Umgang mit BDS: Solidarität mit Israel – aber aus rein taktischen Gründen

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Symbolbild. Abstimmung im Plenum des Deutschen Bundesatges am 11. April 2019 in Berlin. Foto Olaf Kosinsky, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=78177001
Symbolbild. Abstimmung im Plenum des Deutschen Bundesatges am 11. April 2019 in Berlin. Foto Olaf Kosinsky, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=78177001
Lesezeit: 3 Minuten

Der Bundestag hat die antisemitische BDS-Bewegung verurteilt. Doch Union, SPD und Grüne haben das vor allem getan, um nicht als Antisemiten abgestempelt zu werden. Deutschlands moralpolitische Grundlage im Umgang mit Israel bröckelt.

 

von Michael Wolffsohn

Das moral- und geschichtspolitische Fundament der Bundesrepublik Deutschland wird derzeit umgebaut. Das beweisen unzählige Krisen und Konflikte mit vielen unserer westlichen Partner (Amtsdeutsch „Freunden“) und eben nicht nur mit Trumps USA. Auch das Verhältnis zu Israel und den Juden zeigt den neudeutschen Wertewandel.

Das dokumentierte am 17. Mai die Bundestagsabstimmung über die antizionistische BDS-Kampagne. Was BDS („Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“) gegenüber Israel verlangt, ist mehr als Kritik an der Regierung Israels und Premier Netanjahu.

Ein Blick auf die Website genügt: Der jüdische Staat, also die Antwort auf 3000 Jahre jüdischer Verfolgungsgeschichte und damit die Lebensversicherung aller Juden weltweit, solle verschwinden. Wer Juden diese Existenzsicherheit verweigert, ist Antisemit. Das hilft keine Klügelei.

Mit wohlklingenden Worthülsen verdeckt BDS das eigentliche Ziel: die Auslöschung des jüdischen Staates. Gefordert wird zum Beispiel der Einsatz der demografischen Atombombe gegen Israel: die Rückkehr von sieben Millionen vertriebenen Palästinensern. Tatsächlich vertrieben oder geflohen sind 1947/48 etwa 700.000 Palästinenser. Das war die Folge des von ihnen begonnenen, mit arabischen Verbündeten geführten und verlorenen Krieges gegen die Gründung Israels.

Wer sich in Deutschland damit solidarisiert, müsste folgende Position beziehen: 1.) Schlesien und die übrigen „Ostgebiete“ sind „unser“. Hitler hat zwar den Zweiten Weltkrieg begonnen, aber unser Landverlust ist Unrecht. 2.) Die zwölf Millionen deutschen Vertriebenen sollen – samt Kindern und Kindeskindern – zurück in ihre „Heimat“.

Diese „Logik“ widerspricht dem moral- und geschichtspolitischen Fundament des neuen Deutschland. Man erwartet sie zu Recht von rechts, also bei der AfD. Doch just sie verlangte im Bundestag die schärfsten Massnahmen gegen BDS: ein Verbot.

Auch bezüglich der deutschen UN-Politik plädiert die AfD weit mehr als alle übrigen Parteien – mit Ausnahme der FDP – für eine proisraelische Linie. Wenn viele oder die meisten AfD-Wähler NS-Nostalgiker sind, dann aber ist ein projüdischer und proisraelischer Kurs politischer Selbstmord.

Umgebaut hat sich die FDP. Bis Mitte der 1960er war sie rechtsliberal, bis 1982 linksliberal und dann etwas von beidem. Zu Israel wahrte sie manchmal Möllemann-polemische Distanz, die nicht selten vom ewigen Aussenminister Genscher gebilligt wurde. Heute ist die FDP eindeutig proisraelisch und damit ungebrochen projüdisch. Das beweisen ihre Initiativen gegen Deutschlands bisherige BDS- und UN-, also Anti-Israel-Politik.

CDU/CSU, SPD und Grüne haben sich dem FDP-Vorstoss im Bundestag aus rein taktischen Gründen angeschlossen. Sie hatten Angst, als Antisemiten abgestempelt zu werden. Jürgen Trittin sprach das ausserhalb des Plenums aus. Mit 15 anderen Grünen stimmte er gegen die Anti-BDS-Entschliessung und sah die Meinungsfreiheit gefährdet.

Auch in der CDU grummelte es. Lange vorbei ist die ungebrochen projüdische und proisraelische Politik der CDU der Adenauer- und Kohl-Ära. Zu Papier gebracht hat das eine Gruppe von 19 Unionspolitikern. Ihr Anführer ist der mehrfach gescheiterte und in die Aussenpolitik abgeschobene Norbert Röttgen: Eine Anti-BDS-Politik könne Kritik an Israels Regierung oder die Arbeit deutscher NGOs erschweren.

Den Bedenken von Röttgen & Co. schlossen sich die Spitze (nicht die Mehrheit!) der Grünen-Fraktion sowie einige SPD-Parlamentarier an, darunter Niels Annen, Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Nichts Neues. Die Mehrbödigkeit der SPD-Israelpolitik gehört seit Willy Brandt zur Tradition.

Neues gibt es bei der Linken: Obwohl mehrheitlich antiisraelisch, löst sich ein wachsender Kreis von der unsäglich antisemitischen, proterroristischen DDR-Tradition. Zur Speerspitze dieser Reform-Linken gehören vor allem „Ossis“ wie Petra Pau, Jan Korte, Michael Leutert und Berlins Kultursenator Klaus Lederer. Es gibt Neues im neuen Deutschland.

Michael Wolffsohn ist Historiker und Buchautor. Auf Deutsch zuerst erschienen bei DIE WeLT.

1 Kommentar

  1. Sehr geehrter Herr Wolffsohn!
    Ich schätze Sie sehr und bin mit ihren Beiträgen und ihrem Buch sehr einverstanden. Aber bitte beantworten Sie mir folgende Frage: Wer (außer ein paar Deppen?) von der AfD betreibt Rassenantisemitismus und NS Nostalgie und steht deswegen im Widerspruch zur proisraelischen Politik der AfD? Was Sie an der Qualitätspresse und Zeitgeistpolitik bezüglich Israel/(Pälästina) zu recht kritisieren, nämlich Parteilichkeit, Einseitigkeit und ideologische Feindseligkeit nehmen Sie bei der AfD nicht wahr: Die AfD ist eine konservative bürgerliche Partei der (rechten) Mitte, (also ganz grob so Netanjahu). Sie möchte in der deutschen Politik das, was Sie und Netanjahu für Israel wünschen, und ich auch. Sowohl Israel als auch Deutschland hat ein Recht auf Existenz und Selbstbehauptung ihres demokratischen Nationalstaates. Beiden wird das von globalistischen Linken und radikalem Islam abgesprochen. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Genau die, die Israel das Existenzrecht absprechen und zum Schuldigen und Sündenbock für die Situation im Nahen Osten machen, sprechen einer konservativen Mitte wie der AfD das Existenzrecht ab und machen sie zu Sündenböcken und zum Bösen an sich. Die selben Leute und ihre Ideenlogik führen, getarnt als Antiimperialismus, einen Informations- und Medienkrieg gegen das demokratische Israel, und genauso getarnt als “Kampf gegen Recht” einen Informations- und Medienkrieg gegen die gesamte Mitte der demokratischen, deutschen Gesellschaft weit über die AfD hinaus. Die Programme der AfD ist darauf genauso eine legetime, demokratische Antwort wie die Politik Netanjahus. Die AfD steht fest in der Tradition des demokratischen deutschen Nationalstaates und gar nicht in der Tradition der NSDAP. Wer das behauptet verharmlost den Nazionalsozialismus bis zur Unkenntlichkeit.

    Fallen Sie bitte nicht bezüglich AfD auf genau das herein, was Sie bezüglich Israel so hervorragend durchschauen. Bitte passen Sie auf, dass Sie nicht versehentlich mit zweierlei Maß messen. Und lesen Sie bitte z.B. mal die AfD Programme zur letzten Bundestags- und EU-Wahl, das würde vieles klären.
    Hochachtungsvoll
    Guido Thiers

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