Geschichtsklitterung beim Deutschlandfunk ?

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Foto blu-news.org - Deutschlandradio, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=38533159
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Lesezeit: 7 Minuten

Unter dem Titel „Gaza-Jericho-Abkommen. Der gescheiterte Friedensprozess in Nahost“ hat die Domradio-Redakteurin Ina Rottscheidt aus Anlas des 25. Jahrestages der Unterzeichnung der „Osloer Verträge“ in Washington am 4. Mai eine ausführliche Analyse im Deutschlandfunk gewidmet.

 

Schon im Vorspann erklärt sie die Ziele ihrer Analyse: „25 Jahre nach dem Gaza-Jericho-Abkommen scheint ein möglicher Frieden im Nahen Osten in weite Ferne gerückt. Der Friedensprozess scheiterte auch an den Geburtsfehlern des Vertrages. Die angestrebte Zwei-Staaten-Lösung ist aktuell nicht in Sicht.“

Hier fragt sich, wann ein „Frieden“ im Nahen Osten greifbar nahe war, ob es jemals einen „Friedensprozess“ gegeben hat, wenn niemals von „Friedensverhandlungen“ gesprochen worden ist. Und wenn sie dann noch von der „angestrebten“ Zwei-Staaten-Lösung redet, muss man fragen, wer die eigentlich „anstrebt“ und ob dieses Ziel jemals im Nahen Osten wirklich im Raum stand.

Mit einem tatsächlich wortgetreu wiedergegebenen Zitat straft sich die Autorin selber der Lüge: „Guten Abend, meine Damen und Herren! Der Weg zur Selbstverwaltung der Palästinenser im Gazastreifen und in Jericho ist frei. Israels Ministerpräsident Rabin und PLO-Chef Arafat besiegelten heute mit ihren Unterschriften das Autonomieabkommen.“

Rottscheidt verschweigt, wer diese Worte gesprochen hat, ob es der amerikanische Präsident oder der ägyptische Präsident Hosni Mubarak war, der Gastgeber der dort erwähnten Zeremonie. Klar ist nur, dass da lediglich von einer „Selbstverwaltung“ im Rahmen eines „Autonomieabkommens“ die Rede war, also weder von einem Staat, noch von einer Zwei-Staaten-Lösung. Wenn es dann dort auch noch heisst, dass man „Monatelang um die Inhalte des Abkommens gerungen“, dann hätten Rottscheidt auch die zitierten Formulierungen auffallen müssen. Eine „Selbstverwaltung“ ist keinesfalls gleichbedeutend mit einem „Staat“.

1967 sprach noch niemand von „Palästinensern“

Rottscheidt zitiert dann noch Jassir Arafat mit den Worten: „Nach vielen Jahren der Gewalt müssen wir nun den Mut zum Frieden finden.“ Auch dieses Zitat macht klar, dass das erwähnte Kairoer Abkommen keinesfalls ein Friedensabkommen war. Und weiter heisst es da: „27 Jahre, nachdem Israel im Sechs-Tage-Krieg das Westjordanland, den Gazastreifen und Ost-Jerusalem erobert hatte, schien erstmals eine Lösung des Konfliktes in Sicht.“ Auch das ist eine gewagte Aussage der Autorin, zumal sie hier verschweigt, dass Israel 1967 das Westjordanland und Ostjerusalem vom Königreich Jordanien erobert hatte, während der Gazastreifen bis zu jenem Krieg von Ägypten verwaltet worden war. 1967 sprach noch niemand von „Palästinensern“, denn diesen Begriff prägte Jassir Arafat erst ein Jahr später in seiner Neufassung der PLO Charta.

Die heutigen sogenannten „palästinensischen Flüchtlinge“ wurden damals – und in offiziellen Dokumenten bis heute – von der UNO-Flüchtlingshilfe UNRWA „arabische Flüchtlinge aus Palästina“ genannt. Aber das sind diplomatische Formulierungen und Feinheiten, um die sich die Autorin beim Deutschlandfunk nicht weiter kümmerte.

Weiter behauptet sie höchst ungenau und historisch falsch: „Israel sollte sein Militär aus Gaza und der Region um die Stadt Jericho abziehen“. Tatsache ist, dass Israel seine Truppen nur aus Teilen des Gazastreifens abziehen sollte. Es sollte ihr bekannt sein, dass Israel erst 2005 unter Ariel Scharon die Truppen aus dem Gazastreifen mitsamt Soldaten und Siedlern abgezogen hat. Obgleich Rottscheidt im Nachfolgenden Text die Zauberformel „Land für Frieden“ beschwört, sollte ihr bekannt sein, dass ausgerechnet der israelische Abzug aus Gaza zum Abschuss von über Tausend Raketen auf israelische Städte geführt hat. Dabei gab es auch Tote und Verletzte auf der israelischen Seite. Das nennt sich eher Krieg und nicht „Frieden“.

Sie erwähnte dann noch: „die Palästinenser sollten in den folgenden Jahren eine Autonomiebehörde aufbauen und schrittweise mehr Verantwortung für Verwaltung und Sicherheit übertragen bekommen.“

Beim heutigen Blick auf die palästinensischen Gebiete erweist sich, dass davon kaum etwas übriggeblieben ist: Das Parlament ist aufgelöst, die Demokratie abgeschafft und im Gazastreifen wie im Westjordanland herrschen Hamas und die PLO ohne Legitimation und in tiefer Feindschaft.  

Dennoch schreibt Ina Rottscheidt weiter: „Erstmals bekamen die Palästinenser damit ein selbst zu verwaltendes Gebiet zugesprochen. Frieden und ein eigener Staat schienen in greifbarer Nähe.“ Wo war da die Rede von „Friede“ und von der greifbaren Nähe eines „palästinensischen Staates“. Allein die Autorin glaubt offenbar, dass ein palästinensischer Staat wirklich Frieden bringen würde. In den Abkommen der Israelis und Palästinenser ist jedenfalls keine Rede davon.

Rottscheidt zitiert dann noch Aussenminister Shimon Peres, der damals die Verträge für die israelische Seite unterzeichnet:

„Das ist eine Revolution: Gestern ein Traum – heute eine Verpflichtung. Die Israelis und die Palästinenser, die sich seit fast einem Jahrhundert bekämpft haben, besitzen jetzt die Grösse, entschlossen den Weg von Dialog, Verständnis und Kooperation zu beschreiten.“

Auch hier hätte ihr auffallen müssen, dass weder „Frieden“ noch „Staat“ vorkommen.

Weiter behauptet sie – offenbar ohne wohl jemals die Abkommenstexte gelesen zu haben – , dass Israel versprochen habe, sich schrittweise aus „den“ 1967 besetzten Gebieten zurückziehen. „Land gegen Frieden“ lautete die Formel.

Zu ihrer Information: Israel hat niemals versprochen, sich aus „den“ besetzten Gebieten zurückzuziehen. Schon 1967 hat die UNO in der berühmten Resolution 242 nur von einem Rückzug „aus besetzen Gebieten“ gesprochen, ohne das Wörtchen „den“. Während des Krieges 1967 hat sich Israel die ganze Stadt Jerusalem einverleibt und geschworen, sie „auf ewig“ niemals wieder freizugeben. Bekanntlich ist die Festlegung der künftigen Grenzlinien bis heute offen, zumal die alte Grenze zwischen Israel und dem jordanischen Westjordanland nur eine „Waffenstillstandslinie“ war und keine international anerkannte Grenze. Zudem ist anzunehmen, dass Israel weder auf die Klagemauer noch auf den Ölberg oder die Stadt Maaleh Adumim freiwillig verzichten würde.

Unterschlagung wichtiger Ereignisse

Rottscheidt fügt dem noch hinzu: „Am Ende sollen zwei eigenständige Staaten stehen, das ist die Vision.“ Vielleicht ist das die private Vision der Autorin. In den Vertragstexten wird sie vergeblich nach diesen Formulierungen suchen, zumal die griffige Formel „Land für Frieden“ eine journalistische Erfindung war und keine diplomatische Leitlinie der Verhandler.

Die Autorin klittert munter weiter und unterschlägt wichtige Ereignisse ab 1994, nachdem Arafat unter Jubel nach Gaza zurückgekehrt ist. Sie erwähnt zwar „erbitterte Kritiker auf beiden Seiten“, doch konkret wird sie dabei nur auf der israelischen Seite mit Siedlern, Frommen und dann bei Jigal Amir, der Rabin ermordete, und natürlich Benjamin Netanjahu.

Völlig unter den Tisch fällt das Blutbad, das Jassir Arafat sofort nach seiner Rückkehr mit seinen bewaffneten Kämpfern in Israel auslöste. Bei Terroranschlägen, teilweise auch mit Selbstmordattentätern, fielen diesem „Friedensprozess“ damals schon Dutzende Israelis zum Opfer. Das Vertrauen in den „Friedenswillen“ der Palästinenser schwand völlig. Die eigene Führung, Rabin und Peres, die Arafat vertraut hatten und die Osloer Verträge ausgehandelt hatten, wurden in der breiten Bevölkerung Israel als „Verräter“ gebrandmarkt.  

Rottscheidt zitiert dann noch Experten, darunter Peter Lintl und den ehemaligen deutschen Botschafter in Israel, Rudolph Dressler. Auch deren Aussagen sind gespenstisch einseitig und historisch teilweise falsch. Lintel redet von israelischen Regierungskoalitionen mit „Friedensgegnern“, freilich ohne zu erwähnen, dass jene Gegner für die frisch abgeschlossenen Osloer Verträge in der Knesset gestimmt hatten. Die Gegnerschaft entstand erst nach Arafats Rückkehr und dem von ihm ausgeführten Blutbad. Dressler behauptete, dass unter Netanjahu das Westjordanland mit Siedlungen „zugeklatscht“ worden sei. Natürlich erwähnte er nicht, dass die Idee der Siedlungen auf die Zeit der sozialistischen Arbeitspartei zurückging und dass die meisten Siedlungen von den Sozialisten gegründet worden sind.

Erwähnt wird dann auch noch die desolate Lage in der geteilten Stadt Hebron. Verschwiegen wird hier, dass es im Herzen Hebrons das älteste jüdische Viertel der Welt gab, ununterbrochen 3000 Jahre, bis der Mufti von Jerusalem, Hadsch Amin el Husseini, der spätere Freund Hitlers und Betreiber des Holocaust, 1929 in Hebron ein Pogrom veranstaltete, 64 Juden töten liess und den Rest vertrieben hat.

Unerwähnt auch, dass es ausgerechnet Netanjahu war, der durch Vermittlung des jordanischen Königs Hussein die Stadt Hebron und weitere Ortschaften den Palästinensern übergeben hat. Zwar werden da „gegenseitige Attacken“ erwähnt. Doch das allein trifft nicht die Wirklichkeit. An den Kontrollpunkten kommt es fast täglich zu palästinensischen Messerangriffen. Und ob Netanjahu dort ein Profiteur ist, darf man hinterfragen. Mit der Siedlungspolitik dürfte er die „streng-religiösen“ wohl kaum in sein Kabinett locken können, denn dieses Thema interessiert sie nur am Rande, wenn überhaupt. Die Wahrung des Sabbat und die Rekrutierung ihrer Jugendlichen zum Militärdienst sind für sie viel dringlichere Probleme.

Analyse vielleicht eher für die Märchenstunde

Und wenn die Autorin dann noch den SPD-Politiker und Diplomaten Dressler zitiert mit dem Spruch „Was hat er denn mit den Möglichkeiten des Osloer Abkommens, des Gaza-Jericho-Abkommens gemacht? Mit der Philosophie, die sich dahinter verbarg?“ möge der doch bitteschön herausrücken mit der „verborgene Philosophie“ meint. Mit Gewissheit kann man nur sagen, dass die Zwei-Staaten-Lösung da nicht im Verborgenen schlummert. Denn ausgerechnet Jitzhak Rabin hat am Tag vor seiner Ermordung in der Knesset verkündet, dass es einen palästinensischen Staat „niemals geben“ werde. Rabin dürfte die „verborgenen“ Absichten besser gekannt haben als der deutsche Botschafter.

Frau Rottscheidt sollte ihre Analyse vielleicht eher in der Märchenstunde des Deutschlandfunks unterbringen, und nicht als seriöse Analyse des Nahen Ostens verkaufen. Es fragt sich auch, ob es denn beim Deutschlandfunk keinen verantwortlichen Redakteur gibt, der mit den nahöstlichen Begebenheiten etwas besser vertraut ist als die Autorin dieses Berichts.

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Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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