Während sich die islamische Regierung der Türkei zunehmend autoritär verhält, scheinen religiöse Minderheiten im Land die am stärksten betroffene und angegriffene Gruppierung zu sein.
von Uzay Bulut
Die Sorgen der jüdischen Gemeinde in der Türkei wurden vor Kurzem von Mois Gabay, einem Kolumnisten des jüdischen Wochenblatts des Landes, Şalom, in einem Artikel angesprochen, der die Überschrift trug: „In was für einer Türkei leben wir?“
In dem Artikel berichtete Gabay darüber, dass Präsident Recep Tayyip Erdogan neun Räte eingesetzt hat, deren Mitglieder von ihm ernannt wurden und die dafür verantwortlich sind, „dem Präsidenten [zu den Themen Wirtschaft, Aussenpolitik, Bildungs- und Rechtswesen] Vorschläge für politische Massnahmen, Ideen und Strategien zu unterbreiten“.
Unter denen, die in offizielle Positionen in diesen Räten berufen wurden, befinden sich laut Gabay bekannte Personen des öffentlichen Lebens, die offenkundige antisemitische Aussagen getätigt haben.
In einem Interview mit der türkischen Zeitschrift Yörünge im August, sagte zum Beispiel die Autorin, Alev Alatlı, die derzeit Mitglied in Erdogans Rat für Kultur und Kunst ist, „die Anti-Erdogan-Kräfte der Welt“ würden von Juden geleitet und seien von jahrtausendealten jüdischen Lehren motiviert. „Das wahre Projekt [der Juden] ist es, die Welt von Gojim zu säubern“, sagte sie und bezog sich dabei auf „Gojim“ als die, „für die es kein Platz auf der Welt gibt, es sei denn, sie sind den Juden nützlich.“
In einem weiteren Interview mit der Tageszeitung Takvim äusserte sich Alatlı wie folgt:
„Amerikanischer Imperialismus und jüdische Allianz (Evangelismus und Judentum) sind heute einmal mehr in Aktion getreten und stürzen die Welt ins Chaos. Ihr vorrangiges Ziel ist die Türkei.“
Letztes Jahr twitterte Professor Burhan Kuzu, ehemaliges Mitglied der regierenden Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP):
„Kennedy erhielt das Mandat zum Drucken des US-Dollars von der jüdischen Bank und übergab es der Zentralbank des Staats und wurde ermordet; der Mörder ist nach wie vor unbekannt.“
Auch Kuzu ist derzeit ein Mitglied in Erdogans Rat für Rechtsfragen.
In seiner Kolumne in der Tageszeitung Star schrieb Yiğit Bulut (kein Verwandtschaftsverhältnis zum Autor dieses Artikels), einer der engsten Berater Erdogans, am 19. September:
„Israel, das seit Jahren muslimisches Blut in der Region vergiesst, hat nun begonnen, Russland anzugreifen. An diesem Punkt denkt Israel, es könne ‚laufen und sich hinter Amerika verstecken´, aber wird es tatsächlich Zeit haben, um wegzulaufen und sich zu verstecken? Das wage ich zu bezweifeln.“
Bulut ist aktuell Mitglied in Erdogans Wirtschaftsrat.
Und dann wäre da noch der Volkskundler und Autor Hakan Yılmaz Çebi, der nach einem Auftritt am 9. Oktober beim türkischen Fernsehsender Beyaz TV von Gabay wie folgt zitiert wird:
„Was ist das für eine jüdische Utopie? Wenn man sich die Krisen anschaut, die uns in letzter Zeit geschüttelt haben, dann erkennt man, dass jüdische Utopie dahinter steckt.“
Gabay selbst schrieb:
„Während sich diese Leute nicht einmal die Mühe machten, sich für ihre antisemitischen Aussagen oder Schriften zu rechtfertigen oder zu entschuldigen, hat König Mohammed VI. von Marokko beschlossen, den Holocaustforschung in den Lehrplan der Gymnasien seines Landes aufzunehmen.
„Unterdessen fahren unsere sogenannten Volkskundler damit fort, unser Volk mit dem Trio: „Juden-Mason-Illuminati“ zu vergiften. Gleichzeitig bewirkte König Mohammed VI. von Marokko einen Durchbruch in der muslimischen Welt und sagte gegenüber der Weltpresse, dass ‚Bildung die Macht hat, hässliche Phänomene wie Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus, zu bekämpfen‘.“
Dass Erdogan Antisemiten wie die Obengenannten in Ämter beruft, dürfte niemanden überraschen. Als US-Präsident Donald Trump Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannte, reagierte Erdogan, indem er auf einen Hadith (eine Überlieferung des Propheten des Islam, Mohammed) über den Tag des Jüngsten Gerichts Bezug nahm:
„Diejenigen, die denken, dass sie heute die Eigentümer Jerusalems sind, werden morgen nicht einmal mehr Bäume finden, hinter denen sie sich verstecken können“, sagte er bei einer Veranstaltung zum internationalen Tag der Menschenrechte am 10. Dezember.
Der vollständige Hadith 223275 lautet:
„Abu Huraira berichtete von Allahs Botschafter (sall Allaahua layhiwa sallam), dass er gesagt habe: Die letzte Stunde wird nicht kommen, wenn die Muslime nicht gegen die Juden kämpfen und die Muslime sie töten, bis die Juden sich hinter einem Stein oder einem Baum verstecken und ein Stein oder ein Baum sagen wird: Moslem, oder Diener Allahs, hinter mir ist ein Jude; komm und töte ihn; aber der Baum Gharqad würde das nicht sagen, denn er ist der Baum der Juden.“
Gabay fuhr fort:
„Da wir die Realität in dem Land, in dem wir leben, kennen, verlieren wir mit jedem Tag unsere Hoffnung ein Stück mehr. Wenn wir die Ansichten in Bezug auf Juden von Personen in den höchsten politischen Führungspositionen lesen, von Personen, die die Vollmacht haben, uns zu vertreten, verschafft uns dies etwa keinen Eindruck von der Beschaffenheit des Landes, in dem wir unsere Kinder grossziehen werden?
„Was ist mit der Tatsache, dass sowohl offener als auch versteckter Antisemitismus mittlerweile ein Teil des alltäglichen Lebens [in der Türkei] geworden ist, während in vielen anderen Ländern mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung ein Erwachen stattfindet, was Israel und die Juden anbetrifft?
„Solange die Regierung nicht die erforderlichen Schritte zur Bekämpfung des Antisemitismus einleitet, können wir in dieser Umgebung, in der Israel tagtäglich dämonisiert wird, als türkische Juden nur die Menschen in unserer eigenen Nachbarschaft überzeugen, selbst wenn wir Tag für Tag Aktionen organisieren, um Bewusstsein zu schaffen.“
Antisemitismus und tätliche Angriffe gegen Juden haben in der Türkei eine lange Tradition. In der Istanbuler Neve Şalom Synagoge beispielsweise wurden Juden Opfer von drei Terroranschlägen: 1986 (durch die Abu Nidal Organisation); 1992 (durch die türkische Hisbollah) und 2003 (durch Al-Qaida). Derzeit leben weniger als 15.000 Juden in der Türkei und Berichten zufolge nimmt ihre Zahl weiterhin ab.
„Ich glaube nicht, dass es je eine Zeit gab, in der Antisemitismus und Judenhass in diesem Land weniger wurden“, erklärte Işıl Demirel, ein türkischer Anthropologe und Autor für die Nachrichten-Website Avlaremoz.
„Und in der aktuellen politischen Atmosphäre in der Türkei sind Hassreden gegen Juden noch alltäglicher geworden. Insbesondere die Anschläge auf Synagogen haben Sicherheit zu einem noch drängenderen Thema für die jüdische Gemeinschaft gemacht. Aus diesem Grund werden schon seit vielen Jahren Synagogen und andere jüdische Institutionen durch Sicherheitsmassnahmen geschützt … Die Regierung sollte Antisemitismus unverzüglich als Hassverbrechen anerkennen und strafrechtliche Sanktionen über die Täter verhängen. Ich denke, dies ist der wichtigste Schritt, der unternommen werden muss, damit die jüdische Gemeinschaft in Frieden hier leben kann.“
In einer freien und wahrhaft demokratischen Gesellschaft würde Demirels Vorschlag durchaus Sinn machen. Jedoch in einem Land, in dem der Präsident und seine Berater und Parlamentsmitglieder regelmässig und mit Stolz Hass ausspeien – nicht nur gegen Juden, sondern auch gegen andere Minderheiten – wie geht man da mit Antisemitismus um, wenn doch die Dämonisierung von Juden oder Israel als Sprungbrett zu einer Regierungskarriere dient?
Uzay Bulut, ist eine türkische Journalistin, die als Muslima geboren und erzogen wurde. Sie ist Distinguished Senior Fellow des Gatestone Institute und lebt derzeit in Washington D.C. Auf Englisch zuerst erschienen bei Gatestone Institute. Übersetzung Audiatur-Online.
Die Juden in der Türkei sollten nach Hause kommen.
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