Israel und die globale Zuwanderungskrise

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Der damalige Ministerpräsident Israels Shimon Peres spricht am 2 Oktober 1985 zu äthiopischen Migranten. Foto Harnik Nati/GPO
Der damalige Ministerpräsident Israels Shimon Peres spricht am 2 Oktober 1985 zu äthiopischen Migranten. Foto Harnik Nati/GPO
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Nachdem sie den wohl bekanntesten Einwanderer der Welt hervorgebracht hatten – Abraham, der in das Gelobte Land reiste –, erschufen die alten Hebräer auch die beiden anderen Formen des Immigranten: den Flüchtling und den Asylsuchenden.

 

Ein Kommentar von Amotz Asa-El

Der Flüchtling war Abrahams Neffe Lot, und das sogar zweimal: Zuerst, als er in Kriegsgefangenschaft geriet, und dann noch einmal, als seine Stadt durch einen Feuersturm dem Erdboden gleichgemacht wurde.

Die dritte Form des Immigranten zeigt sich in Abrahams Enkel Jakob, der von seinem rachsüchtigen Bruder verfolgt und ins Ausland getrieben wurde.

Diese scheinbar einfachen Definitionen sind nun für Israel eine ziemlich genau gleiche Herausforderung wie die Einwanderungskrise für Europa. Tatsächlich wäre Europa vielleicht gut beraten, einen Blick auf Israels evolutionäre Antwort auf seine Erfahrung mit diesem grossen internationale Problem zu werfen.

ISRAELS ERSTES grosses Zuwanderungsproblem zeichnete sich vor etwa 30 Jahren ab, als sich der Kalte Krieg dem Ende zuneigte.

Israel wusste, dass es die Juden aus den ehemaligen Ostblockstaaten und Äthiopien aufnehmen wollte. Das Land wusste aber nicht, wie die knapp unter fünf Millionen Israelis, eine Million Immigranten, von denen viele nur zum Teil jüdisch waren, absorbieren können würde.

Und dennoch öffnete Israel seine Tore, denn es merkte, dass die Zuwanderer unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten produktiv sein würden und dass sie in gesellschaftlicher Hinsicht darauf vorbereitet und erpicht darauf waren, sich in relativ kurzer Zeit in die israelische Gesellschaft zu integrieren.

Beide Annahmen erwiesen sich als richtig. Die israelische Wirtschaft erlebte einen derart starken Aufschwung, dass sie begann, Arbeitsmigranten aus afrikanischen Staaten anzuziehen, wo es gar keine Juden gab.

Afrika exportierte Millionen Migranten, und Israel war das einzige Land, das über eine Landverbindung nach Afrika verfügte: über den ägyptischen Suezkanal. Die illegalen Migranten überwanden die ägyptische Sinai-Wüste und drangen dann in Israels Süden vor.

„Was sollte man mit den illegalen Einwanderern machen, die das Land bereits betreten hatten?“

Als die Zahl der Zuwanderer über 50.000 stieg, errichtete Israel einen Zaun entlang der 240 Kilometer langen Grenze zu Ägypten. Die Barriere sowie die verstärkten Patrouillen und Kontrollen reduzierten die Migration, die zu Spitzenzeiten auf geschätzte 65.000 angestiegen war, auf einen Bruchteil.

Während Israel die Einreise weiterer Migranten abgewehrt hatte, sah es sich jedoch noch immer einem Dilemma gegenüber: Was sollte man mit den illegalen Einwanderern machen, die das Land bereits betreten hatten?

Mit diesem Problem befindet sich Israel in guter Gesellschaft. Im vergangenen Jahrzehnt erliess Italien strenge Gesetze gegen illegale Einwanderer und errichtete spezielle Abschiebungslager, Spanien baute Mauern zwischen seinen Besitztümern vor Marokko und Saudi-Arabien schob in dieser Zeit etwa 150.000 Äthiopier ab.

Israel seinerseits richtete eine Behörde ein, deren Notwendigkeit die Gründerväter des Landes niemals erwartet hatten – eine Einwanderungsbehörde, die damit beauftragt war, den Druck der Arbeitsmigration auf den jüdischen Staat einzudämmen.

Die neue Behörde wurde damit beauftragt, illegale Migranten zu orten und zu zählen. Gleichzeitig wurde eine Spezialeinheit der Polizei bevollmächtigt, illegale Einwanderer zu inhaftieren, bei denen es sich nicht um Asylsuchende handelt, und sie in ein spezielles Abschiebungslager in der Wüste Negev zu bringen, von wo aus sie schliesslich möglicherweise abgeschoben werden würden.

Niemand dachte daran, die illegalen Einwanderer zurück in Kriegsgebiete oder Diktaturen abzuschieben, wo sie möglicherweise durch politische Unterdrückung bedroht wären. Stattdessen gab man ihnen Geld und setzte sie in Flugzeuge, die sie in zwei friedliche Länder bringen würden, die der Aufnahme zugestimmt hatten: Ruanda und Uganda.

MIGRANTEN werden von unterschiedlichen nichtstaatlichen Organisationen oftmals als „Asylsuchende“ bezeichnet. Dies ist jedoch eine Fehlbezeichnung, da so – ob bewusst oder unbewusst – die Konzepte hinter den Begriffen „Asylsuchender“ und „Flüchtling“ durcheinandergebracht werden.

Israels illegale Migranten werden in ihren Heimatländern nicht persönlich verfolgt – anders als etwa der Autor Salman Rushdie, wegen dessen häretischer Schriften die iranischen Ayatollahs ein Kopfgeld auf ihn aussetzten. Noch weniger werden die Migranten wegen ihrer biologischen Identität verfolgt, wie es die Juden während des Holocaust waren.

Ja, Teile der Heimat der sudanesischen Einwanderer sind kriegsgebeutelt und Eritrea ist derzeit eine offenkundige Diktatur, aber das macht ihre Situation nicht mit der des biblischen Jakob vergleichbar – sie ähnelt stattdessen mehr der Situation Lots.

Ja, es gibt Berichte darüber, dass das Leben in Uganda und Ruanda nicht einfach ist und dass die Migranten dort nicht die Arbeit finden, die sie in Israel ausgeübt haben. Doch niemand in diesen Ländern verfolgt sie, und schon gar nicht wegen ihrer Ansichten, ihrer Rasse oder ihres Glaubens.

Die meisten illegalen Einwanderer in Israel haben nicht einmal formal beantragt, als Flüchtling anerkannt zu werden. Damit gestehen sie im Endeffekt selbst ein, dass die meisten von ihnen eher nach Arbeit als nach Asyl suchen. Die israelischen Untersuchungen der Herkunft der Migranten führten dazu, dass 1.000 Eindringlinge eine vorübergehende Aufenthaltsberechtigung erhielten; die meisten davon aus Darfur.

Zur gleichen Zeit ist die israelische Regierung der Meinung, dass die Grenzüberschreitung der Arbeitsmigranten die Sicherheit Israels gefährdet. Daher drückte Premierminister Benjamin Netanyahu Zufriedenheit darüber aus, 20.000 illegale Einwanderer mit dem Schiff zurück nach Afrika geschickt zu haben und sagt, dass er mit den verbleibenden illegalen Migranten ebenso gedenkt vorzugehen.

Israelische Gegner dieser Rückführung stammen nicht unbedingt aus dem linken Flügel. Der langjährige Siedlerführer Yisrael Harel rief beispielsweise dazu auf, den Flüchtlingen „als Zeichen des Mitgefühls“ zehn Jahre lang versuchsweise den Aufenthalt zu gewähren. Die 35.000 illegalen Migranten in Israel könnten von den mehr als acht Millionen Israelis absorbiert werden, argumentierte er.

Auch Experten sind der Ansicht, dass ein gewisser Teil der Einwanderer letztlich in Israel bleiben wird; ganz im Sinne der Empfehlung eines unabhängigen Komitees, das im letzten Jahrzehnt äusserte, Israel sollte „jene fernhalten, die hineinwollen, und jene aufnehmen, die es hineingeschafft haben“.

Ganz allgemein gesehen darf man Israels Umgang mit illegaler Einwanderung jedoch nicht bewerten, ohne seinen Umgang mit der legalen Immigration zu betrachten.

Die Million von Migranten, die Israel in den vergangenen 30 Jahren aufgenommen hat, sind gesellschaftlich und wirtschaftlich bereits viel weiter aufgestiegen als Europas Immigranten aus dem Nahen Osten, die sich schon viel länger als 30 Jahre in Europa befinden.

Eine Situation wie in Israel, wo ein Einwanderer aus Moldawien jetzt Verteidigungsminister ist, ein Einwanderer aus Russland Sprecher der Knesset und ein Einwanderer aus Äthiopien Arzt und oberster Sanitätsoffizier der IDF, ist in Europa undenkbar.

Der Grund dafür ist ganz einfach.

Israel wehrte Einwanderer ab, von denen es wusste, dass es sie nicht absorbieren konnte. Und in gleicher Weise bemühte sich Israel um die Immigranten, von denen es wusste, dass die Gesellschaft sie aufnehmen würde, und ermutigte diese Einwanderer, so schnell wie möglich zu rennen, so hoch wie möglich zu klettern und so weit wie möglich zu reisen, damit sie – wie Abraham – ihre Reise in das Gelobte Land vollenden würden.

Self 1

Über Amotz Asa-El

Amotz Asa-El ist leitender Berichterstatter und ehemaliger Chefredakteur der Jerusalem Post, Berichterstatter Mittlerer Osten für Dow Jones Marketwatch, politischer Kommentator bei Israel's TV-Sender Channel 1 und leitender Redakteur des Nachrichtenmagazins Jerusalem Report.

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