Mit Sukkot, dem Laubhüttenfest, finden nach Rosch Haschana und Jom Kippur die jährlichen jüdischen „Herbstmanöver“ ihren Abschluss. Dieser Festtag geht auf die folgende Vorschrift im dritten Buch Moses (23.42) zurück: „ In Hütten sollt ihr sieben Tage wohnen, jeder Bürger in Israel, sie sollen in Hütten wohnen“.
von Zwi Braun
Diese Hütten sollen an die Behausungen des jüdischen Volkes während der vierzigjährigen Wanderung durch die Wüste nach dem Auszug aus Ägypten erinnern. Ein Kommentator zur Tora, Rabbi Efrajim Schlomo von Luntschitz (1550-1619), stellt die Frage, warum gerade bei diesem Gebot die Tora von Bürgern spricht. Bürger eines Landes zu sein, bedeutet den vollen politischen Besitz von Rechten und Pflichten. Die Schweiz kennt dies bestens. Es gibt
eine Art Stufenleiter: Kurzaufenthalter, Jahresaufenthalter, Niedergelassener und schliesslich Schweizer Bürger mit Heimatort.
Sukkot ist landwirtschaftlich gesehen der Abschluss der Erntezeit. Das Gefühl der Zufriedenheit und Selbstsicherheit erreicht einen Höhepunkt. Gerade dann, so Rabbi Efrajim, sollen dem „satten Bürger“ seine Grenzen aufgezeigt werden. Das Verlassen der festen Behausung und der siebentägige Aufenthalt in der Laubhütte, im Idealfall soll in der Sukka nicht nur gegessen, sondern auch geschlafen werden, zeigen ihm seine Grenzen auf und sollen ihn zur Bescheidenheit anhalten. „ Wenn du in deinem Herzen sprichst: meine Kraft und die Stärke meiner Hand hat mir dieses Vermögen geschaffen. Dann gedenke vielmehr des Ewigen, deines Gottes, denn er ist es, der dir die Kraft gibt, Vermögen zu schaffen…(5. Buch Moses 8.17-18)“. Wir alle sind in den Augen Gottes lediglich „ Fremde und Bewohner“ auf dieser Welt (3. Buch Moses 25.23).
Die Grundfläche der Laubhütte soll im Minimum 7×7 Tefachim betragen, so dass ein Mensch und ein Tisch zum grössten Teil Platz darin finden können. Ein Tefach entspricht nach einer Meinung 9.6 cm. Die Mindesthöhe der Sukka soll 10 Tefachim betragen. Aus der Zeit des Holocaust ist uns durch überlebende Zeugen überliefert, dass in den deutschen Vernichtungslagern in Polen, unter Lebensgefahr, Juden eine solche Hütte minimalster Grösse an Sukkot errichtet haben. In einem unbewachten Moment schlüpften sie hinein, um so diese Mizwa (jüd.Gebot) während einiger Minuten zu erfüllen. Den jüdischen Körper konnten die Nazis vernichten, nicht aber den jüdischen Geist!
Vervielfachen wir die Länge einer Seite mit der Höhe, so erhalten wir 70 Tefachim. Diese Zahl erinnert an einen Vers aus den Psalmen (90.10): „ Unsere Lebenszeit beträgt 70 Jahre…“. Die Erinnerung an unsere mittlere Lebenserwartung – seit der Zeit des biblischen Verfassers König David allerdings angestiegen – ermahnt uns an Sukkot, dem freudigsten der drei Wallfahrtsfeste nach Jerusalem, zu Zurückhaltung und Bescheidenheit. Im Talmud (Sota 5a) heisst es über Gott: „Ich und der Hochmütige können nicht zusammen in dieser Welt verweilen“. Die Laubhütte, die auch an die göttlichen Wolkensäulen erinnert, welche das Volk während der vierzigjährigen Wüstenwanderung beschützten, kann nur dann auch Wohnstätte für Gott sein, wenn wir uns der Bescheidenheit befleissigen.
Noch eine Vorschrift zeigt uns die Bedeutung der Sukka als Warnung vor Überheblichkeit. Für das Dach der Hütte schreibt der Talmud vom Boden abgeschnittene Pflanzen, Äste, Blätter vor: „ Das Fest der Hütten machst du dir sieben Tage, indem du aufliest aus deiner Scheune und deinem Kelter (5.Buch Moses 16.13)“. Unsere Weisen sahen darin die Aufforderung, mit dem Abfall der Scheune und des Kelters die Hütte zuzudecken. Etwas Wertloses, Geringes wird gewählt, doch wenn es seine Bestimmung als Dach erfüllt, wird es „erhoben“. Dies stimmt überein mit einem Vers des an Sukkot in der Synagoge vorgetragenen Hallel-Gebetes: „Du erhebst vom Staub den Gesunkenen, vom Düngerhaufen den Wehrlosen (Psalmen 113.7)“. Wenn der Mensch sich in Bescheidenheit übt, so kann er darauf vertrauen, dass Gott ihn erheben wird. Eine einfache Hütte, doch reich an Symbolen !