Die EU kann den Antisemitismus nicht wirksam bekämpfen

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Anti-Israel Proteste in Spanien. Foto Fermín R.F. - Protesta Palestinos, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6208973
Anti-Israel Proteste in Spanien. Foto Fermín R.F. - Protesta Palestinos, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6208973
Lesezeit: 6 Minuten

Seit Beginn dieses Jahrhunderts hat der Antisemitismus in vielen EU-Ländern explosionsartig zugenommen. Gelegentlich erwähnen die europäischen Staats- und Regierungschefs, dass es sich um ein grosses Problem handelt, gegen das vorgegangen werden muss.

 

von Dr. Manfred Gerstenfeld

Im Dezember 2017 sagte der Erste Vizepräsident der EU-Kommission Frans Timmermans, der Antisemitismus habe sich in Europa „beunruhigend normalisiert und diejenigen, die christliche Werte verteidigen wollen, sollten sich weit weg vom Antisemitismus halten“. Als die EU jedoch 2015 einen Koordinator zur Bekämpfung des Antisemitismus ernannte, waren die ihm zur Verfügung gestellten Mittel sehr knapp bemessen.

Der Präsident der Europäischen Kommission, Jean Claude Juncker, sagte im Januar 2019 zum Internationalen Holocaust-Gedenktag: „Wir werden keine Form von Antisemitismus tolerieren, von alltäglichen Hassreden, offline und online, bis hin zu körperlichen Angriffen. Die Europäische Kommission arbeitet Hand in Hand mit allen Mitgliedstaaten um diese Bedrohung zu bekämpfen und die Sicherheit der jüdischen Gemeinden in Europa zu gewährleisten. Unsere Union wurde auf der Asche des Holocaust errichtet. Sich daran zu erinnern und Antisemitismus zu bekämpfen, ist unsere Pflicht gegenüber der jüdischen Gemeinschaft und unerlässlich, um unsere gemeinsamen europäischen Werte zu schützen.“ Etwa zur gleichen Zeit sagte Federica Mogherini, Leiterin der EU-Aussenpolitik: „Die Europäische Union hat sich immer gegen jede Form des Antisemitismus eingesetzt, einschliesslich der Versuche, den Holocaust zu entschuldigen, zu rechtfertigen oder herunterzuspielen, und wird dies auch weiterhin tun“.

Im Januar 2019 sagte die EU-Kommissarin für Justiz, Verbraucherschutz und Gleichstellung der Geschlechter, Vera Yourova: „Die Tatsache, dass 9 von 10 Juden in Europa heute wieder einen Anstieg des Antisemitismus wahrnehmen, wie kürzlich in einer Umfrage der Fundamental Rights Agency (FRA) festgestellt wurde, ist die Schande Europas.“ Sie nannte vier Bereiche, in denen die EU-Kommission den Antisemitismus bekämpfen wird: 1. Die Sicherheit jüdischer Gemeinden und Räumlichkeiten, 2. Bildung und Holocaust-Gedenken, 3. Die Sensibilisierung für das Problem des Antisemitismus durch die Nutzung der IHRA-Definition und durch eine bessere Datenerfassung antisemitischer Vorfälle und 4. Die Unterstützung der Entwicklung nationaler Strategien.

Das mag für Aussenstehende vielversprechend klingen. Es ist jedoch viel zu wenig und viel zu spät. Yourova stellte fest, dass eine Voraussetzung für die Bekämpfung des Antisemitismus die Festlegung einer akzeptierten Definition ist. Der einzige Kandidat dafür ist die Internationale Allianz zur Erinnerung an den Holocaust (IHRA). Yourova sagte, dass sie diese Definition 2017 als Grundlage für die Arbeit zur Bekämpfung von Antisemitismus akzeptierte. Gut und schön, aber es wirft eine wichtige Frage auf: Warum hat nur dieser eine EU-Kommissar die IHRA-Definition akzeptiert und nicht die gesamte Kommission?

Die IHRA-Definition wurde von sieben EU-Staaten für den internen Gebrauch akzeptiert: Grossbritannien, Deutschland, Österreich, Litauen, Slowakei, Rumänien und Bulgarien. Als die Definition im Mai 2016 von der IHRA angenommen wurde, war die Zustimmung aller ihrer Mitglieder erforderlich. Dazu gehört die grosse Mehrheit der EU-Mitglieder.

Massive Einwanderung

Viel wichtiger als der Kampf der EU gegen den Antisemitismus in den letzten Jahrzehnten ist die massive Einwanderung von Antisemiten aus islamischen Ländern, in denen der Prozentsatz der antisemitischen Bürger zu den höchsten der Welt zählt. Unter diesen Millionen von Einwanderern ist auch der Anteil der Antisemiten weitaus höher als der der einheimischen Europäer.

Die EU-Kommission kann in dieser Angelegenheit diesbezüglich keine Unschuld geltend machen. Frits Bolkestein war von 1999 bis 2004 niederländischer EU-Kommissar. Er sagte mir vor mehr als zehn Jahren: „In der Europäischen Kommission habe ich zweimal versucht, das Problem der multikulturellen Gesellschaft mit den Risiken einer unbegrenzten muslimischen Einwanderung anzusprechen. Meine Kollegen…. wollten nicht darüber diskutieren. Ich habe einem Kommissar gesagt, dass sie mich fast als Rassisten betrachten. Er antwortete: „Lass das Wort „fast“ weg.“

Im Januar 2019 veröffentlichte die Europäische Kommission ihre Eurobarometer-Studie 484 mit dem Titel Wahrnehmungen von Antisemitismus. Diese Studie enthält Daten über die Wahrnehmung von Antisemitismus bei Bürgern aller Mitgliedstaaten. Die Forscher fanden heraus, dass 50% der Befragten Antisemitismus für ein Problem in ihrem Land halten. Darunter sind 15%, die es für ein sehr wichtiges Problem halten. Es besteht jedoch eine grosse Kluft zwischen dem Bewusstsein für Antisemitismus und seiner wirksamen Bekämpfung.

Keine einheitlichen Daten

Ein weiterer wichtiger praktischer Grund, warum die EU den Antisemitismus nicht bekämpfen kann ist, dass sie keine gemeinsamen Normen für Vorfälle hat. Zuverlässige Statistiken über Vorfälle nach gemeinsamen Kriterien sind erforderlich. Es gibt sogar Länder, die überhaupt keine Statistiken liefern. Aus den Worten von Yourova geht hervor, dass nach mehr als 18 Jahren stark gestiegenem Antisemitismus die Erhebung einheitlicher Daten über Vorfälle in der EU immer noch nicht abgeschlossen ist.

Neben den praktischen Gründen gibt es zwei strukturelle Gründe, die die EU daran hindern, Antisemitismus wirksam zu bekämpfen. Fast niemand in Europa, der nicht jüdisch ist, hat es gewagt die Wahrheit zu sagen: Antisemitismus ist ein fester Bestandteil der europäischen Kultur. Die Geschichte vieler EU-Mitgliedsstaaten ist viel mehr durch den in dieser verstrickten Antisemitismus als durch die Demokratie geprägt.

Der Antisemitismus ist viele Jahrhunderte alt. Während es Höhen und Tiefen gegeben hat, ist er in europäischen Ländern nie verschwunden. Der Antisemitismus ist viel älter als die Werte, die die EU neben der Demokratie für grundlegend hält: Achtung der Menschenwürde, Menschenrechte, Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit.

Um Antisemitismus wirksam zu bekämpfen, muss die EU diesen im Voraus anerkennen. Das bedeutet, dass sie von echten Wissenschaftlern – nicht von Schönfärbern des Antisemitismus – gründliche Studien über die Bedeutung der tief verwurzelten Aspekte des Antisemitismus in der europäischen Kultur und wie dieser gefördert wird, anfordern muss. Dazu gehört auch die Untersuchung des Grades der Zustimmung der Bürger zu Stereotypen über Juden und antisemitischen Anschuldigungen gegen sie. Auch die Verbreitung des Wortes „Jude“ als Fluchwort in verschiedenen Ländern, die Art und Weise, wie Juden in Schulbüchern präsentiert werden, und so weiter sollte untersucht werden.

Es gibt einen zweiten wesentlichen strukturellen Grund, warum die EU den Antisemitismus nicht wirksam bekämpfen kann. Man kann nicht gleichzeitig gegen Israel, den einzigen Staat mit jüdischer Mehrheit, hetzen und den Antisemitismus bekämpfen. Da dies die Realität ist, wird deutlich, warum die EU die IHRA-Definition nicht akzeptieren will, die unter anderem besagt, dass die Aussonderung Israels antisemitisch ist.

Israel wird ausgesondert

Die EU begeht diese antisemitische Aussonderung. So beschloss sie beispielsweise, Waren aus dem umstrittenen Westjordanland zu kennzeichnen, aber nicht aus Gebieten, die von einer Vielzahl anderer Staaten besetzt sind. So beschloss sie beispielsweise, Waren aus dem umstrittenen Westjordanland zu kennzeichnen, aber nicht aus Gebieten, die von einer Vielzahl anderer Staaten besetzt sind. Wie die Juristen Avi Bell und Eugene Kontorovich betonten: „Die EU hat keine allgemeinen Regeln für den Umgang mit besetzten Gebieten, Siedlungen oder Gebietsverwaltungen, deren Legalität von der EU nicht anerkannt wird. Vielmehr hat die EU besondere Beschränkungen für Israel.“ Das israelische Ministry of Strategy hat auch Daten über den Transfer von Geldern der EU an israelische Boykottorganisationen veröffentlicht.

Die UN-Generalversammlung begeht jedes Mal einen antisemitischen Akt, wenn sie Israel zur Verurteilung aussondert, wie sie es in vielen Resolutionen tut. Erhebt man die Daten über die Abstimmungsergebnisse von EU-Staaten zu diesen Resolutionen, wird ihre grosse Beteiligung an diesem antisemitischen Vorgang deutlich.

Damit die EU den Antisemitismus wirksam bekämpfen kann, muss sie zunächst zugeben, dass der Antisemitismus in ihrer Kultur verwurzelt ist und auch ihre voreingenommene Haltung gegenüber Israel ändern. Von dort aus ist der Weg zur effektiven Bekämpfung des Antisemitismus noch mühsam und lang. Da es keinen Hinweis darauf gibt, dass die EU bereit ist die Realität offen einzugestehen, wird die Diskrepanz zwischen den Worten ihrer Führer und dem Handlungsbedarf weiterhin gross sein.

Dr. Manfred Gerstenfeld ist Publizist und ehemaliger Vorsitzender des Präsidiums des Jerusalem Center for Public Affairs. Auf Englisch erschienen bei Begin-Sadat Center for Strategic Studies (BESA). Übersetzung Audiatur-Online.

2 Kommentare

  1. Wir versuchen, den Antisemitismus zu bekämpfen, anstatt die Gründe dafür zu verstehen. Wir suchen nach Wegen, den Hass zum Schweigen zu bringen, anstatt zu verstehen, woher er kommt und damit das Problem zu lindern.

    Antisemitische Vorfälle sind wie ein Bote, der uns eine Nachricht geschickt hat: Die negative Einstellung gegenüber dem jüdischen Volk erfordert eine echte und zufriedenstellende Erklärung. Ohne sie wird der Hass weiter brodeln, sich durchsetzen und noch mehr ausbrechen.

    Anstatt den Boten zu töten, müssen wir ihn zu einer tiefen Diskussion über die Quelle des Hasses und die Lösung dafür einladen. Anstatt zu versuchen, das Phänomen abzuschwächen, müssen wir uns darauf einigen, dass es existiert und einer Erklärung bedarf.
    Die alte Weisheit der Kabbala, die heute offenbart wird, bietet eine systematische, logische und umfassende Erklärung für das Phänomen Antisemitismus. Eine Erklärung über die Entwicklung der Menschheit vom Beginn der Zivilisation, der Natur des Menschen und seines Antriebs. Sie erklärt auch die historische Entstehung des jüdischen Volkes und die wechselseitige Beziehung zwischen ihm und den anderen Nationen.

    Hier ist die Erklärung: Gemäß der Weisheit der Kabbala erreichte die Menschheit vor etwa 3.800 Jahren im alten Babylon einen besonderen Wendepunkt. Die menschliche Natur entwickelte sich auf eine neue Ebene. Nach Jahrtausenden instinktiver Verbindung zwischen Menschen untereinander und der Natur im Allgemeinen begann der Mensch sein „Ich“ zu entwickeln. In der Weisheit der Kabbala wird diese Erscheinung als Entwicklung des menschlichen Egos bezeichnet.

    Als Ergebnis der Entwicklung des Egos wurde der Mensch individualistischer, egozentrischer, die Gesellschaft komplexer, und die menschliche Existenz erforderte die Schaffung neuer und stärkerer Beziehungen zwischen den Menschen.
    Abraham, der bis heute als der gemeinsame Vorfahre der drei großen Weltreligionen bekannt ist, hat in der menschlichen Entwicklung eine Dynamik entdeckt: Die Natur erhöht kontinuierlich das menschliche Ego. Dadurch ermöglicht sie der Menschheit, bewusst die Verbindung über dem Ego zu stärken. Auf diese Weise entwickelt die Natur die Menschheit zu einer fortschrittlicheren, intelligenteren und bewussteren Lebensweise. Mit anderen Worten, die Natur erhöht das Ego – und die Menschheit ist getrieben, es zu überwinden.

    Abraham versammelt um sich herum Vertreter der verschiedenen Gruppen und Völker, die in Babylon lebten, und bildet aus ihnen eine Gruppe, welche eine Methode zur menschlichen Verbindung über dem wachsenden Ego entwickelt. Die Gruppe verlässt das babylonische Reich, wächst zu einer Nation heran und erhält den Namen „Volk von Israel“. Von da an trennen und entwickeln sich das jüdische Volk und alle anderen Nationen auf zwei parallelen Pfaden.

    1.500 Jahre lang lebte das jüdische Volk nach den gleichen Prinzipien wie Abraham, bis der menschliche Egoismus wuchs und sich zu einer neuen Stufe der gesamten Menschheit entwickelte. In dieser Phase überwältigt das Ego auch das jüdische Volk, das die besondere Bindung verliert, und das Volk zerstreut sich über die ganze Welt. Mit anderen Worten: Die Juden verlieren den Kontakt zur Methode der Verbindung, welche sie seit ihrer Vereinigung zu einem Volk begleitet hatte.

    In den letzten zweitausend Jahren hat sich die Menschheit durch verschiedene Formen von Regierungssystemen, Handel und Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung und Kultur entwickelt. Mittlerweile sind alle Länder der Welt in gegenseitiger Abhängigkeit miteinander verbunden. Im letzten Jahrhundert hat das menschliche Ego einen neuen und endgültigen Höhepunkt erreicht und führt die menschliche Gesellschaft nun in eine beispiellose globale Krise: den Zusammenbruch der Familieneinheit, Vertrauensverlust in politische Systeme, nukleare Bedrohung, verschiedene Arten von Terrorismus, Drogenabhängigkeit, die Ausbreitung von Depressionen, Arbeitslosigkeit durch Einsatz von Technologien, Klimawandel und ähnlichem.

    All dies treibt die Menschheit in eine neue Gesellschaftsordnung, die in der Tat eine neue menschliche Verbindung erfordert. Das Mittel ist das gleiche wie im alten Babylon. Die Methode zur Verbindung liegt bei den Juden, die über die ganze Welt verstreut sind. Unterbewusst fordert die Menschheit nach dieser Methode, weshalb Juden eine besondere und negative Behandlung in den letzten Jahrtausenden ihrer Existenz erfahren haben.

    Weder Semiten noch Antisemiten sind sich der Dynamik, die sie antreibt und unter ihnen wirkt, bewusst. Sie kennen das System nicht, das von Natur aus zwischen ihnen herrscht. Daher ist diese Erklärung eine grundlegende, weil nur das Verständnis und das Bewusstsein darüber als primäre Grundlage für die Lösung des Problems des Antisemitismus dienen kann.

  2. Wie kann man mit Paranoiden argumentieren und den Meistern der Heuchelei vertrauen?
    Die EU Komissions Leute sind, auch, dazu, Schamlose Lügner

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