Studie: Antisemitismus in Europa weit verbreitet, Erinnerung an den Holocaust schwindet

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Warntafel im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz. Foto CNN International
Warntafel im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz. Foto CNN International
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Eine aktuelle CNN-Studie belegt, dass der Antisemitismus in Europa nach wie vor präsent ist. Die Umfrageergebnisse deuten zudem daraufhin, dass die Erinnerungen an den Holocaust zunehmend schwinden – sogar in Deutschland. So gaben 40 Prozent der befragten jungen deutschen Erwachsenen an, dass sie wenig oder gar nichts über den Holocaust wissen. Insgesamt wurden im Rahmen der Studie * mehr als 7.000 Erwachsene aus sieben europäischen Ländern befragt.

Die Kernaussagen der Studie:

  • 40 Prozent der befragten jungen deutschen Erwachsenen im Alter von 18 bis 34 Jahren gaben an, dass sie wenig oder gar nichts über den Holocaust wissen. 20 Prozent der Befragten unter den jungen französischen Erwachsenen hat noch nie vom Holocaust gehört.
  • Ein Drittel der befragten Europäer gab an, dass sie entweder „nur ein wenig“ oder gar nichts über den Holocaust wissen. Etwa jeder 20. Europäer hat noch nie etwas vom Holocaust gehört.
  • Mehr als ein Viertel der befragten Europäer ist der Meinung, dass Juden zu viel Einfluss auf die Geschäfts- und Finanzwelt haben.
  • Jeder Fünfte ist der Auffassung, dass Juden zu viel Einfluss im Medienbereich haben. Ebenso viele glauben, dass Juden zu viel Einfluss auf die Politik haben.
  • Fast jeder Fünfte gab an, dass Antisemitismus im eigenen Land eine Reaktion auf das alltägliche Verhalten der jüdischen Bevölkerung sei.

Dr. Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, erklärte zur Studie:

„Die Ergebnisse der CNN-Umfrage sind erschreckend. Gleichzeitig haben sie uns nicht überrascht, da sie in etwa mit den Zahlen der deutschen Umfragen der letzten Jahre, wie sie im „Bericht zum Antisemitismus“ von 2017 zusammengestellt wurden, und mit den neuesten Umfragen übereinstimmen. Diese Zahlen und natürlich die deutsche Geschichte waren der Grund, warum die deutsche Regierung in diesem Jahr meine Funktion als Bundesbeauftragter für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen den Antisemitismus geschaffen hat. Es war von grosser symbolischer Bedeutung, und das Bewusstsein für das Thema hat sich seitdem politisch erhöht: In den letzten sechs Monaten hat die Hälfte der sechzehn Bundesländer auch Antisemitismusbeauftragte ernannt.“

„Erinnerung an die Shoah wach halten“

„Für die Bekämpfung des Antisemitismus ist es von grundlegender Bedeutung, die Erinnerung an die Shoah wach zu halten und eine lebendige Kultur der Erinnerung zu pflegen. Auf europäischer Ebene werde ich andere Staaten ermutigen, ähnliche nationale Funktionen wie meine zu schaffen. Wir haben bereits damit begonnen, den Antisemitismus auf EU-Ebene zu bekämpfen, indem wir beispielsweise die Mitgliedstaaten auffordern, die von der IHRA/International Holocaust Remembrance Association formulierte Definition für Antisemitismus zu übernehmen. Der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung haben diese Definition 2017 verabschiedet. Unsere grösste Herausforderung wird jedoch darin bestehen, die Ansichten der Menschen über Juden und Jüdinnen zu ändern. Das ist eine Aufgabe für uns alle und um der Gesellschaft als Ganzes willen – denn Antisemitismus ist eine Bedrohung für jede demokratische, offene Gesellschaft.“ so Dr. Felix Klein.

Clarissa Ward, CNN Chief International Correspondent, sagte: „Die Ergebnisse sind schockierend und deuten auf tief verwurzelte Vorurteile gegenüber Juden hin, die nicht nur fortbestehen, sondern auch weit verbreitet sind. Das fehlende Wissen über den Holocaust ist besonders überraschend, da Zehntausende von Überlebenden des Holocaust noch am Leben sind und der Zweite Weltkrieg vor weniger als 75 Jahren endete.“

Die Studie beschäftigte sich auch mit der Haltung der Befragten gegenüber Israel und offenbarte ein gemischtes Bild:

  • Eine knappe aber solide Mehrheit der befragten Europäer (54 Prozent) ist der Auffassung, dass Israel das Recht hat, als jüdischer Staat zu existieren.
  • Ein Drittel der Befragten glaubt, dass Kritik an Israel meist durch Antisemitismus motiviert ist. Nur jeder Fünfte sagt, dass dies nicht der Fall ist.
  • Ein Drittel der Befragten gab jedoch auch an, dass Israel den Holocaust zur Rechtfertigung seiner Handlungen nutze.
  • Ein Drittel der befragten Europäer glaubt, dass die Anhänger Israels Vorwürfe des Antisemitismus nutzen, um die Kritik an dem Land zu unterdrücken.
  • Mehr als ein Viertel der Befragten gab an, dass der Grossteil des Antisemitismus im eigenen Land eine Reaktion auf die Handlungen des Staates Israel sei.

Viele Umfrageteilnehmer sind der Auffassung, dass Antisemitismus ein wachsendes Problem im eigenen Land sei. 40 Prozent der Befragten sagten, dass Juden in ihren Ländern von rassistischer Gewalt bedroht seien. Die Hälfte glaubt, ihre Regierungen sollten mehr Massnahmen zur Bekämpfung des Antisemitismus ergreifen. Eine Vielzahl der Befragten überschätzt die Zahl der Juden in der Welt drastisch. Nur sieben Prozent der Befragten gaben korrekt an, dass Juden weniger als ein Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Jeder siebte Befragte dachte, dass Juden mehr als 20 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen.

Unter www.cnn.com/antisemitism wurde von CNN ein eigenes Themenportal eingerichtet.

Im Laufe der Woche werden die Berichte von Clarissa Ward im TV auf CNN International vorgestellt. Darüber hinaus wird Clarissa Ward am Freitag, den 30. November um 20.30 Uhr die Sondersendung „A Shadow over Europe: Anti-Semitism in 2018“ moderieren.

*CNN arbeitete für die Umfrage mit dem Meinungsforschungsinstitut ComRes zusammen. Im Zeitraum vom 7. September bis 20. September wurden 7.092 Erwachsene in sieben Ländern online befragt (Grossbritannien: 1010; Frankreich: 1006; Deutschland: 1012; Polen: 1020; Un-garn: 1019; Schweden: 1018; Österreich: 1007). Die Daten wurden nach Alter, Geschlecht und Region gewichtet, um die Repräsentativität der jeweiligen Länder zu gewährleisten. Die Umfrage wurde vor dem Attentat auf die Synagoge in Pittsburgh, Pennsylvania (USA) in Auftrag gegeben und abgeschlossen.