Wahlen: Netanyahu wird wahrscheinlich weiterhin Israels Premierminister bleiben

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Premierminister Benjamin Netanyahu in den frühen Morgenstunden des 10. April 2019. Foto Yonatan Sindel/FLASH90
Premierminister Benjamin Netanyahu in den frühen Morgenstunden des 10. April 2019. Foto Yonatan Sindel/FLASH90
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Gestern Abend um 22:00 Uhr wurden die offiziellen rund 10.000 Wahlbüros in Israel geschlossen. Die 3 grossen Fernsehanstalten hatten 60 parallele „Wahlbüros“ eingerichtet und veröffentlichten ihre jeweiligen Hochrechnungen kurz nach 22 Uhr. Dabei hiess es, der Likudblock mit Premierminister Netanyahu habe 36 Mandate gewonnen und sein wichtigster Herausforderer Benny Gantz vom „Blau-Weiss” Block käme auf 37 Mandate.

 

Am Mittwochmorgen waren bereits rund 97% der Stimmen ausgezählt. Beim jetzigen Stand (13:45 Uhr) erhielten Netanyahu und sein Herausforderer Benny Gantz jeweils 35 Mandate. Mit den definitiven Wahlergebnissen wird frühestens am Donnerstag gerechnet. Denn erst dann werden auch die Stimmen der Soldaten ausgezählt sein. Diese tendieren erfahrungsgemäss politisch eher nach rechts. Zusammen mit anderen Parteien des „rechten Lagers“ kommt Netanyahu im Moment auf 65 der insgesamt 120 Sitze im Parlament. Er hätte also für eine Regierungskoalition eine klare Mehrheit zur Verfügung.

Kein Premierminister ohne Koalitionsparteien

Entscheidend sind in Israel die kleinen Parteien, wobei noch unklar ist, welche Parteien die Sperrklausel von 3,25% definitiv schaffen. Vermutlich werden die arabische Partei Ra’am-Balad, sowie einige linke und rechte Kleinst-Parteien untergehen.

Zusammenbruch der Linken

Drei Parteien repräsentieren den linken Flügel der israelischen Parteienlandschaft. Als aktuell prominenteste Linkspartei gilt Meretz mit Tamar Zandberg an der Spitze. Hier wird bisher nur mit der Mindestzahl von 4 oder maximal 5 Sitzen gerechnet. Eine weitere Linkspartei ist die arabische Hadasch-Tal Partei mit vermutlich 6 Mandaten, zu der auch die Kommunisten zählen. Doch diese Partei gilt als „nicht koalitionsfähig“.

Die linke Arbeitspartei (haAwoda), die 1948 den Staat Israel mitbegründet hat und fast 30 Jahre im Alleingang lenken konnte, erhielt nach dem vorläufigen Ergebnis diesmal nur 6 der insgesamt 120 Sitze in der Knesset. Avi Gabbay, der Vorsitzende der sozialistischen Arbeitspartei, gestand ein, man habe einen „schweren Schlag“ erlitten. Zuvor hatte der aus Marokko stammende Gabbay in einer beispiellosen Schlammschlacht dafür gesorgt, dass Tzipi Livni nicht mehr antreten konnte. Dieses „schlechte Benehmen“ hatten ihm viele Wähler zum Vorwurf gemacht. So verloren die Sozialisten viele Stimmen an Benny Gantz und seine vor nur 2 Monaten ausgerufene Blau-Weiss-Partei.

Abgestraft wurde auch das Bündnis der arabischen Parteien, weil sie sich gespalten haben und die neue rechte Partei von Naftali Bennet und Ayelet Schaked, weil sie sich gegen Netanyahu aufgestellt hat. Diese „Neue Rechte“, so hiess es, werde wahrscheinlich die Hürde von 3,25% nicht schaffen.

Die für eine Regierungsbildung relevanten Linksparteien zählen also bestenfalls 13 Mandate, was etwas mehr als 10% der Sitze im Parlament entspricht.

Israels Linke wählen gerne Generäle

Nach der Veröffentlichung der Hochrechnungen wurden auch andere statistische Daten ermittelt, wobei alle Angaben vorläufig sind. So stellt sich heraus, dass in der nächsten Knesset 108 Juden, 6 Araber und 2 Drusen sitzen werden. Unter den 120 Abgeordneten werden 92 Männer sein und 28 Frauen. Zusammengerechnet wurde auch die Zahl der ehemaligen Militärs ab dem Generalsrang. Da kommt heraus, dass 15 hochrangige ehemalige Soldaten Abgeordnete sein werden, darunter drei ehemalige Generalstabschefs in der Blau-Weiss-Partei von Benny Gantz. Ein Kuriosum in Israel ist, dass vor allem linksgerichtete Israelis eher für die Militärs gestimmt haben, in der Erwartung, so den rechtsgerichteten Netanyahu aus dem Amt vertreiben zu können.

Zuletzt fiel den Kommentatoren im Fernsehen auf, dass 15 ehemalige Journalisten als Berufsgruppe sehr prominent in der nächsten Knesset vertreten sein werden. Der wichtigste unter ihnen ist Jair Lapid. Er war schon mal Finanzminister unter Netanyahu, nachdem er seine Karriere als TV-Moderator aufgegeben hatte. Jetzt teilt er sich mit Benny Gantz den Parteivorsitz von Blau-Weiss. Sollte diese Partei vom Staatspräsidenten den Zuschlag für die Regierungsbildung erhalten, wollten Gantz und Lapid eine „Rotation“ im Amt des Regierungschefs vornehmen. Auch das kam nicht bei allen ihren Wählern gut an.

Koalitionsverhandlungen haben schon begonnen

Benjamin Netanyahu feierte in der Nacht zum Mittwoch seinen „haushohen, historischen Sieg“. Mehr als jemals zuvor habe der israelische Wähler ihm und seinen potenziellen Koalitionspartnern das Vertrauen ausgesprochen.

Obwohl das amtliche Endergebnis noch nicht feststeht, hat Netanyahu bereits in der Nacht zum Mittwoch mit ersten Koalitionsverhandlungen begonnen und öffentliche Zusagen für eine Unterstützung seiner künftigen Regierung erhalten.

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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