Es gibt Menschen, die behaupten, Israel sei ein Apartheidstaat. Ihre Hypothese lautet, Israel nehme aufgrund von Religionszugehörigkeit, Nationalität, Ethnizität oder Identität Ausgrenzungen vor. Ich besuchte sechs israelische Universitäten, um herauszufinden, wer recht hat. Ich führte mit zwölf Studenten Einzelgespräche und lud sie zu einem gemeinsamen Gespräch an einem Runden Tisch ein.
von Dr. Glen Segell
Ich setzte mich mit dem Bildungsministerium und der Nationalen Studentenvereinigung in Verbindung, um die Fakten kennenzulernen und die Erlaubnis einzuholen, die Universitätsgelände zu betreten. Bei einer Bevölkerung von nur etwas mehr als 8 Millionen israelischen Bürgern konkurrieren die Universitäten intensiv um die Gunst der Studenten. Die Werbung und die Einschreibung von Studierenden zielen darauf ab, ausländische Studenten aus der ganzen Welt sowie palästinensische Studenten aus allen palästinensischen Gebieten anzuziehen.
Das überrascht Sie? Warum sollte ein Palästinenser an einer israelischen Universität studieren wollen? Das Westjordanland und der Gazastreifen verfügen doch selbst über insgesamt 14 Universitäten? Ihr sekundäres Bildungssystem ist unabhängig von Israel, daher wird von Bewerbern an den israelischen Universitäten verlangt, dass sie fliessend Hebräisch sprechen und die gleichen akademischen Kriterien erfüllen wie israelische Studenten. Warum sollten israelische Universitäten angesichts der Sprachbarriere und der Sicherheitslage solche Studenten annehmen?
Die Antworten sind nicht wirklich von Bedeutung, denn die wichtige Tatsache ist, dass es an israelischen Universitäten Palästinenser gibt, die keine israelischen Staatsbürger sind, sowie Muslime, Christen, Drusen und andere Nichtjuden, die dennoch israelische Bürger sind. Zu ihnen zählen sowohl Studenten als auch Fakultäts- und Verwaltungsmitarbeiter. An israelischen Universitäten finden Apartheid oder Ausgrenzung weder bei den Zulassungen noch bei Einschreibungen oder Personaleinstellungen statt.
Ich sprach mit zwölf Studenten, die sich allesamt im letzten (dritten) Jahr ihres Grundstudiums in den Fächern Kunst, Sozialwissenschaft und Naturwissenschaft befanden. Von jeder Universität ist jeweils ein Student jüdisch und der andere nicht. Darüber hinaus handelt es sich sowohl um weibliche als auch um männliche Kandidaten und da sie sich in ihrem letzten Semester befanden, erfüllten sie alle die Kriterien von Vielfalt und Erfahrung gleichermassen.
Fatima und Eyal berichteten mir, Ariel sei für seine Bewohner eine Kleinstadt von 20.000 Einwohnern in der Region Schomron, 30 Minuten Fahrzeit östlich gelegen von Tel Aviv, der grössten Metropolregion Israels. Die Universität Ariel hat fast so viele Studenten wie die Stadt Einwohner zählt, wodurch die Atmosphäre dort während des Semesters die einer Studentenstadt ist, wogegen es in den Semesterferien sehr ruhig ist. Für andere ist Ariel eine jüdische Siedlung im besetzten Westjordanland. Die Universität und insbesondere deren Zulassung ist in ihren Augen eine rechtsextremistische Farce.
Ahmed und Maya, die an der Bar-Ilan Universität studieren, berichteten, ihre Universität ziele auf die Verbindung von Tradition einerseits und modernen Technologien und Wissenschaften andererseits ab. Sie wolle allen die überzeugende Ethik des jüdischen Erbes nahe bringen, um die Antike und die Moderne, das Geistige und das Materielle sowie das Spirituelle und das Wissenschaftliche zu synthetisieren. Daher herrscht dort eine sehr jüdisch geprägte Atmosphäre. Abdul und Sarah von der Universität Tel Aviv stellten fest, ihre Hochschule sei sehr kosmopolitisch.
Amal und Tal, die an der Hebräischen Universität studieren, berichteten voller Stolz, es seien 15 Nobelpreis-Gewinner aus ihrer Universität hervorgegangen, die bereits dreissig Jahre, bevor Israel ein unabhängiger Staat wurde, von der zionistischen Bewegung gegründet wurde. Aaliyah und Joshua erzählten, dass die Ben-Gurion Universität mit dem Ziel gegründet worden sei, die Entwicklung der südlichen Negev-Wüste zu fördern, welche mehr als sechzig Prozent der Fläche Israels ausmacht. Und schliesslich informierten mich Jamal und David von der Universität Haifa über ihre Hochschule, die sich in den grünen Hügeln im Norden des Landes befindet.
Alle genannten Universitäten haben gemeinsame Elemente und Faktoren. In Einzelgesprächen befragte ich die zwölf Studenten über ihre Meinung zu Vorlesungen, Tutorials, den Fakultäts- und Verwaltungsmitarbeitern, die die Bildung vermitteln, sowie über Universitätseinrichtungen wie Bibliotheken und verfügbare Ressourcen und Technologie. Um sie zu provozieren, stellte ich ihnen ausserdem die Frage, ob die erhaltene Ausbildung einen Universitätsgrad wert sei und ob sie diese für eine Erwerbstätigkeit oder auf die Weise nutzen könnten, wie sie es sich bei ihrer Bewerbung vor drei Jahren vorgestellt hatten. Niemand bedauerte seine Entscheidung und alle waren sich einig, dass ihnen Wissen vermittelt worden war, ihre analytischen Fähigkeiten geschärft wurden und dass sie erwarteten, dass ihre Zukunft besser sein würde als ohne das Universitätsstudium. Sie bestätigten, dass Examen in Anonymität durchgeführt werden, da auf den Antwortblättern der Studenten eine Nummer und kein Name steht und somit bei der Auswertung Objektivität gewährleistet ist.
Ich zögerte auch nicht davor zurück, sie über das studentische Leben ausserhalb der Hörsäle zu befragen, ebenfalls in Einzelgesprächen. Die Antwort war in diesem Fall: Eine extreme Angst zu Beginn des ersten Studienjahres, die sich sukzessive reduzierte und jetzt, gegen Ende des dritten Studienjahres, in einem banalen und manchmal sogar langweiligen Alltagsleben gemündet ist. Diese Antwort versetzte mich in Begeisterung. Die Studenten waren schockiert, als ich ihnen zu dieser Antwort gratulierte.
Lassen Sie mich bitte erläutern, was ich wenige Wochen nach den Einzelgesprächen am Runden Tisch der Gruppe zu ihnen sagte. Ich erklärte: „Ihr seid sechs jüdische Studenten, die nach vorausgegangenem Pflichtwehrdienst mit dem Studium anfingen und deswegen seid ihr alle jetzt älter als 25 Jahre. Ihr seid sechs muslimische Studenten, die nach der Oberschule mit dem Studium anfingen und deshalb seid ihr alle knapp 20 Jahre alt. Dennoch habt ihr alle zwölf die gleichen Ängste und die gleiche Alltagsroutine erlebt.“
Meine nächste Frage an alle zwölf war, ob das erste Mal, dass sie mit einer Person einer anderen Religionszugehörigkeit gesprochen hatten, an der Universität gewesen sei. Anschliessend fragte ich wann, wo, warum, worüber und wie dies stattgefunden hatte. Auch dort, wo es nicht der erste Kontakt dieser Art war, war es dennoch das erste Mal, dass sie gemeinsame Interessen und Anliegen und somit auch gemeinsame Ziele hatten. Entsprechend gaben alle zwölf Studenten an, dass sie an Arbeitsgruppen für verpflichtende Studienarbeiten teilgenommen hatten, und zwar ohne Rücksicht oder Beachtung von Religionszugehörigkeit, Geschlecht, Nationalität, Ethnizität, Identität, Staatsbürgerschaft oder Alter der Kommilitonen in ihrer Arbeitsgruppe. Sie arbeiteten im Unterricht, in Bibliotheken und Labors zusammen und verbrachten gemeinsam ihre Kaffee- und Essenspausen. Trotzdem war dies der Punkt, an dem eine rote Linie gezogen wurde. Nur selten pflegte man auch abends oder an den Wochenenden soziale Kontakte untereinander, ausser vielleicht bei Universitätsveranstaltungen wie Bandauftritten, Konzerten und Studententagen.
Ich wurde neugierig und hakte nach. Bestimmt hätten eine palästinensische Muslimin aus einem arabischen Ort, die an der Universität Ariel im Westjordanland Soziologie studiert oder ein muslimischer Staatsbürger Israels, der an der Bar-Ilan Universität Holocaust-Studien studiert, in irgendeiner Form Diskriminierung erlebt oder Feindseligkeit oder doch zumindest Unbehagen. Sie versicherten mir, sie hätten ihre jeweilige Universität aufgrund des Studienganges gewählt und nicht etwa wegen deren Standort oder der vorherrschenden Studentenpopulation; auch hätten Fakultäten, Verwaltungspersonal und andere Studenten ihre Religionszugehörigkeit, ihr Alter und ihren Hintergrund ausser Acht gelassen, meist sei ihnen dies sogar vollkommen gleichgültig gewesen.
Allen Studenten gegenüber deutete ich an, dass sie in Bezug auf die Gesamtpopulation eine Minderheit darstellten, was doch sicherlich in einer Ungleichheit resultieren würde. Die Studenten von der Universität Haifa korrigierten mich dahingehend, dass es dort 30 Prozent Moslems, Christen, Drusen und andere Konfessionen gibt und nur 70 Prozent Juden. Die Studenten von der Hebräischen Universität stellten fest, dass es an ihrer Universität 15 Prozent Nichtjuden gibt, während die von der Ben-Gurion-Universität scherzten, dass an ihrer die Mehrzahl wohl weltliche Atheisten wären. Worüber ich mich vorsichtig erkundigte, war die Berücksichtigung religiöser Vorschriften, wie etwa das Vorhandensein von Gebetsräumen und diätetischen Einrichtungen und die Begehung heiliger Tage an den einzelnen Universitäten. Die Studenten versicherten mir, dass all dem Rechnung getragen werde.
Um sicherzugehen, dass ich keine Fehler machte, z. B. durch Auswahl von Studenten, die möglicherweise nicht repräsentativ für die reale Situation sind, stellte ich die letzte Reihe von Fragen, die sich schwerpunktmässig mit dem Thema Apartheid befasste. Ich fragte die Studenten ob sie – oder jemand anderes, den sie kennen – sich daran erinnern könnten, in den drei Jahren ihrer Studienzeit an einer israelischen Universität in irgendeiner Art und Weise, die man als Ausgrenzung hätte interpretieren können, behandelt worden wären. Alle zwölf Studenten schauten verwundert in die Runde und sagten ohne zu zögern, dass sie in ihrer Zeit an der Universität keine Apartheid erfahren hätten. Um sicherzustellen, dass diese Antwort nicht dem Gruppenzwang geschuldet war, stellte ich die Frage erneut, als wir uns einzeln voneinander verabschiedeten.
Ich bin zu dem Schluss gelangt, dass Studenten an israelischen Universitäten weder Apartheid erfahren haben noch durch Ausgrenzung in irgendeiner Form ausgeschlossen wurden. Ich möchte vorschlagen, dass jeder, der dies mit eigenen Augen sehen möchte, mit der Buslinie 286 von Tel Aviv in Israel bis zur Kreuzung an der Universität Ariel ins Westjordanland fährt und sich ins Gras setzt und zwei Erstsemester-Studenten zusieht, wie sie in der Kaffeepause zusammensitzen und ihre Kursbelegungen diskutieren. Dasselbe habe nämlich auch ich getan. Ich sah eine 17-jährige Palästinenserin (Fatima), die sich mit einem 23-jährigen Israeli (Eyal) unterhielt, der erst vor Kurzem seinen Militärdienst beendet hatte und mit seiner Familie in der Siedlung Ariel lebte und aufwuchs.
Dr. Glen Segell ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ezri Center for Iran & Persian Gulf Studies an der Universität von Haifa.