Islamfeindlichkeit und Antisemitismus – zwei zusammenhanglose Phänomene

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Foto Screenshot Youtube/Qudstag
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In der aufgeklärten westlichen Gesellschaft herrscht die Meinung, dass es sich bei Islamfeindlichkeit und Antisemitismus um zwei ideologische Phänomene handele, die aktiv abgelehnt werden müssten.

 

von Evyatar Friesel

Zu dieser lobenswerten Aussage gesellt sich häufig noch eine weitere Vorstellung: Die beiden Positionen seien miteinander verbunden, da die Gegner des Islam und Antisemiten ähnliche fremdenfeindliche Meinungen äußern. Und in einem weiteren Schritt wird behauptet, dass der heutige Anti-Islamismus dem Antisemitismus der Vergangenheit gleiche. Dass die Moslems heute genauso schikaniert würden, wie es die Juden in der Vergangenheit wurden. Ein bekannter Vertreter dieser Ansicht ist Prof. Wolfgang Benz, bis 2011 Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin.

Eine reflektierende Untersuchung zeigt, dass es keine Ähnlichkeiten zwischen den beiden Phänomenen gibt. Die Vermischung von Islamfeindlichkeit und Antisemitismus hat irreführende und schädliche Folgen für das Verständnis beider und für die Auseinandersetzung damit.

Was ist Islamfeindlichkeit?

Islamfeindlichkeit ist eine relativ neue Erscheinung. Die Reaktionen auf die Terroranschläge der Al-Qaida in den USA am 11. September 2001 können als Beginn einer umfassenden negativen Strömung in der Meinung der westlichen Öffentlichkeit gegenüber Moslems angesehen werden. Später verschärften wiederkehrende Anschläge von muslimischen Terroristen in großen europäischen Städten das negative Bild der Europäer und Amerikaner vom Islam und den Moslems.

Diese aktuellen Spannungen zwischen den Muslimen und dem Westen haben einen historischen Hintergrund, der mit dem Zeitalter der europäischen Kolonialisierung in Nordafrika und dem Nahen Osten zusammenhängt. Die Europäer expandierten in diesem Bereich im 19. und frühen 20. Jahrhundert – zur gleichen Zeit, zu der die Macht des Osmanischen Reiches immer weiter abnahm. Erhebliche Teile der muslimischen Welt gelangten unter die direkte oder indirekte Herrschaft der westlichen Mächte. Unter den Europäern (und später auch den Amerikanern) entwickelte sich eine herablassende Haltung gegenüber Muslimen, ihrer Religion, Kultur und politischen Institutionen, die als rückschrittlich, ineffizient und korrupt angesehen wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu einem Wiedererwachen der politischen Macht in der muslimischen Welt, im Zuge dessen viele unabhängige muslimische Staaten gegründet wurden und wachsenden Einfluss in internationalen Foren nahmen. Unter den Muslimen entwickelte sich nun eine ambivalente Haltung gegenüber dem Westen und seinen Institutionen, eine Mischung aus Anziehung und Abneigung. Ein Teil der neuen Staaten übernahm die politischen Vorstellungen und Strukturen des Westens, wobei sich jedoch schnell herausstellte, dass die westlichen Einrichtungen nicht gut zu den Strömungen und lokalen Bedingungen der unterschiedlichen muslimischen Länder und Gesellschaften passten.

“Antisemitismus und Islamfeindlichkeit sind weder in Bezug auf ihre Wurzeln noch hinsichtlich ihrer Ausdrucksformen oder Ziele miteinander vergleichbar.”

Gleichzeitig entstand eine kritische Haltung unter arabischen Gelehrten in Bezug auf die westliche Betrachtung dessen, was seit dem 19. Jahrhundert als der „Orient“ bekannt gewesen war. Ein herausragender Vertreter dieser neuen Haltung war Edward W. Said, der mit seinem 1978 veröffentlichten Buch Orientalism (deutsche Ausgabe: Orientalismus, 1981) eine scharfe wissenschaftliche Debatte startete, die bis heute anhält. Said (selbst ein stark westlich geprägter christlicher Araber) verurteilte das, was er als herablassende Haltung des Westens gegenüber muslimischen Gesellschaften und deren Kultur ansah – für ihn der Ausdruck einer kolonialistischen und imperialistischen Gesinnung. Saids Analyse, eine Kombination aus intellektueller Ansicht und verletzter Empfindlichkeit, traf offensichtlich einen sensiblen Nerv im kollektiven Bewusstsein der Muslime und Araber.  Ein Echo aus ähnlichen Gedanken und Gefühlen zeigte sich in den Äußerungen von Osama bin Laden, dem Gründer von Al-Qaida, als er sich auf die „Erniedrigung“ der Araber bezog. Eine echte oder erfundene Verbitterung gegenüber dem Westen, die schnell in brennenden Hass umschlägt, ist auch heute noch ein wiederkehrender Antrieb für muslimische Terroristen.

Bezeichnenderweise fand dieses Konzept, eine unangenehme Mischung aus verletztem Stolz und schwammigen Forderungen, Gehör unter bestimmten  westlichen, meist linksgerichteten Intellektuellen. Sie schenken den muslimischen Behauptungen gegenüber dem Westen, seiner kolonialistischen Vergangenheit und seinem intellektuellen Snobismus Aufmerksamkeit. Viele Linke engagieren sich für einen politischen und kulturellen Brückenschlag zwischen dem sogenannten progressiven Lager und der muslimischen Welt. Es deutet jedoch nichts darauf hin, dass solche Anstrengungen, egal wie gut sie gemeint sind, für das erhoffte bessere Verständnis gesorgt haben. Allem Anschein nach geschieht auf beiden Seiten eher das Gegenteil – die Islamfeindlichkeit in Europa und Amerika scheint derzeit zuzunehmen. Im Grunde ist dies eine Angstreaktion auf die wiederkehrenden muslimischen Terroranschläge in westlichen Städten.

Was ist Antisemitismus?

Antisemitismus (die genauere Bezeichnung lautet eigentlich Judenfeindlichkeit oder Judenhass) ist ein vielschichtiges Phänomen, hinter dem eine übertausendjährige Geschichte steht. Der Antisemitismus ist ein Glaubenssystem, das tief in der westlichen Geschichte und Kultur verankert ist.  Seine Wurzeln reichen bis zum Aufkommen des frühen Christentums zurück, als die neue Glaubensgemeinschaft dafür kämpfte, ihre unterschiedlichen Ansichten gegenüber der Mutterreligion, dem Judentum, durchzusetzen und ihre eigene Überlegenheit zu beweisen. Es entstand eine kritische Betrachtung des Judentums, die sich nach und nach im Bewusstsein der Christen verankerte.  Als das Christentum Schritt für Schritt Europa eroberte, blieben die Juden als kleine Minderheit zurück – als einzige nicht-christliche Minderheit, die, mit erheblichen Einschränkungen, im christlichen Europa geduldet wurde. Kritisch beäugt, unterdrückt und doch bis zu einem gewissen Punkt toleriert.

Die Juden akzeptierten diese Realität und versuchten, sich an die Kultur und die Gesellschaft der Mehrheitsbevölkerung anzupassen, ohne ihre eigenen religiösen und gesellschaftlichen Besonderheiten aufzugeben. Dina demalchuta dina – das Gesetz des Landes ist Gesetz – lautete das vor mehr als tausend Jahren im Talmud niedergeschriebene Prinzip, welches das gesellschaftliche und politische Verhalten von Juden regelte, die unter anderen Völkern lebten. Es sorgte für ein komplexes Gleichgewicht zwischen Anpassung und Besonderheit, das es – historisch betrachtet – verdient, als unerlässlich für den Fortbestand der jüdischen Existenz anerkannt zu werden. Man kann sich nur schwer vorstellen, wie die Juden hätten überleben können, wenn sie sich als Gemeinschaft vollständig in ihrer nichtjüdischen Umgebung assimiliert oder sich völlig davon abgeschottet hätten.

Nicht, dass die Anpassung der Juden an ihre nichtjüdische Umgebung ihr Leben einfacher machte. Die Akzeptanz der Juden in der christlichen Gesellschaft hatte ihre eigene Dynamik: Ein gewisses Maß an begrenzter Toleranz kombiniert mit einem gewissen Maß an Zurückweisung und Hass, was im Laufe der Jahrhunderte zur Entstehung von ausgereiften judenfeindlichen Stereotypen führte. Der Hass auf die Juden äußerte sich zunächst vor allem in Bezug auf die Religion (etwa „die Juden sind die Mörder von Jesus Christus“), doch es entstanden schon bald weitere Vorwürfe: Ritualmordlegenden, Brunnenvergiftungen, „Wucherjuden“ etc.

Die gesellschaftlichen Vorstellungen der Neuzeit eröffneten neue Möglichkeiten dafür, wie sich die Juden in den unterschiedlichen nichtjüdischen Umgebungen integrieren konnten.  Juden wurden, wenn auch zu bestimmten Bedingungen, als „Bürger“ anerkannt. Ein typisches Beispiel dafür spielte sich in Deutschland ab. Die deutschen Juden strebten nach der vollwertigen Staatsbürgerschaft. Sie beteiligten sich am wirtschaftlichen Leben des Landes und wurden für ihren Beitrag zur deutschen Kultur respektiert. Jüdische Händler, Ärzte oder Anwälte waren vertraute und akzeptierte Personen.

Und doch verschwand die Judenfeindlichkeit auch in der Neuzeit nicht, ganz im Gegenteil. Wie Schwarz-Friesel beschreibt, wechselte der Judenhass wie ein Chamäleon seine Farbe, während die ihm zugrunde liegende negative Botschaft stets die gleiche blieb. Säkulare Thesen überholten nun die religiösen. Die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts bediente sich alter Stereotypen und befeuerte den Judenhass mit einer neuen Erklärung: Die Juden seien eine eigene Rasse, mächtig und gefährlich, und wollten die Welt beherrschen. Die Definition der Juden als Rasse hatte unheilvolle Folgen. Die alte Judenfeindlichkeit hatte den Juden noch einen begrenzten Ausweg gelassen: Konvertierung. Doch nachdem die Judenhasser der Neuzeit, die heute als „Antisemiten“ bekannt sind, die Juden als eigene Rasse definiert hatten, konnten sie der Situation nicht mehr entfliehen. Der ideologische Rahmen für eine „Endlösung“ der sogenannten Judenfrage war somit angedeutet worden.

Und das war nicht die letzte chamäleonartige Kehrtwendung des Antisemitismus. Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts gab es einen neuen Wandel: Die „Israelisierung“ des Judenhasses. Derzeit ist der jüdische Staat, das Symbol der jüdischen Lebenskraft, das Hauptziel der Judenfeindlichkeit. Die klassischen Stereotypen jüdische Gnadenlosigkeit, Ritualmordlegenden, Brunnenvergiftungen – richten sich jetzt gegen ein neues Ziel, das ebenso abstrakt erdacht wurde wie die anderen Stereotypen der Vergangenheit: Den jüdischen Staat. Israel wird als ungerecht, skrupellos und grausam beschrieben. Der jüdische Staat, so wird betont, stelle eine Gefahr für den Weltfrieden dar. „Israel ist eine Anomalie und sollte friedlich aufgelöst werden“, schrieb ein deutscher Professor im Jahr 2012 an die israelische Botschaft. Er war bei Weitem nicht der einzige.

Zwei Phänomene ohne vergleichbare Merkmale

Weder in Bezug auf die Geschichte noch auf ihre Entwicklung oder ihre heutige Bedeutung gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Islamfeindlichkeit und Antisemitismus.

Islamfeindlichkeit entstand in den letzten fünfzig Jahren. Antisemitismus hat eine über tausendjährige Geschichte.

Islamfeindlichkeit ist eine Meinung, ein Vorurteil. Antisemitismus ist ein (negatives) Glaubenssystem, eine kulturelle Kategorie.

Der Judenhass hat die westliche Kultur tief durchdrungen. Er ist eine starre, pejorative Vorstellung von den Juden und dem Judentum, die keine Ausnahmen zulässt. Für einen Antisemiten waren Albert Einstein oder Siegmund Freud genauso unakzeptabel wie jeder kleine jüdische Ladenbesitzer. Die meisten Islamkritiker hingegen unterscheiden zwischen der Mehrheit der friedlichen Muslime und einer Minderheit aus gefürchteten Terroristen.

Die Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft war ein Prinzip des jüdischen Lebens unter den Nicht-Juden, vor allem in der Neuzeit. Verhängnisvollerweise wurde ihre erfolgreiche Integration zu einem der Elemente, die den Antisemitismus noch weiter befeuerten. Unter den Muslimen gibt es keine ähnliche gesellschaftliche Dynamik. Es gibt einen Teil der muslimischen Gesellschaft, der sich gewaltsam gegen den Westen stellt, angetrieben von einem echten oder imaginären Groll.

Kein Anti-Islamist hat je vorgeschlagen, dass der Islam „beseitigt“ oder dass ein muslimischer Staat mit einer erklärten islamischen Komponente innerhalb seiner politischen Identität „aufgelöst“ werden sollte. Antisemiten, auch die gebildeten unter ihnen, fordern dies jedoch in Bezug auf den jüdischen Staat, häufig „zum Guten des Weltfriedens.“

Antisemitismus wird vor allem von Hass angetrieben. Islamfeindlichkeit wird vor allem von Angst angetrieben.

Antisemitismus und Islamfeindlichkeit sind weder in Bezug auf ihre Wurzeln noch hinsichtlich ihrer Ausdrucksformen oder Ziele miteinander vergleichbar. Die Tatsache, dass der Vergleich zwischen beiden eine so breite Zustimmung findet, selbst unter anerkannten Akademikern, ist ein unerklärliches Rätsel.

Evyatar Friesel ist Professor (em.) für moderne jüdische Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

Für weiterführende Informationen und Analysen zum Thema siehe: Monika Schwarz-Friesel & Evyatar Friesel, „‚Gestern die Juden, heute die Muslime…‘? Von den Gefahren falscher Analogien“, in: Islamophobie und Antisemitismus – ein umstrittener Vergleich (Hrsg. Gideon Botsch et al.), De Gruyter, 2012, S. 29–50.

1 Kommentar

  1. Aussage von Mosab Hassan Yousef
    „Das Problem sei nicht allein Hamas, sondern der Islam allgemein – die größte Lüge der Geschichte.“
    „Das Problem der Welt ist kein Problem mit den Muslimen. Die Mehrheit der Muslime sind großartige Menschen. … Es gibt Muslime, die besser sind als viele Christen, aber uns steht es nicht zu, die Menschen zu vergleichen. Es geht darum, Ideologien zu vergleichen. Der kriminellste Moslem-Terrorist hat immer noch mehr Gewissen, Verantwortungsbewusstsein und Logik als sein Gott.“

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