Israel mit Siebzig – eine jüdische Erfolgsgeschichte

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Foto Hadas Parush/Flash90
Foto Hadas Parush/Flash90
Lesezeit: 9 Minuten

Historiker und Politikwissenschaftler sind schlechte Prognostiker, wie man unschwer erkennen kann, wenn man sich das Israel von heute ansieht. Rückblickend auf sechzig Jahre professionelle Arbeit auf dem Gebiet der jüdischen Geschichte muss ich zugeben, dass wichtige derzeitige Charakteristika Israels weder von mir noch von der Mehrzahl meiner Kollegen vorhergesehen wurden.

 

von Evyatar Friesel

Einerseits hat die Tatsache, dass Israel an seinem 70. Jahrestag als eine moderne und florierende Insel inmitten eines von religiösen und politischen Unruhen erschütterten Nahen Ostens dasteht, etwas sehr Beeindruckendes an sich. Andererseits sind die Beziehungen zwischen Israel und den Palästinensern sowie den meisten Ländern des Nahen Ostens nach wie vor ein besorgniserregendes Thema. Und zu guter Letzt zeigen neue Formen der Judenfeindlichkeit, die zum grossen Teil auf den jüdischen Staat projiziert werden, wie schwierig es ist, die geistigen Stereotypen zu verändern, welche die Beziehungen zwischen Nichtjuden und Juden lenken. Mit siebzig Jahren hat Israel enorme Leistungen erbracht, auf die es stolz sein kann, und dennoch ist es ein Land mit eher markanten Eigenschaften, welches auf seinen Schultern die Last ungelöster Probleme trägt.

Wachstum und Konsolidierung

Zum Zeitpunkt seiner Gründung, im Mai 1948, lebten rund 650.000 Juden in Israel. Drei Jahre später, 1951, hatte sich mit 1.430.000 Juden ihre Anzahl bereits mehr als verdoppelt – eine demographische Steigerung ohnegleichen, welche in einer Lage der internen Not – nur wenige Jahre nach der Schoah – und des externen Konflikts – der Konfrontation mit den Arabern des Nahen Ostens – erfolgte.

Die jüdischen Zuwanderer kamen aus der ganzen Welt. Sie waren ihrem Glauben nach Juden, die von einem tief im kollektiven Bewusstsein des Judentums verwurzelten Glauben getrieben wurden – von der Hoffnung auf Rückkehr. Und doch waren sie im Hinblick auf ihre sozialen und wirtschaftlichen Strukturen, ihre Sprachen, Gebräuche sowie ihre ethnischen Charakteristika vollkommen unterschiedlich. Ein Jude aus Europa oder aus Amerika unterschied sich sehr von einem Juden aus Marokko oder dem Jemen. In den folgenden siebzig Jahren verschmolzen diese so verschiedenen Ethnien und es entstand ein neuer jüdischer Menschentyp, – der Hebräisch sprechende Israeli. In den letzten Jahren gibt das israelische Statistikamt nicht mehr die Herkunft der Einwohner an, so sehr hat sich die jüdische Bevölkerung mittlerweile vermischt. Wie in jedem anderen Land gibt es auch in Israel interne Spannungen und Unterschiede in der Gesellschaft. Doch die Herkunft – ausser dem gelegentlichen Gepolter – spielt heute kaum eine Rolle. Einmal mehr ein soziologischer Prozess, der nirgendwo sonst in der Welt seinesgleichen findet.  Derzeit sind 75 % der jüdischen Bevölkerung ‚sabras‘ (in Israel Geborene) und die Hälfte der Israelis hat einen Elternteil, welcher bereits im Land geboren wurde.

2018, im Jahr seines 70. Geburtstags, ist Israel zu einem Land mit rund 8.800.000 Einwohnern angewachsen, von denen 6.556.000 Juden sind (74,6 % der Bevölkerung), welche wiederum ungefähr die Hälfte der jüdischen Bevölkerung der Welt ausmachen. Grund für das Wachstum waren zwei Faktoren: kontinuierliche jüdische Immigration und eine positive Geburtenrate – die höchste in allen Industrieländern. Nach Auskunft der Weltgesundheitsorganisation erreichte die durchschnittliche Lebenserwartung in Israel im Jahr 2016 ein Alter von 82,5 Jahren (84,3 Jahre für Frauen, 80,6 Jahre für Männer), was Israel auf Platz acht der Weltliste der durchschnittlichen Lebenserwartung setzt. 97,8 % der Bevölkerung können lesen und schreiben.

Freie Presse, unabhängige Justiz, freie Wahlen

Israel ist eine stabile Demokratie mit soliden öffentlichen Institutionen, einer freien Presse, einer unabhängigen Justiz, freien Wahlen, ein Land, in dem die politische Macht mehrfach zwischen Mitte-Links- und Mitte-Rechts-Regierungen gewechselt hat. Sämtliche Regierungen waren Koalitionen. Im Laufe der Jahre hat sich eine robuste Ökonomie entwickelt, die in jüngerer Zeit durch die Entdeckung von Öl- und Gasvorkommen unterstützt wird. Das Bruttonationaleinkommen (BNE) pro Kopf betrug 2016 37.330 USD, womit es sich auf einer Ebene mit dem Japans und Italiens befindet. Laut dem Human Development Index der UN gehört Israel zur Gruppe der am meisten entwickelten Länder (auf Platz 19, hinter Südkorea und vor Luxemburg), mit dem höchsten Lebensstandard im Nahen Osten, und in Asien befindet es sich auf Platz fünf (hinter Singapur, Hongkong, Japan und Südkorea). Von einem armen und von Krieg heimgesuchten Land im Jahr 1948 hat sich Israel hochgearbeitet zu einem Land der Ersten Welt.

Der andauernde Konflikt mit den Palästinensern

Wenn es um die Konfrontation mit den Palästinensern geht, spielte bei den Israelis offensichtlich Wunschdenken eine Rolle. Seit den 1950er Jahren wollte einfach niemand daran denken, dass auch Jahrzehnte später immer noch keine Einigung zwischen beiden Seiten in Sicht wäre. Oder, schlimmer noch, dass sich der Konflikt mit der Zeit immer weiter festfahren würde. Was jedoch noch schlimmer ist, ist die Tatsache, dass gegenwärtig niemand eine Ahnung hat, wie diese schwierige Frage gelöst werden könnte. In internationalen Kreisen ist es beinahe ein Credo, an jener offenbar simplen Formel festzuhalten – der Zweistaatenlösung.  Vergessen ist, dass die Vereinten Nationen bereits im November 1947 die Gründung zweier Staaten – eines arabischen und eines jüdischen – auf dem Gebiet des damaligen Palästina empfohlen hatten, dies aber von den Arabern abgelehnt wurde. Die Zweistaatenlösung ist wie eine Fata Morgana : bei näherer Betrachtung löst sie sich in nichts als dünne Luft auf.

Die israelisch-palästinensischen Verhandlungen der letzten Jahrzehnte haben deutlich gemacht, dass der Konflikt eine ideologische Dimension aufweist, die weit über die Konfrontation mit den Palästinensern hinausreicht und eine politische Lösung verhindert. Wenngleich Israel diplomatische Beziehungen zu Ägypten und Jordanien unterhält und politische Kontakte zu anderen arabischen Ländern pflegt, und trotz der Tatsache, dass es zahlreiche gemeinsame wirtschaftliche Interessen und Kontakte zwischen beiden Seiten gibt, ist die Realität, dass sich bislang keine stabilen Beziehungen zwischen den Arabern und Israel entwickelt haben. Die meisten Araber betrachten den jüdischen Staat nach wie vor als eine fremdes Gebilde, das von europäischen Imperialisten mitten ins Herz der arabischen Nation, den Nahen Osten, implantiert wurde. Wie explizit von den iranischen Ajatollahs erklärt, hegen die meisten von ihnen die Hoffnung, dass Israel früher oder später wieder verschwinden wird, so wie dies auch beim mittelalterlichen Königreich Jerusalem der christlichen Kreuzritter der Fall war. Die kontinuierliche Präsenz eines jüdischen Staates, der lebensfähig, selbstbewusst und in der Lage ist, sich um und für sich zu kümmern, ist für die Araber ein störendes Rätsel, verhasst und beneidet zugleich und vollkommen missverstanden. Eine Vorbedingung für eine Einigung zwischen den beiden Seiten ist, dass die Existenz Israels in seiner jetzigen Form anerkannt wird – dafür gibt es jedoch derzeit kaum Anzeichen.

Der arabisch-israelische Konflikt hat einen tiefgreifenden Einfluss auf die politischen Strömungen in Israel gehabt. Eine der Besonderheiten der israelischen Gesellschaft ist, dass die ‚Rechte‘ und die ‚Linke‘ sich im Gegensatz zu anderen westlichen Ländern nicht so sehr sozialen und ökonomischen Themen zuwenden (die israelische Wirtschaftspolitik ist weithin liberal), sondern eher politischen Themen, insbesondere was die Haltung hinsichtlich des Konflikts mit den Palästinensern anbetrifft. Der Stillstand der Verhandlungen hat die Position der Mitte-Links- und Linkslager in der israelischen Politik – welche die Hauptbefürworter der Bestrebungen zur Lösung der gegenwärtigen Sackgasse waren und sind – signifikant geschwächt. Das wiederholte Scheitern der politischen Versuche eine Lösung für den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern zu finden, stärkt die Meinung jener im israelischen Mitte-Rechten und Rechten Lager, welche die Ansicht vertreten, dass es bei den Arabern niemanden gibt, mit dem man verhandeln kann. „Haben wir Euch nicht gewarnt?“, ist der stets wiederholte Refrain der sogenannten israelischen Nationalisten nach jedem Scheitern der Verhandlungen. Ein Argument, auf das jene Israelis, die sich für eine Verständigung mit den Palästinensern einsetzen, zunehmend weniger Antworten haben.

Antiisraelismus als eine neue Form von Judenhass

Eine der besorgniserregenden ideologischen Entwicklungen in Hinblick auf den jüdischen Staat ist das Entstehen einer Art von Antiisraelismus, der eine unmittelbare Weiterführung des althergebrachten Judenhasses ist. Die Argumente sind vergleichbar, nur, dass es jetzt der jüdische Staat ist – statt dem Juden – , der verdammt und verurteilt wird. Israel wird zu einer Gefahr für den Weltfrieden erklärt und seine ‚Abschaffung‘ wird als eine Voraussetzung für eine bessere und harmonischere Welt betrachtet. „Der Staat Israel ist eine Abnormität. Er muss auf friedliche Weise aufgelöst werden. Bitte akzeptieren Sie dies zum Wohle von uns allen!“, schrieb ein Professor an den Zentralrat der Juden in Deutschland. Die Verurteilung Israels ist in den UN-gebundenen Organisationen schon lange zum Ritual geworden. Die Vorwürfe werden dort von den Vertretern der arabischen Staaten vorgebracht, doch auch von anderen Ländern unterstützt. Israel und seine Institutionen sind das Ziel der – einmal mehr – von Moslems initiierten internationalen Boykottbewegung BDS (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen), die jedoch auch in linksgerichteten Kreisen des Westens breite Unterstützung findet. Unter Wiederholung einer klassischen antisemitischen Argumentation wird Israel in einer Art und Weise dargestellt, die nichts mit der Realität zu tun hat.

Zur Judenfeindlichkeit kam die Israelfeindlichkeit

Diese Entwicklung verblüfft Juden und Israelis. War es nicht eine der grössten Hoffnungen des Zionismus, die sogenannte Normalisierung der Juden zu erreichen, um dem Übel des Antisemitismus ein für alle Mal ein Ende zu bereiten? Rückblickend hätte man die Entstehung dieser neuen Form des Antisemitismus, den Antiisraelismus, möglicherweise voraussehen können. Wie sich gezeigt hat, haben die Gräueltaten der Schoah zwar viele Menschen bestürzt, dennoch wurden negative Vorstellungen über die Juden und das Judentum nicht ausgelöscht. Sie sind nach wie vor tief verwurzelt in der Kultur und dem Bewusstsein der westlichen Welt. Wie Prof. Monika Schwarz-Friesel bereits erklärte, ähnelt die Judenfeindlichkeit einem Chamäleon, welches im Verlauf seiner Jahrhunderte währenden Geschichte seine Form und seinen Ausdruck oft verändert hat. Nun ist sie erneut aufgetaucht und richtet sich gegen den wichtigsten Ausdruck des gegenwärtigen jüdischen Lebens, den jüdischen Staat. Die politischen Spannungen zwischen Israel und den Palästinensern haben bei den Arabern für eine negative ideologische Haltung gegenüber Juden gesorgt, welche bereitwillig von den aus der westlichen Gesellschaft kopierten antijüdischen Stereotypen genährt wird. Zur Judenfeindlichkeit kam dann die ‚Israelfeindlichkeit‘ hinzu und die aktuellen Feindseligkeiten werden von einer unrealistischen Sicht des jüdischen Staats genährt, die den alten, von Judenhass geprägten Vorwürfen und Anschuldigungen nur allzu ähnlich sind.

Die Gründung eines jüdischen Staates ist ein Ausdruck der Anpassung der Juden an die Möglichkeiten und Herausforderungen der modernen Welt. Aus historischer Sicht ist dies ein Prozess, der als essenziell für den Fortbestand des jüdischen Volkes zu verstehen ist, der jedoch keine ‚Normalisierung‘ der Juden bewirkt hat – ein Konzept, das offensichtlich einer erneuten Betrachtung bedarf. Israel verdient es, als eine jüdische Erfolgsgeschichte betrachtet zu werden, auch wenn es viele gibt, die ihm seine Leistungen missgönnen.

Foto Mark Neyman/GPO Israel
Foto Mark Neyman/GPO Israel

Der neue Israeli

Wie soll man bei einem solch gemischten Bild, in dem Licht und Schatten existentielle Bedingungen schaffen, die eher ungewöhnlich sind, den neuen Menschen beschreiben, der dabei entstanden ist, den Israeli?

Sie/er ist ein ausgewogener Typ, praktisch, ziemlich gesund, modern, tolerant. Die meisten Israelis fühlen sich weder Rechts- noch Linksextremisten zugehörig. Sie sind ein bisschen religiös, ein bisschen weltlich.  Internationalen Umfragen zufolge sind die Israelis ziemlich glückliche Menschen. Sie würden gerne endlich mit den Arabern zu einem Frieden kommen, und im Alltag leben sie mit ihnen gut zusammen, aber mittlerweile sind die meisten Israelis skeptisch, was die Chancen auf eine politische Einigung anbetrifft. Israelis haben einen hervorragenden Sinn für Humor, sie sind sehr ungezwungen, tatsächlich sogar ein wenig ‚locker‘, was ihre Manieren angeht. Der typische Israeli nennt Sie von Anfang an bei Ihrem Vornamen. Es ist durchaus möglich, dass er/sie Sie nach fünf Minuten fragt, wieviel Sie verdienen. Und kurz darauf…

Evyatar Friesel ist Professor (em.) für moderne jüdische Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

1 Kommentar

  1. 1:Entschuligen Sie Bitte meine Grammatik!
    2: Antisemitismus oder besser gesagt: Judenfeindschaft; oder noch besser: Anti-Judaismus! ist aus der Welt nicht zu erwischen; als diser Hass liegt zuerst im Abrahams Geschichte und Problematik. Es ist ein Heindenische psychotische Art vom Irrealität.. gegen Abrahamische „Neurotische (Oedipian Normal) Weltanschauung und Weltstellung Frage. Nur Psychoanalyse und „Rationale“(!) Metaphysik sind fähig um das Problem zu schaffen..! Flucht und dauernede Hass erlebt davon Abram bevor Etr Abraham genannte wurde.
    Realtät, verdrängt und verneint, hat Leider Gar nicht mit dem Judenhass zu tun. Was der Realer Jude ist, oder nicht ist, bleibt völlig egal…!
    Sociologische Oekokpnomische Politische Gründen sinf hier fast überflüssig …nur angeknüfte Motive aber gar nicht der Grund einer psychotisch-paranoider Hass.
    Bitte: gehen Sie zurück zur psychiatrische Literatur…

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