EAPPI-Freiwillige – schlimmer als gedacht

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Symbolbild. EAPPI Freiwillige demonstrieren in Jerusalem. Foto TPS
Symbolbild. EAPPI Freiwillige demonstrieren in Jerusalem. Foto TPS
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Das ökumenische Begleitprogramm in Palästina und Israel EAPPI, dass das Ziel verfolgt, ganz unparteiisch israelische Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren, ist ein Hauptprojekt des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), in dem auch verschiedene lutherische Landeskirchen in Deutschland vertreten sind.

 

von Torsten Lambeck

So nutzt in diesem Jahr auch mindestens ein Pfarrer der EKD Westfalen die Feriensaison, um finanziert u.a. von Brot für die Welt und Pax Christi drei Monate als „Tourist“ in Israel zu verbringen und dabei als EAPPI-Aktivist in Hebron nach eigener Darstellung „Kinder“ vor „Siedlern“ zu schützen. Die damit einhergehende Täuschung der israelischen Behörden räumte der Geistliche im Interview der Lokalzeitung Neue Westfälische schon im Vorhinein unverblümt ein.

Die Organisation würde sich „ganz anders angreifbar machen“, wenn ihre Freiwilligen den Zweck ihrer Reise wahrheitsgemäss deklarierten. Inwiefern demgegenüber gerade das Verschleiern der tatsächlichen Beweggründe ihrer Einreise angreifbar ist, scheint der Zeitung nicht aufzufallen.

Die Westfälischen Nachrichten aus Münster machten aus der Reise einer studierten Ethnologin, die als Selbstständige Hilfsorganisationen berät und schult, gleich eine Fortsetzungsgeschichte. Sie hat sich, wie schon im April im Vorfeld ihrer Abreise angekündigt wurde, nach dem bekannten Muster ebenfalls für die Dauer eines Touristenvisums ins Westjordan aufgemacht. Dort mutierte sie zum EAPPI-„Mitarbeiter“ und konnte so angeblich wie vorgesehen „allein durch ihre Anwesenheit konfliktmindernd“ wirken. „Arbeit in den Palästinensergebieten“ wird ihre Tätigkeit in der Folge konsequent tituliert. Die Erfolgsmeldung nach ihrer Rückkehr im Juli illustrierte ein Foto, auf dem die 52-jährige „Entwicklungshelferin“ – angetan mit der einschlägigen khakigrauen Uniformweste mit dem EAPPI-Logo – im Schein der tiefstehenden Sonne in steiniger Ödnis sitzt und einen traurig dreinschauenden Hund krault. Dass ihr privater Ausflug „mitten ins Palästinensergebiet“ beziehungsweise ihr „Auftrag“ als „Friedensarbeiterin“ wie eine offizielle Mission erscheinen soll, vermittelte sich dabei schon durch die Wortwahl:

„Stationiert war die Steinfurterin in Yatta, einem Nest in den Hebronhügeln, die sich vollständig unter der Kontrolle der israelischen Armee befinden.“

Und es wurde noch blumiger:

„Schweighöfer hat Proteste erlebt und Demonstrationen, bei denen Siedler und Araber Nase vor Nase standen, bis das israelische Militär anrückte, um die Streithähne auseinanderzuzwingen. Sie hat mit bewaffneten Siedlern diskutiert, mit blutjungen Militärs und steinalten Hirten. Ihre schlimmste Erfahrung bei all jenen vielen schlechten: Die systematische Vertreibung der Palästinenser. ‚Ich habe nicht gedacht, dass das so flächendeckend stattfindet.’“

Flächendeckende, systematische Vertreibung der arabischen Bevölkerung unter Aufsicht oder gar Regie der israelischen Armee? Yatta liegt in Zone A nach dem Oslo-Abkommen und befindet sich damit vollständig unter der Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde. Und seine Bevölkerung wächst, kontinuierlich. Nach dem Zensus des Zentralen Palästinensischen Statistikamtes PCBS hat sie im zuletzt betrachteten 10-Jahres-Zeitraum von 2007 bis 2016 um sage und schreibe 34 Prozent zugelegt.

Die EAPPI-Freiwillige ficht das in ihrem proklamierten Ziel, neutral und unvoreingenommen über die Verhältnisse vor Ort zu berichten, nicht an:

„Ihre Eindrücke konzentriert sie auf einen Satz: ‚Es ist alles viel schlimmer, als ich gedacht habe‘ “ 

Um dem Schlimmen entgegenzuwirken, hat sie als „Eskorte“ Palästinenser begleitet, wo diese sich der immanenten Gefahr aussetzen mussten, sich in die Nähe von Juden zu begeben. Und sie hat israelische Soldaten an den Kontrollpunkten im Umland der Stadt beobachtet, ob sie sich auch „regelkonform“ verhalten, sprich: ihre Dienstvorschriften befolgen, was so aber nicht verdeutlicht wird, so dass es so wirken muss, als wäre EAPPI dafür zuständig, das sicherzustellen, und nicht der israelische Staat. Was eigentlich der Hintergrund der Sicherheitskontrollen ist, wird dem Leser vorenthalten. So erfährt er auch nicht, dass trotz dieser Kontrollen allein in den vergangenen zwei Jahren ein Schusswaffenmassaker in einem Tel-Aviver Café und ein Messerattentat in einem Supermarkt in Yavneh von Terroristen aus Yatta verübt wurden. Dass im Juni 2016 eine auf der Nationalstrasse 60 vorbeifahrende israelische Familie unter Beschuss genommen wurde, wobei der Vater getötet, die Mutter und zwei Kinder schwer verletzt wurden, kann man auch auf dem Blog von EAPPI nachlesen, nicht aber in dem Bericht über seine auskunftsfreudige Freiwillige.

Wenn Frau Schweighöfer nicht gerade auf der Welt unterwegs ist, um Entwicklungshilfe anzubieten, dann lebt sie – so berichtet es die Zeitung andernorts – in einer ehemaligen Schrankenwärterwohnung in einer Bauernschaft im Landkreis Steinfurt. Die nächsten grösseren menschlichen Ansiedlungen sind hier die knapp 15.000 Köpfe zählende Ortschaft Burgsteinfurt und das gut halb so grosse Wettringen. Dass die Mittelstadt Yatta mit ihren über 64.000 Einwohnern ihr spontan als das trostlose „Nest“ in den Hügeln erschienen ist, als das es gezeichnet wurde, erscheint nicht eben naheliegend. Das Internetprojekt welcometopalestine.com  rühmt Yatta als farbenfroh und abwechslungsreich („colourful and varied“), mit einem belebten Zentrum („bustling centre“) und vielfältigen Einkaufsmöglichkeiten („eclectic variety of shops“). Dass Frau Schweighöfer – langjährig erfahren in der Auslandsarbeit, aufmerksame Beobachterin der gesellschaftlichen Verhältnisse im Dienste einer lokal verankerten NGO – sich dort gar drei Monate lang bewegt haben sollte, ohne zu bemerken, dass sie sich nicht unter israelischer, sondern palästinensischer Hoheit befindet, liegt jenseits dessen, was sich noch vernünftigerweise annehmen lässt.

Erinnerungen des Journalisten

Hier wurde offensichtlich ein gehöriges Mass an literarischer Fantasie aufgeboten, um die transportierte Botschaft von der flächendeckenden, systematischen Vertreibung alteingesessener Schafhirten durch aggressive Juden noch entsprechend aufzuhübschen respektive einzuschwärzen. Die Westfälischen Nachrichten berufen sich darauf, dass die wiedergegebenen Falschinformationen und Zitate aus Gesprächen mit der EAPPI-Freiwilligen stammen. „Nach den Erinnerungen“ des verantwortlichen Journalisten, was wohl so verstanden werden muss, dass das so ganz genau aber auch nicht nachgehalten worden sein kann. Dass diese Art der „Berichterstattung“ eine kritische Distanz zu ihrem Gegenstand praktisch vollständig aufgegeben hat, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass die in dem Artikel über die Reise der Frau Schweighöfer wiedergegebenen Informationen so vielfach schon in annähernd gleichen Formulierungen vor ihrer Abreise veröffentlicht wurden. Es ist eigentlich nicht zu übersehen, dass ihr zwischenzeitlicher Trip auf die Westbank nichts Wesentliches beiträgt, sondern der EAPPI-Mär von neutralen Beobachtern, die auf das Treiben der Israelis achtgeben, lediglich den Anstrich von Authentizität verleiht. Im Nachgang verschwanden so einige Anführungszeichen, aus persönlichen Äusserungen entstanden vermeintliche Tatsachen. Und die Schlagzeile, dass alles sogar noch viel schlimmer ist als sowieso schon erwartet.

„Idealistisch, aber nicht naiv.“ – so wurde die EAPPI-Freiwillige den Leserinnen und Lesern vorgestellt. Naiv lässt sich das nun tatsächlich nicht mehr nennen, naiv wäre allenfalls die Vorstellung, ihre Geschichte müsste sich nicht an der Realität messen lassen. Die beiden Beiträge hat die Chefredaktion auf meine Kritik an den darin verbreiteten Unwahrheiten hin sperren lassen, im Online-Archiv der Zeitung sind sie nicht mehr zu finden (eine Kopie der Beiträge liegt Audiatur-Online vor). Eine Erklärung oder Richtigstellung sucht man dagegen vergebens. Es wird wohl auch keine mehr geben. Eine Korrektur falscher Informationen sei angesichts der Fülle der veröffentlichten Nachrichten nicht leistbar, erklärte der stellvertretende Chefredakteur auf Nachfrage. Mit der umgehenden Sperrung der Beiträge sei man der Verantwortung der Zeitung nachgekommen. Dass die Gefälligkeitsberichte für eine freischaffende „Entwicklungshelferin“  die Verhältnisse in und um die Stadt Yatta bis in ihr schieres Gegenteil verdreht haben, dass da reale Terroropfer verschwiegen wurden, dafür ein flächendeckendes Vertreibungsprogramm in den Autonomiegebieten skandalisiert, das es nicht gibt – das alles soll nun wohl am liebsten unter dem Mäntelchen des Schweigens verschwinden.

1 Kommentar

  1. Das von Herrn Lambeck beschriebene – angeblich – ökumenische Engagement des ÖRK im Rahmen von EAPPI, in dem auch „meine“ Nordkirche vertreten ist, ist für mich ein weiterer Mosaikstein auf dem mir immer unvermeidlicher erscheinenden Weg, meiner Kirche den Rücken zu kehren. Wenn man sich für die Einhaltung von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht engagieren möchte, gibt es weltweit zahllose Gelegenheiten, eklatante Verstöße hiergegen zu dokumentieren und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Was deutsche christliche Kirchen indes dazu treibt, sich in diesem Zusammenhang ausgerechnet an Israel abzuarbeiten,
    ist mir – bestenfalls – unverständlich.

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