In Bern soll am Donnerstag (25. Oktober 2018, Anm. d. Red.) Shawan Jabarin, Chef der palästinensischen Organisation Al-Haq, in einer Einrichtung der katholischen Kirche einen Vortrag halten. Jabarin sass wegen seiner Aktivitäten für die terroristische PFLP zweimal in israelischen Gefängnissen und trägt mit seinem Engagement für Al-Haq seit vielen Jahren wesentlich zur Dämonisierung und Delegitimierung des jüdischen Staates bei. Seine Vereinigung beteiligt sich an der BDS-Bewegung und betreibt eifrig Lawfare gegen Israel. Dennoch – oder gerade deshalb – hat ihn die Gesellschaft Schweiz-Palästina eingeladen.
Am kommenden Donnerstag wird es im Haus der Begegnung in Bern, das der katholischen Kirche gehört, zu einer ganz besonderen Veranstaltung kommen, wenn man der Gesellschaft Schweiz-Palästina (GSP) glauben darf. Auf deren Einladung soll dort nämlich Shawan Jabarin sprechen, der Leiter der palästinensischen Vereinigung Al-Haq. Man werde «englisch und deutlich» hören, warum Jabarin und seine Organisation «seit fast 40 Jahren sowohl von der Besatzungsmacht als auch von den Autonomiebehörden zu Recht als Stachel in ihrem Fleisch empfunden werden», schreibt die Gesellschaft Schweiz-Palästina in ihrer Ankündigung des Vortrags. Die «Arbeit und Expertise von Al-Haq» werde «weltweit nachgefragt», etwa von Human Rights Watch und Amnesty International. Während Israel «seine militärische Erfahrung als Besatzer in alle Welt exportiert, exportiert Al-Haq sein Wissen an Friedensdiensten», so die GSP weiter. «Und ausgerechnet dieser Organisation wollen bürgerliche Schweizer Aussenpolitiker die finanzielle Unterstützung entziehen.» Das sei «ein Skandal».
Wenn man sich näher mit Al-Haq und dessen Chef beschäftigt, ergeben sich allerdings grosse Zweifel an deren Friedfertigkeit. Shawan Jabarin wurde 1985 im Alter von 25 Jahren von einem israelischen Gericht dafür verurteilt, für die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) neue Mitglieder angeworben und militärische Trainingslager arrangiert zu haben. Von den 24 Monaten Haft verbüsste er neun. Auch danach war er offenbar für die PFLP aktiv, die vor allem für ihre Flugzeugentführungen und Attentate berüchtigt ist und sowohl in der Europäischen Union als auch in den USA auf der Liste der Terrororganisationen steht. Im Jahr 1994 musste Jabarin wegen seiner Tätigkeit für die Vereinigung jedenfalls erneut ins Gefängnis, diesmal für ein halbes Jahr. Israel ging davon aus, dass er eine führende Rolle in der PFLP einnahm. Begonnen hatte er seine Aktivitäten für diese Organisation während seiner Zeit als Student an der Universität Birzeit.
Wegen seiner Tätigkeit für die PFLP verweigerte ihm Jordanien im Jahr 2003 die Einreise, Israel wiederum hat ihm mehrfach die Ausreise untersagt. Für Al-Haq tätig ist Jabarin seit dem Jahr 2006. Er begann dort als eine Art Aussendienstmitarbeiter und avancierte bald zum Direktor. Der Oberste Gerichtshof Israels war im Juni 2007 gleichwohl überzeugt, dass Jabarin seine Aktivitäten für die Volksfront zur Befreiung Palästinas nicht aufgegeben hat. In einer Bekräftigung des Ausreiseverbots für ihn, gegen das Jabarin Widerspruch eingelegt hatte, hiess es: «Der Antragsteller ist anscheinend ein Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Einen Teil seiner Zeit verbringt er damit, eine Menschenrechtsvereinigung zu führen, einen anderen wiederum als Aktivist in einer Organisation, die keine Skrupel hat, Menschen zu töten, und die sich um Rechte keinen Deut schert. Mehr noch: Sie negiert das grundlegendste Recht von allen, ohne das es keine anderen Rechte gäbe, nämlich das Recht auf Leben.» Im Juli 2008 urteilte der Oberste Gerichtshof, es gebe «zuverlässige Informationen», nach denen Jabarin «ein führender Aktivist der terroristischen PFLP ist».
Jabarin, Al-Haq und die Lawfare gegen Israel
Für Shawan Jabarin selbst wird es gewiss kein Widerspruch sein, sowohl der PFLP als auch Al-Haq anzugehören. Denn auf palästinensischer Seite gibt es schon lange die Doppelstrategie, sowohl mit terroristischen Mitteln als auch politisch-diplomatisch und juristisch gegen den verhassten jüdischen Staat vorzugehen und ihn dabei zu einem Unrechtsstaat herabzuwürdigen. Was Jabarin und Al-Haq betreiben, nennt sich Lawfare – Kriegführung mit den Mitteln des Rechts zum Zwecke der Dämonisierung und Delegitimierung Israels. Popularisiert hat diesen Terminus vor allem der ehemalige amerikanische Generalmajor Charles J. Dunlap Jr., der ihn im Jahr 2001 in einer Rede an der Universität von Harvard als Strategie bezeichnete, «das Recht als Ersatz für traditionelle militärische Mittel zum Erreichen eines operativen Ziels zu gebrauchen oder zu missbrauchen». Später erweiterte er die Definition und nannte Lawfare «die Ausbeutung von tatsächlichen, wahrgenommenen oder inszenierten Verstössen gegen das Kriegsrecht», um so auf unkonventionelle Weise auf Konfrontationskurs zu einer überlegenen Militärmacht zu gehen.
Lawfare, so Dunlap, spiele in modernen Kriegen eine Schlüsselrolle, zumal es oft eingesetzt werde, um den Gegner zu delegitimieren sowie unter extremen Rechtfertigungsdruck zu setzen, und ausserdem die Moral über das originäre Recht stelle. Lawfare bedeutet, die Rechtmässigkeit von politischen und militärischen Handlungen des Gegners wieder und wieder anzuzweifeln, sie zu kriminalisieren und dabei möglichst schwerwiegende Verstösse zu unterstellen, seien die Vorwürfe auch noch so überzogen oder gar abwegig. Der Gegner soll in zeitraubenden Verfahren, die seine Verurteilung zum Ziel haben, gezwungen werden, sich bei seiner Rechtfertigung und Verteidigung in Widersprüche zu verwickeln und Zugeständnisse zu machen. Er soll, selbst wenn eine Untersuchung oder ein Prozess zu seinen Gunsten ausgeht, politischen, wirtschaftlichen und moralischen Schaden nehmen und zermürbt werden, seine Handlungsfähigkeit und sein Bewegungsspielraum sollen eingeschränkt werden, sein Image in der Öffentlichkeit zumindest erhebliche Kratzer davontragen.
Lawfare-Aktivisten wie Shawan Jabarin stellen in politischer wie in rechtlicher Hinsicht grundsätzlich in Abrede, dass Israel sich selbst verteidigt, und halten den jüdischen Staat vielmehr auf allen Ebenen für den Aggressor: auf der Ebene des ius ad bellum – also des Rechts zum Krieg –, weil für Israel legitime Gründe zur Anwendung von Gewalt völkerrechtlich angeblich nicht vorliegen. Auf der Ebene des ius in bello – also des humanitären Völkerrechts, das bestimmte Praktiken der Kriegsführung vorschreibt oder verbietet –, weil Israel angeblich einen Krieg gegen die palästinensische Zivilbevölkerung führt und weitere Kriegsverbrechen begeht. Auf der Ebene des ius cogens – also der Rechtsgrundsätze, von denen Staaten unter keinen Umständen abweichen dürfen –, weil Israel angeblich Verbrechen gegen die Menschheit und einen Genozid verübt.
Jabarin befürwortet die «Märtyrerrenten»
Nachdem das Ausreiseverbot gegen ihn im Februar 2012 aufgehoben wurde, nahm Jabarin immer wieder die Gelegenheit wahr, auf internationaler Ebene gegen Israel zu agitieren und Lawfare zu betreiben: In Frankreich beispielsweise traf er sich mit Diplomaten, Parlamentariern und Vertretern von Menschenrechts-NGOs; in Südafrika trat er als «Zeuge» vor dem Russell-Tribunal auf, das Israel unterstellte, ein «Apartheidstaat» zu sein; in Norwegen sprach er mit dem Dachverband der Gewerkschaften, der schliesslich dafür stimmte, zu einem wirtschaftlichen, kulturellen und akademischen Boykott des jüdischen Staates aufzurufen.
Im Januar 2015 wurde Jabarin zudem auf Veranlassung des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Mahmud Abbas, zum Mitglied eines 40-köpfigen Komitees ernannt, das die Tätigkeit des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC) in Den Haag beobachtet und die PA bei ihren Verhandlungen mit dem ICC berät und unterstützt. Seitdem reicht Al-Haq regelmässig Dokumente beim Gerichtshof ein, mit denen Israel kriminalisiert werden soll. Sie sollten beispielsweise zeigen, dass die israelische Armee beständig Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit begehe – etwa im Gazakrieg des Sommers 2014 sowie ganz grundsätzlich im Westjordanland und Ostjerusalem sowie im Gazastreifen. Im Mai 2016 nahm Shawan Jabarin überdies in der spanischen Stadt Malaga an einer vom Palestinian Center for Human Rights (PCHR) organisierten Konferenz von Rechtsexperten teil, deren erklärtes Ziel es war, geeignete Strategien zu entwickeln, um «israelische Kriegsverbrecher» vor Gericht zu bringen, insbesondere vor den ICC.
Jabarin ist darüber hinaus ein Befürworter der regelmässigen Zahlungen der Palästinensischen Autonomiebehörde an die rund 6.500 verurteilten palästinensischen Terroristen, die in israelischen Gefängnissen einsitzen, und an Angehörige von getöteten Terroristen. Bei diesen Zuwendungen gilt der Grundsatz: Je grausamer die Tat, desto länger die daraus resultierende Haftstrafe, desto höher die monatliche monetäre Unterstützung. Diese kann bis zu rund 3.500 Dollar pro Monat betragen, etwa für einen Palästinenser, der in Israel wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden ist. Hinzu kommen Boni für die Ehefrau und jedes Kind sowie je nach Wohnsitz auch Ortszuschläge. Die Kritik an diesen «Märtyrerrenten» aus den USA und stellenweise aus Europa wies Jabarin im Juli 2017 mit dem Argument zurück, wenn die «Rechte» der inhaftierten Terroristen «ausgehöhlt» würden, steuere man «auf eine echte Krise in der palästinensischen Gesellschaft und unmittelbar auf eine Explosion zu».
Das EDA ging im Juni auf Distanz zu Al-Haq
Jabarins Organisation Al-Haq gab, wie Pierre Heumann vor vier Jahren in der Weltwoche berichtete, «eine 34-seitige PR-Fibel heraus, in der sie für den Boykott von israelischen Produkten warb, die aus dem Westjordanland stammen». Auch NGO Monitor betont die eminent wichtige Rolle der Vereinigung in der antisemitischen BDS-Bewegung, die Boykotte, Desinvestitionen und Sanktionen gegenüber dem jüdischen Staat befürwortet. Al-Haq gehörte ausserdem zu den Teilnehmern der berüchtigten Weltkonferenz der Vereinten Nationen gegen Rassismus, die im August und September 2001 im südafrikanischen Durban stattfand. Sie wurde zu einem Tribunal gegen Israel, das als Ausgeburt des Rassismus und des Kolonialismus an den Pranger gestellt und als «Apartheidstaat» verunglimpft wurde. Auch zum Goldstone-Bericht des notorischen UN-Menschenrechtsrates, der im Herbst 2009 erschien und eine 575 Seiten umfassende Anklageschrift gegen Israel wegen dessen angeblicher Kriegsverbrechen im Zuge der Militärschläge Ende 2008, Anfang 2009 darstellte, trug Al-Haq massgeblich bei. Shawan Jabarin selbst nahm im Juli 2009 an einem Hearing der Goldstone-Kommission teil.
Anhänger von Jabarin wenden gegen Kritik an ihm unter anderem ein, er sei von der renommierten Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) im Februar 2011 in das Beratergremium aufgenommen worden. Doch einmal abgesehen davon, dass sich HRW selbst häufig an der Lawfare gegen Israel beteiligt, gab es seinerzeit auch deutliche Kritik an der Berufung von Jabarin – nicht zuletzt von HRW-Gründer Robert L. Bernstein, der sie als «Fehler» bezeichnete. Die Organisation habe es versäumt, die Einschätzung des Obersten Gerichtshofes in Israel zu berücksichtigen, und hätte Alternativen zu Jabarin gehabt.
Vor all diesen Hintergründen ist es, anders als von der Gesellschaft Schweiz-Palästina behauptet, keineswegs ein Skandal, wenn die Schweiz künftig keine finanzielle Unterstützung mehr für Al-Haq leistet – im Gegenteil. Bereits im Juni hatte Stephan Kellenberger, ein Mitarbeiter des schweizerischen Aussendepartements (EDA), seine Eröffnungsansprachen bei zwei Veranstaltungen mit Beteiligung von Al-Haq in Bern und Zürich abgesagt. Offiziell wurden damals terminliche Schwierigkeiten als Grund angegeben, doch dürfte die überraschende Kritik von Aussenminister Ignazio Cassis am Uno-Palästinenserhilfswerk UNRWA, die darüber hinaus die Positionierung der Schweiz im israelisch-palästinensischen Konflikt grundsätzlich hinterfragte, eine wesentlich grössere Rolle gespielt haben. Das katholische Haus der Begegnung in Bern sollte sich überlegen, ob es einer antiisraelischen Veranstaltung wie der mit Shawan Jabarin am Donnerstag tatsächlich einen Raum geben will. Einen Friedensdienst leisten er und seine Organisation nämlich ganz sicher nicht.
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