Israelische Musik Teil 2 – Wenn ich dich vergesse, oh Jerusalem

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Strassenmusikanten in Jerusalem. Foto CC0 Creative Commons
Strassenmusikanten in Jerusalem. Foto CC0 Creative Commons
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Über 2000 Jahre lang war das jüdische Volk in der Welt zerstreut. Von Ort zu Ort ist es gewandert, und siedelte sich stets dort an, wo man es gerade nicht auf dem Scheiterhaufen sehen wollte. Es passte sich an neue Zeitalter und Kulturen an, und entwickelte verschiedene Traditionen und Bräuche, je nachdem, wo es residierte.

Der zweit Beitrag einer Reihe zur Musik in Israel von Michelle Wolf. Der erste Teil erschien am 1

Ohne heiligen Tempel und ohne politische Souveränität blieben die Juden trotz lokaler Ausbreitung ein einziges, vereintes Volk. Was hielt sie zusammen? Die Einhaltung der biblischen Überlieferungen, die Hoffnung auf den Messias, und der Glaube an die Rückkehr ins heilige Land.


Im Eshkachech Yerushalayim Live

Yaakov Shwekey singt aus dem Psalm 137, „Wenn ich dich vergesse, oh Jerusalem, soll meine rechte Hand verdorren.“ Der Sänger und Entertainer ist ein perfektes Beispiel für das kulturelle Erbe, welches ein Jude heutzutage tragen kann: Seine Mutter ist aschkenasisch aus Osteuropa, sein Vater mizrachi (orientalisch) mit ägyptisch-syrischem Hintergrund, und er selbst ist orthodox in Mexiko aufgewachsen. Seine weltweit erfolgreichen Musikalben, auf Englisch und Hebräisch aufgenommen, behandeln religiöse sowie kulturelle jüdische Themen. In dem Lied „We are a Miracle“ erzählt er von der langen Reise, welches sein Volk auf sich nehmen musste, um heute als selbstständige, freie Nation zu existieren. Und diese Nation unterstützt er mit Herz und Seele – 2013 singt er live in Tel Aviv ein Gebet für israelische Soldaten:


Mi SheBarach LeChayalim Live

„Der, der einst unsere Stammväter […] segnete; möge er die Kämpfer der IDF segnen, die über unser Land und die Städte des Allmächtigen wachen…“ [Vollständiger Text auf Hebräisch mit englischer Übersetzung hier]. Dieses Gebet hinterlässt solch einen enormen Eindruck, dass es nun in Synagogen auf der ganzen Welt am Schabbat und an Feiertagen vorgetragen wird.

Choseret Le’Tschuva – den religiösen Weg einschlagen

Etti Ankri ist unter ärmlichen Verhältnissen in einer tunesisch-jüdischen Familie aufgewachsen. Sie entschloss sich, ihrer Leidenschaft nachzugehen, und Musik in einer angesehenen Hochschule zu lernen. Fortan führt sie eine erfolgreiche Karriere als israelische Sängerin, Songwriterin, Komponistin und Schauspielerin, die in Israel gleich zwei Mal zur Sängerin des Jahres gekürt wurde. Ihre Melodien basieren auf moderner Mainstream-Musik, die sie mit traditionellen sephardischen Elementen vermischt. „Ya-Amena“ ist der Name ihres neuesten Albums aus dem vorigen Jahr. Das Außergewöhnliche daran ist, dass die jüdisch-religiösen Inhalte von ihr auf Arabisch gesungen werden. In einem Interview mit dem israelischen Online-Magazin „Srugim“ erzählt sie, dass sie erst vor Kurzem herausfand, dass die Muttersprache ihrer Eltern eigentlich Arabisch ist. Die Musikerin selbst ist in Israel geboren, doch die Wahrnehmung des Exils sei ein unzertrennlicher Teil von ihr. Dieses Lied zum Beispiel, welches den Shabbat willkommen heißt, wird von einer aufregenden Bildergeschichte begleitet, welche Etti selbstständig in den Sand zeichnet.


Baruch HaBa BeShabbat

Um die Jahrtausendwende herum drehte die Musikerin ihr Leben um und kehrte sich dem orthodoxen Judentum zu. Das hatte einen gewaltigen Einfluss auf die Musik, die sie komponierte. 2009 erschafft die Künstlerin ihren vielleicht bedeutendsten Nachlass: sie nimmt die fast 1.000 Jahre alten Gedichte, die vom Rabbiner, Arzt und Philosophen Jehuda HaLevi in biblischem Hebräisch verfasst wurden, und komponiert sanfte, authentische Melodien dazu. Das kulturellen Erbe erhält ein neues, bewegendes Gesicht.


Yefe Nof

Der bedeutendste sephardische Poet des Mittelalters HaLevi verließ seine Heimat Spanien, um nach Jerusalem zurückzukehren. Tragischerweise würde er die „Yefe Nof“ (schöne Aussicht) über die heilige Stadt nie bewundern können, denn auf dem Weg dahin verstarb er. Sein gleichnamiges Gedicht bedauert die bodenständige, zertrümmerte Stadt, die Jerusalem zu seiner Zeit während den Kreuzzügen war, in Kontrast zu dem himmlischen, herrlichen Reich das es zu biblischen Zeiten reflektierte und wieder werden musste.

Es war einmal…

Wir schreiben das Jahr 1905, und befinden uns in einem kleinen Ort im tiefen Osteuropa. Es ist nicht nur irgendein Ort, sondern ein Schtetl – ein Dorf, in dem sich vorwiegend Juden ansiedeln, in dem hauptsächlich auf jiddisch gesprochen wird, in dem das Leben nach biblischen Vorschriften zum Alltag gehört. Wie die Spielregeln im Schtetl aussahen, wird im verfilmten Musical „Anatevka“ sehr spezifisch erklärt:


Fiddler on the roof – Tradition, englische Version

Doch ganz so geregelt ging es leider nicht. Etwa zeitgleich begann die zweite Alija-Welle, in der an die 40.000 eben dieser russischen Juden auswanderten. Die jüdische Minderheit war dem Antisemitismus, der sich in blutige, grausame Pogrome ausdehnte, hilflos ausgesetzt. Leider sollte sich die Lage in Osteuropa auch nicht verbessern. 40 Jahre später, 1945, war dieses einst florierende jüdische Leben völlig ausgelöscht. Die wenigen, die den Holocaust überlebten, flohen hauptsächlich Richtung Israel oder Amerika.

So auch der Vater von Mordechai Werdyger, David Werdyger, ein Krakauer Jude, der sein Leben Schindler’s Liste zu verdanken hat. In New York startete er eine erfolgreiche Karriere als Kantor für chassidische Musik, und auf diesem Nachlass wollte sein Sohn aufbauen. Er nannte sich so, wie man ihn heute weltweit als König der jüdischen Musik anerkennt: Mordechai Ben David („Mordechai, Sohn von David“). Der weltberühmte chassidische Sänger und Songwriter brachte in 40 Jahren über 30 Alben heraus. Er basiert seine Lieder auf biblischen Gedichten und Auszügen, performt auf englisch und neuhebräisch über religiöse Themen, oder bringt die Texte der chassidischen osteuropäischen Juden auf jiddisch wieder zum Leben. Im Gegensatz zu seinem Vater und vielen andere Kantoren, die dieselben Texte zu den herkömmlichen, klassischen Melodien sangen, benutzt Mordechai Ben David zeitgenössischen Pop, um seine Lieder so fröhlich und lebendig aufzupeppen, wie wir sie heute von jüdischen Hochzeiten oder anderen Partys kennen:


Mashiach live

Leidenschaftlich singt er über die Sehnsucht nach dem Messias. Doch der Künstler benutzt sein Talent nicht nur zum Vergnügen, sondern auch, um in öffentlichen Affären hinter seinem Volk zu stehen. So entsteht Mitte der 80er der Hit und das gleichnamige Album „Let my people go“, dessen Titel an den Auszug aus Ägypten erinnert. Mordechai Ben David schreibt den Song als Forderung, zwei Juden aus sowjetischer Gefangenschaft zu befreien und die kommunistische Diktatur zu beenden: „Always have in mind; our brothers left behind; trapped in the iron curtain; […]  Enough of your bluff and hurtin’; […] Let my people go!“ [Auszug aus dem Songtext zu „Let my people go“]. Fast zehn Jahre später protestiert der weltbekannte Musiker mit dem Lied „Yerushalayim“ gegen die geplante Teilung Jerusalems nach den ersten Osloer Verträgen. Es gibt zwei Versionen, auf hebräisch und auf englisch. Seine allgegenwärtige Message ist ganz klar: Jerusalem, wir werden dich nie wieder verlassen! Und sein Volk steht auch hinter ihm.


IDF-Soldaten marschieren zur Klagemauer mit Mordechai Ben David’s “Anachnu Maaminim”

Michelle Wolf entstammt einer Wiener Familie, ist in München aufgewachsen und lebt nun in Israel. Sie studiert Government an der IDC in Herzliya mit Spezialisierung auf Counter-Terrorism und Conflict Resolution.