In einem internen Bericht erhebt die Uno-interne Aufsichtsbehörde schwere Anschuldigungen gegen führende Funktionäre des Palästinenserhilfswerks UNRWA. Im Zentrum der Kritik steht der schweizerische Generalsekretär der Einrichtung, Pierre Krähenbühl, dem Machtmissbrauch und Vetternwirtschaft vorgeworfen werden. Die Schweiz hat deshalb ihre Zahlungen an das Hilfswerk vorläufig eingestellt. Doch der Stopp sollte von Dauer sein – und das längst nicht nur wegen des neuerlichen Skandals.
Pierre Krähenbühl hat es gewiss nicht immer leicht. Der Schweizer ist seit dem Jahr 2014 Generalsekretär des Uno-Hilfswerks für die Palästinenser (UNRWA) und stand im vergangenen Jahr vor dem Problem, dass die USA – bis dato der grösste Geldgeber dieser Einrichtung – ihre Zuwendungen in Höhe von 360 Millionen Dollar jährlich erst drastisch kürzten und schliesslich ganz einstellten. Die amerikanische Regierung begründete ihren Schritt unter anderem damit, dass die UNRWA «hoffnungslos fehlerbehaftet» sei und die Zahl der palästinensischen Flüchtlinge künstlich aufblähe. Durch den Rückzug entstand ein riesiges Loch im Etat der Einrichtung, die gewöhnlich über 1,2 Milliarden Dollar pro Jahr verfügen kann. Doch Krähenbühl gelang es, dieses Loch zu stopfen, nicht zuletzt mit Hilfe der deutschen Regierung, die ihre finanzielle Unterstützung für das Hilfswerk erhöhte und zum zweitgrössten Geldgeber aufstieg. Der grösste ist inzwischen die Europäische Union.
Ebenfalls im vergangenen Jahr war Krähenbühl mit der Kritik seines Landsmannes Ignazio Cassis konfrontiert. Der Aussenminister hatte in einem Interview deutliche Worte zur UNRWA gefunden: Sie nähre, sagte er, die Illusion der Palästinenser von der «Rückkehr» aller Flüchtlinge – über fünf Millionen sind als solche beim Hilfswerk registriert – auf ein Territorium, das seit 1948 israelisch ist. Damit stehe sie einer Lösung im Weg, zumal das Beharren auf dieser «Rückkehr» die Integration von Palästinensern verhindere, die seit Generationen etwa in Jordanien oder im Libanon lebten. «Indem wir die UNRWA unterstützen, halten wir den Konflikt am Leben», so Cassis seinerzeit. Das sei «eine perverse Logik». Gleichzeitig sprach sich der Minister zunächst dagegen aus, der Einrichtung die Gelder zu entziehen. Denn sie sorge in der Region «für eine gewisse Stabilität», und ihr Zerfall würde einen Aufstand auslösen.
Nun aber setzt das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) – wie auch die Niederlande und Belgien – seine Zahlungen an das Hilfswerk in Höhe von 22,3 Millionen Franken vorerst aus. Der Grund dafür ist ein interner Bericht der Vereinten Nationen, in dem Führungskräften der UNRWA schwere Vorwürfe gemacht werden. Vetternwirtschaft, Machtmissbrauch, sexuelles Fehlverhalten, Diskriminierung, ein tyrannischer Umgang mit Mitarbeitern – all dieser Verfehlungen sollen sie sich schuldig gemacht haben. Nicht zuletzt Krähenbühl steht in der Kritik. Ihm wird vorgehalten, eine Liebesbeziehung mit der Mitarbeiterin Maria Mohammedi geführt zu haben, die im Jahr 2015 im Zuge eines «äusserst schnellen» Auswahlverfahrens die neu geschaffene Stelle einer Beraterin bekam, die dem Generalsekretär unterstellt war. So habe sie ihn bei internationalen Flugreisen begleiten können, und zwar in der Business Class, wie es in dem Dokument heisst.
«Toxische Atmosphäre» und «häufige Peinlichkeiten»
Darüber hinaus soll Sandra Mitchell, eine Stellvertreterin Krähenbühls, ihrem Ehemann eine gut bezahlte Tätigkeit bei der UNRWA verschafft und zudem unliebsame Kollegen aus Entscheidungsprozessen herausgehalten haben. Aus «persönlichen Gründen» hat sie das Hilfswerk mittlerweile verlassen. Einer anderen Führungskraft wird ebenfalls vorgehalten, Kritiker schikaniert zu haben. Von ihr hat sich die UNRWA dem Ermittlungsbericht zufolge wegen «ungebührlichen Verhaltens» getrennt. Das Papier wurde schon im Dezember des vergangenen Jahres an UN-Generalsekretär António Guterres geschickt, anschliessend begann das Amt für interne Aufsichtsdienste der Vereinten Nationen (AIAD) mit seinen Ermittlungen und inspizierte beispielsweise die Büros des Hilfswerks in Jerusalem und Amman.
Pierre Krähenbühl dementiert die Vorwürfe, sichert aber die Kooperation der UNRWA zur Aufklärung zu. Eine weitergehende Stellungnahme gibt es mit dem Verweis auf die laufenden Ermittlungen bislang nicht. Für das EDA ist die Angelegenheit nicht zuletzt deshalb äusserst unangenehm, weil es lange die Stelle von Krähenbühl mutmasslicher Geliebter bezahlt hat, wie Pierre-Alain Eltschinger, der Pressesprecher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten, gegenüber Audiatur-Online bestätigte: «Die Schweiz hat zwischen März 2015 und Dezember 2018 die Position eines Senior Advisor des UNRWA-Generalkommissars finanziert.» Gemäss der Leistungsbeschreibung, so Eltschinger weiter, bestehe die Aufgabe dieses «Senior Advisor» darin, «den Generalkommissar im Rahmen seines Engagements und des strategischen Dialogs mit den Mitgliedstaaten und anderen wichtigen Partnern zu unterstützen».
Maria Mohammedi, star of film "Condom Lead," hired by UNRWA chief @PKraehenbuehl as "senior adviser."
Report:
• Their relationship went "beyond the professional"
• It created "toxic environment" for colleagues
• He flew her worldwide in Business Class https://t.co/8ZCZ7YkfaX pic.twitter.com/U8peoG0XuZ— Hillel Neuer (@HillelNeuer) July 30, 2019
Doch das Verhältnis von Krähenbühl zu Maria Mohammedi, so steht es im AIAD-Bericht, soll «über berufliche Belange hinausgegangen» sein. Kritisiert werden nicht nur die unnötig teuren Flüge selbst in Zeiten der Geldnot bei der UNRWA, sondern auch die «toxische Atmosphäre» und die «häufigen Peinlichkeiten», die durch die Beziehung für die Kollegen und bei Gesprächen mit Mitgliedsländern und Geldgebern entstanden seien. Zur Eignung der von der Schweiz finanzierten Mohammedi, die früher als Schauspielerin tätig war und unter anderem in einem antiisraelischen Film mitwirkte, will das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten gleichwohl keine Stellung nehmen: «Wie bei jeder anderen Partnerorganisation äussert sich das EDA nicht zu den Einstellungsverfahren oder zur Kompetenz des Personals der UNRWA. Dies liegt ausschliesslich in der Kompetenz der UNRWA», teilte sein Sprecher Eltschinger mit. Die Frage, wer beim EDA konkret verantwortlich für die Aufsicht über die Ausgaben an die UNRWA ist, liess er unbeantwortet.
Pierre Krähenbühl während einer UNO Sitzung in New York. Hinter ihm Maria Mohammedi.
Rücktrittsforderungen gegen Krähenbühl
Man habe nach Bekanntwerden der Vorwürfe jedenfalls rasch gehandelt, so Eltschinger: «Unmittelbar nachdem das EDA von Gerüchten erfahren hatte, laut denen das Büro der Vereinten Nationen für interne Aufsichtsdienste (AIAD) eine laufende Untersuchung durchführt, hat das EDA mit der UNRWA Kontakt aufgenommen und um genauere Informationen gebeten. Ende Juli 2019 setzte der UNRWA-Generalkommissar die Geber offiziell darüber in Kenntnis, dass eine Untersuchung des AIAD im Gange sei, der UNRWA aber noch keine Ergebnisse vorgelegt worden seien.» Für SVP-Nationalrat Erich von Siebenthal, der Präsident der parlamentarischen Gruppe Schweiz-Israel, steht fest: «Sollten sich die Vorwürfe erhärten, muss Krähenbühl zurücktreten.» Der Bericht über die Missstände bei der UNRWA zeige, dass die Schweiz ihre Zahlungen nicht nur vorläufig einstellen, sondern auch längerfristig kürzen müsse.
Auch Hillel Neuer, der Geschäftsführer der Uno-kritischen Organisation UN Watch, wurde deutlich: «Nie zuvor wurde eine solch grosse UN-Einrichtung von einer so verheerenden Anklage gegen ihre Führungsspitze getroffen», erklärte er. «Wir fordern die wichtigsten Geldgeber der UNRWA – darunter die EU, Deutschland, Grossbritannien, Schweden, Norwegen, die Niederlande, Kanada, Spanien und Australien – auf, ihre grundlegende Aufsichtsverantwortung wahrzunehmen und von den höchsten Funktionären der UNRWA Rechenschaft zu verlangen.» Krähenbühl müsse gehen, «zusammen mit allen anderen UNRWA-Mitarbeitern, die gegen die Mindeststandards der Uno verstossen haben.» Die jahrelange, unhinterfragte Finanzierung des Hilfswerks durch westliche Regierungen habe ein «Aufsichtsvakuum und eine Kultur der Straffreiheit ermöglicht, in der Krähenbühl und seine Kollegen die Macht missbrauchten», so Neuer weiter.
Aussetzen will das EDA seine Zahlungen zumindest, bis die Vorwürfe geklärt sind. Die jährliche Rate für das laufende Jahr hatte es allerdings bereits überwiesen, weshalb der Schritt momentan vor allem eine symbolische Wirkung hat. Bezeichnend ist, dass es einer Korruptionsaffäre bedurfte, um die Finanzierung vorläufig auf Eis zu legen. Dabei gäbe es eine Reihe von anderen Gründen, um der UNRWA die Unterstützung zu entziehen. Schon ihre schiere Existenz ist fragwürdig, denn es ist nicht einzusehen, warum die Palästinenser als einzige Bevölkerungsgruppe weltweit bis heute ein eigenes UN-Flüchtlingshilfswerk beanspruchen können, während für alle anderen Flüchtlinge der Hohe Flüchtlingskommissar der Uno (UNHCR) zuständig ist. Seit der Gründung der UNRWA vor 70 Jahren ist die Zahl der bei ihr registrierten palästinensischen Araber von anfänglich rund 700.000 auf mittlerweile über fünf Millionen angestiegen. Denn anders als bei allen anderen Bevölkerungsgruppen vererbt sich der Flüchtlingsstatus der Palästinenser bis heute – weil ihre angestrebte «Rückkehr» nie erfolgte.
Die «perverse Logik» muss durchbrochen werden
Diese «Rückkehr» ist das erklärte Ziel auch der UNRWA, andere Optionen werden nicht erwogen. Dabei leben von den arabisch-palästinensischen Flüchtlingen der Jahre 1948/49 nur noch geschätzte 30.000 bis 50.000. Alle anderen Palästinenser, die in der Obhut der UNRWA sind und dadurch kostenlose Leistungen in Bereichen wie Bildung, Gesundheit und Sozialfürsorge beanspruchen können, sind nicht geflüchtet und haben nie dort gelebt, wohin sie «zurückkehren» wollen. Dem Beharren auf das angebliche «Rückkehrrecht» liegt die dauerhafte Weigerung zugrunde, die Existenz Israels zu akzeptieren. Durch die Zuwanderung von über fünf Millionen Palästinensern würde die Demografie in Israel so verändert, dass die Juden zur Minderheit würden. Das kann und wird begreiflicherweise keine israelische Regierung zulassen, gleich welcher Couleur sie ist.
Mit rund 30.000 Mitarbeitern, davon sind bis auf einige hundert alle Palästinenser, ist die UNRWA die grösste Einzelorganisation der Uno. Vor allem im Gazastreifen gehört ihr Personal seit Jahren zu einem erheblichen Teil der Hamas an oder sympathisiert mit ihr. Während des Gazakrieges im Sommer 2014 wurden mehrere Fälle bekannt, in denen die Hamas ihre Raketen in UNRWA-Schulen deponiert und von dort aus auf Israel abgefeuert hatte. In den vom Hilfswerk betriebenen Schulen wird Kindern, wie Studien zeigen, beigebracht, dass Juden keine heiligen Stätten hätten, sondern nur «gierige Ambitionen». Dem jüdischen Staat wird in den vor Antisemitismus strotzenden Schulbüchern die Legitimität abgesprochen, in manchen Werken wird er nicht Israel genannt, sondern nur «zionistische Besatzung». Die Glorifizierung von Terror durch das Lehrpersonal ist keine Ausnahme.
Es ist deshalb höchste Zeit, der UNRWA den Geldhahn zuzudrehen, wie es die USA bereits getan haben. Ein Hilfswerk, das die vermeintlich oder tatsächlich Hilfsbedürftigen in Abhängigkeit hält, friedensfeindliche Illusionen nährt, Mitglieder und Sympathisanten einer Terrororganisation beschäftigt (und diese schalten und walten lässt), Antisemitismus lehrt und dessen Führungspersonal sich womöglich auch noch Vetternwirtschaft, Machtmissbrauch und weitere Verfehlungen geleistet hat, verdient seinen Namen nicht und hat seine Daseinsberechtigung verspielt. Die UNRWA ist ein Friedenshindernis und schon deshalb keineswegs unersetzlich. Statt immer mehr Geld in sie zu pumpen, sollten sich die Geberländer, darunter die Schweiz, dringend darüber Gedanken machen, wie eine Alternative aussehen könnte. Die «perverse Logik», von der Ignazio Cassis sprach, muss endlich und endgültig durchbrochen werden.
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