Wozu das Scharmützel im Norden Israels?

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Die Überreste des F-16-Flugzeugs, das am 10. Februar 2018 in der Nähe des Kibbuz Harduf abstürzte. Foto Anat Hermony/Flash90
Die Überreste des F-16-Flugzeugs, das am 10. Februar 2018 in der Nähe des Kibbuz Harduf abstürzte. Foto Anat Hermony/Flash90
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Die Nordgrenze Israels birgt das Potential zu höchst problematischen und potentiell zerstörerischen Innovationen. Beweis dafür ist das gefährliche Scharmützel zwischen Israel und dem Iran, das den Nahen Osten am zweiten Februarwochenende ums Haar in einen neuen Krieg gestürzt hätte.

Der Hintergrund

Mit dem Verschwinden des so genannten Islamischen Staates von der Landkarte, ist der Krieg in Syrien noch lange nicht zu Ende. Russische Kampfflugzeuge bombardieren Rebellenstellungen in Idlib und Ghouta. Dabei werden täglich Dutzende von Zivilisten getötet. Auf blutige Weise suchen die Türkei und der Iran ihre Machtbereiche auszuweiten. Anfang Februar bombardierten die Amerikaner im ostsyrischen Deir az-Zor schiitische Milizen.

Israelische Flugzeuge sind seit Jahren im libanesischen und syrischen Luftraum unterwegs. Das ist ein offenes Geheimnis. Sie wollen wissen, was im Norden Sache ist. Und sie wollen verhindern, dass die Hisbollah im Libanon noch mehr hochmoderne Raketen bekommt.

Seitdem sich Russland und der Iran offen auf die Seite Baschar al-Assads gestellt haben, ist klar, dass das Regime den Bürgerkrieg überleben wird. Mittlerweile hat der Diktator von Damaskus wieder achtzig Prozent seines Staatsgebietes unter Kontrolle. Jetzt wird er immer dreister. Bislang hatte man nur mit dem Abschuss israelischer Flugzeuge gedroht. Doch seit einiger Zeit gab es offene Versuche, diese Drohungen umzusetzen.

Massiv kaufen sich Iraner in Syrien ein, nicht nur wenn Flüchtlinge ihre Immobilien loswerden wollen, sondern auch beim Aufbau einer Rüstungsindustrie. Bis nahe an die israelische Grenze auf den Golanhöhen bemüht sich der Iran um den Bau eigener Militärbasen und einer militärischen Infrastruktur.

80 000 Kämpfer der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah sind im Auftrag des Iran seit Jahren zugunsten des Assad-Regimes in Syrien unterwegs. In jüngster Zeit begann der Iran weitere 10 000 schiitische Milizionäre aus dem Irak, Pakistan und Afghanistan in Südsyrien zu stationieren. Keiner von ihnen macht Anstalten, mit dem Ende des Islamischen Staates den Heimweg anzutreten.

Vielmehr scheint der Krieg in Syrien in eine neue Phase zu treten. Dabei gerät Israel zunehmend in den Fokus und könnte sich bald zu einem entscheidenden Spieler mausern. Und das allen Beteuerungen israelischer Politiker zum Trotz, man wolle sich im Bürgerkrieg des Nachbarlandes nicht einmischen.

Der 10. Februar 2018

Um 4.00 Uhr morgens wurde nahe der Wüstenstadt Palmyra eine Einheit der Al-Quds-Force, die zu den iranischen Revolutionsgarden gehört, aktiv. Sie schickte eine Aufklärungsdrohne in Richtung Süden. Von Jordanien her drang der unbemannte Flieger in den israelischen Luftraum ein. Im Jordantal nahe der Stadt Bet Schean wurde er nach eineinhalb Minuten von einem israelischen Apache-Hubschrauber abgeschossen.

Israel beantwortete dann die Verletzung seines Luftraums mit einem Luftangriff auf den LKW von dem aus die Drohne gestartet war. Erstmals griff damit der jüdische Staat direkt eine Stellung der Islamischen Republik Iran auf syrischem Boden an. Möglicherweise wurden dabei schon iranische Armeeangehörige getötet.

Die syrische Luftabwehr reagierte auf den israelischen Angriff ungewöhnlich heftig und beschoss die israelischen Flugzeuge mit einer Salve von mehr als zwanzig Boden-Luft-Raketen. Ein F-16I-Kampfjet gab sich durch ein Fehlverhalten der Crew eine Blöße, die die syrische Luftabwehr zu nutzen wusste. Um 5.59 Uhr stürzte er 300 Kilometer südlich von Palmyra am Eingang des Kibbuz Harduf in Untergaliläa ab. Die beiden Piloten konnten sich mit dem Schleudersitz retten.

Auf den Abschuss seines Kampfjets antwortete Israel mit „dem größten Luftangriff seit 1982“ auf sein nordöstliches Nachbarland. Damals war zuletzt ein israelisches Kampfflugzeug von einer feindlichen Luftabwehr abgeschossen worden. Zwölf Ziele werden in Syrien bombardiert. Nach Sichtung erster Daten gab das israelische Militär am Tag danach bekannt, man habe mit diesem Schlag die Hälfte der syrischen Luftabwehrfähigkeiten zerstört.

Der Triumph der Syrer …

Die Bilder von den brennenden Trümmern einer israelischen F-16I, die 50 Millionen US-Dollar gekostet hat, ist ein offensichtlicher Propagandasieg für Damaskus. In den Straßen der syrischen Hauptstadt feierten Regierungsanhänger den Sieg ihrer Armee und verteilten Süßigkeiten. Die Hisbollah bejubelte den Abschuss des Kampfjets als „Beginn einer neuen strategischen Phase“. Die Zerstörungen durch das israelische Bombardement sind offensichtlich irrelevant.

… und die Reaktion des Iran

Im Iran wurde Israels Behauptung, die Drohne habe den israelischen Luftraum verletzt, als „lächerlich“ und „Lüge“ bezeichnet. Das Ganze, so die Nachrichtenwebseite Al-Manar der syrischen Armee, sei eine Routinemission gegen den Islamischen Staat gewesen.

Darüber hinaus formulierten iranische Medien äußerst vorsichtig und offensichtlich darauf bedacht, von einer Beteiligung des Iran an den Vorgängen abzulenken. Das iranische Regime scheint darum bemüht, eine direkte Konfrontation mit Israel zu vermeiden. Immerhin ist man Teil der Troika, gemeinsam mit Russland und der Türkei, die sich um eine diplomatische Lösung des Syrienkonflikts bemüht.

Rätsel der Motivation

Überhaupt ist unklar, weshalb der Iran gerade jetzt eine Drohne in Richtung Israel schicken sollte und dabei die gehabte Reaktion von Seiten Israels zu provozieren. War das Ganze ein Versehen? Ein Irrtum beim Navigieren oder taktischen Einsatz der Drohne? Entspricht die Erklärung Syriens vielleicht der Wahrheit und man war tatsächlich auf einer Routinemission gegen sunnitische Fundamentalisten im Dreiländereck Syrien-Jordanien-Israel, wobei sich dann das unbemannte Luftgefährt aus irgendeinem technischen Grunde selbständig gemacht hat?

Oder dachten die Iraner, sie könnten unbemerkt in den israelischen Luftraum eindringen und wieder entkommen – um dann mit ihren technischen Fähigkeiten prahlen zu können?

Oder war die Drohne vielleicht ein Köder, der die israelische Luftwaffe in einen Hinterhalt locken sollte, um genau das zu provozieren, was geschehen ist? Um durch die Eskalation den modus vivendi im syrischen Luftraum zu ändern, wo weder die Iraner noch die Syrer das Sagen haben, sondern die Russen. Und Russland hat das israelische Treiben am syrischen Himmel bislang nicht nur toleriert, sondern seine militärischen Operationen mit Israel sogar koordiniert.

Die Win-Win-Win-Situation

Auffallend ist, wie schnell und intensiv Ruhe einkehrte nach dem kurzen, heftigen Sturm. Ein entscheidender Grund dafür ist ganz bestimmt, dass dem Iran zum momentanen Zeitpunkt nicht am offenen Streit mit Israel liegt. Und alle anderen Beteiligten können den stürmischen zweiten Schabbatmorgen im Februar als Erfolg für sich verzeichnen. Die Syrer bejubeln den Abschuss des israelischen Flugzeugs. Israel ist zufrieden mit der Neutralisierung der Hälfte der syrischen Luftabwehr. Und in Russland ist man stolz darauf, dass eine veraltete sowjetische Rakete in der Lage war, einen der modernsten amerikanischen Kampfjets vom Himmel zu holen.

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Über Johannes Gerloff

Johannes Gerloff ist ein deutscher Journalist, Theologe und Autor mit Schwerpunkt Israel und Naher Osten. Er ist im Nordschwarzwald aufgewachsen und hat in Tübingen, Vancouver/Kanada und Prag/Tschechien Theologie studiert. Seit 1994 lebt er mit seiner Familie in Jerusalem.

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