscheiden sich von aussen betrachtet praktisch nicht. Als Netanjahu in der Woche vor der Wahl verkündete, er werde nach der Wahl das Jordantal annektieren, twitterte Gantz spontan: „Ich auch!“

Wie soll man als Israeli noch wählen…?

Im Blick auf dieses Zentrum meinte ein Analyst vor den Wahlen mit Seufzen: „Wie soll man heute als Israeli wählen, wenn die linken Herausforderer Netanjahus diesem vorwerfen, er gehe zu sanft gegen die palästinensischen Raketenschützen aus dem Gazastreifen vor, während die Rechte Siedlungen räumt?“

Tatsächlich scheint Netanjahus Zögern gegenüber der Hamas ein entscheidender Grund dafür zu sein, dass er im Vergleich zu den letzten Wahlen im April de facto acht Mandate verloren hat.

Die orthodoxen Parteien haben mehr oder weniger ihre üblichen Mandate bekommen: Die sefardische Schass neun und das aschkenasische Thorajudentum sieben. Die „Rechte“ unter Ajellet Schaked hat sieben Sitze und die Linke insgesamt elf, wovon sechs auf die sozialistische „HaAvodah-Gescher“ kommen und fünf auf das kommunistische „Demokratische Lager“.

Gewinner und Verlierer

Zu den Wahlsiegern gehört die „Vereinigte Liste“ der antizionistischen arabischen Parteien, die als drittstärkste Kraft mit 13 Abgeordneten in die 22. Knesset einziehen werden. Sie konnten ebenso wie Liebermans Israel Beiteinu im Vergleich zur 21. Knesset drei Mandate zulegen. Die Orthodoxen gewannen einen, die Rechte zwei Sitze, die linksextreme Meretz einen, während die sozialdemokratische Arbeitspartei ihre sechs Sitze behaupten konnte.

Die grossen Verlierer dieser Wahl waren Netanjahus Likud, der, gemeinsam mit Mosche Kachlons „Kulanu“ (= „Wir alle“) acht Mandate einbüsste und Gantz‘ Kachol Lavan, die zwei Mandate verloren. Kulanu und Likud war bei den jüngsten Wahlen als gemeinsame Liste angetreten.

Trotz dieser Einbussen gilt für die politische Mitte Israels: Keine der orthodoxen oder extremistischen Parteien müsste automatisch Zünglein an der Waage einer konstruktiven Regierungsbildung sein. Eine gute Nachricht ist zudem, dass die rechtsextrem rassistische „Otzmah Jehudit“ unter dem Rechtsanwalt Itamar Ben Gvir an der 3,25%-Hürde gescheitert ist.

Benjamin gegen Benjamin

„Das Volk ist sich einig, dass der neue Regierungschef ein Sicherheitsexperte mit aschkenasischem Hintergrund im Alter zwischen 60 und 70 sein sollte, der den Vornamen Benjamin trägt“, resümiert ein Nachrichtensprecher. Aber genau da liegt der Hase im Pfeffer. Denn die beiden Benjamins sind sich auch darin einig, dass der jeweils andere unter keinen Umständen Regierungschef werden darf.

Benjamin Netanjahu wird von den 55 Abgeordneten des Likud, der orthodoxen Parteien und der Rechten unterstützt. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Wahlergebnisse, hatte er zudem verkündet, dass dieser Parteienblock nur als Ganzes bei Koalitionsverhandlungen auftreten werde und sich nicht auseinanderdividieren lassen werde.

Benny Gantz repräsentiert die grösste Partei im israelischen Parlament. Zuverlässig unterstützen ihn aber nur die 44 Abgeordneten von Kachol Lavan, der Arbeitspartei und dem Demokratischen Lager.

Nach einigem Hin-und-Her haben ihn dann auch noch die Abgeordneten der Vereinigten Arabischen Liste als künftigen Regierungschef beim Staatspräsidenten vorgeschlagen – allerdings ohne die drei Abgeordneten der Balad-Partei. Somit hat Gantz 54 Knessetabgeordnete hinter sich.

Die arabischen, antizionistischen Abgeordneten der Vereinigten Liste sind allerdings ein echtes Problem für Gantz, wenn er eine Koalition mit einer absoluten Mehrheit von mindestens 61 Abgeordneten bilden möchte. Lieberman schliesst eine Zusammenarbeit mit den 13 antizionistischen Arabern grundsätzlich aus. Ebenso der gesamte „Netanjahu-Block“.

Mögliche Optionen

Rein rechnerisch und theoretisch-ideologisch wäre denkbar, dass sich die acht ultraorthodoxen Abgeordneten des Thorajudentums einer Links-Koalition unter Gantz anschliessen könnten. Die ultraorthodoxen Aschkenasen haben vor allem soziale Interessen, sowie eine kritische Distanz zum säkularen Zionismus und dem modernen Staat Israel. Allerdings sind sie fest im „Netanjahu-Block“ eingebunden und werden sich schon aus langfristigen Überlegungen hüten, Unsicherheit zu verbreiten. Zudem gehören der „Gantz-Koalition“ eine Reihe erklärter Säkularer an, die grosse Schwierigkeiten mit den Ultras haben.

Avigdor Liberman besucht den Sarona-Markt in Tel Aviv am Wahltag, 17. September 2019. Foto Miriam Alster/Flash90
Avigdor Lieberman besucht den Sarona-Markt in Tel Aviv am Wahltag, 17. September 2019. Foto Miriam Alster/Flash90

So bleibt Netanjahu allen Unkenrufen und Wahlverlusten zum Trotz der politisch stärkste Anwärter auf das Amt des israelischen Regierungschefs. Laut Gesetz muss Präsident Reuven Rivlin demjenigen Abgeordneten die Regierungsbildung übertragen, der von den meisten Parlamentsabgeordneten als Ministerpräsident vorgeschlagen wird. Danach wird es spannend, ob überhaupt und wenn dann wie es Netanjahu gelingen wird, eine handlungsfähige Regierung zusammenzustellen.

Avigdor Lieberman hat bislang niemanden für das Amt des Regierungschefs vorgeschlagen. Würde er sich Netanjahu anschliessen, ergäbe das eine satte Mehrheit von 63 Abgeordneten – allerdings auch mehr oder weniger genau dieselbe Konstellation wie vor den letzten und vorletzten Wahlen. Mit dem Unterschied, dass Liebermann jetzt entscheidend stärker wäre.

Ebenso könnte rein theoretisch die Arbeitspartei unter Amir Peretz dem Netanjahu-Block zu einer absoluten Mehrheit von 61 Mandaten verhelfen.

Die von Präsident Reuven Rivlin genau wie von Avigdor Lieberman angemahnte grosse Koalition sieht sich einer Reihe von Hürden gegenüber. Da ist zum einen das öffentliche Gelöbnis des Netanjahu-Blocks aus Likud, Orthodoxen und der Rechten, zusammenzuhalten.

Zu den Gefolgsleuten von Gantz gehören militante Säkulare, wie etwa der ehemalige Journalist Jair Lapid, der sich, ähnlich wie Lieberman, der Aufgabe verschrieben hat, den Einfluss der Orthodoxen im jüdischen Staat zurückzudrängen. Allerdings hat der Chef der ultraorthox-sefardischen Schass-Partei, Arije Deri, schon zur Versöhnung aufgerufen.

Über Netanjahu schwebt zudem noch das Damoklesschwert von drei offenen Anklageschriften, die zu Gerichtsverhandlungen führen können. Bei Verhandlungen um eine grosse Koalition wird nicht nur die Person Netanjahus allgemein ein Streitpunkt sein, sondern auch seine persönliche Immunität.

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Über Johannes Gerloff

Johannes Gerloff ist ein deutscher Journalist, Theologe und Autor mit Schwerpunkt Israel und Naher Osten. Er ist im Nordschwarzwald aufgewachsen und hat in Tübingen, Vancouver/Kanada und Prag/Tschechien Theologie studiert. Seit 1994 lebt er mit seiner Familie in Jerusalem.

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