Das Problem in Deutschland ist mehr als nur eine „Kippa”

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Symbolbild. Foto David Berkowitz, NY, USA - Berkowitz_250, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3849509
Symbolbild. Foto David Berkowitz, NY, USA - Berkowitz_250, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3849509
Lesezeit: 5 Minuten

Wer könnte wirklich überrascht sein von der Geschichte, die am vergangenen Wochenende die Aufmerksamkeit der jüdischen Welt auf sich zog? Als Felix Klein, der erste Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus (das ist tatsächlich sein vollständiger Titel), Juden vor der Gefahr warnte, in der Öffentlichkeit eine Kippa zu tragen, war es kaum ein Schock, dass dies in dem für den Holocaust verantwortlichen Land möglich war. Aber die erschreckende Offenheit seines Eingeständnisses macht es unmöglich, die Tatsache, dass Juden in Europa bedroht sind, noch länger zu ignorieren.

 

von Jonathan S. Tobin

Ein Teil des Ärgers, den Kleins Aussage auslöste, richtete sich sowohl gegen ihn als auch gegen die deutsche Regierung. Der israelische Präsident Reuven Rivlin fühlte sich durch die Empfehlung gekränkt und sah sie als eine Art „Kapitulation“ vor dem Hass. Es ist leicht, Rivlins trotzige Antwort zu loben, die den Geist des Zionismus zusammenfasst: „Wir werden uns niemals unterwerfen, niemals den Blick senken und niemals mit Defätismus auf Antisemitismus reagieren – und wir erwarten und verlangen von unseren Verbündeten, sich ebenso zu verhalten.“

Vielleicht jedoch gebührt Klein auch etwas Lob dafür, dass er die Wahrheit ausspricht. Deutschland ist bei weitem nicht die einzige europäische Nation, in der Juden regelmässig Gewalt auf der Strasse ausgesetzt sind.

In den Vereinigten Staaten wissen wir, dass Antisemitismus sowohl von der extremen Rechten als auch der radikalen Linken kommt. Viele Unterstützer konzentrieren sich jedoch lieber nur auf den Hass, für den man, gerechtfertigt oder nicht, den jeweiligen politischen Gegner verantwortlich machen kann und übersehen jenen, den man den eigenen Verbündeten anlasten muss.

Ablehnung der „Erinnerungskultur“

In Europa kommt die Bedrohung für die jüdische Bevölkerung sowohl von Hassern aus der extremen Rechten als auch aus dem wachsenden Anteil von Einwanderern aus muslimischen Ländern. Zu viele der Stellungnahmen zu dieser Situation sind jedoch offenbar von der Angst vor einem Aufstieg rechtsgerichteter nationalistischer Parteien geprägt, verbunden mit einer Weigerung, sich der Tatsache zu stellen, dass es muslimischen Hass gegen Juden und Israel gibt.

Antisemitismus aus einigen der traditionellen Quellen von rechts verstärkt die Judenfeindlichkeit. In Deutschland tritt dies in Form der Ablehnung der „Erinnerungskultur“ an den Holocaust zutage. Leider hat es diese Kultur nicht nur nicht geschafft, die anhaltenden Auswirkungen von 2.000 Jahren antisemitischer Aufwiegelung auszurotten, sie hat auch zu einem weitverbreiteten Unmut gegenüber den Juden geführt. Allzu viele Deutsche können den Juden offenbar nicht vergeben, dass sie sie an die Schuld ihrer Grosseltern erinnern.

Dies ist jedoch nicht der einzige Faktor, der zum Antisemitismus beiträgt.

Allianz zwischen Muslimen und linksgerichteten Akademikern

Wie in vielen anderen europäischen Ländern auch hat der jüngste massive Zustrom von Zuwanderern aus muslimischen und arabischen Ländern eine riesige neue Anhängerschaft geschaffen. In der islamischen Kultur gibt es eine lange Tradition der Verachtung gegenüber Juden, die durch den Groll über die Schaffung des heutigen Israel nur noch verschärft wurde. Muslimische Ausdrucksformen des Hasses für Israel und Juden lassen sich heute nicht von traditionellen europäischen antisemitischen Schmähungen unterscheiden. Dies hat zu einer bizarren Allianz zwischen Muslimen und linksgerichteten Akademikern – zusätzlich zu anderen Eliten, die sich mit einer ähnlichen Delegitimierung von Israel, dem Zionismus und den Juden befassen – geführt.

Es wird jedoch viel Aufhebens um eine offizielle Statistik der deutschen Regierung gemacht, die zeigt, dass die gewalttätigsten Angriffe auf Juden von Rechten kommen, nicht von Muslimen. Ein Bericht des New York Times Magazine über deutschen Antisemitismus, der in der Woche vor den umstrittenen Kommentaren Kleins erschien, zeigt jedoch, dass diese Statistik von deutsch-jüdischen Offiziellen angezweifelt wird und mittlerweile grösstenteils diskreditiert ist. Deutsche Behörden verzeichnen jeden Angriff, dem sie kein direktes Motiv zuordnen können oder wollen, als Tat von rechtsgerichteten Antisemiten, ob es Belege für deren Beteiligung gibt oder nicht. Umfragen unter deutschen Juden zeigen ausserdem, dass eine Vielzahl derer, die Antisemitismus ausgesetzt waren, berichten, muslimische Extremisten seien dafür verantwortlich gewesen.

Dennoch glauben die meisten Juden, ein Bündnis mit rechtsgerichteten Europäern, die befürchten, der Einfluss muslimischer Einwanderung höhle den nationalen Charakter ihrer Länder aus, sei grundsätzlich gefährlich. Viele Mitglieder dieser Parteien haben bestenfalls eine problematische Geschichte in Bezug auf Antisemitismus. Juden trauen populistischen Bewegungen kaum, ob in Deutschland, Frankreich oder sonstwo in Europa, auch wenn diese nun ihre Unterstützung für Israel bekunden oder den Wunsch, jüdische Gemeinschaften zu schützen. Wer bereit ist, Hassreden gegen Muslime zu schwingen, tut dies vermutlich auch gegen Juden.

“Das Problem ist nicht einfach nur eine Frage von Kopfbedeckungen”

Die Sicherheit von Juden in jedem beliebigen Land ist natürlich eng mit der Art und Weise verknüpft, wie alle Minderheiten dort behandelt werden. Aber wer eine Quelle des Antisemitismus mindern möchte – ob seitens der traditionellen Rechten, der Linken oder der Muslime –, um sich auf eine andere Bedrohung zu konzentrieren, die sich für ihn leichter anklagen lässt, tut gefährdeten Juden keinen Gefallen.

An diesem Punkt ist die Frage, wen die Juden als ihren Verbündeten betrachten sollten, nicht so wichtig. Wichtig ist, zu erkennen, dass die Krankheit, die einst das europäische Judentum zerstört hat, nicht nur wiederauferstanden ist, sondern dass dieser Virus eine neue Variante entwickelt hat, bei der Israel zum Ersatz für traditionelle jüdische Stereotypen und zur Rechtfertigung für eine neue Welle des Hasses gegen alle Juden geworden ist.

Wir müssen das Recht von Juden, dort zu leben, wo sie möchten, und ihrer Identität auf den öffentlichen Plätzen in Europa Ausdruck zu verleihen, verteidigen. Wenn jedoch 74 Jahre nach dem Sturz des Naziregimes die wachsende jüdische Gemeinschaft in Deutschland auf den Strassen nicht mehr sicher ist, bringt es nichts, so zu tun, als könne man Einstellungen, die das Produkt jahrhundertealten Hasses sind, der durch eine aktuelle politische Aufwiegelung noch verschärft wird, durch die üblichen Strategien der Beziehungen zwischen Gemeinschaften verbessern.

Wir sollten diejenigen Deutschen loben, die jetzt symbolisch für ein oder zwei Tage Kippas aufsetzen werden, um ihrer Solidarität mit den Juden Ausdruck zu verleihen. Aber das Problem ist nicht einfach nur eine Frage von Kopfbedeckungen oder Erziehungsprogrammen gegen Hass, die ganz eindeutig bereits gescheitert sind. Es ist dumm, zu glauben, man könne die ständige Delegitimierung Israels davon trennen, wie Juden behandelt werden. Die Geschehnisse in Europa zeigen wieder einmal, dass überall wo Antizionismus legitimiert wird, Antisemitismus wächst und antijüdische Gewalt folgt.

Jonathan S. Tobin ist Chefredakteur der Nachrichtenagentur JNS. Auf Englisch zuerst erschienen bei Jewish News Syndicate. Übersetzung Audiatur-Online.

1 Kommentar

  1. Es gibt kein Problem mit Judenhaß in Deutschland, da Judenhaß nichts anders als Bestandteil Deutscher Leitkultur, welche selbst untrennbar von solcher Europas ist.
    Insofern ist dieser Judenhaß nichts anders als epigenetisch verankerte Eigenschaft
    sämtlicher Völker Europas, die ebenfalls weiter vererbt wird.

    Das Problem existiert nur bei solchen, die Wunschdenken und Illüsorische Vorstellungen haben… sprich an Realitätsverlust leiden oder naiv sind.

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