Ich war an der Grenze zum Gazastreifen – wir haben alles getan, um nicht schiessen zu müssen

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Symbolbild Foto IDF
Symbolbild Foto IDF
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Ich schreibe dies für meine guten Freunde, meine moralisch einwandfreien und humanen Freunde und für all jene, die sich sorgen und wütend sind über die an der Grenze zum Gazastreifen getöteten und verwundeten Palästinenser.

 

von Kinley (Moshe) Tur-Paz

In der biblischen Erzählung vom Auszug aus Ägypten, als die ägyptische Armee im Roten Meer ertrank, kurz bevor sie die Israeliten einholen konnte, habe Gott die Engel davon abgehalten zu singen und zu jubeln und sie mit den Worten zurechtgewiesen: „Meine Geschöpfe ertrinken im Meer und Ihr singt?!“, so erzählen es uns unsere Weisen.

Ich schreibe diese Worte mit grosser Bedachtsamkeit und einem gewissen Sendungsbewusstsein nieder. Ich kann all die guten und moralisch einwandfreien Zionisten, die fürchten, dass die zahlreichen palästinensischen Opfer möglicherweise unsere Schuld und das Ergebnis von Fehlern sind, die unsere Seite begangen hat, verstehen und mich mit ihnen identifizieren. Ich schreibe dies auf, weil ich einer der wenigen bin, der vor Ort war, in Uniform, zwar als Reservist, aber ich war dort. Ja, unmittelbar am Zaun, wo die Demonstrationen stattfinden. Es war vorletzten Freitag und ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen; ich war auf unserer Seite des Zauns, aber ich konnte alles sehen, hören und verstehen. Ich will Zeugnis von meinem Wissen geben, welches ich aus erster Hand erhalten habe – nicht etwa von einem theoretischen Standpunkt aus. Sondern, weil ich dort war.

Ich will bezeugen, dass das, was ich sah und hörte, eine enorme und immense Anstrengung unsererseits war, um auf jede nur erdenkliche Weise Tote und Verwundete auf palästinensischer Seite zu vermeiden.

Quelle IDF

Selbstverständlich war die vorrangige Aufgabe, Hundertausende Bewohner des Gazastreifens davon abzuhalten, in unser Territorium einzudringen. Eine solche Invasion wäre bedrohlich, ja sogar lebensgefährlich für die nahegelegenen Gemeinden; sie würde als Zivilisten maskierte Terroristen in die Gemeinschaften unserer Kibbuzim und Moshawim bringen und uns keine andere Wahl lassen, als jeden Eindringling einzeln ins Visier zu nehmen. Aus diesem Grund wurden unsere Soldaten angewiesen, deren Eindringen auf verschiedene Arten zu verhindern und nur als letzten Ausweg scharfe Munition zu verwenden.

Die IDF verfügt über viele erfinderische Mittel, um die Reibungen mit den Bewohnern des Gazastreifens zu reduzieren und verwendet zahlreiche Methoden, von denen die meisten nicht publik gemacht werden, um sie davon abzuhalten, an den Zaun zu gelangen. Des Weiteren gab es in den vergangenen Wochen ernsthafte Bemühungen, das Leben von Kindern und Zivilisten zu retten, die von der Hamas an die Frontlinien gedrängt wurden, um sich hinter ihnen zu verstecken und unbemerkt nach Israel zu gelangen und dort Anschläge zu verüben.


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Wenn es keine andere Möglichkeit gibt und scharfe Munition eingesetzt werden muss, um die zu stoppen, die den Zaun stürmen, unternehmen die Soldaten erhebliche und mitunter gefährliche Anstrengungen, um die auf der anderen Seite des Zauns nicht zu töten, sondern lediglich zu verwunden. Die ranghohen Offiziere der IDF-Posten weisen bei jeder Konfrontation darauf hin, dafür Sorge zu tragen, dass jeder Schuss von einer verantwortlichen Person mit der entsprechenden Befugnis autorisiert und abgesichert ist. Jeder Sammelpunkt ist mit einer besonders grossen Truppenstärke ausgestattet, um zu gewährleisten, dass die Soldaten nicht in lebensbedrohliche Situationen geraten, in denen sie keine andere Wahl haben, als willkürlich zu schiessen.

Eine Situation, in der Tausende Menschen auf dich zustürmen ist einschüchternd, ja sogar angsterregend. Es ist extrem schwierig, Zurückhaltung zu üben und es erfordert eine ruhige, reife Professionalität. Zweiundsechzig Tote sind eine enorme Anzahl. Aber ich kann aus meinen Erfahrungen aus allererster Hand bezeugen, dass jede Kugel und jeder Treffer sorgfältig in Excel-Tabellen berichtet, dokumentiert und untersucht wird. Bis ins kleinste Detail. Ich war dort und habe es mit meinen eigenen Augen gesehen.

Dies ist nicht der richtige Zeitpunkt oder Ort, um die Situation im Allgemeinen oder die verzweifelte Lage der Bewohner im Gazastreifen zu erörtern. Es liegt nicht in meinem Interesse, an dieser Stelle eine politische Diskussion loszutreten, auch wenn ich diesbezüglich eine klare Haltung vertrete. Ich will vielmehr allen, die wirklich zuhören wollen, das Ausmass der enormen Anstrengungen darstellen, welche die IDF unternehmen, um die Grenzen Israels zu schützen und dabei gleichzeitig die Anzahl der Verletzten und Todesopfer auf der anderen Seite so gering wie möglich zu halten.

Und trotz all dieser Anstrengungen wird die Lage an der Grenze zum Gazastreifen immer schlimmer. Ich hoffe, dass wir nicht bald wieder zum Reservedienst einberufen werden, um unser Land zu beschützen. Sollte es dennoch geschehen, werden wir mit dem Wissen gehen, dass wir einer moralisch gerechten Sache dienen. Wir sind weit davon entfernt zu jubeln, wenn wir in den Krieg ziehen müssen, aber wir gehen nicht wie die Schafe zur Schlachtbank. Nie wieder.

Kinley (Moshe) Tur-Paz ist Gründer und Geschäftsführer des Kibbutz HaDati Educational Network. Auf Englisch zuerst erschienen bei The Times of Israel.