Waffenstillstand zwischen Hamas und Israel? Eher ein „Schmerzmittel als ein Antibiotikum“

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Hamas-Führer Ismail Haniyeh in Khan Yunis im südlichen Gazastreifen am 7. Januar 2016. Foto Abed Rahim Khatib/Flash90.
Hamas-Führer Ismail Haniyeh in Khan Yunis im südlichen Gazastreifen am 7. Januar 2016. Foto Abed Rahim Khatib/Flash90.
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Intensive Anstrengungen wurden unternommen, um im Gazastreifen ein langfristiges und umfassendes Waffenstillstandsabkommen zwischen der Hamas und Israel zu erzielen. Ehemalige Angehörige des israelischen Verteidigungsapparates haben sich jedoch skeptisch bezüglich der Realisierbarkeit eines solchen Ergebnisses geäussert.

 

von Yaakov Lappin

Zugleich wäre ihrer Meinung nach eine eingeschränkte Waffenruhe möglicherweise realistischer. Eine umfassendere Waffenstillstandsvereinbarung „ist ein sehr komplexes Manöver“, erklärte Oberst a. D. Dr. Shaul Shay, ehemaliger stellvertretender Leiter des Nationalen Sicherheitsrats Israels.

Ägypten führt den Verhandlungsversuch an, fungiert als Vermittler in den Gesprächen und beherbergt Delegationen führender Palästinenservertreter in Kairo. Des Weiteren ist auch ein hochrangiger Koordinator der Vereinten Nationen in der Region, Nickolay Mladenov, an den Gesprächen beteiligt.

Das Problem ist, dass eine langfristige Vereinbarung für den Gazastreifen nur dann möglich wäre, wenn diese zwei Aspekte beinhalten würde, so Shay, der heute als Leiter der Forschungsabteilung am Institute for Policy and Strategie (IPS) des Interdisciplinary Center Herzliya (IDC) in Israel tätig ist.

Der erste Aspekt ist eine Versöhnungsvereinbarung zwischen der Fatah und der Hamas, erklärte er. „Und der zweite ist eine Phase der Ruhe zwischen der Hamas und dem Staat Israel. Diese beiden Dinge sind miteinander verbunden. Um eine langfristige Waffenruhe zu erreichen, müssen grosse Investitionen in die Wirtschaft und Infrastruktur im Gazastreifen getätigt werden.“

„Das bedeutet, die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) nach Gaza zu holen“, erklärte Shay weiter. „Da dies eine Voraussetzung ist, ist es sehr problematisch. Wenn wir zurückschauen, sehen wir, dass es seit der Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen im Jahr 2007 zahllose Versuche zur Erreichung einer nationalen Versöhnung der Palästinenser unter der Federführung Ägyptens gegeben hat.“

Und keine dieser Bemühungen war von Erfolg gekrönt, konstatierte Shay.

„Abbas zögert eine Entscheidung heraus“

Auch wenn die Lage heute insofern anders ist, als die Hamas ein Interesse an der Versöhnung mit ihrem internen palästinensischen Rivalen hat, hegt Mahmoud Abbas keine derartigen Gefühle.

„Abbas zögert eine Entscheidung heraus, weil er kein Interesse daran hat, dieses Vorhaben, das zwar der Hamas nicht jedoch der PA Vorteile bringen würde, voranzubringen“, erläutert Shay. „Wenn eine interne palästinensische Versöhnung die Voraussetzung für eine Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas ist, dann gibt es diesbezüglich weiterhin ein grosses Fragezeichen.“

Auf der anderen Seite wäre eine eingeschränktere Waffenruhe, welche das Ende der Demonstrationen an der Grenze zum Gazastreifen beinhalten würde – sowie die Einstellung der Brandanschläge mit Drachen und Ballons aus dem Gazastreifen, bei denen grosse landwirtschaftliche Nutzflächen in Israel abbrannten und die Tier- und Pflanzenwelt sowie die israelische Honigproduktion im Vorfeld von Rosch Haschana geschädigt wurden – machbar.

Im Austausch dafür, so erklärte Shay, könnte Israel den Grenzübergang Kerem Shalom wieder öffnen und somit ermöglichen, dass wieder mehr Materialien in den Gazastreifen gelangen könnten. Darüber hinaus könnte Israel das Fanggebiet für palästinensische Fischer ausdehnen.

„Je eingeschränkter die Vereinbarung, desto eingeschränkter ist auch die Fähigkeit, die wirtschaftliche Lage im Gazastreifen zu verbessern“, warnte er. Daher „gleicht es eher einem Schmerzmittel als einem Antibiotikum. Es verändert die Situation vor Ort nicht wesentlich.“

Jede etwaige Vereinbarung sollte auch die Herausgabe der Leichname der beiden Soldaten der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) beinhalten, die noch immer von der Hamas zurückbehalten werden – Oron Shaul und Hadar Goldin, die während des Gazakonflikts 2014 im Kampf getötet wurden – sowie die Herausgabe zweier israelischer Staatsbürger, die von der Hamas gefangen gehalten werden, erklärte Shay. „Dies muss eine Voraussetzung sein“, fügte er hinzu.

„Israel wird auf umfassender Waffenruhe bestehen“

Oberst a. D. Dr. Moshe Elad, einer der Begründer der Sicherheitskoordination zwischen den IDF und der PA, stimmte mit Shays Einschätzung überein und sagte, dass jeder Versuch, eine umfassende Vereinbarung zu erreichen, sehr wahrscheinlich mit einem Scheitern enden würde.

Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wurde leider von der Realität eingeholt. Am Mittwochabend und in der Nacht auf Donnerstag wurden mehr als 150 Raketen aus dem Gazastreifen in Richtung Israel abgefeuert worden, dabei hat es mehrere Verletzte gegeben.

„Es gibt eine ganze Reihe beteiligter Schauplätze; jeder ist komplexer als der andere“, sagte Elad, der derzeit als Dozent am Western Galilee College tätig ist.

Die Versuche der Hamas und der PA, ihre Differenzen beizulegen, sind bei wiederholten Gelegenheiten gescheitert, „daher wird es dieses Mal nicht anders sein“, stellte er fest.

An der Front Israel-Hamas wird Israel eine „umfassende Waffenruhe“ im Rahmen einer grossen Gesamtvereinbarung anstreben. „Die Hamas hat bislang nie einer umfassenden Waffenruhe zugestimmt. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie dem je zugestimmt hätte“, mahnte Elad.

„Es gibt kleinere [bewaffnete] Gruppen im Gazastreifen, die als Rebellengruppen bekannt sind und die Wahrheit ist, dass die Hamas sie zügeln kann, wenn sie nur will. Das Problem ist jedoch, dass die Hamas sie nicht aufhalten will. Sie will sie weiterhin benutzen, um Israel zu bedrohen. Israel wird auf umfassender Waffenruhe bestehen. Es wird darauf bestehen, dass nicht ein einziger Schuss abgefeuert wird. Dem wird die Hamas nie zustimmen“, erklärte er.

Sämtliche wirtschaftlichen Vorteile, die dem Gazastreifen im Rahmen einer Gesamtvereinbarung angeboten werden – eine Verbesserung der Wasser- und Stromversorgung, der Bau eines Seehafens, der Erlass von Steuerschulden der Hamas-Regierung, eine Lockerung der israelischen Sicherheitsblockade – hängen von einer Vereinbarung zwischen PA und Hamas ab.

Zugleich liess Elad verlauten, er sehe „keine Intention“ seitens der PA, dem zuzustimmen, da in diesem Falle Abbas als der „Hauptverlierer“ dastehen würde.

„Welchen Anreiz hat er, sich für ein Gelingen einzusetzen?“ fragte er.

Bestenfalls wird die Hamas, wenn sie mit dem Rücken zur Wand steht, vielleicht zustimmen, die Aktivitäten ihres militärischen Flügels auf Eis zu legen und dessen Angehörige zu beurlauben, erklärte Elad. „Aber sie werden den militärischen Flügel niemals auflösen“, wie es die PA verlangt hat, fügte er hinzu.

Dies würde aus der Sicht der Hamas die „Aufgabe des Widerstands“ darstellen und dies wäre für die unnachgiebige islamistische Organisation undenkbar. Nach Ansicht von Elad werden voraussichtlich in wenigen Tagen oder Wochen Anschuldigungen und Schuldzuweisungen zum Thema „Warum dies nicht funktioniert hat“ auftauchen.

Yaakov Lappin ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Begin-Sadat Center for Strategic Studies. Auf Englisch zuerst erschienen bei Jewish News Syndicate (JNS).