Evangelischer Kirchentag lädt „umstrittene Referenten“ aus

1
Farid Esack, der Vorsitzende von BDS Südafrika begrüsst am 6. Februar 2015
Farid Esack, der Vorsitzende von BDS Südafrika begrüsst am 6. Februar 2015 "Genossin" Leila Chaled an einem Fund Raising Dinner. Frau Chaled ist ein führendes Mitglied der Terrororganisation Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) und war eine der ersten weiblichen Flugzeugentführer der Geschichte. Foto BDS Southafrica / Facebook
Lesezeit: 14 Minuten

Auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEK), der derzeit in Dortmund stattfindet, sollten am Freitag, 21. Juni, zwei “umstrittene Referenten” auftreten: Ulrich Duchrow und Farid Esack, eingeladen von der Rosa-Luxemburg-Stiftung der Linkspartei.

 

Am Donnerstagnachmittag gab die Leitung des DEK bekannt, dass die Veranstaltung nicht stattfindet. In einem Tweet erläutert sie:

„Wir haben als Kirchentag eine klare Haltung und haben deshalb die Rosa-Luxemburg.Stiftung aufgefordert, die umstrittenen Referenten auszuladen oder die Veranstaltung abzusagen. Die Stiftung hat die für Freitag geplante Veranstaltung abgesagt.“

Das ist eine gute Nachricht – und sicherlich dem Blog Ruhrbarone mitzuverdanken. Dieser hatte am Dienstag gemeldet:

„Auf dem evangelischen Kirchentag … werden gleich zwei prominente Aktivisten der antisemitischen BDS-Kampagne auftreten, deren Ziel die Vernichtung Israels ist. Im Rahmen einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Stiftung der Linkspartei, treten der evangelische Theologe Ulrich Duchrow und Farid Esack, der ,Guru der Boykottbewegung’ auf.“

Vom Twitter-Account des DEK wurden die Ruhrbarone daraufhin der Lüge bezichtigt – die besagte Veranstaltung gebe es gar nicht. Am Donnerstagmorgen schob der DEK einen Tweet nach – der aber inzwischen gelöscht wurde. Er lautete:

„Die Rosa-Luxemburg-Stiftung ist auf dem ,Markt der Möglichkeiten’ als Aussteller zugelassen. Als solcher führt die Stiftung einen Workshop mit dem Titel ‚Imperien des Mammons oder Wege der Gerechtigkeit’ durch. In unserem Kirchentagsprogramm ist das als ,ein Angebot der Rosa-Luxemburg-Stiftung’ gekennzeichnet. Die genannten Aktivisten sind nicht Teil des vom Kirchentag selbst organisierten Programms. Wir verstehen aber, dass es diesen Eindruck erweckt, da die Veranstaltung – ohne weitere Namensnennung – im Programm auftaucht.“

Die Leitung des DEK schien zu diesem Zeitpunkt noch zu meinen, es so allen recht machen zu können: Die Veranstaltung mit Duchrow und Esack sollte auf dem Gelände des Kirchentags stattfinden, aber dieser wollte dafür nicht verantwortlich sein. Der „Markt der Möglichkeiten“, eine Art moralische Quarantänestation.

Wer sind Ulrich Duchrow und Farid Esack, die auf dem „Workshop“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung („Zugang nur mit Eintrittskarte zum Evang. Kirchentag“, heisst es in einem Flugblatt der Rosa-Luxemburg-Stiftung) über “Imperien des Mammons oder Wege der Gerechtigkeit” reden sollten, jetzt aber doch nicht dürfen?

Farid Esack: „Israel schlimmer als Apartheid“

Farid Esack machte 2017 in Deutschland Schlagzeilen, als er im Islamischen Zentrum Hamburg (IZH), das als verlängerter Arm des iranischen Regimes gilt, sagte: „Die Idee eines islamischen Staates in Deutschland muss vertreten werden dürfen.“ Das macht ihn offenbar zum idealen Redner auf dem Evangelischen Kirchentag. Einen Spitzenplatz unter denen, die Israel verleumden, hat sich Esack dadurch erarbeitet, dass er Israel nicht bloss mit der Apartheids-Lüge diffamiert – nein, sagt Esack: Israel sei schlimmer. In einem auf YouTube gesprochenen „offenen Brief an das palästinensische Volk“ vergleicht Esack den Staat Israel mit dem Nationalsozialismus:

„Für diejenigen von uns, die unter der südafrikanischen Apartheid gelebt und für die Befreiung von ihr und allem, was sie repräsentiert gekämpft haben, spiegelt Palästina in vielerlei Hinsicht das unvollendete Unternehmen unseres eigenen Kampfes wider. … Warum ist unser Gedächtnis so kurz? Haben unsere jüdischen Brüder und Schwestern vergessen, wie sie selbst gedemütigt wurden?“

Das südafrikanische Apartheidsregime sei viel humaner gewesen als Israel, findet Esack (Hervorhebungen die des Verfassers):

„In mehr als einer Hinsicht sehen wir hier in [Israel] etwas, das viel brutaler, erbarmungsloser und unmenschlicher ist als was wir je unter der Apartheid erlebt haben. … Weisse Südafrikaner haben natürlich versucht, Schwarze zu kontrollieren.  Jedoch haben sie nie versucht, die schiere Existenz schwarzer Menschen zu negieren oder sie sich ganz weg zu wünschen, wie wir es hier [in Israel] sehen. Es gab [in Südafrika] keine militärische Besatzung ohne jegliche Rechte für die Besetzten. Uns blieben die barbarischen und diversen Formen kollektiver Bestrafung erspart, in Form von Hauszerstörungen, Verschleppung, der Zerstörung von Obstgärten, die Verwandten von Leuten gehören, die verdächtigt werden, Freiheitskämpfer zu sein. … Die Apartheidsgerichte in Südafrika haben nie Folter legitimiert. Weissen Südafrikanern wurde nie eine Freikarte gegeben, schwarze Südafrikaner zu demütigen, wie sie die Siedler hier offenbar haben. … In Südafrika waren die Weissen eine stabile Gemeinschaft, und mussten sich nach Jahrhunderten einfach mit den Schwarzen arrangieren. … Die zionistische Idee von Israel als einem Platz, wo sich alle Juden versammeln … ist zutiefst problematisch. Es gibt keinen Zwang, sich dem Nachbarn zuzuwenden, die Idee scheint zu sein, die alten Nachbarn loszuwerden, ethnische Säuberung, und die ganze Zeit über neue [Juden] ins Land zu bringen.“

Esack lässt keinen Zweifel daran, dass er die blosse Idee ablehnt, dass die Juden einen eigenen Staat haben sollen.

Duchrow: „Israel ist die Speerspitze des imperialistischen Systems“

Ulrich Duchrow wiederum hat sich zur Teilnahme an dem „Mammon“-Workshop qualifiziert, indem er ein Buch geschrieben hat, das weithin Anerkennung fand als „zutiefst israelfeindliches Machwerk“. Der Verfasser konnte dieses Machwerk (im Unterschied zu zwei anderen, aus denen wir zitieren werden) leider nicht lesen, weil der Verleger Wilhelm Hopf – der das Buch offenbar erst nach Erscheinen gelesen hatte – von dem Inhalt so schockiert war, dass er die Auslieferung gestoppt hat. Was der Deutschlandfunk über Hopfs Reaktion berichtete, sagt allerdings mehr als genug über das Buch:

„Verleger Wilhelm Hopf stört sich vor allem an Passagen aus dem Buch, in dem der BDS-Boykott Israels unterstützt wird und die Hamas als eine ‚seriöse politische Kraft mit grosser sozialer Tiefe’ bezeichnet wird.“

Alle folgenden Zitate Duchrows entstammen seinem Aufsatz „Unterdrückung über Ausbeutung hinaus. Das Beispiel Israel/Palästina in theologischer Perspektive“ (der in dem von der Evangelischen Verlagsanstalt mit Förderung der Diakonie Hessen herausgegebenen Sammelband Armut und Ausgrenzung überwinden publiziert wurde) sowie einem Vortrag, den Duchrow am 3. April 2019 in der Evangelisch-Reformierten Kirche Bremen gehalten hat. Duchrow macht Israels Existenz für alle Übel verantwortlich: Für ihn nahm das Unglück bereits mit der Einwanderung von Juden nach Palästina im 19. Jahrhundert seinen Anfang, diese hätten von Anfang an nichts als Raub im Sinn gehabt:

„Die Kolonisten kamen nicht, um Gastfreundschaft und friedliches Zusammenleben zu erbitten. Vielmehr kamen sie mit einer terroristischen Untergrundarmee und auf den Flügeln kolonialistischer Mächte, um die Bewohner aus dem Land zu treiben und sich später mit der einzig verbliebenen Supermacht zu verbinden, um auch weiterhin der schwächeren Gruppe das Land zu stehlen.“

In Duchrows Texten finden sich viele Bilder des klassischen Antisemitismus – etwa Juden als Kriegs- und Krisenprofiteure, Unterdrücker und Ausbeuter (Hervorhebungen die des Verfassers):

„Die Wirtschaft Israels braucht keinen Frieden. Das Land kann mehr Gewinne machen, wenn es Güter und Dienstleistungen verkauft, die Menschen unterdrücken und überwachen. Und diese Sicherheitstechnologie wird desto mehr benötigt, je mehr sich der Katastrophenkapitalismus in der Welt ausbreitet, der Massen von Menschen verarmt, den sozialen Zusammenhalt zerstört, und es auf diese Weise notwendig macht, dass sich reiche Individuen, Länder und Gesellschaftsstrukturen bewaffnen und sich durch Waffen, Wälle, Zäune und elektronische Überwachung schützen wie die Festung Europa oder die USA an der Grenze zu Mexiko. So ist Israel die Speerspitze der gegenwärtigen Phase des globalen imperialistischen kapitalistischen Systems.

Oder auch hier:

„Innerhalb dieser Logik braucht [Israel] die Palästinenserinnen und Palästinenser nicht. Im Gegenteil. Sie sind überflüssig. Sie müssen nur eingemauert und fortgeekelt oder vertrieben werden, während die Kolonisierung ihres Landes fortschreitet. Das Land einzuzäunen und zu stehlen, wenn möglich es gänzlich ethnisch zu säubern, um das Land ohne Menschen zu haben, ist die rationalste Strategie eines zionistischen Israel, das die Palästinenser in einem Dauerkrieg bekämpft… Seit der Nakba will man die Menschen einfach loswerden, das Land von ihnen ‚reinigen’, sie tyrannisieren und schikanieren, damit sie von sich aus das Land verlassen.“

Obwohl die PLO schon 2001 zugegeben hat, dass die „zweite Intifada“ genannte Mordwelle von langer Hand geplant war, wiederholt Duchrow die Propagandabehauptung, Ariel Scharon habe sie „durch seine Provokation auf dem Tempelberg hervorgerufen“. Mit der „Intifada“ „kehrte die ursprüngliche zionistische Logik zurück, das Land von den Palästinensern zu reinigen – durch Zwangsumsiedlungen, Krieg und Mord.“ „Intifada“ bedeutet die Ermordung von Juden. Duchrow macht daraus das genaue Gegenteil. Dass über tausend Israelis getötet wurden, macht er ihnen auch noch zum Vorwurf. Wie Esack hält auch Duchrow den Staat Israel für viel schlimmer als Südafrika während der Apartheid:

„Südafrika war ausbeuterisch und unterdrückerisch. Das reicht nicht für die Beschreibung Israels. Dessen Intention ist es, die Menschen minderen Rechts komplett loszuwerden und die Übrigbleibenden zu Ghettoisieren wie in Gaza.“

Duchrow zitiert zustimmend eine Schrift, in der von einem „schleichenden Genozid“ die Rede ist. Es ist wohl unnötig zu sagen, dass er für seine Thesen keinerlei Belege anführt (es sei denn, man wollte Fussnoten, die auf Meinungsäusserungen Gleichgesinnter verweisen, als solche werten). Duchrow wiederholt die Anschuldigungen einfach wieder und wieder, in der Hoffnung, dass möglichst viel seines Gifts beim Leser hängenbleibt. Noch ein Beispiel:

„Das heisst aber, dass das zionistische Israel nicht ein moralisch verwerflicher Einzelfall ist, sondern in der Tradition der Eroberungen in den Gebieten Amerikas, Südafrikas, Neuseelands und Australiens steht. Damit folgt es der tiefsten Logik der Moderne und wird als Teil des westlichen Imperiums zu einem weiteren Extremfall.“

Duchrow rechtfertigt Selbstmordbomber:

„Selbstmordbomber kopieren die Logik des Westens, um diesem zu widerstehen – wie etwa in Afghanistan, Irak und Israel.“

Die allermeisten Opfer von Selbstmordbombern in Ländern wie Afghanistan, dem Irak oder auch Pakistan sind Muslime, die deshalb ermordet werden, weil andere Muslime der Ansicht sind, sie seien nicht die wahren Muslime. Duchrow verherrlicht diese Massaker als „Widerstand“ – gegen einen Westen, der damit zumeist überhaupt nichts zu tun hat.

„Jüdische Herrschaftsgruppe“

Duchrow verbreitet die antisemitische Verleumdung, wonach Juden aus der Tora die Rechtfertigung für angeblich von ihnen verübte Verbrechen zögen. Auf fast einer ganzen Buchseite zitiert er aus dem 5. Buch Mose Gottes Weisung an die Israeliten, wie sie mit den Götzendienern im Land Kanaan umzugehen hätten. Duchrow folgert:

„Dieser Text und seine Parallelen scheinen tatsächlich die ethnischen Säuberungen des heutigen Staates Israel seit der Nakba zu rechtfertigen. Wie soll man also denen antworten, die diese Art Texte als Rechtfertigung benutzen für Landraub, Schikanieren oder Töten von Menschen, also für die Methoden, mit denen der Staat Israel so viel palästinensisches Land wie möglich in seinen Besitz zu bringen versucht?“

Gäbe es solche Juden wirklich – und wären sie obendrein noch so einflussreich, dass sie die Politik der Regierung bestimmen –, dann würde Duchrow sie namentlich nennen und zitieren. Doch Duchrow lebt offenbar in einer fiktiven Welt. Die Israelis, die Verbrechen verüben und sie mit der Tora rechtfertigen, existieren nicht, Duchrow hat sie sich einfach ausgedacht – oder besser gesagt, er bildet sie sich ein. Das Argument, ihre Religion gebe den Juden einen Freibrief zu Verbrechen, geht zurück auf den antisemitischen Theologen August Rohling (1839-1931), der den von den Nationalsozialisten häufig gebrauchten Schmähbegriff „Talmudjude“ prägte. In seinem Buch „Der Talmudjude“ schrieb Rohling, dass „der Jude von Religions wegen befugt ist, alle Nichtjuden auf jede Weise auszubeuten, sie physisch und moralisch zu vernichten“. Duchrow scheint radikaler als Rohling: Zionisten glaubten bloss, dass die Bibel ihnen das Recht gäbe, Verbrechen zu verüben, das sei aber gar nicht wahr, sie würden die Bibel auf böswillige Art verdrehen, so Duchrow:

„Eine Regierung heute, die ihren Landraub, die Unterdrückung und Ermordung von Palästinenserinnen mit Gottes Landverheissung rechtfertigt, stellt die biblischen Erzählungen und Rechtsformen auf den Kopf. … Somit liegt offen zutage, dass das zionistische Israel das genaue Gegenteil von dem tut, was die Propheten und die Tora fordern: Gerechtigkeit“

Duchrow begnügt sich nicht damit, den Juden den Bruch irdischer Gesetze vorzuwerfen: Auf der Grundlage seiner Bibelauslegung glaubt Duchrow mit Sicherheit sagen zu können, dass Israel „den Bund [mit Gott; S.F.] gebrochen“ habe und „dafür zur Rechenschaft gezogen“ werden müsse. Abzulehnen sei „die verbreitete Meinung, der Staat Israel könne als Fortsetzung des biblischen Israel verstanden werden, während er doch in Realität die Seite des Imperiums gewählt hat – im Alten Israel Ägypten, Babylonien und Rom.“

Duchrow will den „zionistischen Narrativ“ zerstören. Das beste Mittel dazu sei die BDS-Kampagne: „Boykott ist nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein erzieherisches Mittel.“ Das „,symbolische Kapital’, zur jüdischen Herrschaftsgruppe zu gehören“, müsse geschmälert werden.

Morde bloss Gegengewalt

Unter dem Vorwand, die Morde an israelischen Zivilisten (Duchrow nennt sie lediglich „Gewalt“, die eigentlich sogar „Gegengewalt“ sei) nicht rechtfertigen zu wollen, tut er eben dies – er rechtfertigt sie:

„Selbstverständlich muss man mit den Menschen in Israel fühlen, die Angst vor Gewalt haben. Aber man muss doch nach den Ursachen dieser Gegengewalt fragen, ohne diese zu rechtfertigen. Wer von uns kann es ermessen, was es bedeutet, vor 70 Jahren Grossteile des eigenen Landes geraubt zu bekommen, viele Flüchtlinge in der Familie zu haben und über 50 Jahre unter gewaltsamer Besatzung zu leiden. Wer unter diesen Umständen die Gewalt Israels mit der Gegengewalt der Palästinenser entschuldigt, macht die Opfer zu Tätern.“

Man muss einen Augenblick innehalten, um Duchrows krude Gedanken nachzuvollziehen. Diejenigen, die Bomben in einer Diskothek zünden, eine von Familien mit vielen Kindern besuchte Pizzeria in die Luft sprengen, eine Familie im Schlaf massakrieren oder mit einem Scharfschützengewehr ein im Kinderwagen liegendes zehn Monate altes Baby töten, die sind dann – was noch mal? Kaltblütige, sadistische Mörder? Nein, sie seien die wahren Opfer, sagt Duchrow, die man nicht „zu Tätern“ machen dürfe! Denn solche Morde sind für Duchrow bloss Gegengewalt:

„In der Tat haben sich über die Jahrzehnte Palästinenser gegen die völkerrechtswidrige Besatzung auch mit Gegengewalt gewehrt. Aber dabei handelt es sich heute meist um verzweifelte Steinwürfe von Jugendlichen, Messerstiche und einige Raketen gegen israelische Unterdrückung und Provokationen, dies vergleichbar mit Davids Steinschleuder gegen den Goliath der hochgerüsteten israelischen Armee.“

Das Abschlachten von Juden mithilfe langer Messer macht Duchrow zu „Messerstichen“. Über 15.000 auf israelische Zivilisten geschossene Raketen (eintausend allein im letzten Jahr) sind für ihn bloss „einige Raketen“, und eigentlich ist die Ermordung von Juden mit „Davids Steinschleuder“ vergleichbar, also mit etwas, das Sympathie verdient: „Völker, denen das Selbstbestimmungsrecht mit Gewalt genommen wird“, hätten „ein völkerrechtlich garantiertes Recht zum Widerstand“, so Duchrow. Die Mörder hätten demnach ein verbrieftes Recht, wenn nicht vielleicht sogar einen moralischen Auftrag.

Leugnung der Vertreibung von Juden aus arabischen Ländern

Duchrow geht es anscheinend darum, ein Schwarz-Weiss-Bild zu malen, in dem Juden bloss als böse „Kolonisten“ und „Landräuber“ auftauchen, Araber hingegen allein als unschuldige Opfer. Dem steht etwas entgegen, nämlich historische Fakten:

    • Die Pogrome gegen Juden, die es im britischen Mandatsgebiet Palästina ab 1920 gab.
    • Die Pogrome in arabischen Ländern vor und nach 1945.
    • Die Aufstachelung zur Judenverfolgung, die der Grossmufti von Jerusalem und Hitlerfreund Amin El-Husseini ab den 1920er Jahren betrieb.
    • Die Vertreibung von 850.000 Juden aus arabischen Ländern nach 1945.
    • Die Ablehnung jeglichen Kompromisses durch die arabischen Führer.

Ein Beispiel dafür, wie Duchrow die Geschichte umschreibt, ist die „Arabische Befreiungsarmee“, deren Gründung die arabischen Regierungen am 12. Dezember 1947 bei ihrem Treffen in Kairo beschlossen hatten. Dabei handelte es sich zum grossen Teil um syrische Söldner, die für das Vichy-Regime gekämpft hatten, dazu einige frühere SS-Soldaten aus Europa und spanische Falangisten. Bis zum Frühjahr 1948 wuchs sie auf 7.000 Kämpfer an. Ihr Emblem: ein arabischer Krummdolch (Handschar), der einen Davidstern ersticht. Duchrow umschreibt sie so:

„Fakt ist, dass ursprünglich nur 7.000 schlecht ausgebildete und bewaffnete Palästinenser zur Selbstverteidigung bereit standen.“

Wie verfährt Duchrow mit der „jüdischen Nakba“, der Vertreibung von ca. 850.000 Juden aus arabischen Ländern? Indem er sie schlicht leugnet, so wie die türkische Regierung den Völkermord an den Armeniern leugnet. Mit der Ausnahme Ägyptens hätten die Juden die arabischen Länder allesamt freiwillig verlassen. Duchrow schreibt:

„Es wird nun manchmal behauptet, die Misrachi-Juden [Juden aus der arabischen Welt; S.F.] seien ebenfalls aus den arabischen Ländern vertrieben worden. Die Realität sah anders aus, wie man in einem Offenen Brief israelischer WissenschaftlerInnen an die Heinrich Böll-Stiftung, die diese Falschmeldung verbreitet hatte, nachlesen kann.“

Dieser „Offene Brief“ ist von unbekannten Leuten unterschrieben, die angeben „Musiker“, „Student“, „Künstlerin“ oder „Filmregisseur“ zu sein. Als Fundort dieser Quelle führt Duchrow in einer Fussnote einen Blog mit dem Titel „Schmok. Schnöseliger, gesinnungsloser, rabulistischer Schreiberling“ an. (Wer es nicht glauben mag: Es ist die Fussnote 9 in diesem Dokument).

Duchrow leugnet also die Vertreibung und Ermordung von Juden in der arabischen Welt, und der einzige Beleg für seine Behauptung ist, dass er das auf einem obskuren Blog im Internet gelesen hat. Das sagt einiges über seine wissenschaftliche Seriosität und viel über seine Motivation: Juden dürfen keine Opfer sein oder höchstens Opfer ihrer eigenen bösen Taten („Gerechtigkeit [ist] die Vorbedingung für langfristige Sicherheit der Israelis“, schreibt Duchrow an einer Stelle).

Hisbollah-Sympathisantin dabei?

Zu den Autoren des Buches, in welchem Duchrows Aufsatz „Unterdrückung über Ausbeutung hinaus“ erschien, gehören der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, und die ehemalige Ratsvorsitzende Margot Kässmann. Auf Anfrage liess Bedford-Strohm seinerzeit mitteilen: „Von dem Text von Herrn Duchrow distanziert sich die EKD inhaltlich ausdrücklich.“ Für den Rat der EKD sei „Antisemitismus Gotteslästerung“. Man fragt sich, warum bei einer so klaren Lage die Veranstaltung mit Duchrow erst 24 Stunden vorher abgesagt wurde, immerhin war sie sicherlich seit Monaten geplant.

Die öffentliche Aufklärung darüber, welch problematischen Personen in Dortmund auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag auftreten sollten – wie in diesem Fall von den Ruhrbaronen – scheint gewirkt zu haben. Das ist gut. Noch besser wäre freilich gewesen, die Rosa-Luxemburg-Stiftung gar nicht erst auf das Veranstaltungsgelände zu lassen. Die religionspolitische Sprecherin der Linken – die in Dortmund dabei ist – ist Christine Buchholz. Sie nahm laut einem Bericht der Wochenzeitung Jungle World  2006 an einem Anti-Israel-Aufmarsch in Berlin teil, bei dem skandiert wurde: „Wir sind alle Hisbollah!”, “Hisbollah bis zum Sieg!” und “Kein Platz für Israel!” und sagte selbst in einem Redebeitrag: „Die Dämonisierung der Hisbollah ist Teil der ideologischen Kriegsführung. Die Linke sollte dabei nicht mitmachen.” In einem Interview bezeichnete sie die Terrororganisation Hisbollah als „antikoloniale Befreiungsbewegung“. Im Krieg gegen Israel gebe es zwei Seiten, erklärte Buchholz; auf der einen Seite stünden Israel und die USA. „Auf der anderen Seite stehen in diesem Konflikt die Hisbollah, die Friedensbewegung in Israel und die internationale Antikriegsbewegung. Das ist die Seite, auf der auch ich stehe.“ Wer Leute wie Christine Buchholz einlädt, muss damit rechnen, dass sie ein Tor öffnen für weitere Dämonen.

Über Stefan Frank

Stefan Frank ist freischaffender Publizist und lebt an der deutschen Nordseeküste. Er schreibt regelmässig über Antisemitismus und andere gesellschaftspolitische Themen, u.a. für die „Achse des Guten“, „Factum“, das Gatestone Institute, die „Jüdische Rundschau“ und „Lizas Welt“. Zwischen 2007 und 2012 veröffentlichte er drei Bücher über die Finanz- und Schuldenkrise, zuletzt "Kreditinferno. Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos."

Alle Artikel

1 Kommentar

  1. Danke an Stefan Frank für die kompetente und ausführliche Beleuchtung dieser zwei “umstrittenen Referenten”. Dass solche Figuren überhaupt noch als diskutabel vorgestellt werden, ist der eigentliche Skandal. Verantwortlich dafür ist die Partei Die Linke und deren Rosa-L.-Stiftung, die fast schon gewohnheitsmäßig antiisraelische und antisemitisch konnotierte Veranstaltungen (“Imperien des Mammons …”) organisiert.

Kommentarfunktion ist geschlossen.