Professor Eugene Kontorovich von der Northwestern University School of Law wurde am 17. Juli 2018 vor das US-Repräsentantenhaus geladen, um dort seine Einschätzung über die potentielle Anerkennung der israelischen Souveränität über die Golanhöhen durch die Vereinigten Staaten abzugeben. Inhaltlich wurde nicht nur über die internationale Rechtmässigkeit der israelischen Souveränitätsansprüche debattiert, sondern auch festgestellt, dass die Souveränität Israels über die Golanhöhen deutlich dem innerhalb der Nahostexperten herrschenden Konsens zuwider läuft.
von Dr. Glen Segell
Was Letzteres anbetrifft, so ist die konventionelle Sicht der internationalen Gemeinschaft, dass Israel irgendwann die Golanhöhen an die Syrische Arabische Republik zurückgeben muss. Sollten in Syrien wieder Stabilität und Frieden einkehren, dann wäre es klug von Israel, einen Zustand anzustreben, wie er bei den Verträgen mit Ägypten und Jordanien gegeben ist. Demnach könnte ein israelischer Rückzug aus dem Golan eine Vorausbedingung für einen Friedensvertrag zwischen Israel und Syrien sein. Die Sicherheit Israels würde durch die Entmilitarisierung des an Syrien zurückgegebenen Territoriums und mit der Technologie für Frühwarnsysteme und die Stationierung von Friedenstruppen gewährleistet werden.
Argumentierende Parteien geben daher zu bedenken, dass, wenn die USA Israels Souveränität über die Golanhöhen vor solchen Massnahmen anerkennen, dies „destabilisierend“ wäre und den US-Beziehungen zu den Arabern schaden würde. Andere wiederum machen geltend, dass die Anerkennung der israelischen Souveränität über ein vereintes Jerusalem durch den Kongress und die Exekutive zeigen, dass dies nicht der Fall sein würde.
Juristische Rechtfertigung der Annexion des Golans
Ungeachtet aller Strategien und der Politik könnten die USA die Souveränität Israels trotzdem anerkennen: dies wäre laut Kontorovich legal. Auch wenn seit der Verabschiedung der UN-Charta laut internationalem Recht die gewaltsame Aneignung ausländischer Gebiete verboten ist, gibt es wichtige Ausnahmen von dieser Regel, die auch im Falle der Golanhöhen relevant sind. Entsprechende Beispiele gab es schon in den Anfangstagen der Vereinten Nationen.
Ausschlaggebend ist, dass die UN-Charta nicht jeden Krieg für rechtswidrig erklärt. Die Anwendung von Gewalt ist z.B. dann rechtmässig, wenn es sich dabei um defensive Gewalt handelt. Da somit ein Verteidigungskrieg nicht rechtswidrig ist, folgt, dass die territorialen Gewinne des Verteidigers aus einem solchen Krieg ebenfalls nicht illegal wären.
Unter dem Gesichtspunkt des sogenannten „intertemporalen Rechts“ verändern ausserdem spätere Entwicklungen im internationalen Recht nicht den Status von Entwicklungen, die vor diesen Änderungen stattfanden; das internationale Recht ist nicht rückwirkend anwendbar. Es ist also nicht erforderlich, zu berücksichtigen, ob eine Regelung, welche die defensive Eroberung verbietet, nach der Eroberung eines Territoriums entstanden ist.
Präzedenzfälle
Dies sowie die verbreitete Praxis von Staaten unter der UN-Charta in den Jahren unmittelbar nach deren Verabschiedung, spiegelt sich darin wider, dass viele der alliierten Siegermächte sich Territorien der besiegten Nationen aneigneten. All diese Annexionen wurden von den USA und der internationalen Gemeinschaft ohne jede Kontroverse anerkannt. Holland eignete sich 1949 einseitig Teile Deutschlands an; Griechenland und Jugoslawien annektierten Teile Italiens, und grosse Teile Deutschlands wurden durch die UDSSR und Polen angeeignet. Nach der Beendigung des Koreakriegs im Jahr 1953 kontrollierte darüber hinaus auch die Republik Korea Teile des Territoriums nördlich der Vorkriegsgrenze entlang des 38. Breitengrads und forderte Souveränität über diese Teile.
Grenzanpassungen werden nach einem Krieg ausserdem auch damit gerechtfertigt, dass sie dazu beitragen, die Opfer vor weiteren Aggressionen zu schützen.
UN-Autorisierung der Selbstverteidigung
Angesichts der vorgenannten Gesetzmässigkeiten, Praktiken und Beispiele muss betont werden, dass Selbstverteidigung bereits durch die UN-Charta deutlich autorisiert ist. Demnach ist die israelische Kontrolle der Golanhöhen nicht aus einem Eroberungs- oder Aggressionskrieg entstanden, sondern aus einem Krieg der Notwendigkeit und Verteidigung. 1967 war nach internationalem Recht die Anwendung von Gewalt lediglich in rechtswidrigen oder aggressiven Kriegen verboten. Die israelische Gewaltanwendung im Jahr 1967 war defensiv – die USA sind sicherlich dazu berechtigt, dies so zu betrachten – und daher explizit rechtmässig gemäss UN-Charta.
Was auch immer der derzeitige Status eines absoluten Verbots von territorialen Veränderungen infolge von Krieg sein mag, so gab es ein solches Pauschalverbot 1967, als das Gebiet unter israelische Kontrolle gelangte, ganz gewiss nicht. Daher sollten die USA und andere Länder zwischen der Rechtmässigkeit der Umstände, unter denen der Golan unter israelische Kontrolle fiel und etwaigen aktuellen Gesetzesregelungen und Praktiken unterscheiden.
Dissens über Zulässigkeit von defensiven Eroberungen vor 1967
Ein weiterer Aspekt ist, dass die massgeblichen internationalen Rechtsabhandlungen unmittelbar vor 1967 einen Dissens zwischen führenden Autoritäten hinsichtlich der Frage der Zulässigkeit von defensiven Eroberungen unter der UN-Charta offenbaren.
Diesbezüglich gab es keine eindeutige Regel. Der Mangel an Klarheit an sich ist wichtig, weil es im internationalen Recht ein Meta-Prinzip für den Umgang mit Situationen gibt, in denen nicht klar ist, ob eine Regel formuliert wurde. Die als Lotus-Prinzip bekannte Regel lautet, dass, wenn nicht klar ist, ob eine Regel innerhalb des internationalen Rechts formuliert wurde, es Staaten freigestellt ist, wie sie handeln. Das heisst, die Beweislast liegt bei denen, welche die Existenz einer Regel, welche souveränes Handeln einschränken würde, nachweisen wollen. Die rechtliche Quintessenz lautet: „Was nicht eindeutig verboten ist, ist erlaubt“.
Abschliessend kann gesagt werden, dass Kontorovichs Aussage gezeigt hat, dass Israels fortdauernde De-facto-Kontrolle über die Golanhöhen rechtmässig ist, seine Souveränität jedoch aus strategischen oder politischen Gründen von den USA bislang nicht anerkannt wurde. In seinen Ausführungen weist er explizit darauf hin, dass es ein schwerwiegender und nachweislicher Fehler wäre, wenn sich die USA bei der Gestaltung der zukünftigen Auslandspolitik von den leeren politischen Sicherheiten aus dem Munde von Nahostexperten leiten lassen würden, die behaupten: „Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt“. Professor Eugene Kontorovich ist der Ansicht, dass angesichts falscher positiver Vorhersagen über die Natur des Assad-Regimes, und ebenfalls falscher negativer Voraussagen über die Konsequenzen einer Verlegung der Botschaft nach Jerusalem, jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um vollkommen neue Paradigmen zu schaffen. Die israelische Souveränität zum jetzigen Zeitpunkt anzuerkennen, wäre – in Anbetracht der Tatsache, dass die israelische Souveränität über die Golanhöhen rechtmässig ist – ein Anfang.
Dr. Glen Segell ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ezri Center for Iran & Persian Gulf Studies an der Universität von Haifa.