Was in Syrien geschieht und wie es beendet werden könnte

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Foto Elizabeth Arrott - A View of Syria, Under Government Crackdown. VOA News photo gallery, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=18118372
Foto Elizabeth Arrott - A View of Syria, Under Government Crackdown. VOA News photo gallery, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=18118372
Lesezeit: 7 Minuten

Hinter den 500.000 Todesopfern und über 10 Millionen Flüchtlingen der syrischen Katastrophe stecken die Regierungen des Iran, Russlands und seit Kurzem auch der Türkei. Keiner von ihnen wird vom Westen zur Rede gestellt, der damit einmal mehr dem Genozid und ethnischen Säuberungen Tür und Tor öffnet, wie bereits in Kambodscha, Ruanda und Darfur geschehen.

Die freie, reiche und „aufgeklärte“ Welt tut es schon wieder.

Nachdem es ihnen nicht gelang, die Verantwortlichen von Genoziden, wie dem in den 1970er Jahren in Kambodscha, dem in den 1990er Jahren in Ruanda und den im vergangenen Jahrzehnt in Darfur, zu bekämpfen, lassen die Westmächte nun de facto den Massenmord und die ethnische Säuberung von Tausenden Syrern zu.

Der syrische Völkermord findet weder mit der Spitzhacke statt, wie in Kambodscha, noch mit Macheten, wie es in Ruanda der Fall war. Vielmehr werden die syrischen Menschen mit modernen Waffen überfallen, mit Artillerie und Kampfjets, die gezielt auf die Stadtwohnungen bestimmter Bevölkerungsgruppen losgelassen werden.

Nachdem sie ihre Sichel über Städten wie Hama, Homs, Dara und Aleppo geschwungen haben, ernten die Todesengel des sieben Jahre währenden syrischen Kriegs nun Zivilisten in Damaskus, während die türkische Armee in der im Norden Syriens gelegenen Stadt Afrin die ethnische Säuberung von Kurden betreibt.

In Damaskus konzentriert sich das aktuelle Chaos auf Ghouta, ein Gebiet, das die Stadt im Süden und Osten entlang der Hügel, die es von der syrischen Wüste trennen, in einem Bogen umschliesst.

Die Bevölkerung der Region, die sich bis zu diesem Jahrzehnt auf geschätzte zwei Millionen Menschen belief, ist bis jetzt um mehr als 50 Prozent geschrumpft, nachdem in ihr einige regimekritische Proteste stattfanden und sich später diverse Rebellengruppen hier ansiedelten.

Am 4. Februar startete die Armee von Präsident Baschar Al-Assad eine grosse Militäroffensive mit dem Ziel, den Grossraum Damaskus durch die Vernichtung der in der Region beherbergten Rebellengruppen, einschliesslich der vom Westen unterstützten Freien Syrischen Armee sowie der dschihadistischen Gruppierungen Hayat Tahrir Al-Sham, Jaish Al-Sham, Jaish Al-Islam und Faylaq Al-Rahman, wieder in den Griff zu bekommen.

„Die Hölle auf Erden“

Mit der Unterstützung syrischer und russischer Kampfjets war das Resultat ein Angriff, der Wohnungen, Strassen und Krankenhäuser zerfetzte und nach Angaben der Organisation Ärzte ohne Grenzen innerhalb von nur zwei Wochen mehr als tausend Menschen tötete.

„Die Hölle auf Erden“, sagte Antonio Guterres, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, und bezog sich damit auf die belagerten Vororte, die jeden Zugang zu Wasser, Nahrungsmitteln und medizinischer Versorgung verloren haben und deren grösstenteils eingestürzte Häuser vermutlich viele Tote unter sich bergen, die wohl kaum je identifiziert oder begraben werden.

Der Hohe Kommissar für Menschenrechte, Zeid Ra‘ad Hussein, ein jordanischer Prinz, äusserte sich noch frustrierter: „Wie gross muss das Grauen noch sein, bevor die internationale Gemeinschaft sich erhebt und mit einer Stimme sagt: „Genug tote Kinder, genug zerstörte Familien, genug Gewalt!“ und gemeinsam und entschlossen handelt, um diesem gigantischen Vernichtungskampf ein Ende zu bereiten?“

Es war eine diplomatisch formulierte Bitte an die internationale Gemeinschaft, den hinter dem Blutvergiessen in Syrien stehenden Mächten, sprich Iran, Türkei und Russland, die Stirn zu bieten.

Auf den ersten Blick beherzigte die Welt beide Aufrufe der Diplomaten, da der UN-Sicherheitsrat am 24. Februar dafür stimmte, einen 30-tägigen Waffenstillstand zu verhängen, in ganz Syrien lokale Belagerungen aufzuheben und medizinische Evakuierungen und wöchentliche Hilfskonvois nach Ghouta und andernorts zu ermöglichen.

Leider ignorierte die syrische Armee schon bald den Aufruf des Sicherheitsrats und nahm seine Offensive wieder auf. Was jedoch noch schlimmer ist – die Welt verschliesst die Augen vor dem grösseren politischen Kontext des syrischen Kriegs. Einfache Massnahmen, wie die Drohung, die Sanktionen gegen den Iran wiederaufleben zu lassen, die Türkei aus der NATO auszuschliessen oder die Fussballweltmeisterschaft in Russland zu boykottieren, könnten Wunder vollbringen, wenn es darum geht, einen Teil der syrischen Kriegsmaschinerie zu bremsen.

In Bestrebungen, die uns an die Zersplitterung Polens durch den deutsch-russischen Nichtangriffspakt erinnern, dehnt die Türkei jetzt ihre Invasion in Nord-Syrien sowie die Vertreibung der dortigen Kurden aus, während Assad den Vorsitz über ein weiteres Blutbad in Damaskus führt.

Laut Redur Xelil, dem „Aussenminister“ der kurdischen Miliz SDF (Syrian Democratic Forces) führt die Türkei in Nord-Syrien einen „demographischen Wandel“ herbei. „Die türkische Regierung siedelt turkmenische und arabische Familien in den Ortschaften des Distrikts Afrin an, die sie besetzte, nachdem sie die dort lebende Bevölkerung gezwungen hatte, die Region zu verlassen und verteilt das Hab und Gut der Menschen von Afrin an die neuen Siedler“, berichtete er der Nachrichtenagentur Reuters.

Zu Beginn des Bürgerkriegs zählte die Türkei zu den lautstärksten Kritikern Assads. In der Theorie fordert Ankara nach wie vor Assads Amtsenthebung, ebenso wie Assad den Rückzug der Türkei von syrischem Boden verlangt.

In der Praxis sieht es jedoch so aus, dass Assad und Erdogan sich gegenseitig erlauben, die syrischen Bevölkerungsgruppen zu missbrauchen, die der jeweils andere als eine Bedrohung für seine Macht empfindet: in Erdogans Fall sind dies die im Norden Syriens lebenden Kurden, in Assads Fall die Sunniten im Grossraum Damaskus.

Kurdischen Quellen zufolge wurden bei der türkischen Offensive Hunderte Kurden, darunter auch Kinder, getötet und ihr Ziel ist die ethnische Säuberung von Kurden in der Region um die Stadt Afrin. Die Türkei sieht in der Ausdehnung der syrischen Kurden eine Ausdehnung ihrer eigenen kurdischen Minderheit, welche Autonomie fordert und welcher von der türkischen Regierung vorgeworfen wird, sie unterstütze die gewalttätige Untergrundorganisation PKK.

Mit anderen Worten ist die ursprüngliche Haltung der Türkei gegenüber Syrien, die darin bestand, es unversehrt zu lassen und lediglich seine Führung zu ersetzen, nun einer Politik gewichen, die zum Ziel hat, die syrischen Kurden zu unterdrücken und Syrien in Bereiche zu unterteilen, die der jeweils türkischen, russischen und iranischen Kontrolle unterliegen.

Dieser Gesinnungswechsel Ankaras wurde durch die Erkenntnis bewirkt, dass sich niemand dem Iran, der sich rücksichtslos seinen Weg nach Syrien bahnte, in die Quere stellte.

Der Plan des Iran ist nicht nur, eine Landbrücke von Teheran bis an die Küsten Syriens und des Libanon zu schaffen, sondern auch, die ethnische Landschaft Syriens umzustrukturieren. Das ist auch der Grund, warum die Mullahs schiitische Araber aus dem Irak in den Westen Syriens schickten, von wo Assads Streitkräfte die einheimischen Sunniten vertrieben.


18. März 2018, Zivilisten fliehen, nachdem türkisch geführte Truppen Afrin erobert haben.

Assads Minderheit, die Alawiten, sind ein Zweig der Schia, der Variante des Islam, der die meisten Iraner angehören. Die Alawiten und die Iraner streben gleichermassen an, den Westen des Landes, der nicht nur fruchtbarer ist, sondern auch über eine bessere wirtschaftliche Infrastruktur verfügt, mit Schiiten zu bevölkern und die Sunniten aus dem Westen ins östliche Hinterland zu drängen.

Das ist auch der tiefere Zusammenhang in Ghouta. Assad will so viele Sunniten seiner Hauptstadt wie möglich durch Schiiten ersetzen. Das ist es auch, was er in Aleppo zu erreichen versucht. Und all das wird von den Bombardements der russischen Luftwaffe unterstützt.

Tatsächlich ist das, was sich in Syrien abspielt, im Gegensatz zu den anderen Genoziden und ethnischen Säuberungen der Nachkriegszeit, keine lokale Angelegenheit, so wie es bei den Präzedenzfällen in Kambodscha, Ruanda und dem Sudan der Fall war. Das syrische Chaos ist von Natur aus international.

Denn an DEN GRÄUELTATEN in Syrien sind drei altbewährte Säulen des internationalen Systems beteiligt: Der Iran, der eine der wenigen Nationen ist, deren Identität, Kultur und Souveränität bis in die Antike zurückreichen; die Türkei, die über das zweitgrösste Militär der NATO verfügt, und Russland, eine Grossmacht und ständiges Mitglied des Sicherheitsrats, das den syrischen Krieg benutzt, um die geopolitische Schlagkraft wiederherzustellen, die es nach dem Kalten Krieg verlor.

Dennoch konzentriert der Westen seine Beteiligung auf das begrenzte Problem des Islamischen Staats und auf Chemiewaffen – und selbst das nur halbherzig und unbeständig.

So kam es, dass Syrien von drei ausländischen Mächten – der Türkei im Norden, dem Iran im Osten und Russland im Westen – entzwei gerissen wird, ganz ähnlich, wie Polen einst von Österreich, Preussen und dem zaristischen Russland. Der Unterschied liegt einzig und allein darin, dass in Syrien Tausende von ihrem Grund und Boden vertrieben und in ihren Häusern ermordet werden.

Um zu vermeiden, dass sie ebenso wirkungslos bleiben, wie bei anderen Genoziden der Nachkriegszeit, müssen die Westmächte diese drei zur Rede stellen.

Ja, es ist für Deutschland schwierig, ihre Beziehungen zur Türkei weiter zu komplizieren, indem es verlangt, dass sie die syrischen Kurden in Ruhe lässt; oder für die USA, zu verlangen, dass Russland die Bombenangriffe auf syrische Zivilisten einstellt; oder für alle anderen, dem Iran mit neuerlichen Sanktionen zu drohen.

UND NEIN, der Westen ist nicht schuld daran, dass Syrien von seinen Nachbarn, seiner Führung und seinen Verbündeten geplagt wird.

UND DENNOCH – MAN WIRD DEM WESTEN vorwerfen, versagt zu haben, als es darum ging den Mördern Syriens auf den Zahn zu fühlen und von ihnen zu verlangen, dass sie ihr Blutbad beenden.

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Über Amotz Asa-El

Amotz Asa-El ist leitender Berichterstatter und ehemaliger Chefredakteur der Jerusalem Post, Berichterstatter Mittlerer Osten für Dow Jones Marketwatch, politischer Kommentator bei Israel's TV-Sender Channel 1 und leitender Redakteur des Nachrichtenmagazins Jerusalem Report.

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5 Kommentare

  1. Nur eines kann und muss ich fragen: Wer ist die „internationale Gemeinschaft“? Wenn es sie gab (ja, es gab sie), dann gibt es sie längst nicht mehr.

  2. Was meinen Sie mit linientreu? So ein Quatsch. Wenn ich mir anschaue was Herr Roth so schreibt, sehe ich hier alles andere als „linientreu“….

  3. Sehr linientreu geschrieben!
    Wie wäre denn der Vorschlag,
    alle ausländischen Kriegsparteien sollen abziehen und der
    gewählte Präsident Syriens soll innerhalb von zwei Jahren
    die nächste demokratische Wahl abhalten?!

    Das Interesse Israels verstehe ich voll und ganz und stehe hinter JEDEM
    Sicherheitsinteresse Israels
    – aber eine weitere Puppenspieler-Show der USA macht in Syrien keinen Sinn.

    Letztlich kann nur das syrische Volk darüber entscheiden,
    wer im Land das Sagen haben soll.
    Assad sollte sich wohl überlegen, ob er dem Pfad seines Vaters folgen
    oder seine Politik umkrempeln und in aller Offenheit auf Israel zugehen sollte.
    Die Ayatollah-Regierung wird sowieso in den nächsten zehn Jahren
    hinweggefegt werden und der Atom-Deal ist bereits am Ende,
    was gut und richtig und notwendig ist.

    Und was die Rolle Russlands betrifft
    – dazu schweige ich hier lieber, soll ja linientreu bleiben, das Forum.
    Nur soviel:
    Die Russen hatten den Kurden NICHTS aufgezwungen
    – deren derzeitiges Schicksal ist vollumfänglich selbstverschuldet
    durch ihre habgierige Führung!

  4. Nochmals, wer glaubt das die Westmächte diese 3 zur Rede stellen sollten, nein der ist ein blosser Zuarbeiter der ganzen Sachen die dort ablaufen.
    Wie kann man boss so Naiv sein und es auch noch schreiben.
    Boah, Indoktrination pur.

  5. Blödsinn…………

    Seien Sie mal ehrlich, Israel hat zusammen mit den USA den IS entstehen lassen.
    Russland kam dazu weil Syrien sich nicht einfach in einen Gottesstaat verwandeln und aufteilen lassen wollte.
    Israel hat in der Sache sehr schmutzige Hände, mindestens so schmutzig wie die USA.
    Und England nicht vergessen, die wollen mit oder ohne Trump DAS SCHLAMASSEL DORT VOLLENDEN.

    Russland ist dort weil Syrien niemand anderen zu Hilfe rufen konnte und sie sind legal dort, was man von allen anderen nicht sagen kann.
    Ich bin übrigens gerne dabei den Iran zu entwaffnen, dessen atomare Fähigkeiten zu unterbinden, sie aus Syrien zu vertreiben.
    Aber das liegt allein im Ermessen des unabhängigen Staates Syrien………….

    Israel verhält sich sehr unklug was Assad angeht, der war immer ein treuer Feind, was besser ist als ein falscher Freund wie Saudi-Arabien.

    Nein Assad ist die weit bessere Lösung wie alles andere was dort nachkommen würde.
    Israel beklagt sich über die primitive Gewalt der Hamas, den Verbrecher Abbas und all das Gesindel der Palis, aber ihr wollt Syrien das selbe angedeihen lassen.
    Surreal……. mit einem ehrlichen Feind ist man besser dran.

    Glaubt hier irgendjemand das die Russen Skripal vergiftet haben, oder das die USA die Demos in Syrien damals nicht aktiv angeheizt haben……
    Ich habs damals Tag für Tag mitverfolgt, der Westen hat sich da sehr schmutzige Hände gemacht, Israel aber auch.
    Ein Land in dem Muslime wohnen kann nur durch eine eiserne Hand zusammengehalten und regiert werden.
    ——————————-

    Erdogan der Mächtige, ….Sorry, Erdowahn der Schmächtige wäre korrekt.

    Das Erdowahn sich nun wieder in einen Krieg stürzt ist nur dem Umstand zu verdanken, dass der Westen ihn niemals betraft.
    Er ist ein ungezogene Rotzbengel der sehr leicht abgestraft werden könnte.
    Seine Wirtschaft ist derart fragil aufgestellt, dass alleine das schon einen guten Hebel darstellt.
    Aber auch Israel schont den lieber als den trotzigen Bengel endlich mal zu versohlen.
    Dabei nutzt Erdowahn seine Zeit vor allem für eines, den Islam zu fördern.
    Er ist ein Islamist, umarmt nur nicht alle Islamisten weil er die Macht allein für sich beansprucht.

    Deutschland und seine ewige Schuld.
    Ich habe hier schon mehrmals geschrieben das man dringend damit aufhören sollte den Holocaust zu instrumentalisieren.
    Wenn dereinst Deutschland islamisch wird, boah dann habt ihr aber was erreicht.
    Dann werdet ihr dafür belohnt, den Deutschen aus puren Kalkül einen ewigen Schuldkomplex …..mit ….eingeredet zu haben.

    Nun da nahezu jeder Täter tot ist, solltet ihr jedes Interesse haben das Deutschland zu einem gesunden Selbstbewusstsein findet.
    Nur so ein Deutschland wird gut für Israel und die letzten Juden dort sein.
    Zusammen mit Russland könnte das Land viel zum Frieden auf der Erde beitragen.

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