Eine Geschichte über Palästinenser, die man im Westen noch nicht gehört hat

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Foto Screenshot Youtube / Wattan News
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Lesezeit: 6 Minuten

Eine Mutter von sechs Kindern hat gerade 23 Tage im Gefängnis verbracht. Während ihrer Haft wurde sie unter unsäglichen Bedingungen festgehalten und durfte keinen Besuch von Familienangehörigen erhalten. Auch war es ihr verboten, einen Anwalt zu konsultieren.

 

von Bassam Tawil

Dies ist eine Geschichte, die im Westen noch niemand gehört hat.

Warum? Weil die palästinensische Frau, Samah Abu Ghayyath, nicht etwa von Israel festgehalten wurde, sondern von der Hamas, der palästinensischen Terrororganisation, die im Gazastreifen das Sagen hat.

Abu Ghayyath hätte „Glück gehabt“, wenn sie von Israel verhaftet worden wäre. In diesem Fall wäre ihre Angelegenheit auf die Seiten der wichtigsten Medien in der ganzen Welt gelangt und „pro-palästinensische“ Aktivisten hätten Demonstrationen und Online-Kampagnen gestartet, um sie zu unterstützen und Israel zu denunzieren.

Betrachten wir dagegen das Beispiel von Ahed Tamimi, einem jungen palästinensischen Mädchen aus einer Ortschaft in der Nähe von Ramallah im Westjordanland. Im Dezember 2017 wurde Tamimi von den israelischen Behörden verhaftet, weil sie einen israelischen Soldaten tätlich angegriffen hatte. Nachdem eine Verständigung in dem Strafverfahren erfolgt war, wurde sie zu einer 8-monatigen Haftstrafe verurteilt.

Seither ist Tamimi zu einem Symbol des palästinensischen „Kampfes“ gegen Israel geworden. Von vielen Vertretern der Mainstream-Medien im Westen sowie von weltweiten Fürsprechern für die palästinensischen Menschenrechte, die sie zu einer Ikone hochstilisiert haben, wird sie glorifiziert.

Weniger Glück als das Goldmädchen aus dem Westjordanland

All diesen Ruhm und diese Ehre hat sie erlangt, weil sie und ihre Familienangehörigen sich seit langem in ihrem Heimatdorf Nabi Saleh Geplänkel mit israelischen Soldaten liefern. Die Teenagerin und ihre Eltern haben es sich zur Gewohnheit gemacht, Reporter einzuladen – und jeden anderen auch, der eine Kamera bei sich trägt –, um ihre provokativen Aktionen gegen die Soldaten zu dokumentieren.

Abu Ghayyath, die Frau aus dem Gazastreifen, hatte jedoch weniger Glück als das Goldmädchen aus dem Westjordanland.

Anders als bei Tamimi, löste die Anfang Mai durch die Hamas erfolgte Festnahme der Mutter von fünf Kindern keinen internationalen Aufschrei aus. Westliche Journalisten und Menschenrechtsorganisationen waren nicht so bereitwillig, Abu Ghayyath zu unterstützen, wie sie es bei Tamimi, einem Mädchen, das einen israelischen Soldaten schlug, gewesen waren.

Wäre Abu Ghayyath von Israel verhaftet worden, wäre ihr Name auf den Titelseiten der New York Times und in den Nachrichtensendungen von BBC und CNN aufgetaucht. Die einzigen jedoch, die sich ihrer Sache annahmen und ihre Freilassung forderten, waren ein paar palästinensische Frauengruppen und natürlich ihre Familie.

Wie vorherzusehen, waren es nur eine Handvoll Palästinenser – und keine Westler – die es wagten, die Hamas wegen der Verhaftung der Frau anzuprangern.

Selbst nach Abu Ghayyaths Freilassung bleibt unklar, warum die Sicherheitskräfte der Hamas sie überhaupt verhaftet hatten. Einige Palästinenser mutmassten, die Festnahme sei möglicherweise aufgrund ihrer Verbindungen zu Rivalen der Hamas in der Fatah – der säkularen Partei unter Vorsitz des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Mahmoud Abbas – erfolgt. Andere glauben, sie könne wegen ihrer Frauenrechtsaktivitäten im Gazastreifen verhaftet worden sein.

Fakt ist, dass Abu Ghayyath noch immer nicht wegen der Begehung einer Straftat offiziell unter Anklage gestellt wurde. Die Hamas will nicht sagen, warum die Frau 23 Tage lang im Gefängnis festgehalten wurde. Sie selbst scheint zu sehr verängstigt, um über die schlimmen Tage zu sprechen, die sie bei den Verhören im Hamas-Gefängnis zubrachte. Darüber hinaus wurden ihr privater Computer und ihr Mobiltelefon beschlagnahmt.

Abu Ghayyaths Freunde und Familie geben an, sie sei während ihres Gefängnisaufenthalts physischer und psychischer Folter ausgesetzt gewesen. Sie können das Schweigen vieler Palästinenser und der internationalen Gemeinschaft angesichts der Hamas-Aktion gegen eine Mutter von fünf Kindern (ihr jüngstes Kind ist erst acht Monate alt) nicht verstehen.

In der Zeit, als Abu Ghayyath von der Hamas gefangen gehalten wurde, traten ihre Kinder, davon einige unter Tränen, bei einem in Ramallah ansässigen Fernsehsender auf, um die Freilassung ihrer Mutter zu erbitten. Der Hamas waren diese Kinder offensichtlich egal, die alleine zu Hause zurückblieben, gerade zur Zeit des Fastenmonats Ramadan, als sich die beiden älteren Mädchen (11 und 13 Jahre alt) um die Zubereitung der Mahlzeiten kümmern und ihre jüngeren Geschwister versorgen mussten.

Abu Ghayyaths Freunde in der Fatah verurteilten ihre Verhaftung als einen „Schandfleck auf der Stirn der Hamas“. Aber wer sagt, dass die Menschenrechtsbilanz der Fatah besser aussieht?

Konkurrenzkampf zwischen Fatah und Hamas

Die Fatah ist die dominierende Partei in der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), welche das Westjordanland regiert. Ihre Mitglieder und Unterstützer stellen auch den grössten prozentuellen Anteil der Sicherheitskräfte der PA, die verantwortlich ist für die Unterdrückung der öffentlichen Freiheiten und das harte Vorgehen gegen politische Rivalen und Dissens.

Möglicherweise war Abu Ghayyath nur das jüngste Opfer des seit elf Jahren im Westjordanland und dem Gazastreifen währenden Machtkampfs zwischen der Fatah auf der einen und der Hamas auf der anderen Seite. Seit mehr als einem Jahrzehnt verhaften und schikanieren Fatah und Hamas gleichermassen die Unterstützer der jeweils anderen Seite.

Der Konkurrenzkampf zwischen Fatah und Hamas hat eine Situation geschaffen, in der zwei palästinensische Miniatur-Staaten entstanden sind – ein von der Fatah regierter im Westjordanland und ein weiterer, unter der Kontrolle der Hamas stehender, im Gazastreifen. Beide Mini-Staaten sind gescheiterte Instanzen, die von bösartigen und korrupten Anführern geleitet werden, die das Entstehen einer neuen und jüngeren Führung blockieren und die öffentlichen Freiheiten rigoros beschneiden.

Diese beiden Mini-Staaten liessen in ihrem Kampf, sich gegenseitig zu drosseln, nichts aus – vom Herunterwerfen von Palästinensern von Dächern und deren Lynchen auf öffentlichen Plätzen bis hin zur Einstellung der medizinischen Versorgung, wie durch Präsident Abbas im Gazastreifen geschehen.

Dies ist die wahre Tragödie der Palästinenser: eine gescheiterte Führung, die ihnen internationale Hilfe und ein gutes Leben vorenthält, zugunsten von Hass und Ermordung von Juden. Ihre Anführer haben ihr Volk von einer Katastrophe zur nächsten geschleppt – vom Schwarzen September in Jordanien in den 1970er Jahren, über den Bürgerkrieg im Libanon in den 1980er und -90er Jahren bis hin zur Zweiten Intifada in den 2000er Jahren und Kriegen im Gazastreifen, welche Tausende Palästinenser das Leben kosteten.

Aber kehren wir zurück zu Abu Ghayyath. Wo war die westliche Anteilnahme oder zumindest Aufmerksamkeit, als sie in einem Gefängnis der Hamas leidvoll gefangen gehalten wurde? Warum interessierte sich niemand im Westen für ihre Geschichte? Weil sie nicht das Opfer Israels war. Sie war lediglich zur Zielscheibe ihres eigenen Volkes, der Hamas, geworden.

Daher hätte es den Journalisten, die über palästinensische Angelegenheiten berichten, nicht gleichgültiger sein können. Ebenso gleichgültig verhalten sie sich, wenn es um die Repressalien der Fatah und der Hamas gegen Palästinenser geht. Ebenso sehen sie keinerlei Fehlverhalten auf palästinensischer Seite. Die einzigen Geschichten, an denen ausländische Journalisten interessiert sind, sind jene, die ein negatives Licht auf Israel werfen.

Einmal mehr ruft uns dies die gefährliche Doppelmoral der internationalen Gemeinschaft ins Gedächtnis. Waren alle, die von sich behaupten, „pro-palästinensisch“ eingestellt zu sein und die den Hass gegen Israel und die Juden schüren, an Universitäten in den USA und Kanada? Wenn sie den Palästinensern wirklich helfen wollen, sollen sie aufstehen und sich stark machen für die Rechte von Frauen und Homosexuellen, die unter dem repressiven Regime der Hamas leben, sowie für Journalisten, die von den Sicherheitskräften Mahmoud Abbas‘ schikaniert und verhaftet werden.

Lügen über Israel und die Juden heraus zu posaunen, macht einen noch lange nicht „pro-palästinensisch“. Es macht einen lediglich zu einem Israel-Hasser. Israel zu hassen, verbessert allerdings nicht die Menschenrechtsbedingungen für Palästinenser unter dem Regime von Hamas und Fatah. Vielmehr lenkt es ab und macht es für die Fatah und die Hamas sogar noch einfacher, die öffentlichen Freiheiten und Menschenrechte mit Füssen zu treten.

Bassam Tawil ist Muslim und lebt als Wissenschaftler und Journalist im Nahen Osten. Auf Englisch zuerst erschienen bei Gatestone Institute.

1 Kommentar

  1. tragisch – und ironisch…solange der echte Feind der Palaestinenser nicht genannt wird, tragt die Welt dazu bei, das Elend des Palaestinensischen Volkes gerade zu verewigen..

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