Christenverfolgung: Situation ist “katastrophal und alarmierend”

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Pater Toni Tahan im Januar 2018 in einer Armenisch-Katholischen Kirche in Aleppo, die bei einem Angriff durch Bomben zerstörte wurde. Foto Open Doors
Pater Toni Tahan im Januar 2018 in einer Armenisch-Katholischen Kirche in Aleppo, die bei einem Angriff durch Bomben zerstörte wurde. Foto Open Doors
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Seit es Christen gibt, werden Christen verfolgt. Religiöse Eiferer anderer Religionen, aber auch säkulare Diktatoren sehen in der blossen Existenz von Christen und ihrer Glaubensausübung eine Bedrohung. Darum verbieten oder zerstören sie christliche Kirchen, versuchen, Christen zu vertreiben oder bringen sie gar um. Die christliche Menschenrechtsorganisation Open Doors dokumentiert die Fälle, von denen sie Kenntnis erhält, und veröffentlicht jedes Jahr im Januar den „Weltverfolgungsindex“, um die Öffentlichkeit auf die 50 Länder aufmerksam zu machen, in denen Christen die stärkste Verfolgung erleiden.

 

„In den 50 Ländern des Weltverfolgungsindex leben etwa fünf Milliarden Menschen, von denen sich rund 700 Millionen zum christlichen Glauben bekennen“, heisst es in dem Bericht. „Die Religionsfreiheit war noch nie so gefährdet wie heute“, sagt Patrick Schäfer, Leiter des Deutschschweizer Büros von Open Doors. Derzeit erleide jeder neunte Christ in der Welt aufgrund seines Glaubens Diskriminierung und Verfolgung. „Und leider verschlechtert sich die Situation von Jahr zu Jahr“, so Schäfer. „Ich fordere unsere Regierung und die internationale Gemeinschaft auf, ihre Aufmerksamkeit auf diese besorgniserregenden Entwicklungen zu richten. In den Beziehungen zu den betroffenen Ländern wird die Situation der religiösen Minderheiten allzu oft ignoriert oder nicht angesprochen. Wirtschaftliche Interessen haben Vorrang, zum Nachteil der Verteidigung der Menschenrechte, zu deren integralem Bestandteil die Glaubensfreiheit gehört.“

13 der 15 Länder mit der schlimmsten Verfolgung sind mehrheitlich muslimische Staaten, die beiden anderen sind Nordkorea (Platz 1) und Indien (Platz 10). Doch selbst in einigen Staaten mit christlicher Bevölkerungsmehrheit ist das Leben von Christen zumindest in einigen Landesteilen bedroht, das gilt etwa für Mexiko (Platz 39) und Kolumbien (Platz 47).

Tausende Christen wegen ihres Glaubens ermordet

Im Berichtszeitraum wurden laut Open Doors mindestens 4.305 Christen wegen ihres Glaubens ermordet, gegenüber mindestens 3.066 im Vorjahreszeitraum. Es wurden 1.847 Angriffe auf Kirchen registriert, im Vorjahreszeitraum waren es 793. Mindestens 3.105 Christen wurden ohne Gerichtsverfahren verhaftet, verurteilt und inhaftiert, das ist eine Zunahme von mehr als 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr (1.905). Die meisten Morde an Christen gab es in Nigeria; 3.731 nigerianische Christen wurden innerhalb eines Jahres ermordet. Fast die Hälfte dieser Bluttaten wurde im Bundesstaat Plateau in der östlichen Mitte des Landes verübt. Am 4. Juli bezeichnete das nigerianische Repräsentantenhaus die Morde in diesem Bundesstaat als Völkermord. In fast allen Fällen waren die Täter muslimische Fulani-Hirten.

Deutlich verschärft hat sich die Verfolgung von Christen in der Volksrepublik China. Seit Februar 2018 werden überall im Land Kreuze von Kirchengebäuden entfernt, Kirchen abgerissen, Gemeinden aufgelöst, Kirchenbesucher bedroht und Christus-Bilder in Gemeinderäumen durch das Porträt von Staatschef Xi Jinping ersetzt. Kirchen erhalten die Anordnung, dass im Gottesdienst die Nationalhymne zu singen und die Flagge zu hissen ist. Zudem müssen Geistliche persönliche Daten ihrer Mitglieder vorlegen. Trotzdem ist China im Weltverfolgungsindex nur auf Platz 27 (Vorjahr: Platz 39) – in den Ländern auf den höheren Plätzen ist die Lage noch schlimmer.

Diskriminierung und Terror

Beispiel Pakistan (Platz 5): Bei einem Selbstmordanschlag auf die Bethel Memorial Methodist Church in Quetta wurden am 17. Dezember 2017 elf Christen getötet und viele verletzt. Neben solchen gezielten Morden berichtete Open Doors auch den Tod mehrer Kanalarbeiter, die aufgrund fehlender Schutzausrüstung an giftigen Gasen starben, denn auch das ist ein Beispiel von Diskriminierung: Obwohl Christen nur 1,5 Prozent der pakistanischen Bevölkerung ausmachen, stellen sie wegen ihrer gesellschaftlichen Marginalisierung 80 Prozent der Kanalarbeiter und Strassenkehrer – Berufe, die in Pakistan verachtet werden und unter üblen Bedingungen ausgeübt werden.

Das Schicksal von Asia Bibi

Eine erfreuliche Entwicklung so Open Doors, sei, dass der Oberste Richter Pakistans, Mian Saqib Nisar, unter Einsatz seines Lebens sein Versprechen gehalten habe, den Berufungsprozess der pakistanischen Christin Asia Bibi zu leiten, bevor er Anfang 2019 in den Ruhestand geht. Er und seine beiden Richterkollegen entschieden am 31. Oktober auf Freispruch, weil die Ankläger Asia Bibis gelogen hätten und die Anklage wegen Blasphemie, wegen der sie acht Jahre in der Todeszelle einsass, eine Fälschung sei. Dies sei ein „bahnbrechendes Urteil“, so Open Doors. Doch im Zuge von gewaltsamen Massenprotesten radikaler islamischer Gruppen, die zum Mord an dem Richter und Asia Bibi aufriefen, hinderte die Regierung Asia Bibi an der Ausreise. Immer noch muss sie an einem geheimen Ort um ihr Leben bangen. Ein anderes Gericht hatte Bibi 2010 zum Tode verurteilt, sie hatte acht Jahre in der Todeszelle verbracht.

Open Doors Weltverfolgungsindex 2019

Auslöser der Blasphemieanschuldigungen soll ein Streit mit Arbeitskolleginnen um einen Eimer Wasser im Jahr 2009 gewesen sein. Die muslimischen Kolleginnen sollen Bibi beschuldigt haben, ihn „verunreinigt“ zu haben, weil sie als „Ungläubige“ daraus getrunken habe. Daraufhin soll Bibi ihren Glauben verteidigt haben, weswegen sie der Blasphemie angeklagt wurde. Darüber, was Bibi genau vorgeworfen wurde, gibt es keine verlässlichen Informationen. Nach pakistanischem Recht müssen „blasphemische“ – also tatsächlich oder vermeintlich gegen den Islam gerichtete – Bemerkungen weder aufgeschrieben noch vor Gericht wiederholt werden, wenn die vorgeblichen Zeugen fürchten, dadurch selbst Blasphemie zu begehen. Es bedarf also keines Beweises, auch Absicht muss nicht nachgewiesen werden. Richter haben oft Angst, Angeklagte freizusprechen, weil sie dann um ihr Leben fürchten müssen. Seit 1990 wurden in Pakistan mehr als 60 Menschen von Lynchmobs in Zusammenhang mit Blasphemieanschuldigungen ermordet – darunter zwei, die sich 2011 für Bibis Freilassung ausgesprochen hatten.

Islamisten im Nahen Osten

Ein Trend, so Open Doors, sei, dass die gewalttätigen Ausschreitungen des Islamischen Staats und anderer militanter Islamisten im Nahen Osten zwar mehrheitlich aus den Schlagzeilen verschwunden seien – „ihr Gebietsverlust dort bedeutet jedoch, dass sich die Kämpfer in eine grössere Anzahl von Ländern verstreut haben, nicht nur in der Region, sondern zunehmend auch in Afrika südlich der Sahara.“ Seit 2017 hätten militante Islamisten auch in Ägypten, Somalia, Libyen und im Jemen an Stärke gewonnen; dort würden sie weiterhin rekrutieren und Gebiete einnehmen. In Ägypten (Nr. 16), das die grösste christliche Bevölkerung (Kopten) im Nahen Osten hat, terrorisierten der Islamische Staat und andere radikal-islamische Gruppen auch im Berichtszeitraum die christliche Gemeinschaft. Am 2. November beschossen Terroristen des Islamischen Staates (IS) in der ägyptischen Provinz Al-Minja südlich von Kairo einen Bus mit koptischen Pilgern und töteten sieben Menschen. Im Mai 2017 hatte der IS in der gleichen Gegend einen Bus mit koptischen Pilgern angegriffen. Damals ermordeten die Terroristen 29 Menschen aus nächster Nähe, darunter auch Kleinkinder.

Weitere Befunde des Weltverfolgungsindex: Aufgrund des intensiven Stammescharakters der Gesellschaft in Somalia (Nr. 3) werde jeder Muslim, der zum Christentum übertrete, mit hoher Wahrscheinlichkeit „sofort von Familie und Freunden entdeckt“ und riskiere den Tod. „Somalische Christen sind mit religiös motivierter Gewalt durch ihre Familie, den Clan, die Behörden und die Milizen konfrontiert“, so der Bericht von Open Doors. Bei zahlreichen Gelegenheiten habe die Schabaab-Miliz „in Worten und Taten zum Ausdruck gebracht, dass sie Christen sowohl in Somalia wie auch in den Nachbarländern im Visier haben“.

Als ‚gescheiterter’ Staat ohne einheitliche Regierung sei auch Libyen (Nr. 4) nach wie vor ein „tödliches Umfeld“ für Christen, besonders für dort festgehaltene Migranten aus Subsahara-Afrika. „Zuverlässige Quellen berichteten, dass im vergangenen Jahr mindestens zehn Christen wegen ihres Glaubens getötet worden seien.“ In Eritrea verüben staatliche Sicherheitskräfte weiterhin zahlreiche Überfälle auf Christen und Hauskirchen und haben im vergangenen Jahr Hunderte von Christen verhaftet. „Diese werden von der Regierung unter erbärmlichen Bedingungen festgehalten, zum Teil in Schiffscontainern, trotz sengender Hitze und hohen Temperaturen“, so der Bericht.

Im Iran ist es ebenfalls in erster Linie der Staat, von dem die Repression gegen Christen ausgeht. Mindestens 82 Christen waren im Berichtszeitraum zumindest zeitweise inhaftiert. „Die stärkste Verfolgung erlitten Christen mit muslimischem Hintergrund, die daran beteiligt waren, Muslimen aktiv das Evangelium zu verkündigen“, so Open Doors. „Häuser von Christen mit muslimischem Hintergrund wurden durchsucht und viele christliche Konvertiten wurden zu langen Gefängnisstrafen verurteilt. Die Regierung führte ausserdem ihre Praxis fort, inhaftierte Christen unter finanziellen Druck zu setzen, indem sie unverhältnismässig hohe Kautionssummen verlangte.“ Die Rede ist von Summen zwischen 2.000 und 200.000 US-Dollar. Dadurch verlieren die betroffenen Familien oft ihren gesamten Besitz und ihre Häuser und werden gedrängt, das Land zu verlassen. „Teilweise geht dies auch mit Drohungen einher“, so der Bericht.

Situation ist “katastrophal und alarmierend”

“Die gegenwärtige Situation der verfolgten Christen und anderer Minderheiten ist katastrophal und alarmierend”, sagt Markus Rode, geschäftsführender Vorstandsvorsitzender von Open Doors Deutschland. “Die Religionsfreiheit wird massiv unterdrückt. Wenn Millionen Betroffene keine Chance haben, selbst auf ihre Situation aufmerksam zu machen, dann müssen Politiker und wir als Christen deutlich mehr tun als bisher. Und verfolgte Christen bitten um unser Gebet, damit sie im Glauben gestärkt werden”, so Rode.

Auch in der Türkei – einem EU-Beitrittskandidaten – geht die Regierung weiter mit harter Hand gegen jeden vor, der verdächtig ist, ein Abweichler zu sein. Dazu zählen auch die Christen. Die türkische Kolumnistin Uzay Bulut nennt einen weiteren Grund für die Christenverfolgung in der Türkei: „Eine weit verbreitete Angst – an der Grenze zur Paranoia –, dass die Christen durch die Missionierung darauf abzielen, das Land der Türken, das sie vor der türkischen Eroberung besassen, zurückzuerobern.“

Dabei sind es in Wahrheit die Christen, die aus der Türkei und dem gesamten Nahen Osten vertrieben werden, man kann von einer ethnischen Säuberung sprechen. „Während ich vor Ihnen stehe“, sagte Gabriel Naddaf, ein griechisch-orthodoxer Priester aus Nazareth, 2014 vor dem UN-Menschenrechtsrat, „ist die Erde des Nahen Ostens getränkt mit dem Blut von Christen, die jeden Tag getötet werden. Wussten Sie, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts 20 Prozent der Bevölkerung des Nahen Ostens Christen waren? Heute sind es nur noch vier Prozent.“ Das einzige Land des Nahen Ostens, wo Christen sicher leben könnten, so Naddaf, sei Israel. „Christen und Juden leben in Israel nicht nur deshalb zusammen, weil Christus ursprünglich Jude war, weil er im jüdischen Bethlehem geboren wurde, sondern weil sie ein gemeinsames Schicksal teilen, eine wahre Hoffnung, in Frieden zu koexistieren.“ Ein christlicher Soldat der israelischen Armee, der im Februar als erster Christ zum Oberstleutnant ernannt werden wird, sagte kürzlich in einem Interview: „Wenn es keinen Staat Israel gibt, kann hier keine Minderheit leben.“

Über Stefan Frank

Stefan Frank ist freischaffender Publizist und lebt an der deutschen Nordseeküste. Er schreibt regelmässig über Antisemitismus und andere gesellschaftspolitische Themen, u.a. für die „Achse des Guten“, „Factum“, das Gatestone Institute, die „Jüdische Rundschau“ und „Lizas Welt“. Zwischen 2007 und 2012 veröffentlichte er drei Bücher über die Finanz- und Schuldenkrise, zuletzt "Kreditinferno. Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos."

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