Was ist ein „Flüchtling“? Die Juden aus Marokko versus die Palästinenser aus Israel

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Neuankömmlinge aus Marokko im Hafen von Haifa am 24 September 1954. Foto Fritz Cohen / Goverment Press Office /PD
Neuankömmlinge aus Marokko im Hafen von Haifa am 24 September 1954. Foto Fritz Cohen / Goverment Press Office /PD
Lesezeit: 5 Minuten

Ein Besuch in Marokko zeigt, dass der Anspruch der Palästinenser auf ein „Recht auf Rückkehr“ nur eine geringe historische, moralische oder rechtliche Grundlage hat.

 

von Alan M. Dershowitz

In Marokko lebten jahrhundertelang Juden, bevor der Islam in Casablanca, Fez und Marrakesch Einzug hielt. Zusammen mit den Berbern waren die Juden das Rückgrat der Wirtschaft und Kultur. Noch heute ist ihre historische Präsenz vor allen Dingen an den Hunderten jüdischen Friedhöfen und verlassenen Synagogen zu erkennen, die in den Städten und Ortschaften im gesamten Maghreb allgegenwärtig sind.

Ich besuchte das Haus von Maimonides, in dem heute ein Restaurant untergebracht ist. Der grosse jüdische Philosoph und Arzt lehrte an einer Universität in Fez. Andere jüdische Intellektuelle trugen dazu bei, die Kultur Nordafrikas von Marokko über Algerien bis nach Tunesien und Ägypten zu prägen. In diesen Ländern waren die Juden zwar stets eine Minderheit, ihre Gegenwart war dennoch in allen Bereichen des Lebens spürbar.

Heute gibt es in Marokko nur noch wenige und aus den anderen Ländern sind sie vollständig verschwunden. Nach 1948 verliessen einige diese Länder aus freien Stücken, um nach Israel auszuwandern. Viele von ihnen wurden jedoch durch Drohungen, Pogrome und Rechtserlässe gezwungen zu fliehen. Dabei liessen sie nicht nur Milliarden Dollars an Besitz, sondern auch die Gräber ihrer Vorfahren zurück.

Heute zählt die jüdische Bevölkerung in Marokko weniger als 5.000 Menschen – zu ihrer Blütezeit waren es 250.000. Zur Ehrenrettung von König Mohammad VI. muss gesagt werden, dass er es sich zur Aufgabe gemacht hat, das jüdische Erbe in Marokko zu bewahren, insbesondere die Friedhöfe. Er hat eine bessere Beziehung zu Israel als andere islamische Länder, dennoch erkennt er Israel nicht an und unterhält keine diplomatischen Beziehungen zum Nationalstaat des jüdischen Volkes. Dies ist etwas, an dem gearbeitet wird. Seine Beziehungen zu der kleinen jüdischen Gemeinde, von denen die meisten leidenschaftliche Zionisten sind, sind ausgezeichnet. Viele Marokkaner erkennen, dass sie einen grossen Verlust erlitten haben, als die Juden Marokkos das Land verliessen. Einige Israelis marokkanischer Herkunft stehen nach wie vor in einer engen Beziehung zu ihrem marokkanischen Erbe.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Was hat jedoch all das mit der palästinensischen Forderung auf ein Recht zur Rückkehr in ihre Häuser und Wohnungen im heutigen Israel zu tun? Sehr viel. Der arabische Exodus aus Israel im Jahr 1948 war die unmittelbare Folge eines völkermörderischen Krieges, der von allen arabischen Nachbarn Israels, einschliesslich den Arabern Israels, gegen den neugegründeten jüdischen Staat erklärt worden war. Hätten sie den UN-Friedensplan akzeptiert – zwei Staaten für zwei Völker – dann hätte es keine palästinensischen Flüchtlinge gegeben. Im Laufe des erbitterten Überlebenskampfes Israels – einem Kampf, in dem es ein Prozent seiner Bevölkerung verlor, darunter zahlreiche Holocaust-Überlebende und Zivilisten – wurden rund 700.000 ortsansässige Araber vertrieben. Viele verliessen freiwillig die Region, nachdem man ihnen eine glorreiche Rückkehr nach dem unausweichlichen arabischen Sieg versprochen hatte. Andere wurden gezwungen zu gehen. Einige dieser Araber konnten ihre Wohnstätten an dem Ort, der heute Israel ist, Jahrhunderte weit zurückverfolgen. Andere waren erst vor relativ kurzer Zeit aus arabischen Ländern wie Syrien, Ägypten und Jordanien hierher gekommen.

Ungefähr die gleiche Menge Juden wurde in dieser Zeit aus ihren arabischen Heimatländern vertrieben. Nahezu alle von ihnen konnten ihr Erbe Tausende von Jahren zurückverfolgen, in eine Zeit, lange bevor die Muslime und Araber die dominierende Bevölkerungsgruppe wurden. So wie die palästinensischen Araber gingen einige von ihnen freiwillig, viele andere hatten jedoch keine realistische Wahl. Die Gemeinsamkeiten sind beeindruckend, ebenso sind es jedoch auch die Unterschiede.

Der deutlichste Unterschied besteht darin, wie Israel mit den vertriebenen Juden umging und wie die Araber und die islamische Welt mit den Palästinensern umgingen, die durch einen Krieg vertrieben wurden, den sie selbst angezettelt hatten.

Israel integrierte seine Brüder und Schwestern aus der arabischen und islamischen Welt. Die arabische Welt steckte ihre palästinensischen Brüder und Schwestern in Flüchtlingslager und behandelte sie wie politische Schachfiguren – und eiternde Wunden – in ihrem anhaltenden Krieg gegen den jüdischen Staat.

Es sind jetzt 70 Jahre vergangen, seit dieser Bevölkerungsaustausch stattfand. Es ist an der Zeit, dass die tödliche Scharade, die vertriebenen Palästinenser als „Flüchtlinge“ zu bezeichnen, ein Ende nimmt. Nahezu keiner der fast fünf Millionen Araber, die heute versuchen, das Etikett „palästinensischer Flüchtling“ für sich zu beanspruchen, war je wirklich in Israel. Sie sind die Nachkommen – einige von ihnen sehr entfernte Nachkommen – von denen, die 1948 tatsächlich vertrieben wurden. Die Anzahl überlebender Araber, die tatsächlich persönlich durch den von ihren Brüdern angezettelten Krieg aus Israel vertrieben wurden, beläuft sich vermutlich nur noch auf ein paar Tausend, wahrscheinlich weniger. Möglicherweise sollten sie entschädigt werden, allerdings nicht von Israel. Die Entschädigung sollte aus den arabischen Ländern kommen, die den Besitz der von ihnen zur Flucht gezwungenen einstigen jüdischen Einwohner illegal beschlagnahmten. Diese wenigen Tausend Palästinenser haben keinen grösseren moralischen, historischen oder rechtlichen Anspruch als die überlebenden Juden, die während der selben Zeitperiode vor sieben Jahrzehnten vertrieben wurden.

Im Leben und auch im Gesetz gibt es Verjährungsfristen, die anerkennen, dass die Geschichte den Status Quo verändert. Es ist an der Zeit – in der Tat ist es schon seit Langem überfällig – dass die Welt aufhört, diese Palästinenser als Flüchtlinge zu behandeln. Dieser Status war schon vor Jahren beendet. Die Juden, die vor so vielen Jahren von Marokko nach Israel kamen, sind keine Flüchtlinge mehr. Ebenso wenig sind es die Verwandten von Palästinensern, die seit fast einem Dreivierteljahrhundert ausserhalb von Israel leben.

Professor Alan M. Dershowitz ist emeritierter Inhaber des Felix-Frankfurter-Lehrstuhls für Rechtswissenschaften an der Harvard Law School und Autor von „Trumped Up, How Criminalization of Political Differences Endangers Democracy“. Auf Englisch erschienen bei Gatestone Institute.

1 Kommentar

  1. Dass Palästinenser heute noch als Flüchtlinge gelten ist ebenso absurd wie die Tatsache, dass es für diese Klientel eine eigene Hilfsorganisation gibt: die UNRWA.

    In dieser Organisation „arbeiten“ fast 30.000 Palästinenser. Die Spendengelder von USA und Europa sorgen dafür, dass diese bequeme Versorgungsanstalt für Familienangehörige und gleichzeitige Hochburg der Korruption nie ein Ende findet. Hier werden Milliardenbeträge verschleudert, die woanders sinnvoll eingesetzt werden können statt dass sie auf Schweizer Konten von palarabischen Clanchefs wandern oder für Tunnel und schwere Waffen umgeleitet werden.

    Die Forderung kann daher nur lauten: Ersatzlose Abschaffung der UNRWA sowie die durchgehende Aufhebung des Flüchtlingsstatus von palästinensischen Arabern. Nur wenn dieses umgesetzt ist, besteht eine Möglichkeit, den lähmenden Status quo aufzuheben und die Kräfte, die für die fortgesetzte Beibehaltung des Konfliktes eintreten, schachmatt zu setzen. Dies wiederum eröffnet dann endlich eine Chance für die moderaten Kräfte der palästinensischen Araber, ihren Kindern eine bessere Zukunft zu erarbeiten.

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