Der Hamas ausgeliefert: die UNRWA in Gaza

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UNRWA in Gaza. Foto Abed Rahim Khatib/Flash90.
UNRWA in Gaza. Foto Abed Rahim Khatib/Flash90.
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Angesichts des Ärgers über Stellenstreichungen bei der UNRWA ist die Sicherheit ihrer ausländischen Mitarbeiter nicht mehr gewährleistet. Nach einer Welle von Protesten gegen die UNRWA im Gazastreifen, bei der Gebäude und Fahrzeuge blockiert wurden, sieht sich die Organisation gezwungen, etliche von ihnen aus dem Gazastreifen abzuziehen.

 

Matthias Schmale, der UNRWA-Direktor in Gaza, sagte der israelischen Website Times of Israel:

„Ich traf mich mit einigen Managerinnen in einem Hotel in Gaza-Stadt, als meine Sicherheitsleute mich darüber informierten, dass eine Gruppe von demonstrierenden Gewerkschaftern sich draussen versammelt. Wir haben sofort unsere Sachen gepackt und das Hotel verlassen. Alle unsere Autos konnten das Hotelgelände verlassen, bis auf eines, in dem fünf unserer Mitarbeiter sassen, umzingelt von den Demonstranten.“

Eine Stunde später sei die Polizei der Hamas gekommen und habe dem Auto eine Gasse geschaffen. „Das war eine bedrohliche und ernsthafte Situation“, so Schmale. Daraufhin sei der Entschluss zum Abzug der ausländischen Mitarbeiter gefasst worden, auch, „um den Behörden hier, wenn ich das so sagen kann, eine klare Botschaft zu senden, dass sie eine UN-Organisation besser beschützen und sicherstellen müssen, dass wir Zugang zu unseren Büroräumen haben und nicht durch Gaza gejagt werden.“

Seit Jahren gibt es im Gazastreifen Unmut über die UNRWA, deren Mitarbeiter – so ein Bericht von Al-Jazeera aus dem Jahr 2013 – in nagelneuen Geländewagen durch die Gegend fahren und sich in exklusiven Strandhotels vergnügen, die für normale Bürger unerschwinglich sind.

Die Nachricht vom Abzug der ausländischen Mitarbeiter aber schafft eine neue Lage und wirft ein Licht auf eines der Grundprobleme der Organisation, über das selten gesprochen wird: Sie ist völlig auf die Unterstützung und den Schutz ihrer Gastgeber angewiesen. Im Gazastreifen ist sie von der Hamas abhängig, und dieser auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Werden die ausländischen Mitarbeiter bedroht, ist die Terrorgruppe die einzige Kraft, an die sich die UNRWA wenden kann, um Schutz zu erbitten. Von einem eigenständigen, autonomen Handeln der UNRWA in Gaza, das sich allein an den Vorgaben orientiert, die ihr die UN-Generalversammlung erteilt hat, kann keine Rede sein. Sie kann es sich nicht leisten, es sich mit der Hamas zu verscherzen – oder auch nur fürchten zu müssen, diese könnte mal nicht sofort zur Stelle sein, wenn einer der ausländischen UNRWA-Mitarbeiter bedroht wird.

Die UNRWA wurde 1950 aufgrund eines Beschlusses der UN-Generalversammlung vom 8. Dezember 1949 gegründet, um „Hunger und Not“ derer zu lindern, die in den Jahren zuvor ihre Heimatorte im ehemaligen britischen Mandatsgebiet Palästina verlassen hatten (viele während des arabisch-israelischen Krieges 1948, viele aber auch schon Ende 1947, als sich der Konflikt abzeichnete). Die direkten Zuwendungen sollten „spätestens am 31. Dezember 1950“ beendet werden, vorbehaltlich eines anderslautenden Beschlusses der UN-Generalversammlung. Seither wird der Auftrag alle drei Jahre verlängert. Ursprünglich umfasste er Juden und Araber. Doch Israel übernahm im Juli 1952 die Verantwortung für alle Flüchtlinge auf seinem Territorium, jüdische und arabische, das dortige UNRWA-Büro wurde geschlossen, und die Flüchtlinge in Israel hörten auf, Flüchtlinge zu sein.

Würde man das UNRWA-Prinzip, wonach der Flüchtlingsstatus sich weitervererbt, auf Israel anwenden, wäre die Mehrheit der dort lebenden Juden Flüchtlinge, weil ihre Vorfahren aus arabischen Ländern vertrieben wurden. Darum wird die UNRWA international dafür kritisiert, dass sie, statt Probleme zu lösen, selbst die Ursache von Problemen und Konflikten ist: Sie produziert eine stetig steigende Zahl von Pseudoflüchtlingen, derzeit über fünf Millionen; im Juni 1952 waren es 881.600. Schon damals zeigte der Jahresbericht der UNRWA die Absurditäten, die damit einhergehen, wenn man Flüchtlinge und deren Nachkommen zu einer auf Lebenszeit – und unabhängig von tatsächlichem Bedarf –versorgungsberechtigten Kaste macht: „Um ihre Rationen zu erhöhen oder zu verhindern, dass sie gesenkt werden, melden sie [die bei der UNRWA als Flüchtlinge Registrierten Araber] eifrig Geburten – manchmal, indem sie ein neugeborenes Baby von einer Familie zur anderen weiterreichen – und nur ungern Todesfälle; oft entscheiden sie sich für heimliche Begräbnisse, um zu vermeiden, eine Versorgungskarte abgeben zu müssen.“

Hamas-Mitglieder auf Lohnliste der UNRWA

Diese versorgungsberechtigten Pseudoflüchtlinge machen mehr als 99 Prozent der UNRWA-Mitarbeiter aus – ein klarer Interessenkonflikt. Die Mitarbeiter arbeiten zum grossen Teil in Schulen und Krankenhäusern, immer wieder machen einige von ihnen Schlagzeilen, indem sie Hitler loben oder antisemitische Karikaturen verbreiten. Etliche UNRWA-Mitarbeiter sind aktive Terroristen der Hamas; wie gross deren Zahl ist, ist unbekannt, da die UNRWA bei der Einstellung von Mitarbeitern nicht danach fragt. Im Oktober 2004 gab der damalige UNRWA-Generalkommissar Peter Hansen in einem Interview mit dem kanadischen Fernsehsender CBC zu:

„Ich bin mir sicher, dass Hamas-Mitglieder auf der Lohnliste der UNRWA stehen, und ich halte das nicht für ein Verbrechen. Die Hamas ist eine politische Organisation, nicht jedes Mitglied ist ein Militanter. Wir führen keine politischen Überprüfungen durch und schliessen irgendwelche Leute aus, nur weil sie die eine oder andere politische Überzeugung haben. Wir verlangen von unseren Mitarbeiter, was auch immer ihre politische Überzeugung ist, dass sie sich in Einklang mit den UN-Standards und Normen der Neutralität verhalten.“

Schon damals verlangte eine Gruppe von 37 Mitgliedern des amerikanischen Kongresses beider Parteien, dass die Vereinigten Staaten die Zahlungen an die UNRWA einstellen. Hansens Äusserungen zeigen, wie wenig der Neutralitätskodex der UNRWA wert ist, wenn Hansen es für möglich und plausibel hält, dass ein Terrorist der Hamas UNRWA-Mitarbeiter sein kann, ohne gegen diesen Kodex zu verstossen. James G. Lindsay, von 2002 bis 2007 Justiziar der UNRWA, schrieb 2009 in einer kritischen Analyse der UNRWA: „Wie die jüngste palästinensische Geschichte gezeigt hat, haben bewaffnete Gruppen keine Hemmungen, ihre Waffen einzusetzen, um ihre Ansichten zu bekräftigen oder diejenigen zu bestrafen, die nicht mit ihnen übereinstimmen.“ Daher passiere es vor allem in Gaza, der Westbank und dem Libanon selten, dass ein Angestellter meldet, dass ein anderer Neutralitätsregeln gebrochen oder gar Verbindungen zum Terrorismus hat.

Da die UNRWA offenbar rein gar nichts dagegen unternahm, dass ein grosser Teil der von ihr bezahlten Mitarbeiter gleichzeitig für die Hamas arbeiten (und dort mutmasslich einen Teil ihres Lohns abliefern, der dann für die Finanzierung der Infrastruktur des Terrors benutzt wird), wurden diese immer dreister. Nach Wahlen zu den UNRWA-Gewerkschaften – bei denen keine politischen Organisationen, sondern nur Personen kandidieren dürfen – feiert die Hamas ihren „Sieg“. Als Kandidaten der Hamas etwa im März 2009 bei den Wahlen zum Rat einer UNRWA-Gewerkschaft erfolgreich waren, sagte Hamas-Sprecher Fawzi Barhoum, die Abstimmung zu dem UNRWA-Gremium zeige, „dass das gesamte palästinensische Volk dem Widerstand [der Hamas] und ihrem Weg des Erfolgs folgt; das zeigt die Popularität der Hamas.“ Darin stimmen Hamas und UNRWA offenbar überein. Die damalige UNRWA-Generalkommissarin Karen Koning AbuZayd sagte im März 2008 Berichten zufolge dem iranischen Fernsehsender Press TV, die Hamas sei „frei von Korruption“ und „beliebter als je zuvor“.

An Missständen im Gazastreifen gibt die UNRWA stets Israel die Schuld, Kritik an der Hamas hört man von ihr nie. Zum einen bringen die Verantwortlichen der UNRWA damit natürlich ihre inneren Überzeugungen zum Ausdruck – es wäre weit hergeholt, zu behaupten, UNRWA-Sprecher Chris Gunness twittere den ganzen Tag gegen Israel, weil die Hamas ihm die Pistole an den Kopf hält. Nein, er denkt wirklich so. Eines der strukturellen Probleme der UNRWA aber besteht darin, dass selbst dann, wenn an der Spitze der UNRWA jemand sässe, der der Welt mitteilen will, dass die Bevölkerung des Gazastreifens nicht das Opfer Israels, sondern das der Hamas ist, die die Bewohner des Gazastreifens für ihre Zwecke missbraucht, er das niemals sagen könnte, weil die Mitarbeiter der UNRWA dann in Lebensgefahr wären und die UNRWA fortan nicht mehr im Gazastreifen operieren könnte. Das geht nur im Einklang, nicht gegen den Willen der Hamas.

2003 beauftragte der amerikanische Kongress das Rechenschaftsbüro der Regierung (GAO), zu ermitteln, ob das Aussenministerium mit seinen Zahlungen an die UNRWA nicht gegen ein Gesetz verstosse, das Zahlungen an ausländische Organisationen mit Verbindungen zum Terrorismus untersagt. Die Antwort lieferte der UNRWA Entschuldigungen, zeigte aber genau dadurch, wie wenig die UN-Organisation dagegen tut – oder tun kann –, dass Terroristen auf ihre Gehaltsliste kommen. Die UNRWA, hiess es in dem Bericht, unterliege zahlreichen „Einschränkungen“. So gebe es keine offiziellen Beurteilungen der Bewerber durch die Behörden Israels oder der PA (was die UNRWA nie gewünscht hat). Die UNRWA könne sich nicht gegen das Eindringen bewaffneter Gruppen in UNRWA-Einrichtungen wehren. Zudem sei sie nicht in der Lage, Nutzniesser der UNRWA nach etwaigen Verbindungen zum Terrorismus zu fragen – weil das die Fragesteller in Gefahr bringen würde.

2014 wurde bekannt, dass die Hamas Schulen der UNRWA für militärische Zwecke benutzt. James Lindsay hatte schon 2009 darauf hingewiesen, dass es kaum möglich ist, dies zu verhindern. Inspektionen von UNRWA-Einrichtungen durch auswärtige Beobachter seien selten, schon allein wegen der Vielzahl an Gebäuden. „Und selbst wenn sie entdeckt werden, sind einige Verstösse nicht leicht zu beheben – so fürchten etwa Lehrer an UNRWA-Schulen sich oft davor, Plakate zu entfernen, auf denen ‚Märtyrer’ verherrlicht werden (darunter Selbstmordbomber), aus Angst vor der Rache bewaffneter Unterstützer der ‚Märtyrer’.“

Gegen Hamas-Mitglieder in ihren Reihen geht die UNRWA offenbar nur dann vor, wenn der internationale Druck zu gross ist, etwa, weil hochrangige Hamas-Funktionäre gleichzeitig hochrangige UNRWA-Mitarbeiter sind, sie also doppelt im Rampenlicht stehen. Ein solcher Fall ist Dr. Suhail al-Hindi, seit Jahren Vorsitzender der UNRWA-Lehrergewerkschaft im Gazastreifen und Leiter einer von der UNRWA betriebenen Jungenschule. Im Februar 2017 wurde er in das politische Büro der Hamas gewählt. Nach starken internationalen Protesten gab die UNRWA im folgenden Monat sein Ausscheiden bekannt, ohne Gründe zu nennen. Am 18. September 2018 war es dann eben dieser Al-Hindi, der einer Zeitung von einem Plan der Hamas erzählte, 250.000 Schüler an den Grenzzaun zu Israel zu führen. Abdel Rahim Shaldan, Vater von zwei Kindern, die UNRWA-Schulen besuchen, sagte der Website AL-Monitor: „Hindi sprach von den UNRWA-Schulen, wo den Flüchtlingskindern von der ersten bis zur neunten Klasse, Kindern im Alter zwischen sechs und 14 Jahren, Schulbildung geboten wird. Das würde bedeuten, dass er sie an einer Schlacht beteiligen will, die sie nicht gewählt haben und sie in einen Kugel- und Bombenhagel führen will!“

Diese Idee ist vielleicht der traurige Kulminationspunkt der unseligen Verbindung zwischen UNRWA und Hamas. Jetzt, wo selbst die UNRWA zugeben muss, dass sie den Terroristen, denen sie sich ausgeliefert hat, das Leben ihrer ausländischen Mitarbeiter nicht mehr anvertrauen kann, ist es höchste Zeit, die Rolle und Zukunft dieser Organisation zu überdenken – vor allem im Gazastreifen, aber auch darüber hinaus.

Über Stefan Frank

Stefan Frank ist freischaffender Publizist und lebt an der deutschen Nordseeküste. Er schreibt regelmässig über Antisemitismus und andere gesellschaftspolitische Themen, u.a. für die „Achse des Guten“, „Factum“, das Gatestone Institute, die „Jüdische Rundschau“ und „Lizas Welt“. Zwischen 2007 und 2012 veröffentlichte er drei Bücher über die Finanz- und Schuldenkrise, zuletzt "Kreditinferno. Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos."

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