Die älteste Bigotterie: Antisemitismus in Irland

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Mitglieder der irischen republikanischen sozialistischen Partei éirígí haben dieses Wandbild in Irland erstellt. Das Graffiti zeigt die PFLP Terroristin- Leila Khaled, die palästinensische Flagge, sowie die Logos von éirígí und der Terrororganisation PFLP. Foto PFLP Website
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Irland verfügt über eine lange und tragische Geschichte, was die älteste Form der Bigotterie und des Rassismus anbetrifft. Die erste urkundliche Erwähnung findet sich in den Annalen von Innisfallen aus dem Jahr 1079: „Fünf Juden kamen aus Übersee mit Geschenken für Tairdelbach [ein mittelalterlicher König] und sie wurden wieder übers Meer zurückgeschickt.“ Es war ein ungünstiger Start.

„Wenn Antisemitismus und Revisionismus heute in einem nennenswerten Masse existieren – was, wie ich behaupte, ganz bestimmt der Fall ist – dann wird, nicht nur in Irland sondern international, einmal mehr die Saat für eine Wiederholung dessen gesät, was in den 1940er Jahren geschah.“ Dr. Mary Honan, The Literary Representation of WWII Childhood: Interrogating the Concept of Hospitality.

von Jackie Goodall

Das Gespenst des Antisemitismus, das seit Beginn des 20. Jahrhunderts das politische und kulturelle Leben Irlands hartnäckig begleitet, begann 1904 mit dem Boykott von Limerick. Nach einer prächtigen jüdischen Hochzeit erschien in einer Lokalzeitung ein verbitterter Bericht, in dem der relative Wohlstand der litauischen Juden mit der drückenden Armut der einheimischen Bevölkerung verglichen wurde.

Wenige Tage später bezichtigte Pater John Creagh von der Kanzel herab die Juden des Wuchers und verunglimpfte sie als Freimaurer und Christusmörder. Wenn die Bevölkerung von Limerick der jüdischen Erpressung ein Ende bereiten wolle, dann solle sie jüdische Waren und Dienstleistungen boykottieren, zeterte er.  Auch Arthur Griffith, der schon bald die irisch-republikanische Partei Sinn Féin gründen würde, wiederholte den Boykottaufruf. Nicht länger willkommen und ausserstande, Handel zu treiben, war die jüdische Bevölkerung gezwungen, die Stadt zu verlassen.

Darüber hinaus verfügt Irland ausserdem über unangenehme Verbindungen zu Nazi-Deutschland. Charles Bewley, irischer Botschafter in Berlin von 1933–1939, war ein unverhohlener Anhänger der Nazis und glühender Antisemit. Nach Auskunft von Professor Bryan Fanning vom University College Dublin scheute er offenbar keine Mühen, die Flucht von Hunderten jüdischer Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland nach Irland zu vereiteln, indem er ihnen Visa verweigerte – selbst, wenn diese bereits von der Regierung in Dublin genehmigt worden waren. Irlands Taoiseach (Premierminister) Éamon De Valera rief internationale Empörung hervor, als er öffentlich sein Beileid zum Tode Hitlers bekundete, und auch der erste Präsident Irlands, Douglas Hyde, liess Deutschland das Beileid Irlands übermitteln.

Unterdessen kam Otto Skorzeny, ein ehemals in der Gunst Hitlers stehender Kommandeur, 1957 in Irland an, wo er von der Dubliner Gesellschaft bei einem zu seinen Ehren veranstalteten Empfang gefeiert wurde. In ‚Hidden History: Irlands Nazis‘, einem Dokumentarfilm des staatlichen irischen Rundfunks RTÉ aus dem Jahr 2007, schätzt der Moderator Cathal O’Shannon, dass 100–200 Nazis nach dem Zweiten Weltkrieg nach Irland auswanderten. O’Shannon stellt fest: „Ich bin mir nicht sicher, ob das gesamte Ausmass der Gräueltaten der Nazis in Irland verstanden worden war. Möglicherweise vertraten auch gewisse Nationalisten den Standpunkt ‚Meines Feindes [Grossbritanniens] Feind ist mein Freund‘. Der irische Standpunkt gegenüber den Nazis veränderte sich jedoch ab den 1970er Jahren, als Themen wie der Holocaust ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangten.“

Zurück im Jahr 2018 besteht die begründete Wahrnehmung, insbesondere in der jüdischen Gemeinde Irlands und bei denen, die der Ansicht sind, dass die Juden ein Anrecht auf ein geschütztes Heimatland im Staat Israel haben, dass politische Ansichten im Zusammenhang mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt unmittelbar mit Erscheinungen des Antisemitismus verbunden sind. In einem Artikel der Zeitschrift The Irish Catholic stellte der Vorsitzende des Jewish Representative Council of Ireland (JRCI), Maurice Cohen, fest: „Es gibt Gelegenheiten, da zeigen manche irische Juden ihr Judentum bewusst nicht offen, etwa indem sie in der Öffentlichkeit die Kippa tragen.“

Irland hat eine lange und lautstarke Tradition der Unterstützung der Palästinenser, da es sich mit ihnen als ein seit Jahrhunderten unter fremder Besatzung kolonisiertes Volk vergleicht. Die Wahrnehmung der palästinensischen Araber als archetypische Underdogs rief eine emotionale Reaktion in der irischen Seele hervor, die ungefähr um die Zeit begann, als die zionistische Bewegung die Teilung Palästinas akzeptierte, und bis zum heutigen Tag inspiriert sie den pro-palästinensischen irischen Aktivismus.

Anti-israelische Rhetorik ist in der extremen sozialistischen Linken weit verbreitet und sie gewinnt nun auch an den irischen Universitäten zunehmend an Boden.  Im März dieses Jahres stimmte die Ortsgruppe der Students for Justice in Palestine (SJP) des Trinity College in Dublin dafür, die BDS-Bewegung (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen), die sich gegen den jüdischen Staat richtet, zu unterstützen. Im September wurde ein zweiter Ortsverband der SJP an der Dublin City University (DCU) gegründet.

Ein pro-israelischer Student, der mit The Algemeiner über die festgefahrene antisemitische Haltung einer Minderheit von Studenten an der Trinity-Universität gegenüber Juden sprach, berichtete, dass einer der frommen Fanatiker einen bestimmten jüdischen Professor angriff und ihn als „verf***ten Juden“ bezeichnete. Die Wände in den Toiletten der Universität waren mit antisemitischen Graffiti beschmiert, darunter Parolen wie: „Vergast, vergast, vergast die Juden, ich gebe Gas“, „Stoppt den Zionismus“ und „Israel ist verantwortlich für 9/11“.

Holocaust-Leugner-Graffiti, gefunden in einem Badezimmer im Trinity College Dublin. Foto zVg

Glücklicherweise sind solche Wandschmierereien eher selten. Der einzige andere diesbezüglich gemeldete Vorfall in diesem Jahr befand sich an einer Wand gegenüber einem Dubliner Kino, in dem ein Film des irisch-jüdischen Filmregisseurs Lenny Abrahamson gezeigt wurde. In einem ominösen Versuch, eine Verschwörungstheorie zu propagieren, nach der die Juden den globalen Finanzmarkt kontrollieren, waren die Worte „Kalergi Plan“ in grossen schwarzen Lettern neben einem blauen Davidsstern an eine Wand gesprüht worden. Der Schriftzug wurde umgehend von der kommunalen Verwaltung entfernt.

Die Gründer von Irlands einziger Universitäts-Gruppe der Friends of Israel Society an der Dubliner Maynooth-Universität, ein Nicht-Jude, wurde letztes Jahr tätlich angegriffen, als er einen Verkaufsstand für koschere Backwaren zugunsten einer Hilfsorganisation betrieb.  Sein Angreifer, ein Student, schleuderte sein Telefon gegen eine Wand und schrie: „F*** Israel, Befreit Palästina“. Daniel O‘Dowd, der derzeitige Vorsitzende der Society, erklärte: „Der Antisemitismus in Irland unterscheidet nicht zwischen pro-israelischen Aktivisten und Juden, daher sind beide gleichermassen dem religiösen Fanatismus ausgesetzt.“

Jennie Harrison, Treuhänderin der Dublin Jewish Progressive Congregation, hat im Laufe der Jahre eine Reihe von antisemitischen Vorfällen erlebt und sagt, viele in ihrer Organisation fühlten sich gefährdet und verängstigt, insbesondere nach dem Massaker von Pittsburg. „Es braucht nur eine wahnsinnige Person und plötzlich sind elf Menschen tot, einfach, weil sie zur shul gingen“.

Robert Reuven Pass zog vor über zehn Jahren nach Irland, weil er fand, es sei ein guter Ort, um dort zu leben. Als religiöser Jude ist er sofort an seiner Kippa zu erkennen. „Anfangs gab es keine Probleme und die Leute waren freundlich, als sie hörten, dass ich aus Israel komme. Dann aber hielten wir eines Tages an einer Tankstelle auf dem Land an und jemand fragte mich, warum ich Jesus getötet hätte, und wie ich damit leben könnte.“

“Trinity Students for Justice in Palestine” anlässlich eines geplanten Besuches des israelischen Botschafters in Dublin.

Robert hat das Gefühl, dass sich in den vergangenen Jahren die Stimmung zum Schlechten verändert hat. „Ich kann es spüren. Ich höre die Bemerkungen über Babyschlachter und Mörder. Die anti-israelische Bewegung wird von altmodischem Antisemitismus befördert sowie von dem Mythos, dass der israelisch-palästinensische Konflikt den irischen Unabhängigkeitskampf widerspiegelt. Es gibt einige Orte in Dublin, an denen ich eine Baseballkappe über meiner Kippa trage oder sie in meiner Jackentasche aufbewahre. Ich fühle mich einfach nicht mehr sicher hier. Wenn ich die Symbole meines Glaubens nicht mehr mit Stolz tragen oder offen meine Solidarität zu meinem Heimatland zeigen kann, läuft irgendetwas falsch. Dessen ungeachtet glaube ich dennoch, dass Irland der beste Ort für Juden in ganz Europa ist.“

Es ist allgemein bekannt, dass die Voreingenommenheit der Medien die Verfolgung von Juden rund um den Globus befördert. Daher waren viele Menschen schockiert und entsetzt, als vor Kurzem ein skandalöses Interview mit dem altgedienten Rundfunksprecher Mike Murphy im nationalen Fernsehsender RTÉ ausgestrahlt wurde – insbesondere in Anbetracht von Irlands Mitgliedschaft in der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance), die die Ansicht vertritt, dass das „Ziehen von Vergleichen zwischen der heutigen Politik Israels und der der Nazis antisemitisch ist“.

Murphy, nach dessen Wunsch Irland den Eurovision Song Contest im nächsten Jahr in Tel Aviv boykottieren soll, sagte, es sei „eine Schande, dass die Israelis und das jüdische Volk nach dem, was sie beim Holocaust durchgemacht haben, jetzt so mit dem palästinensischen Volk umgehen – das ist gewissenlos. Die Opfer sind zu Tätern geworden.“ Anschliessend stellte er die ungeheuerliche Behauptung auf, Israel würde den Eurovisions-Wettbewerb „für Propagandazwecke nutzen, ähnlich, wie die Nazis es 1936 mit den Olympischen Spielen in Berlin taten“, indem sie jeden Hinweis auf Rassendiskriminierung beseitigten.

Als sich die Ireland Israel Alliance hinsichtlich des israelischen Nationalstaatsgesetzes mit einem Schreiben an die öffentlich gewählten Stadträte wandte, antwortete ein bestimmtes Ratsmitglied ganz ähnlich: „Herzlichen Glückwunsch, Hitler wäre stolz auf Sie“ und „Die Opfer sind zu Tätern geworden.“. Diese krassen, offensichtlichen und antisemitischen Vergleiche mit Nazi-Deutschland von Tastaturkriegern waren beinahe zu erwarten. Kommen sie jedoch von unseren gewählten Volksvertretern und staatlichen Rundfunkanstalten, dann wird offenbar, dass Irland ein grosses Problem hat.

Jackie Goodall ist Gründerin und Vorsitzende der Ireland Israel Alliance. Übersetzung Audiatur-Online.